Du bist erst 500 Meter gefahren, Stadtverkehr, Rushhour. Aber eines ist schon klar: Wie dieser großvolumige V2 unter dir röchelt und röhrt, schmatzt und schlürft, bebt und lebt – das ist ein monumentales Erlebnis. Bassiger Sound. Gefühlt sitzt du auf einem Hauch von Nichts, aus dem links und rechts wuchtige Zylinder mit nahezu quadratischen Ventildeckeln herausragen, groß wie Wassereimer. Devot bückst du dich zu den Lenkerstummeln. Hoffentlich verschwindet deine Jeans nicht auf Nimmerwiedersehen in den offenen Ansaugtrichtern. Die Flachschieber in den Keihins FCR 41 schlürfen und zwitschern in ihren Führungen. Man glaubt, Kolben und Einlassventilen bei der Arbeit zuschauen zu können. Die Radical Guzzi Ristretto 1380 berührt alle Sinne.
An der Ampel gehen neben dir Autoscheiben runter und die Daumen der Insassen hoch, recken sich Köpfe. "Was für ein Wahnsinnsmotorrad!", hörst du jemanden rufen. Diese Guzzi verschiebt die Wahrnehmung. Beim Spiel mit dem Gasgriff (keine Sorge, im Leerlauf dreht der Motor schön stabil, nur die Suche danach kann nerven), neigt sich die Radical Guzzi Ristretto 1380 erst nach rechts und dann wieder zurück nach links in die Ausgangslage. Ein Gruß in Form von Rückdrehmoment der längs liegenden, massigen Kurbelwelle. Ganz Guzzi eben. Dann springt das Licht vor dir von Rot auf Grün, die gertenschlanke blaue Maschine hechtet nach vorn. Fast vergessen, der 1380er drückt 100 Newtonmeter praktisch ab Standgas. Da geht was!
Radical Guzzi Ristretto 1380 wiegt rund 230 kg
Der 1,4-Liter-Motor der Radical Guzzi Ristretto 1380 ist fast serienmäßig, nur die frei programmierbare Zündung nach Art des Hauses und seine Atemwege sind komplett neu. Der V2 atmet durch eine Edelstahl-Auspuffanlage aus, deren Mündungen wegen der raffinierten Bögen links wie rechts nach vorne weisen. Keramikbeschichtung lässt die gesamte Auspuffanlage mattschwarz "glänzen". Schwarz, Blau und Silber gehen hier eine stilvolle Synthese ein. Dieses Motorrad ist eine Materie gewordene Vision – was geht, wenn man sich nur traut. Ein "Muscle Racer" mit offenem Rahmendreieck und keckem Heckhöcker nämlich. Ein Café Racer der Gegenwart, mit stilprägenden, aber ziemlich schweren "Revtech"-Scheibenrädern.
Der ehemalige BMW-Designer Sylvain Berneron zeichnete das Styling, in bester Tradition seines "Holographic Hammers". Stefan Bronold junior von Radical Guzzi aus der Oberpfalz setzte es praktisch eins zu eins um. MOTORRAD-Lesern vielleicht schon über frühere Umbauten bekannt, als seine Werkstatt noch "Guzziladen" hieß. Stefan schuf ein Motorrad praktisch nur aus Metall. Auf schnödem Kunststoff, also Erdöl, basiert hier fast nichts. Trotzdem blieb das Gewicht der Radical Guzzi Ristretto 1380 moderat, bei rund 230 Kilogramm. Viele Kunstgriffe waren nötig, um den XXL-Motor in Lino Tontis klassischen Rahmen mit dem kurzen Steuerkopf zu bekommen; jenen bleistiftdünnen, doch stabilen Verbund aus gut zugemessenen Dreiecken, Trapezen und Parallelogrammen.
