Reportage: Schwantz’ Suzuki-Superbike

Kevin Schwantz’ Racing-Debüt
Das Suzuki-Superbike des Racing-Haudegen

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Veröffentlicht am 17.04.2013

Sie sieht völlig unspektakulär aus. Jedenfalls nicht wie eine Werksmaschine, die imstande wäre, einen künftigen Weltmeister auf den Weg zu bringen. Tatsächlich sieht diese Yoshimura-Suzuki GS 700 eher aus wie eines von diesen skurrilen, antiquierten und aufgemotzten Straßenschiffen, die hinter Litfaßsäulen in vernachlässigten Gassen geduldig auf ihren Fahrer warten, um endlich mal wieder ein paar Meter rollen zu dürfen. Aber genau dieses Motorrad feuerte Kevin Schwantz einst ins Rampenlicht und ebnete ihm den Weg zum Welt­meistertitel in der Königsklasse des Motorrad-Rennsports.

Fahrer und Maschine trafen erstmals 1984 auf der kalifornischen Rennstrecke von Willow Springs aufeinander. Damals war der Texaner nichts weiter als einer dieser aufstrebenden Jung-Racer, der furchtlos auf seiner Yamaha FJ 600, einer RZ 350 und einem völlig merkwürdigen XV 1000-Superbike herumballerte. Das Bike war ihm an sich egal, Hauptsache Yamaha, denn Kevins Eltern hatten einen Yamaha-Laden. Sein Talent fiel erstmals in Endurance-Rennen auf, in denen er die FJ 600 niederrang oder in die Gegend feuerte. „Da war dieser Typ, der seine FJ total überfuhr“, erinnert sich Ex-Racer John Ulrich, der damals eine Moriwaki 1150-Suzuki GS in Langstrecken-Rennen fuhr. „Ich folgte ihm mal durch das Karussell in Nelson Ledges, eine lang gezogene Rechts mit einem fiesen Haken am Ende. Durch die ganze Kurve hatte der Kerl Lenkerschlagen wie verrückt, aber er dachte überhaupt nicht daran, das Gas mal etwas zuzudrehen. Er fuhr einfach unglaublich radikal, und das machte er überall, wo er hinkam.“

Ulrich Photo

Ulrich kannte die Entwicklungsleute von Yoshimura America, die gerade an einem Suzuki-AMA-Superbike arbeiteten. Denen schlug er vor, diesen 20-jährigen Rotzlöffel diese GS 700 mal fahren zu ­lassen. Sie suchten sowieso einen Ersatz für Wes Cooley, der zwei Superbike-Titel mit einer GS 1000 eingefahren hatte und wechseln wollte, als die Klasse auf 750  cm³ beschränkt wurde. „John rief mich an und sagte, er könne mir einen Test mit Suzuki besorgen“, erinnert sich Schwantz, der damals erst seit einem Jahr Straßenrennen fuhr. „Ich dachte: Wow, das ist einer von vielleicht zwei Werksracern in den USA. Das mach ich und wenn ich nichts weiter tue, als rauszufahren und das Ding in der ersten Runde wegzuschmeißen – wenigstens bin ich mal auf einem Werksrenner gesessen. Das war mein Gedanke. Ich hätte es ja auch anders angehen können: Verdammt, das ist deine Chance, vermassel es nicht. Aber den Druck wollte ich mir nicht machen. Ich kannte keinen, der ­jemals ein Yoshimura-Superbike gefahren wäre, also freute ich mich nur diebisch.“

Der Test stand für den 4. Dezember bei Hobby-Rennen in Willow Springs an. Ein paar Tage vorher hatte ­Ulrich Schwantz seine 1150er fahren lassen und ihm die Strecke für ein großes Motorrad auf Slicks erklärt. Schwantz kannte die Piste nur mit der FJ auf Straßenreifen. Der junge Texaner war nicht der einzige Fahrer, den Suzuki für die Saison 1985 im Auge hatte. Und einige von denen waren auch da. „Typen wie Scott Gray und Todd Brubaker, richtige Profis, fuhren da mit ihren Privatmotorrädern rum, um noch besser zu werden“, erinnert sich Schwantz an den Tag. „Sie alle wussten von der Yoshimura-Chance und sagten sich, diesem Texas-Kid werden wir den Arsch versohlen und uns den Platz krallen. Sie wussten aber nichts von meinem 24-Stunden-Rennen mit der FJ kurz davor in Willows – ich kannte die Strecke wie meine Westentasche.“

