Freunde der motorisierten zweirädrigen Fortbewegung, die vorbehaltlos dem huldigen, was Werbung, Hersteller und manchmal auch die Politik als Fortschritt preisen – nämlich dem ewigen „Mehr, mehr, mehr“–, mögen an dieser Stelle bitte das Browserfenster schließen. In dieser Geschichte geht es nicht um das Mehr, sondern um das Weniger. Also um den Verzicht. Um den Verzicht auf überflüssige Leistung, überflüssiges Gewicht, überflüssige Ausstattung und Elektronikspielereien. Wobei im Hinterkopf die Frage dräut, ob der Verzicht auf Überflüssiges vielleicht sogar ein Gewinn ist. Doch bevor es allzu philosophisch wird, schenken wir Moto Guzzi V9 Roamer und Triumph Street Twin zunächst einmal unser Gehör.
Dass man sowohl in Mandello als auch in Hinckley charakterstarke Motorräder zu bauen versteht, ist jetzt nicht unbedingt eine überraschende Neuigkeit. Erstaunlich ist vielmehr, wie sich diese beiden im Übrigen recht unterschiedlichen Nostalgie-Kräder ihrer Umwelt mitteilen. Auspuffklappengesteuerte Lärmexzesse, wie sie etwa eine Ducati Panigale auf die Spitze getrieben hat, sind mit schärferen Euro 4-Vorschriften passé. Doch das, was übrig bleibt, ist allemal genug, um den Fahrer zu erfreuen, ohne die weniger kradaffine Umwelt zu erzürnen.
Über den Klangteppich, den der altehrwürdige und nunmehr auf 853 cm³ und 55 PS Nennleistung erstarkte 90-Grad-V2 der Moto Guzzi V9 Roamer zu weben versteht, sind schon Romane geschrieben worden. Diese Mixtur aus Ansaugschlürfen, Ventiltickern und mannigfachen Geräuschen aus den Tiefen des Kurbelgehäuses sowie dem kehligen Bollern aus den beiden verchromten Auspufftöpfen ist immer einer Guzzi zuzuordnen. So einen eindeutigen akustischen Fingerabdruck haben sonst wohl nur Harleys.
Wo der Frosch die Locken hat
Vor diesem Hintergrund sieht sich ein moderner Parallel-Twin wie der der Triumph Street Twin mit dem Vorwurf der akustischen Beliebigkeit konfrontiert – doch so ist es dann doch wieder nicht. Nahezu frei von mechanisch induzierten Nebengeräuschen entlässt der 899 cm³ große Twin mit 270-Grad-Kurbelwelle – also exakt dem gleichen Zündabstand wie bei der Guzzi – einen klaren, tiefbassigen Sound aus den beiden konischen Edelstahltöpfen. Da braucht’s keine Zubehörtüte mehr, um sowohl Seele als auch Hosenbeine zu massieren. Um das Thema Akustik abzuschließen: Was es allerdings bei beiden Bikes braucht, wäre eine anständige Hupe. Denn sowohl Moto Guzzi V9 Roamer als auch Triumph Street Twin haben Schallzeichenerzeuger, deren klägliches Fiepsen schlicht lächerlich wirkt und deren Wirkung obendrein einem simplen, kräftigen Gasstoß klar unterlegen ist.
Nun besteht das Krad nicht aus Klang allein, und was die übrigen Qualitäten der beiden Bikes angeht, so muss man den Triumph-Entwicklern attestieren, dass sie den Vorteil, den sie durch das berühmte Blatt weißen Papiers am Beginn einer Neuentwicklung besaßen, eiskalt ausgenutzt haben. Denn mit Ausnahme des leichteren Handlings, der höheren Dämpfungsreserven und der bissigeren oder eher weniger stumpfen vorderen Bremse gibt es kaum einen Punkt, an dem die Moto Guzzi V9 Roamer der Triumph Street Twin zeigen kann, wo der Frosch die Locken hat.
Zweikampf zwischen Schienbein und Zylinder
Wobei das Hauptproblem der Moto Guzzi V9 Roamer (Vagabund) nicht in ihren Fahreigenschaften, sondern in der eigenartigen Ergonomie liegt. Durch den hohen und weit nach hinten gedrehten Lenker, die 800 mm niedrige Sitzbank und die ziemlich mittschiffs angeordneten Fußrasten ergibt sich eine eigenwillig passive Sitzposition, die stark an die unseligen Softchopper aus den späten 1980er-Jahren erinnert. Langbeiner wie der Autor werden unfreiwillige Zeugen eines steten Zweikampfes zwischen Schienbeinen und Zylindern, wobei wie so oft Freud (Wärme) und Leid (blaue Flecken) nah beieinanderliegen. Zudem wird die Schaltbarkeit des Sechsganggetriebes durch die nötige Umlenkung nicht eben präziser.
