Vor 30 Jahren, im Frühjahr 1995, tauchte Suzukis GSF 600 S Bandit erstmals in den Showrooms der Händler auf – und schon im Herbst desselben Jahres folgte auf der IFMA mit der Präsentation der Suzuki GSF 1200 N Bandit der zweite Streich. Die ersten Banditen auf dem deutschen Markt waren die beiden aber nicht.
Dieser Punkt war schon 1991 an die sehr nischige, sehr vierzylindrige und sehr edel gemachte und dadurch entsprechend teure 400er-Schwester mit ihrem drehzahlgierigen, offen 59 PS starken Four gegangen, die zeitgleich mit dem Auftritt der 600er die Bühne wieder verließ. So viel zur Chronistenpflicht.
Damaliges Marktumfeld ab Mitte der 1990er-Jahre
Wie sah eigentlich das Marktumfeld für die neuen Bandits seinerzeit aus? Honda hatte die CB 750 und CB 1000 im Programm, die im Verhältnis zu den 10.290 und 14.490 Mark teuren Suzukis mit 12.680 bzw. 18.880 Mark preislich deutlich höher angesiedelt waren.
Kawasaki hatte die Zephyr 750/1100 für 12.800/16.775 Mark in der Auslage stehen, und auch Fast-noch-Newcomer Triumph lag mit seinen Tridents 750/900 zu 15.115/17.414 Mark preislich in einer anderen Liga.
Yamaha indes ging mit der braven XJ 600 Diversion N/S zu 9.860/10.560 Mark sowie dem Kardantourer XJ 900 Diversion (15.289 Mark) und der edlen XJR 1200 zu 16.950 Mark auf Kundenfang.
Und weil die neuen Bandits vor diesem Hintergrund schlicht verdammt viel Motorrad fürs Geld boten, ließ der Erfolg nicht lange auf sich warten. Ein Erfolg, der keine Eintagsfliege war.
Wie viele Bandits gibt es heute noch?
14 Jahre später wurde in MOTORRAD 20/2009 der Frage nachgegangen, welches Bandit-Modell denn für welchen Fahrertyp geeignet sei, und im dazugehörigen Interview gab der damalige Verkaufsleiter Paul M. Rowney stolz die Bestandszahlen von 54.000 600er-Bandits, 10.500 650er-Bandits, 47.000 1200er-Bandits und 7.000 1250er-Bandits zu Protokoll.
Heute sind laut KBA von der 12er-Ur-Bandit noch 12.639 Stück zugelassen, von der wassergekühlten Nachfolgerin noch 12.541 Stück. Auch die kleinen Banditen sind auf Deutschlands Straßen noch massenhaft unterwegs.
Werkstatt gewordene Enzyklopädie zum Thema Suzuki
Um den Qualitäten der Dauerbrenner auf den Zahn fühlen zu können, fahren wir nach Bondorf am Rande des Schwarzwalds. Dort residiert seit 1978 der kleine, aber feine Laden Motorrad Vater – eine Werkstatt gewordene Enzyklopädie zum Thema Suzuki im Allgemeinen und Bandit im Speziellen.

Jens Vater aus Bondorf ist der König der Banditen. Hinter ihm seine private 400er.
Der jetzige Inhaber Jens, Sohn des Gründervaters Rainer, hat die beiden hier gezeigten, weitgehend originalen Bikes aus seinem Kundenstamm rekrutiert – besten Dank an dieser Stelle an alle Beteiligten.
Die hier gezeigte schwarze S ist eine 600er der ersten Serie, wie alle Kleinen gut an der billigen Achsaufnahme der Stahlschwinge zu identifizieren. Bei den Großen ist die Aufnahme in der Aluschwinge wesentlich wertiger gemacht. Auch in weiteren Punkten unterscheiden sich die beiden, siehe Detailbilder in der Bildergalerie.
Umstecken des Topfes brachte locker 5 PS
Vom Serienzustand unterscheidet sich die Suzuki GSF 600 S Bandit durch den Bugspoiler von Puig, einen etwas breiteren Lenker samt analoger Uhr und einen angenehm leisen Schüle-Endschalldämpfer, der laut Jens Vater etwa 5 bis 8 PS sowie ebenso viele Newtonmeter bringen soll.
Auch die große GSF 1200 N Bandit weicht durch den kleinen Windschild unbekannter Herkunft sowie einen BOS-Endschalldämpfer vom Serienzustand ab. Generell gibt es kaum eine Bandit der ersten Serie (Typ GN77, 1995–1999, von den Fans "Kult" genannt), die heute noch den Originalschalldämpfer trägt.