Tyson Photo

Der Testtag begann nicht gerade ermutigend. „Ich stand am Morgen mit meiner Kombi an der Strecke und wartete auf den Truck. Sie kamen, luden ab und ich hatte drei Runden zum Einfahren  auf einem Bike, das ich nie zuvor gesehen hatte.“ Danach standen zwei Rennen an, in denen Schwantz zeigen sollte, was er drauf hatte. Beim Formula One-Rennen lief dann alles schief. „Ich hab die Kiste am Start abgewürgt. Dann hab ich geschoben, aber den dicken Eimer nicht anbekommen. Plötzlich rief jemand, ich solle sitzenbleiben. Es war Doug Toland, der 1993 die Langstrecken-WM gewann. Er schob mich an. Ich bog in die erste Kurve eines Acht-Runden-Sprintrennens, während die Ersten schon in Kurve 3 waren. Ich dachte nur, F**k, jetzt musst du dich sputen. Am Ende überholte ich alle und brach den Superbike-Rundenrekord.“

„Beim Superbike-Rennen wusste ich dann schon, wie der Hase läuft, bekam den Start ganz gut hin und fuhr den anderen dann langsam davon. Ich war sogar noch schneller als im ersten Lauf“, erzählt Schwantz grinsend. „Als ich vom Motorrad stieg, stand Suehiro Watanabe, Yoshimuras Rennleiter, da, hielt mir ein Papier unter die Nase und sagte unentwegt: unterschreiben, unterschreiben bitte, hier schreiben. Ich wollte aber erst mal zu Mittag essen. Am Abend habe ich unterschrieben, 1985 für sie in Daytona und bei den Westküsten-AMA-Rennen zu fahren – für Spesen und Preisgeld.“

Die Mitkonkurrenten waren sprachlos, dass dieser junge Unbekannte ihnen so die Tour vermasselt hatte. „Einige ­waren völlig außer sich“, blickt Ulrich zurück. „Sie sagten, Schwantz sei doch nur verrückt und hätte nicht das Zeug für die AMA. Aber er war einfach sensationell – so war es nun mal.“

Ulrich Photo

Wenn dieses Suzuki-Debüt wie ein Märchen war – vom Amateur-Stocksportler auf ein Werks-Superbike in ein paar Stunden – , wäre das, was folgte, für jeden weniger talentierten Fahrer zum Horrortrip geworden. 1985 bekam es Schwantz mit den Werks-VF 750-Hondas mit HRC-Kits zu tun, die der GS um Jahre voraus waren. Die VF waren gemeine Dinger: wassergekühlter 16-Ventil-V4-Motor mit Rennrahmen und 16-Zoll-Rädern. Dazu waren die Bikes vollgestopft mit HRC-Bonbons und geborgten Teilen aus der NS 500-GP-Maschine. Die Suzuki war auch ein 16-Ventiler, aber sonst eine luftgekühlte Straßenmühle.

„Wir waren einige Schritte hinterher“, erzählt Yoshimura-Mechaniker Don Sakukura mit leichter Untertreibung. „Ich würde die GS nicht mal als Sportmotorrad bezeichnen. Und so versuchten wir, aus einem Nicht-Sportmotorrad einen konkurrenzfähigen Racer zu machen. Der Motor war ein Schwachpunkt. Er hatte keine Wasserkühlung, weshalb wir permanent Hitzeprobleme bekamen, worunter die Haltbarkeit litt. Dazu kam, dass diese GS genau in die Lücke zwischen der GS 1000 und der ersten GSX-R 750 fiel. Unterstützung aus Japan gab es fast keine, weil Suzuki gerade mit voller Kraft die GSX-R entwickelte. Wir nahmen ein paar GS 1000-Teile, aber bauten die 700er eigentlich von Grund auf neu und waren ganz schön im Nachteil.“

Das Racing-Material des Teams war überall käuflich: Schmiedekolben und Titan-Wellen von Yoshimura und eine stärkere 12-Scheiben-Kupplung aus einer 79er-Achtventil-GS 750. Die Truppe arbeitete hart an zwei Zylinderkopf-Designs: eines mit geraden Kanälen für Daytona und eines mit gekrümmten für den Rest. Doch davor mussten sie den Motor noch auf 750 Kubik aufbohren, denn die GS wurde in den USA als 700er angeboten, weil die US-Regierung die Import-Zölle auf Bikes mit 750 Kubik und mehr heftig erhöht hatte, um Harley-Davidson vor der Fernost-Konkurrenz zu schützen. Diese aufgebohrte 750er leistete bestenfalls 118 PS bei 11 500/min, knapp zehn PS weniger als die Honda VF.

