Preis, Leistung, Gewicht sowie das weitgehend deckungsgleiche Lackkleid: Ist doch alles vergleichsweise nah beieinander? Und dann ist Japan ja bekanntlich eh eine Nation, die eher dem kollektiven Konformismus als der individualistischen Hedonie zugetan ist, oder? Zweimal falsch. Einerseits zählen diese beiden Yamahas optisch, technisch und konzeptionell sicher zum Unkonventionellsten, was seit vielen Jahren Zweirad-Japan verlassen hat. Und andererseits trennt die beiden nicht nur die komplette Motorbauart sondern auch ein veritabler Generationen- und Paradigmenwechsel im Konzept MT. Mit präsenten Auswirkungen, wie unser Vergleich mit den beiden Testmaschinen aus dem Modelljahr 2024 zeigt.
Yamha MT-10 SP mit erstaunlich fahraktiver Geometrie
Yamaha MT-10 SP: Sitzposition zwischen Tourer und Supermoto, superkompaktes Packaging mit erstaunlich fahraktiver Geometrie, heiser tönender Reihenvierer, der dank Zündversatz jede Straße zur MotoGP-Boxengasse macht und ein … nun ja, herausforderndes Design.
Diese Kombination ist so enervierend dynamisch, emotional wuchtig, aber auch schamlos ungezügelt (man schiele in Richtung Verbrauch), wie man es aus Japan kaum gewohnt ist. Den Löwenanteil daran tragen der Motor und das souveräne Chassis samt feingeistigem Fahrwerk. Entgegen der auch im Vergleich zur Yamaha MT-09 SP radikalen Geometrie sorgt dieses nämlich nicht für überbordende Handlichkeit, aber zumindest für leichtes Einlenken und eherne Kurvenstabilität.
Einmalig röhrende Vebrennergewalt
Die aufrechte Ergonomie der Yamaha MT-10 SP erleichtert die nötige Wuchterei, sorgt mit der sehr überschaubaren Orientierung Richtung Vorderrad aber auch dafür, dass saftige Gasbefehle an den verhinderten V4 selbiges gern mal unvermittelt in die Luft reißen. Vor allem, wenn die 7.000/min passiert worden sind und die R1-Herkunft des Aggregats sich anschließend in 4.500 Touren andauernder explosiver und einmalig röhrender Verbrennergewalt manifestiert. Klar, Wheeliekontrolle gibt es natürlich in diesen Güteregionen, aber die Bedienung dieser sowie der restlichen, umfangreichen Bordelektronik mittels undefiniert rastendem Drehrad rechts, griffungünstig gelegener Schalter links und Mini-Display in der Mitte ist – gelinde gesagt – sperrig.
Semiaktiver Modus A2 fürs Heizen und A3 fürs Touren
Das gilt leider auch, wenn man in die schier unendlichen Tiefen des E-Fahrwerks abtauchen will. Tipp und Shortcut: den semiaktiven Modus A2 fürs Heizen und A3 fürs Touren anwählen, superbes Ansprechverhalten sowie soliden Komfort genießen und gut ist. Dazu Power-Mode 2 oder 3 und sich über eine zumindest nicht mehr ganz so harsche Gasannahme freuen. Generell scheinen die Kanten hier und da noch ungewohnt ungeschliffen: Kupplung und Getriebe brauchen Kraft und Bestimmtheit, die Bremse ist stark, aber sehr spitz dosierbar und der Motor braucht trotz seiner Vierzylindrigkeit etwas mehr Schwung als üblich, um rundzulaufen. Sie will angepackt, ja fast gebändigt werden, was nicht wenig des Reizes Yamaha MT-10 SP ausmacht.
Yamaha MT-09 SP: neutral, geerdet und rückmeldungsreich
Umstieg auf die Yamaha MT-09 SP. Man merkt es sofort: Eine feste Konstante in der MT-Formel – die absurd aufrechte Haltung – wurde mit der Modellpflege 2024 nicht aufgebrochen, aber doch deutlich aufgeweicht. Lenker runter, Rasten rauf und als ästhetisch wohltuende Konsequenz die Lampenmaske ein gutes Stück tiefer. Fühlt sich gegenüber der großen auch dank des schmaleren Knieschlusses viel kompakter, aber immer noch MT-gerecht bequem an. Nur jetzt halt mit einer Extraportion Vorderradbezug.
Das Ergebnis dieser Gradverschiebung ist prägnant. So neutral, geerdet und rückmeldungsreich fuhren MTs im Allgemeinen und 09er im Speziellen lange nicht. Das letzte Quäntchen Handlichkeit – MT-Profis würden vielleicht sagen Hibbeligkeit – älterer Generationen fehlt, aber die Beweglichkeit dost immer noch so einiges ein. Auch die Yamaha MT-10 SP, die sich sowohl am Gas als auch auf der Bremse etwas mehr gegen die Schräglage sträubt. Rechts, links und wieder zurück: geht hier alles leichter von der Hand.
Modernere Bedienbarkeit und größerer TFT
Wie übrigens auch so ziemlich alles, was man ziehen, drücken oder hebeln kann. Das gilt wörtlich für die viel linearer zu dosierende Kupplung, die mit deutlich mehr Hebelweg und weniger Aggressivität versehene Bremse und den fixeren sowie kooperationsfreudigeren Quickshifter. Und im übertragenen Sinn für die viel modernere Bedienbarkeit der Yamaha MT-09 SP auf elektronischer Seite, Steuerkreuz und größerem TFT sei Dank. Nun ist es auch endlich möglich, nicht nur einzelne Elektronik-Parameter, sondern auch übergeordnete Fahrmodi on the fly zu ändern. Empfehlung: B-Modus für smoothe Gewalt.
MT-09 SP mit Öhlins Federbein und Kayaba Gabel
Und damit sind wir bei einem weiteren MT-Kernelement, bei dem die Yamaha MT-09 SP erfreulich traditionsbewusst ist: ein souveräner, charakterstarker und gerne auch etwas wilder Antrieb. Der 890er-Triple läuft mechanisch hochkultiviert, geht immer geschmeidig ans Gas und hat trotzdem konstant eine animierend brummende Portion wilder Hummelei im Timbre. Klar, den bollernden Lauf des Yamaha MT-10 SP-Motors, seine ungestüme Vorwärtsbewegung beim kleinsten Gasgriffdreh und die Leistungsexplosion ab 7.000 Umdrehungen kann der Triple nicht bieten.
Dafür aber eine 10.000 Umdrehungen andauernde, lineare und viel einfacher nutzbare Kraftwelle mit fordernd-kreischendem Zug obenraus. Die abseits vom Gefühl eines Kanonenkugelritts und der permanenten Ausschau nach Tankmöglichkeiten im Alltag nichts vermissen lässt. Und die Yamaha MT-09 SP mit geradezu frecher Leichtigkeit auf Warp 5 zoomt. Was wirklich fehlt im Vergleich, ist der Bedienkomfort und die Spreizung des E-Fahrwerks der Großen. Öhlins (Federbein) und Kayaba (Gabel) sprechen zwar ebenfalls fein an, sind aber straff mit weniger Flexibilität Richtung Komfort. Ein gutes Setting erfordert Zeit und Handarbeit statt wenige Knopfdrücke. Gut, irgendwas muss ja auch auf der MT-10 leichter fallen …