Das liegt nicht etwa daran, dass das Bauteil aus Edelstahl (6er) bzw. Aluminium (12er) schnell gammeln würde. Vielmehr lassen sich bei der luft-/ölgekühlten 12er lediglich durch das Umstecken des Topfes locker gut 5 PS holen, wie die Kollegen vom Schwestermagazin PS in der Ausgabe 6/2008 am Beispiel einer 2001er (Typ WV8, 2000–2004, genannt "Pop") ermittelten.
Und das, obwohl gut 50.000 Kilometer gelaufene Testbike anstelle der offiziell angegebenen 98 PS schon mit dem Serientopf satte 116 auf die Prüfstandsrolle gedrückt hatte.
Herkunft des Big Blocks
Es erschließt sich, wenn man die Herkunft des Big Blocks betrachtet. In seinem ersten Leben nämlich sorgte der Vierzylinder im Supersportler Suzuki GSX-R 1100 für fulminanten Vortrieb.
Zu jener Zeit galt in Deutschland noch die freiwillige Selbstbeschränkung, weswegen der damals noch mit einer Bohrung von 78,0 statt 79,0 mm (macht bei jeweils 59 mm Hub 1.128 statt 1.157 cm³) versehene Motor hierzulande auf 100 PS gedrosselt werden musste.
Sein maximales Drehmoment lag bei 90 Nm. Im wiederum tempolimitierten Ausland leistete der Antrieb rund 140 PS und 110 Newtonmeter.
Versicherungsfreundliche 78 PS und 54 Nm
Auch das Kraftwerk der 600er ist eine Zweitverwertung. Schon dem vollverschalten Sporttourer Suzuki GSX 600 F verschaffte es drehzahlorientierten Vortrieb und wuchtete dort 86 Pferde und 58 Nm bei 11- bzw. 10.000/min auf die Kurbelwelle.
Durch Modifikationen an Vergaser und Auspuff wurde der Motor in der Bandit auf versicherungsfreundliche 78 PS und 54 Nm bei nur unwesentlich geringeren Drehzahlen gedrosselt.
Auch wenn die beiden Motoren also auf den ersten Blick identisch aussehen und sicherlich über deutlich mehr Gleichteile verfügen als nur die Motordeckel, so sind es doch eigenständige Antriebe.
Zum Sortieren der Leistung bietet die Suzuki GSF 600 S Bandit sechs Gänge, während die 1200er mit fünf auskommen muss – was aber aufgrund des fetten Drehmoments kein wirklicher Verzicht ist.
Aktuelle Prüfstandskurven liegen uns nicht vor, doch der Blick ins Archiv (MOTORRAD 4/1995 bzw. 10/1995) bestätigt im Nachhinein den Fahreindruck: Bei der kleinen Bandit steigen bis rund 6.500/min Leistung und Drehmoment nur verhalten an, danach aber geht es ordentlich vorwärts. Der Peak von gemessenen 80 PS bzw. 59 Nm liegt jeweils bei rund 10.000/min, bei ca. 11.500/min greift dann der Begrenzer ein.
Große Bandit ellenlang übersetzt
So wild haben wir es beim Fototermin nicht getrieben, zumal bei Maximaldrehzahl im dritten Gang schon knapp 160 km/anliegen, der sechste ginge gar bis knapp 240. Graue Theorie freilich, denn mit der gebotenen Leistung ist bereits bei "nur" 200 km/h Feierabend. Die Kurven der 12er sehen naturgemäß ganz anders aus.
Der Big Block erreicht seine gemessenen maximalen 103 Nm bereits bei leicht erhöhter Leerlaufdrehzahl des Small Blocks, nämlich bei 4.220/min, die Maximalleistung von ebenfalls gemessenen 103 PS steht bei 8.430/min an, die Maximaldrehzahl liegt bei 9.000/min.
Auch die große Bandit ist ellenlang übersetzt: Der Fünfte reicht theoretisch bis 273 km/h, der vierte immer noch bis 240. Real sind, starke Nackenmuskeln vorausgesetzt, gut 220 km/h drin.
In der Realität sieht die Sache so aus: Man startet die Suzuki GSF 1200 N Bandit – beide Bikes haben noch einen nutzerfreundlich am Lenker platzierten Choke –, schaltet je nach Topografie bis in den Vierten oder Fünften und kann das Getriebe bis zum nächsten Halt dann getrost vergessen. Dass das Schalten an sich japanisch präzise vonstattengeht, bekommt man so kaum mit und ist bei zivilen Drehzahlen locker, entspannt und zügig unterwegs.
Kann die 600er mit der 1200er mithalten?
