Ducati Streetfighter V4 S Fahrbericht
Nacktes Superbike: Athlet für Athleten

Mit neuer Geometrie und Ergonomie stellte Ducati die neue Streetfighter V4 S unter Beweis. MOTORRAD fuhr das nackte Superbike.

Ducati Streetfighter V4 S Fahrbericht 2023
Foto: Ducati
In diesem Artikel:
  • Schnell in Andalusien
  • Nackt auf der Rennstrecke
  • Bremsen im Staub
  • Zu teuer zum Schleichen
  • Mehr Dämpfung, mehr Druck
  • Wie immer hilft die Einstellung
  • Einrad fahren für Fortgeschrittene
  • Winglets ergeben Sinn
  • Ducati Streetfighter V4 konfigurieren, probe Fahren und kaufen
  • Fazit

Seit ihrem Erscheinen 2020 reiht sich die Ducati Streetfighter V4 S am Ende der Nahrungskette mächtiger Power-Naked-Bikes ein. Für 2023 unterzog Bologna dem Straßenkämpfer einer ersten Überarbeitung. Zwar klar als Straßenmotorrad deklariert, präsentiert Ducati das Ergebnis für den Erstkontakt einzig in der Disziplin Rennstrecke: bitte festhalten.

Schnell in Andalusien

Die Gegengerade des Circuito de Andalucia nimmt gefühlt kein Ende, mangels Randbebauung der kargen Umgebung könnten hier notfalls sicher sogar verirrte Flugzeuge starten und landen. Als links das 200-Meter-Schild auf den Bremspunkt hinweist, stehen 260 Sachen auf der Digitaluhr. In dem Moment, als die kräftigen Stylemas zubeißen und die Drehzahl des Desmosedici Stradale aus irgendwas im Bereich von 14 500 Touren gewittrig röhrend absinkt, kommt die folgende Rechtskurve doch viel zu langsam näher: Schon wieder zu früh gebremst, Herrgott nochmal!

Motorrad-Neuheiten

Relativ flott stellt sich jedoch ein Lerneffekt ein, der Anker fällt in den folgenden Runden erst bei Tacho 270 km/h und besagte Rechtskurve anzubremsen gelingt präzise, anstatt nur mit großen Augen darauf zuzurollen. Aber was wird da spätestens nach dem dritten Turn in der Box gejammert: Die Schultern würden schmerzen und die Kraft ginge bereits zuneige, da man so heftig im Wind hinge und man sich infolgedessen so arg an der Lenkstange festhalten müsse. "Wie bedauerlich, sicher hat jemand ein Päckchen Taschentücher dabei", würde der Joker sicherlich witzeln. Das Design der Streetfighter-Frontmaske geht auf das Konterfei der bekannten DC-Comicfigur zurück.

Nackt auf der Rennstrecke

Gut, es stimmt schon. Wenn man ein Naked Bike wie die Ducati Streetfighter V4 S schnell auf der Rennstrecke bewegen möchte, hilft eine überdurchschnittlich stabile Fitness, denn man hängt wirklich erbarmungslos im Wind. Einerseits wäre ein vollverkleidetes Motorrad nicht nur beim Sprint geradeaus, sondern auch in den schnellen Kurveneingängen kräftesparender. Viel kräftesparender sogar.

Andererseits kommt einem die 2023er "Fighter" V4 S in vielen Bereich entgegen, was man auf dem Circuito de Andalucia – abzüglich der langen Geraden – überall merkt. Warum? Die Strecke weist nicht nur ein paar tricky Ecken auf, sondern der ganze Kurs bildet eine einzige Herausforderung. Blinde Passagen wechseln sich mit mehrfach abknickenden Kurven und solchen ab, die um ihren Scheitelpunkt hinterschnitten werden müssen. Urplötzlich verengt sich die Fahrbahn in einem Abschnitt zu einem schmalen Band. Es genau zu treffen, ist ein bisschen wie ein Staubkorn durch ein Nadelöhr zu werfen.

Bremsen im Staub

Senken, Kuppen sowie die eine oder andere grobe Bodenwelle ergeben eine zunächst bittersüße Garnitur des Ganzen: "Wenn ihr Turn vier nicht früh genug anbremst, lange links bleibt und erst spät einlenkt, fahrt ihr geradeaus durch die Wüste und sitzt anschließend unten im Fort Bravo mit einer dicken Staubschicht bedeckt am Tresen des Saloons!" Instruktor und Ex-Profi-Racer Dario Marchetti hat halt Humor.