Ulrich Photo

Maue Leistung war nicht das einzige Problem. „Das Handling mit 16-Zoll-­Vorderrad war eine gewaltige Herausforderung“, erinnert sich Sakukura, der dabei war, als sie 18-Zoll-Räder nahmen und den Radstrand um satte sechs Zentimeter verlängerten. „Wir hatten Geometrie-Probleme. Ich will nicht sagen, das Bike war instabil, aber es wackelte gewaltig.“ Das Yoshimura-GS-Chassis bestand nicht minder aus handelsüblichem Zeug: Dämpfer hinten, Gabelbrücken und Lenkungsdämpfer. Dazu ein paar Spezial-Goodies wie die Aluminium-Schwinge, ein paar Dreifachklemmungen von einer Werks-RG 500 und Gabel und Bremsen von der Production-RG.

Vielleicht war die GS am Ende wirklich nicht so nervös, aber Schwantz ließ sie immer so aussehen. Diesen Fahrstil hatte zuvor noch niemand gesehen: Fast ein Crash in jeder Ecke und doch jedes Mal sitzengeblieben. Im April 1985 gewann er in Willow sein erstes AMA-­Superbike-Rennen und schlug den am­tierenden Meister Fred Merkel auf der Werks-­Honda. Ulrich wird nie vergessen, wie Schwantz diese Honda-vernichtende Nummer aus der Suzuki quetschte: „Er kam den Hügel aus Kurve 4 herunter und, ich schwöre bei Gott, das einzige, was ihn auf dem Motorrad hielt, war seine rechte Hand – immer noch voll am Gas. Niemand wird das je vergessen, wie Kevin das Rennen gewann, wie er mit der unterlegenen Suzuki umging, sie seitwärts in die Kurve warf, volle Kanne am Gas zog, das Hinterrad herum kam, die Federung am Anschlag, das Hinterrad am Durchdrehen, wie es ihn aus dem Sitz hob, die Füße weit über den Rasten, aber  seine Gashand stand auf volle Pulle – so flog er um den Kurs.“

Trotz all dem Drama liebte Schwantz seine GS: „Ich behaupte immer noch, dass sie in Sachen Handling eines der besten Motorräder war, die ich je gefahren bin. Ich hatte diesen hohen Lenker, so dass man sie prima niederringen konnte. Mit ihr konnte man alles machen und es ging immer gut.“ Sein Fahrstil stammte aus dem Motocross. „1983 hatte ich eine AMA Junior Motocross-­Lizenz, aber ich musste in unserem Laden arbeiten und hatte nicht die Möglichkeit, vier bis fünf Stunden an fünf Tagen pro Woche zu trainieren. Deshalb stieg ich auf Straßenrennen um. Meine Motocross-Vergangenheit ist sicher der Grund für meinen aufrecht sitzenden Stil und wie tief ich das Motorrad gedrückt habe. Wenn ich mir Aufnahmen von ­Suzuka ansehe (als Schwantz 1988 seinen ersten GP gewann – die Red.), dann sieht das aus, als würden die Lenkerenden sich gleich in den Boden graben. Ich konnte mich nicht so vom Motorrad hängen.“

Es gehörte natürlich mehr zu Schwantz‘ Fähigkeiten als Spektakel und Kamikaze-Manöver. „Bei dem Test im Dezember 1984 kam Kevin mit einer ganzen En­zyklopädie für jede Kurve auf dem Kurs daher“, schmunzelt Ulrich. „Er hatte unglaublich viele Orientierungspunkte und filetierte jede einzelne Kurve, was damals noch sehr ungewöhnlich war.“

Schwantz war nicht nur schnell am Kurvenausgang. „Wir bemerkten gleich, wie stark er bremste und wie schnell er in die Kurve reinfuhr. Das bewahrte er sich bis in den GP“, sagt Sakukura. „Das hatten wir vorher nie gesehen.“

„Als die GSX-R kam, fühlte die sich mehr nach Rennmotorrad an und hatte ein klasse Handling. Aber ich war unsicher. Mir fehlte der hohe Lenker. Ich bat die Jungs, die Stummel höher zu machen, weil ich das Gefühl hatte, das Bike besser unter Kontrolle zu haben. Wir ­hatten Probleme mit dem Motor und am Ende war sie kaum schneller als meine alte GS“, resümiert Schwantz den Modellwechsel. Egal, denn keine 18 Monate nach seinem GS-Debüt in Willow war er plötzlich in Europa und fuhr seinen ersten Grand Prix in Assen.