Wegen des globalen Halbleiter-Mangels stockt bei Harley-Davidson der Nachschub. Konkret fehlen Chips für das ABS der 2022er-Softail-Modelle. Verschärft wird die Lieferkrise durch die weiterhin geltenden EU-Strafzölle von 25 Prozent (ab Dezember womöglich 50 Prozent, siehe Interview unten). Matthias Meier, Harley-Händlersprecher für Europa: "Da weniger Maschinen gefertigt werden können, beliefert Harley-Davidson derzeit damit vorrangig Märkte, in denen keine Strafzölle fällig sind. Und dazu gehört Europa nun mal nicht."
Die Strafzölle fallen seit 2019 an, mittlerweile auch für in Thailand montierte Harleys. Harley-Factory-Group-Geschäftsführer Meier: "Bisher hat Harley diese Zölle nicht an die Käufer weitergegeben, aber auf Dauer wird das nicht gehen." Und wohl schon gar nicht, sollte sich der derzeit fällige Prozentsatz an EU-Strafabgaben auf den Einfuhrpreis tatsächlich zum Dezember verdoppeln. Nach eigenen Angaben hat Harley-Davidson 2019 und 2020 zusammen rund 120 Millionen US-Dollar für Strafzölle aufgewendet.
Indian montiert in Polen
Auch die zweite US-Marke, nämlich Indian, ist von dem Thema nicht verschont. Generell gelten die Zölle auf alle aus den USA kommenden Motorräder mit einem Hubraum von über 800 Kubik, also auf alle Harleys und Indians. Doch anders als Harley-Davidson hat die zum Polaris-Konzern gehörende Marke offenbar ein Schlupfloch gefunden, die EU-Strafabgaben für viele seiner Modelle zu vermeiden. Polaris betreibt ein Werk in Opole, Polen. Dort, also innerhalb der EU, werden u.a. ATVs gefertigt – und seit spätestens 2020 auch die für den europäischen Markt bestimmten Scout- und FTR-Modelle, wie ein Sprecher des Importeurs auf Anfrage von Motorradonline bestätigte.

Die Indian-Bikes werden als sogenannte "Completely Knocked Down"-Teilekits aus den USA nach Polen angeliefert, wo dann erst die Endmontage, also der Aufbau des ganzen Motorrads erfolgt. Das System ist international üblich, um Einfuhrzölle zu vermeiden, da eine Wertschöpfung im Land bzw. im (EU-)Zollgebiet erfolgt. Auch Harley-Davidson arbeitet nach der Methode, allerdings hat die EU eine Endfertigung in Thailand, also außerhalb der EU, nicht anerkannt, um Strafzölle auf Importe zu erlassen.
"Harley-Davidsons Schachzug wurde zum Bumerang"

Fragen an Bernd Lange. Als Vorsitzender des Handelsausschusses im EU-Parlament ist der SPD-Politiker direkt an den Verhandlungen mit den USA über die von Donald Trump eingeführten Strafzölle und die EU-Gegenmaßnahmen beteiligt. Scheitern diese, hat das enorme Folgen für US-Motorräder in Europa.
Lange: Wir versuchen mit der neuen amerikanischen Regierung bestehende Konflikte zu entschärfen, was uns etwa bei der Frage der Subventionen für Airbus bzw. Boeing auch gelungen ist. Aber es gibt weiterhin Konflikte. Einer ist der über illegale US-Zölle auf europäische Stahlimporte und die europäischen Gegenmaßnahmen inklusive der Strafzölle auf Motorräder. Das Risiko, dass dieser Konflikt weiter eskaliert, ist leider da. Das wäre natürlich nicht im Interesse der Verbraucher*innen auf beiden Seiten des Atlantiks. Aber die EU kann auch nicht einfach illegale Handelspraktiken hinnehmen. Deswegen gibt es intensive Verhandlungen mit den USA, ich selbst war Ende Juli dazu in Washington.
Lange: Im März 2018 hat der damalige US-Präsident Trump illegale Zölle auf europäische Stahl- und Alu-Importe in Höhe von 25 bzw. 10 Prozent erlassen. Die EU hat als Gegenmaßnahme ab Juni 2018 zusätzliche Zölle in Höhe von 25 Prozent auf verschiedene US-Produkte erhoben, u. a. auf Motorräder. In dem EU-Rechtsakt war zudem vorgesehen, dass sich die EU-Gegenmaßnahmen automatisch verdoppeln, wenn die USA nicht bis zum 1. Juni 2021 von ihren illegalen Zöllen Abstand nehmen. Nach Verhandlungen mit den USA hat die EU diese Frist nun einseitig bis Ende November 2021 verlängert. Für US-Motorräder müssen also im Augenblick zusätzlich zum normalen Einfuhrzoll von sechs Prozent 25 Prozent, also insgesamt 31 Prozent Zoll gezahlt werden. Wenn es keine Einigung zum 30. November gibt, wären es danach dann 56 Prozent Zoll.
Lange: Ich bin optimistisch, dass wir eine Lösung finden können. Die USA müssen die illegalen Zölle auf Stahl und Aluminium aufheben, das steht außer Frage. Aber wir können uns z. B. mit ihnen auf einen Marktüberwachungsmechanismus einigen, sodass die USA nicht unerwartet riesige Importmengen fürchten müssen. Damit würden dann auch unsere Gegenmaßnahmen hinfällig und die Verdopplung natürlich auch. Aber genau wissen wir das erst im November.
Lange: Es ist doch völlig klar, dass eine Verlagerung der Produktion, um Strafzölle zu umgehen, nicht akzeptabel ist. Nach europäischem Recht sind solche Versuche auch eindeutig rechtswidrig (Zollkodex, Artikel 59, und Umsetzungsakt von 2015, Artikel 33). Und Harley-Davidson hat ja in offiziellen Berichten (z. B. an die US-Börsenaufsicht am 25. Juni 2018) ganz offen die Verlagerung als Mittel "to avoid the tariff burden" (um der Zolllast zu entgehen, Red.) beschrieben. Da wurde der scheinbar intelligente Schachzug zum Bumerang. Vielleicht hätte Harley-Davidson sich etwas mehr mit der Rechtslage beschäftigen sollen, entweder war das wirklich naiv oder frech.
Wer seine Solidarität mit dem Harley-Händlerverband bekunden möchte, kann dies in einer entsprechenden Online-Petition tun.