Und die 2023er Streetfighter V4 S scheint ihn gewissermaßen auch zu haben, denn während der Action tupft sie einem praktisch mit einem Lächeln ganz mütterlich die Schweißtropfen von der Stirn – immer mit der Ruhe, mein Lieber. Das bedeutet, die Maschine ist weitgehend einfach, beinahe kinderleicht kontrollierbar. Besonders, wenn das elektronische Setup aus Fahrmodus und Motoransprechverhalten auf zahm (Fahrmodus "Sport", Powermodus "High") steht.

Zusätzlich bietet die Sitzposition gute Übersicht über alles, was vor dem Vorderrad auf einen zufliegt. Man sitzt sogar regelrecht gemütlich, aber nicht inaktiv. Sauber rastet die untere Körperhälfte beim Anbremsen am von der Panigale übernommenen Tank ein, stabilen Seitenhalt gewähren seine Flanken in tiefen Schräglagen. Halbschnell rumrollen, um die Strecke kennenzulernen? Kann man machen.

Übrigens: Almeria diente bereits zig Wild-West-Produktionen als Kulisse, darunter "Eine Handvoll Dollar" oder "Indiana Jones Teil drei". Noch heute werden in der Westernstadt Fort Bravo Filme und Spots gedreht sowie Shows abgehalten.

Zu teuer zum Schleichen

Nun, sagen wir es, wie es ist. Wer sich eine Streetfighter V4 S zulegt, um damit entspannt herumzurollen, dürfte wohl trotzdem einen gewaltigen Fehlkauf getätigt haben. Das Feuerwerk inklusive Potenzial für schnelle Rundenzeiten, das in dieser Maschine schlummert, ist immens. Die Empfehlung hierzu liegt im Powermodus "Full". Hier reguliert die Elektronik das Drehmoment lediglich im ersten Gang, in den übrigen darf die Fighter frei Rennen – 208 PS aus 1103 Kubik, Bumm!

Auf der anderen Seiten fällt der Unterschied zum Modus "Race", in dem das Drehmoment aller Gänge elektronisch zurechtgestutzt ist, weniger dramatisch aus, als man sich das vielleicht vorgestellt hätte. Da man auf abgesperrtem Kurs sowieso meistens in oberen Drehzahlen fährt, sollte der Unterschied zwischen "High" und "Full" erst auf der Landstraße deutlich spürbar ausfallen.

Mehr Dämpfung, mehr Druck

In der Zwischenzeit steppt der Desmosedici Stradale seinen einzigartigen Beat: Feuer bei null Grad und 90 Grad – Pause, Feuer bei 290 Grad und 380 Grad – Pause. Verrückt, wie viel gleichmäßig abrufbare und sauber dosierbare Leistung der pulsierende V4 bereitstellt, mit dem Joker vor dem geistigen Auge möchte fällt einem aufgrund dieser Wandelbarkeit zwischen Kontrolle und Power ein schlimmes Wort ein: schizophren. Auch das vor allem in der Druckstufendämpfung nachgestraffte Fahrwerk leistet auf dem Circuito de Andalucia überzeugende Arbeit.

Es verträgt, Entschuldigung: sauviel Dresche und hält den Fighter gefühlvoll gedämpft und gefedert stabil. Als Grundsatz gilt aber, die Karre immer mit hoher Körperspannung aus dem Rumpf zu belasten, dazu konzentriert, aber unverkrampft den Lenker zu führen und in Senken etwas in die Rasten zu stehen. Andernfalls kann es bei Bodenwellen zu kurzen, aber kräftigen Unruhen der Frontpartie kommen. Man ist in diesem Fall froh um die akkurate Unterstützung des elektronischen Lenkungsdämpfers.

Wie immer hilft die Einstellung

Also alles total schick? Hm. Auch das erste Modellupdate der Streetfighter V4 S fördert ein Motorrad zutage, mit dem man sich intensiv beschäftigen kann – oder es sogar muss.

