Royal Enfield Bullet 350: Viel Motorrad für wenig Geld

Royal Enfield Bullet 350 im Fahrtest
Eine Menge Motorrad zum erschwinglichen Preis

Zuletzt aktualisiert am 27.02.2025

Die Royal Enfield Bullet 350 stellt für Siddhartha Lal, den Geschäftsführer von Royal Enfield, und die Mitarbeiter einen echten Meilenstein dar. Seit 1932 rollen die royalen Geschosse vom Band, das sind über 90 Jahre Produktionsgeschichte! 2020 wurde das letzte Projektil mit 500 Kubik produziert. Nach kurzer Verschnaufpause kehrt sie heuer zurück.

Als Herzstück dient die neueste Generation des luft-/ölgekühlten 349-Kubik-Langhub-Einzylindermotors der J-Serie. Dieser wurde drei Jahre zuvor in der Meteor 350 vorgestellt, die den Startschuss für die neuen 350er-Modelle gab. Für Eicher Motors, den Eigentümer von Royal Enfield, war die Entwicklung eines modernen Motors von höchster Priorität: Das Triebwerk der alten 350 Classic konnte die zunehmend strengeren Bharat-Umweltvorschriften in Indien nicht mehr erfüllen.

Was kann die neue Royal Enfield Bullet 350?

"Bullet Meri Jaan", auf Deutsch: "Die Bullet ist mein Leben" – das ist der Slogan, den Royal Enfield für die neueste Generation seines berühmtesten Modells gewählt hat. Die Bullet ist zu einem wichtigen Teil des indischen Sozialgefüges geworden, oft so sehr, dass sie als Erbstück von Generation zu Generation weitergegeben wird.

Stellt sich die Frage: Was kann die neue Royal Enfield Bullet 350? Fangen wir beim Herzstück an: Kernelement ist der angesprochene und inzwischen gut etablierte 349-Kubik-Single mit 20,2 PS und 27 Nm. Der Motor wurde mit angepassten Zünd- und Einspritzmappings neu abgestimmt, um ein breiteres nutzbares Drehzahlband als bei den anderen 350er-Modellen zu erreichen. Ohne negative Auswirkungen auf den Benzindurst – ein Schlüsselelement für die indischen Kunden, die immer noch 88 Prozent des hauseigenen Marktes ausmachen. Angegebener Verbrauch: bescheidene 2,63 Liter auf 100 Kilometer. Am sparsamsten fährt sie sich im Overdrive-Gang ihres Fünfganggetriebes – dazu später mehr.

Entpannt und komfortabel

Der neue Doppelschleifenrahmen der Royal Enfield Bullet 350 wurde von der Tochterfirma Harris Performance in Großbritannien entwickelt. Speichenräder, Bremsen und die Aufhängung leiht sich die Bullet von der aktuellen Classic-Baureihe. Neu hinzu kommt eine schmalere und höhere Doppelsitzbank. Die tief angesetzten Fußrasten in Kombination mit dem hohen, stark gekröpften Lenker mit dicken Griffen sorgen für eine aufrechte und komfortable Fahrposition. Komfort wird besonders bei den Indern groß geschrieben, die von ihren Straßen nicht gerade Lobeshymnen singen können – wohl eher im Gegenteil: Die örtliche Bandbreite reicht von Stadtstraßen, auf denen sich Menschen, Tiere und Fahrzeuge aller Art tummeln, bis zu engen, kurvenreichen Landstraßen, die mit Schlaglöchern übersät sind – und deren letzte Reparatur wahrscheinlich irgendwann im letzten Jahrhundert stattfand. Entspannt und komfortabel gestaltet sich zudem auch das Gasgeben.