Bei der Suzuki GSF 600 S Bandit aber ist das Getriebe kaum zu vergessen, schließlich ist das Bereitstellen der korrekten Übersetzung elementarer Bestandteil des Fahrerlebnisses. Natürlich spaziert auch die Kleine problemlos und fast lautlos im Sechsten mit 50 Sachen bei rund 3.000/min durch den Ort, doch um dann wieder Fahrt aufzunehmen, heißt es am Ortsende ein-, besser zwei Gänge herunterschalten.
Ist man gemeinsam mit der Großen unterwegs, fällt das natürlich besonders auf. Auch außerorts fordert die spitze Leistungscharakteristik der Kleinen wesentlich mehr Aufmerksamkeit, will man den Anschluss nicht verlieren.
Genau das ist die Krux an "kleinen" Vierzylindern. Auch sie lassen sich schaltfaul fahren, doch dann ist die Dynamik dahin. Oder man dreht sie wie Hulle, dann aber kommt mit der Drehzahl auch der Lärm, und man landet obendrein schnell bei Tempi, bei denen man sich von Amts wegen besser nicht mehr fotografieren lassen sollte.
Zur Verdeutlichung der unterschiedlichen Charaktere nachfolgend ein paar zeitgenössische Messwerte: Für den Sprint von 0 auf 100/140 km/h braucht die 6er 4,2/7,5, der Suzuki GSF 1200 N Bandit reichen 3,7/6,5 Sekunden. Noch krasser sieht die Sache naturgemäß beim Durchzug aus: Die 6er benötigt von 60 bis 140 km/h 17,2 Sekunden, die 12er schafft dasselbe in 8,9 Sekunden.
Sechser ist sparsam, Zwölfer eher durstig
Auch wenn ihre Gesamtübersetzung deutlich kürzer ist, gereicht das Sechsganggetriebe der Kleinen da natürlich nicht zum Vorteil. Im jeweils letzten Gang stehen die Drehzahlen bei Tempo 140 etwa bei 5.000 zu 7.000/min.
Ungeachtet des deutlich höheren Drehzahlniveaus jedoch hat die 600er beim Fototermin unter denselben Bedingungen und derselben Fahrstrecke knapp fünf, die große hingegen knapp sechs Liter auf 100 Kilometer verbraucht. Das bestätigt auch Bandit-Spezialist Jens: "Die Sechser ist durchaus als sparsam bekannt, während die Zwölfer, besonders wenn man sie wirklich fordert, ordentlich Durst entwickeln kann." Womit wir das Thema Motor beenden wollen.
Der Vorteil der kleinen Bandit: agiles Handling
Bislang sah es also nicht so gut aus für die kleine Suzuki GSF 600 S Bandit, doch gemach: Ihr Auftritt kommt jetzt. Denn mutmaßlich dank der etwas schmaleren 110/150er-Bereifung – die Große trägt 120/180er-Standardgrößen – lenkt sie agiler ein und lässt sich auch deutlich behänder von einer Schräglage in die andere werfen. Dass sie dabei etwas kippelig wird, dürfte auch aufs Konto der nicht mehr taufrischen und leicht kantig gefahrenen Metzeler Roadtec-Z8-Reifen gehen.
Zudem ist die Grundabstimmung des nur in der hinteren Federbasis variablen Fahrwerks recht komfortabel, um nicht zu sagen: unterdämpft. Dazu passt auch der eher milde Biss der Bremse. Die Große winkelwerkt zwar einen Tick behäbiger – man könnte es auch souveräner nennen –, liegt aber in Schräglage dann auch um einiges satter.
Verantwortlich dafür dürften neben der deutlich strafferen Grundabstimmung des umfangreicher einstellbaren Fahrwerks auch die recht frischen Michelin Pilot-Power-Pellen sein. Auch auf der Bremse wirkt die große Bandit souveräner, verzögert mit deutlich mehr Biss und Rückmeldung.
Suzuki GSF 600 S Bandit: ein günstiger, sparsamer, robuster Daily Driver
So stellt sich am Ende des Fahrtages denn auch die Frage: Warum hat sich auch die kleine Bandit so gut verkauft?
Ein Blick in die Preisliste gibt Hinweise: Ganze 4.000 Mark – also ein gutes Drittel – kostete die Suzuki GSF 1200 N Bandit mehr, dazu addierten sich höhere Unterhaltskosten.
Jens meint dazu: "Wenn du einen günstigen, sparsamen und robusten Daily Driver brauchst, ist die 600er immer noch eine gute Wahl." Fehlt noch die Antwort auf die eingangs gestellte Frage: Ja, beide Bandits können auch heute noch überzeugen – die Kleine eher rational, die Große definitiv auch emotional.