In den beiden engsten Rechtskurven der Teststrecke, man fährt hier zwar langsam, aber auch dramatisch schräg, chattert das Vorderrad der handlichen Streetfighter beispielsweise unangenehm von der angepeilten Linie. Eine Umdrehung mehr Federvorspannung (ha, da ist sie wieder, die gute alte Mechanik!) am Dämpfer bewirkt eine Anhebung des Hecks um circa drei Millimeter. Mit mehr Druck auf dem Vorderrad geht’s im Anschluss besser. Ob die serienmäßige Anhebung des Schwingendrehpunkts um vier Millimeter dem 2023-Modell einen Vorteil schafft, lässt sich ohne einen direkten Vergleich mit dem Vorgänger kaum sagen.

Ducati meint, die Neue wäre um eine Sekunde schneller. Jedenfalls fällt der Grip am Hinterrad immens aus und während des Rausbeschleunigens ist kaum einmal eine Pumpbewegung des Hecks spürbar, dafür der eine oder andere kontrollierte Drift. Das schafft Sicherheit und die Möglichkeit, sich eingehender mit den elektronischen Fahrassistenzen der Fighter zu befassen. Sofern man das Auge dafür aufbringt, blinken die farblich hinterlegten Felder einer aktiven Assistenz im Track-Cockpit nämlich und geben Signal.

So bekommt man einen Hinweis darauf, ob man Werte von beispielsweise Traktionskontrolle, Slide-Kontrolle oder Wheeliekontrolle nicht etwas weiter nach unten setzen möchte. Der innenliegende Kippschalter am linken Lenkerende erlaubt das sogar während der Fahrt.


Einrad fahren für Fortgeschrittene

Wheelie-Künstler kritisieren, dass man zur Deaktivierung besagten Helferleins aber anhalten muss. Die Anwählung von "Off" klappt nur im Stand. Wegen der Sicherheit. Interessant: Wenn man auf die Gegengerade rausfeuert und das Cockpit beobachtet, blinkt die Anzeige für die Wheeliekontrolle noch in Stufe vier von acht bis weit über die Hälfte der gesamten langen Gegengeraden. Auf der Stellung drei muss der Fahrer das steigende Vorderrad bereits viel stärker selbst kontrollieren, also durch E-Gasgriffstellung und Position des Oberkörpers.

Winglets ergeben Sinn

Die Winglets, die unverändert 28 kg mehr Anpressdruck der Front bei 270 km/h erzeugen, ergeben in diesem Zusammenhang Sinn. Man möchte das Motorrad lieber nicht schnell ohne die Beflügelung über eine Rennstrecke prügeln. In den letzten beiden Sessions des Tages steht endlich das persönliche elektronische Wohlfühlsetup. Sämtliche Assistenzen befinden sich auf Position eins, also dem geringsten Eingriff. Ausnahme bildet die Wheeliekontrolle, sie steht auf zwei. Auch mit minimalem Eingriff der Elektronik, fühlt sich die mit Pirelli SC1-Slicks bereifte Fighter noch sauber kontrollierbar an. Am Ende bleibt der Eindruck einer Maschine, etwas verrückt ist. Genau wie der Joker. Und ein wahrer Duathlet für Rennstrecke und Hausstrecke ist diese 2023er Streetfighter V4 S ganz sicher.

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Nein, Suzuki macht das schon richtig. Tolle Landstraße-Moppeds zum Top-Tarif.Immer. Ich braucht das neuste, schnellste, teuerste. Sonst bringt das nix - am Stammtisch.

Fazit

Anderes Sitzpolster und neue Formgebung des Tanks. Mutmaßlich fühlt sich die angepasste Ergonomie noch besser als zuvor an und funktioniert prächtig. Aber ohne direkten Vergleich? Schwer zu sagen. Auch die übrigen von der Panigale übernommenen Änderungen wie der höhere Schwingendrehpunkt und die überarbeitete Elektronik erwecken beim ersten Rennstreckentest allerdings den Eindruck goldrichtiger technischer Maßnahmen. Klartext: Die neue Ducati Streetfighter V4 S ist schnell. Und sie fühlt sich immer noch so aufregend wie ein Kilo Knisterbrause in einem Eimer Africola an. Intravenös verabreicht natürlich. Überdies muss man festhalten, dass die Fighter V4 S gefühlt identische Fahreigenschaften wie ein Superbike liefert. Nur eben mit hohem Lenker. Und das kann auf der Rennstrecke wiederrum anstrengen. Dass sich diese geile Maschine einzig Gutverdiener leisten können, dürfte einer Vielzahl sportmotorradaffiner Proletarier schlimmen Herzschmerz bescheren.

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Erscheinungsdatum 26.05.2023