Auf fünf Exemplare limitiert
Rund 20 Tonti-Rahmen hat Stefan Bronold immer auf Lager. Motoraufnahmen und Heckrahmen müssen vor der Hochzeit des neuen Motors mit dem historischen Chassis geändert werden. Keine Angst, hier wurde keine Moto Guzzi California 1400 geschlachtet, sondern ein taufrischer Motor bestellt. Und dessen Kurbelwelle verlängert, um die Lichtmaschine auf den vorderen Stumpf zu packen, so wie früher. Stolz prangt sie hinter dem aus dem Vollen gedrehten Alu-Deckel. Zulassungstechnisch gilt das als ein Motorrad vor 1984. Eigenbau ist die filigran wirkende, fünf Kilo leichte Schwinge mit Brems- und Drehmoment-Abstützung an der Radical Guzzi Ristretto 1380. Sie hält unerwünschte Kardanreaktionen im Zaum. Aus einer Guzzi 1100 Sport stammt der Kardan mit offenem Kreuzgelenk.
Nicht genug Platz bietet der drahtige Stahlrohr-Rahmen für das heutige Sechsganggetriebe. Also fort damit. Stattdessen implantierte Stefan die Fünfgang-Box einer klassischen Guzzi. Gewusst wie. In sich stimmig, homogen wirkt das Ganze. Radical Guzzi Ristretto 1380 taufte Radical Guzzi diese auf fünf Exemplare limitierte Serie. Benannt nach besonders starkem, süditalienischem Espresso – viel Kaffee, wenig Wasser. So wie bei diesem Café Racer: viel Motor, wenig Chassis. Etwas Sinnlicheres hast du in den letzten Jahren kaum angefasst, zumindest nicht auf zwei Rädern. Mit Ausnahme einer anderen Maschine von Radical Guzzi, der puren, deutlich stärkeren Fahrmaschine "Fugitive". Sie ist ebenso sinnlich, nur noch fahraktiver.
Drehen über 6000 tut nie not
"Wir wollten zeigen, welches Potenzial in dieser Marke steckt, Moto Guzzi ein bisschen Entwicklungshilfe geben!" So sagt es Kris Karathomas aus Hamburg. Er ist ein Ristretto-Besitzer und schreibt als Medienmann nun auch die Pressetexte von Radical Guzzi. Dem "italienischen Herzschlag" sind Kris und Stefan komplett erlegen. Kräftig kommt der V2 vom Start weg, wartet ungeduldig auf das Einrücken der Kupplung. Drehen über 6000 tut nie not, da steigt die Leistung subjektiv nicht mehr an. Aber in seiner überaus kräftigen Mitte macht der Ex-Cruiser schöne Freuden-Wheelies. So etwas ist für solch eine Wuchtbrumme wirklich eine Ansage. Gern bleiben die Gänge mal hängen (Zwischenleerläufe!), man muss sehr sauber schalten. Eine alte Guzzi-Eigenheit. Leidensfähigkeit erfordert die Sitzposition auf der Radical Guzzi Ristretto 1380, der Kniewinkel ist extrem spitz. Langstrecke? Unmöglich. Lang über den spindeldürren 20-Liter-Alutank gestreckt, die Füße gefühlt auf Höhe der Hinterachse. Der Hintern meldet sich schon nach kurzer Fahrzeit. Weit außen muss man die Füße auf den Rasten platzieren, sonst werden die Hosenbeine von den offenen Trichtern angesaugt. Obacht: Auf der rechten Seite berührt man versehentlich gerne den Gaszug.
Doch die Erniedrigung wirkt meditativ: Zuerst kommst du dir etwas affig vor, aber das gibt sich nach ein paar Kilometern. Dann merkst du: Das ist ein verdammt cooler Hobel! In der Kurve runterschalten geht nicht, sonst versetzt es das Hinterrad. Muss alles schon vorher erledigt sein. Ist eben kein echtes Sportmotorrad. Will trotz des moderat breiten 180er-Hinterreifens auch nicht so richtig in die Kurve. Man muss stark mit der Radical Guzzi Ristretto 1380 kämpfen, um sie auf Kurs zu bringen. Das hat aber auch seinen Reiz. Bombastisch ist die Geradeauslaufstabilität. Wie auf Schienen fährt die Ristretto. Ein Guzzi-ICE. Sie erinnert an einen Supersportler mit komplett geschlossenem Lenkungsdämpfer. Ihre Gabel samt Bremsanlage stiftete eine MV Agusta F4. Weniger Gabel-Offset bringen massive, fein ausgearbeitete Eigenbau-Gabelbrücken. Vielleicht ist der Nachlauf damit einen Tick zu lang geraten.