Softchoppermäßig gering ist auch die Bodenfreiheit bei der Moto Guzzi V9 Roamer. Arg früh ziehen die Fußrasten und links auch der sehr weit hinten angebrachte Seitenständer Furchen in den Asphalt. Gemächlich bewegt, gönnt sich der V2 auf 100 km 4,4 Liter aus dem 15-Liter-Stahltank, zügig gefahren sind es 0,9 Liter mehr. Die Triumph Street Twin gönnt sich unter gleichen Bedingungen 4,0 bzw. 4,9 Liter aus ihrem Zwölf-Liter-Behältnis.
Auch wenn die absoluten Fahrleistungen im Kreise der Interessenten wohl nur eine untergeordnete Rolle spielen, seien sie der Vollständigkeit halber hier erwähnt: Den Sprint von null auf hundert bewältigt die Moto Guzzi V9 Roamer in 5,4 Sekunden, die Triumph Street Twin braucht dafür 5,2. Beim Durchzug von 60 bis 100 km/h steht es 5,5 zu 4,9. Von 100 bis 140 km/h sind es dann 7,5 zu 6,4 Sekunden. Klar, die Triumph ist fixer. Wirklich entscheidend fährt sie aber der Guzzi in der Praxis nicht davon. Und weil es für den Stammtisch möglicherweise wichtig ist, folgende Info: Bei Tacho 180 ist bei beiden Schluss, wenn es denn sein muss. Und wenn man etwas Geduld mitbringt.

Beiden gemein ist auch, wenngleich aus unterschiedlichen Gründen, ihre mäßige Tauglichkeit für den Spaß zu zweit. Während bei der Moto Guzzi V9 Roamer die arg kurze Sitzbank der Besatzung den Spaß verdirbt, sind es bei der Triumph Street Twin die ohnehin schon unterdämpften Federbeine, die der Kombination Soziusbetrieb und Bodenwellen wenig entgegenzusetzen haben. Dabei säße es sich gar nicht mal schlecht hinten auf dem Straßenzwilling.
Freunde solider Bauweise können auch Freunde des Guzzi-Vagabunden werden: Tank und Schutzbleche sind aus Stahl, die Seitendeckel sogar aus Aluminium. Zudem erfreuen aufwendige Kleinteile das Auge des Betrachters. Doch keine Rose ohne Dornen: Ebenso wenig wie der Tank abschließbar, sind die Handhebel einstellbar. Beides kann die Triumph besser, dafür ist ihr Plasteanteil deutlich höher, auch wenn der Tank aus Stahl gefertigt ist. Auf der Info-Ebene gibt es ein Patt. Beide haben einen analogen Tacho samt digitalem Infocenter: Uhrzeit, aktuellen und Durchschnittsverbrauch zeigen beide, die Triumph Street Twin dazu die Restreichweite. Die Moto Guzzi V9 Roamer bietet stattdessen die Außentemperatur.
V9-Motor in das Chassis der V7 II
Mit Originalzubehör lassen sich Moto Guzzi V9 Roamer und Triumph Street Twin Maschinen individuell verfeinern. Zum Grundpreis von 8900 Euro kommen bei der Triumph Street Twin außer den hohen Nebenkosten noch 150 Euro für die Farbe, sprich den roten Tank, 210 Euro für den Tankrucksack und 625 Euro für die Seitentaschen. Letztere werden mit Gurt geliefert, sodass man seine Last auch schultern kann. Die Guzzi kostet wie abgebildet 9990 Euro inkl. 255 Euro Nebenkosten.
Zeit für ein Resümee: Wieder einmal wird klar, dass weder der Klang von der Lautstärke, noch der Fahrspaß von der Leistung abhängig ist. Und es wird klar, dass in diesem Vergleich die Triumph Street Twin sicherlich das ausgewogenere und modernere Konzept hat. Wenn aber der Tag kommt – und er möge bald kommen –, an dem die Italiener den Motor der Moto Guzzi V9 Roamer in das fahraktive, ergonomisch bessere Chassis der V7 II heben, dann werden die Karten neu gemischt, dann kann man mit der V9 nicht nur schöner phonen, sondern auch schöner wohnen.
Technische Daten Triumph Street Twin

Hier sehen Sie einen Auszug der technischen Daten. Wenn Sie die kompletten, von uns ermittelten Messwerte möchten, können Sie den Artikel als PDF zum Download kaufen.