Maximal Geschwindigkeit von 122 km/h

Die Royal Enfield Bullet 350 reagiert sehr berechenbar auf Befehle der rechten Hand. Verschiedene Fahrmodi oder irgendwelche anderen elektronischen Fahrhilfen sind nicht an Bord, werden aber auch nicht vermisst. Dank neu abgestimmter Einspritzung spricht der Motor sanft an und bietet geschmeidigen Antritt. In Sachen Topspeed erreicht die Bullet maximal 122 km/h laut Tacho, auf ebener Strecke im höchsten Gang. Die meisten Bullet-Kunden in Indien werden jedoch im Alltag nicht schneller als 80 km/h fahren – und sollten daher genug Leistung haben, um die meisten Verkehrsteilnehmer problemlos überholen zu können. Für europäische und amerikanische Verhältnisse reicht die Höchstgeschwindigkeit bestenfalls aus, um mit dem Verkehr auf Autobahnen, Highways und dergleichen mitzuhalten.

Die neue Bullet 350 mit Overdrive-Gang

Dank der kettengetriebenen Ausgleichswelle reduzieren sich selbst bei gefühlten Höchstdrehzahlen (die Bullet hat keinen Drehzahlmesser) Vibrationen auf ein Minimum. Weder stören die Schwingungen im Sitz, am Lenker noch an den Fußrasten – selbst die hippen Retro-Spiegel der Royal Enfield Bullet 350 halten still. Auch haptisch bietet die neue Bullet einiges: Die Lenkerarmaturen wurden neu entworfen, und der Kupplungshebel lässt sich angenehm leicht betätigen.

Die Schaltwippe zum Schalten mit Ferse und Zehen wirkt auf den ersten Blick etwas oldschool und skurril. Nach etwas Eingewöhnungszeit geht das System aber in Fleisch und Blut über, und die Gangräder flutschen butterweich ineinander. Kommen wir noch einmal zum vorher erwähnten Overdrive-Gang. Als "Overdrive-Gang" bezeichnet Royal Enfield die letzte Gangstufe – im Prinzip handelt es sich hier um einen Schongang. Was klingt wie ein Waschmaschinen-Programm, ist im Grunde ein lang übersetzter letzter Gang, der die Motordrehzahl bei gleicher Geschwindigkeit reduziert. Vorteil: Der Spritverbrauch wird gesenkt, was Umwelt sowie Portemonnaie gleichermaßen freut.

Fahrwerk der Royal Enfield Bullet 350

Fahrwerkstechnisch ist die Bullet mit einer nicht einstellbaren Gabel von Gabriel ausgestattet, die 130 Millimeter Federweg bietet. Hinten dämpfen zwei in der Vorspannung einstellbare Federbeine mit je 102 Millimeter Federweg. Die Royal Enfield Bullet 350 ist auf verkehrsreichen Straßen ausreichend wendig. Sie verfügt über genug Schräglagenfreiheit, sodass zumindest kein unerwartet hoher Verschleiß an den Fußrasten zu befürchten ist. Die Dämpfungscharakteristik der Gabel ist eher weich und gibt ein gautschiges Gefühl.

Schlaglöcher schluckt die Front aber komfortabel weg. Hinten sorgt der begrenzte Federweg der Stereo-Dämpfer in Verbindung mit dem kurzen Radstand von 1.390 Millimetern jedoch für ein eher lebhaftes Fahrverhalten – unverblümt kommen Unebenheiten achtern beim Piloten an. Auf den Speichenrädern sind indische CEAT-Reifen aufgezogen, 100/90-19 vorn und 120/80-18 hinten. Die harte Gummimischung der Pneus sorgt einerseits für eine höhere Laufleistung, lässt aber andererseits Grip und Rückmeldung vermissen.

Die Royal Enfield Bullet ab 5.240 Euro

Gebremst wird vorn mittels eines Zweikolben-Schwimmsattels von Bybre, der seine Beläge auf eine 300er-Scheibe presst. Hinten kommt ein Einkolben-Schwimmsattel und eine 270-Millimeter-Bremsscheibe zum Einsatz. Außerdem sorgt ein Zweikanal-ABS für Sicherheit. Trotzdem muss man recht beherzt in die Eisen greifen, um das Schwergewicht zu stoppen. Warum Schwergewicht? Die Royal Enfield Bullet 350 kommt mit vollem 13-Liter-Tank auf stolze 195 Kilogramm. Kein Schwergewicht: der Preis, schlanke 5.240 Euro.