Ab 45.000 Euro – fahrfertig, mit TÜV und Wertgutachten
Durchaus knackig fühlen sich die radialen Brembo-Vierkolbensättel an, ohne wütende Beißer zu sein. Ach ja, in Schräglage setzt die Auspuffanlage auf. Man müsste sie vorn schräg abflexen, dann würde es gehen. Freude am Fräsen! Das meint hier aber auch den Bau. Denn Stefan Bronold fertigt extrem viele Teile selbst an. Ein echtes Kompliment an die Radical Guzzi Ristretto 1380 kommt von Fotofahrer Tobias Münchinger, dem wilden Hund der sehr sportlichen Redaktion PS: "Mir hat das Ding voll gefallen", sagt der Jungspund, "optisch voll der Knaller!" Und Tobi gehört mit seinen 25 Jahren bestimmt nicht zur Kern-Zielgruppe. Nun, Stefan Bronold ist auch erst 30 …
Mille Grazie, Radical Guzzi, für ein großes Erlebnis. Maschinen solcher Art verleihen dem Adler wieder Flügel, ach was: mächtige Schwingen. Sich mit diesem Motorrad unter Transalp- und GS-Fahrern zu bewegen, kommt einem vor wie sich als Chefredakteur der Zeitschrift "Beef" auf einen Veganer-Treff zu verirren. Drei Radical Guzzi Ristretto 1380 sind bereits verkauft, zwei noch zu haben (Stand: 19. Januar 2016; Anm. d. Red.). Zum Liebhaberpreis ab 45.000 Euro. So ist der Ex-Cruiser ein Fall für wahre, loyale Fans. Und davon hat Moto Guzzi, dieser Motorrad-Hersteller zwischen Traum, Tradition (durchgehende Historie seit 1921) und Tragik, ja nun wirklich zuhauf.
Umbau-Infos Guzzi Ristretto

Die Technik
Tonti-Rahmen mit Unterzügen und Heckbügel (970 Euro); Schwinge Radical Guzzi (1899 Euro); Scheibenräder 3,5 und 5,5 x 18‘‘ (1650 Euro); Auspuffanlage Edelstahl mit Keramik-Beschichtung (2400 Euro); Tank-Sitzbank-Kombination Alu blank mit Sitzpolster (2750 Euro); Tacho mit integrierter Digitalzündanlage (1100 Euro); Lichtmaschine komplett inkl. Adaptersatz für 8V-Motor in Tonti-Rahmen (1070 Euro); leichtere Kupplung mit verstärkten Federn (600 Euro); Keihin-Flachschieber-Vergaser mit Gasgriff, Zügen und Trichtern (1640 Euro); Ölkühler mit Leitungen (350 Euro); überholtes Fünfganggetriebe (1850 Euro); Kardanantrieb 8/33 überholt, (1600 Euro); Bremsscheiben vorn mit radialen Brembo-Bremszangen und Bremspumpe (1070 Euro); hydraulische Kupplung inkl. Magura-Pumpe (350 Euro); Fußrastanlage CNC-gefräst (429 Euro); Gabel MV Agusta (gebraucht, überholt, 1100 Euro): Gabelbrücken CNC-gefräst mit Lenkschaftrohr (1160 Euro); Scheinwerfer mit Haltern (208 Euro); Blinker/Kennzeichenhalter (280 Euro); Alu-Schutzblech mit Halter (300 Euro); Lichtmaschinendeckel CNC-gefräst (279 Euro); Batteriekasten Edelstahl/Lithium-Ionen-Batterie (320 Euro); Alu-Spritzschutz (150 Euro); LSL-Lenkerstummel (180 Euro).
Ebenfalls möglich: drei verschiedene Nockenwellensätze für 125 bis 130 PS (1200 Euro); Zylindersatz 1450 cm3 (1400 Euro); Motorenkit 1700 cm3 (4750 Euro).
Komplettpreis je nach Ausstattung ab 45.000 bis 49.000 Euro. Alle Preise fahrfertig, mit TÜV und Wertgutachten sowie einem Jahr Garantie.
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