Wie macht sich die Voge 300 AC im MOTORRAD-Test? Wir sind gespannt, denn schon die Voge 500 R strafte gängige Vorurteile Lügen.
Wie macht sich die Voge 300 AC im MOTORRAD-Test? Wir sind gespannt, denn schon die Voge 500 R strafte gängige Vorurteile Lügen.
Voge (sprich "Woutsch") ist die Premium-Marke von Loncin, dem chinesischen Zweiradriesen (Produktionsvolumen: eine Million Fahrzeuge pro Jahr), der zum Beispiel auch diverse Motoren für BMW produziert. Und der in 2020 mit seinem hiesigen Top-Modell 500 R ein mehr als nur respektables Ergebnis in unserem Top-Test einfuhr – siehe Ausgabe 22/2020. Dass China nicht nur billig, sondern auch gut kann, steht also längst außer Frage. Und dass es Design sogar sehr gut kann, beweist diese kleine 300 AC noch viel besser als die deutlich beliebiger gezeichnete Voge 500 R.
Okay, auch hier haben die Chinesen wohl bei dem ein oder anderen Konkurrenzprodukt etwas zu lang und genau hingeschaut. Aber das leicht scramblerisierte wie retrofizierte Motorrad gefällt den meisten auf den ersten Blick. Doch anders als die große Schwester hält die Voge 300 AC dem zweiten Blick etwas weniger gut stand. Von bruzzeligen Schweißnähten über asymmetrische Verschraubungen bis hin zu üppigem Lagerfettüberschuss reichen die Hausaufgaben, welche die Fertigung noch bewältigen muss. Aber im Gegenzug gibt es für jeden Fauxpas auch mindestens einen Hingucker, siehe Bildergalerie.
Apropos Hingucker, das gilt auch für den Preis: Die Voge 300 AC liegt zwischen knapp 1.300 (Honda CB 300 R) und fast 2.000 Euro (Yamaha MT-03) unter ähnlicher Ware der etablierten Hersteller, was das Toleranzkonto für Verarbeitungsausrutscher merklich füllt. Schauen wir mal, ob es auch beim Fahren angezapft werden muss.
Am ehesten erinnert das Fahrgefühl an einen kleinen Scrambler. Tiefer Sitz, hoher und nah positionierter Lenker, wenig Motorrad unter sich: Das führt zu einem beschwingten Bewegungsprogramm, angenehm locker aus der Hüfte raus delegiert. Gerade im Urbanen lässt sich die Voge 300 AC so souverän durch die Unwägbarkeiten des täglichen Feierabendgewusels zirkeln, und genau dort finden solche Kraftrad-Portionierungen ja auch oft ihr ideales Einsatzspektrum. Dazu passt der kultivierte Einzylinder, der mit seiner nicht ganz leisen Knurrigkeit aber mehr Power suggeriert, als er tatsächlich hat. 26 PS sind selbst in dieser Liga eher überschaubar. Nun, in der Stadt reicht es meist trotzdem für die Pole Position, zumal der kleine Ballermann trotz hohem Drehzahlniveau bereits unter 3.000 Touren auch im großen Gang nutzbar ist. Wäre das kurzwegige Getriebe weniger kraftaufwendig beim Hochschalten, gäbe es beim stilsicheren Stadtritt nur wenig zu vermissen.
Eine kleine Landpartie kann die Begehrlichkeiten schon deutlicher wecken. Beschleunigen? Dauert ein wenig, denn wo die Voge 300 AC mit ihren 26 Pferdchen die Konkurrenz tunnelt, wird sie beim Gewicht überflügelt: 170 Kilogramm sind in der Bonsai-Klasse gar nicht sooo wenig. Wer vorankommen will, muss fleißig drehen und schalten, sich verstärkende Vibrationen ab 6.000 Umdrehungen inklusive, etwas zähes Ausdrehen ab 8.000 ebenfalls. Und wer zackig die Schräglage wechseln will, muss trotz fluffig leichtem Einlenken mehr Schmalz aufwenden als bei diesen Abmaßen gedacht.
Bremsen? Geht kaum fixer. Wie bei der großen Schwester bleibt die Verzögerung unter den Erwartungen, welche die imposante Doppelscheibe weckt. Auch Dosierbarkeit und Bremsgefühl sind eher Kategorie Grobian. Auf bewährte Markenware wurde in diesem Fall verzichtet, was auch fürs Fahrwerk gilt, aber dort weniger nachteilig erscheint. Es macht seinen Job anständig und behält dank ausreichender Dämpfungsreserven auch bei höherem Fahrer-Engagement stets seine Contenance. Aber ein bisschen harmonischer hätte man es schon abstimmen können. Vorne eher zu weich, hinten eher zu hart, an beiden Enden leidlich sensibel. Nicht falsch verstehen, in dieser Klasse wird vor allem hier gerne an Qualität und Funktion gespart, so gesehen funktioniert die Voge 300 AC wirklich gut. Zumal sie auch in Schräglage angenehm stabil liegt, was sicher auch ein Verdienst der Reifen ist. "Cordial Cordsun " und "Made in China" klingen jetzt vielleicht nicht in erster Instanz vertrauenerweckend, aber einmal kurz warm gefahren liefert der Gummi verlässlichen Grip und stellt sich auch beim Bremsen kaum auf.
Ein bisschen mehr als bei der 500er muss das Toleranzkonto bei der Voge 300 AC schon angezapft werden. Der runde Feinschliff fehlt bei der kleineren, aber insgesamt mehr als nur manierlich fahrenden Ausgabe. Dafür muss aber auch – und das darf nicht vergessen werden – das Bankkonto nochmals weniger angezapft werden: 3.799 Euro und ein Verbrauch, der auch beim heftigen wie wahrscheinlichen Auswringen kaum über die Dreiliter-Marke kommt, sind ein gewichtiges wie konkurrenzloses Wort.
Ein weiterer Beweis, dass China künftig einen festen Platz auf der Motorrad-Weltkarte haben wird. Nicht ganz so beeindruckend wie der Erstaufschlag 500 R, aber die Voge 300 AC weiß vor allem als stylisches Stadt-Motorrad zu gefallen. Der Feinschliff fehlt hier und da noch, aber der Preis ist – selbst im Vergleich zu anderer Chinaware – richtig heiß.