Was zu befürchten war wird jetzt Realität: Die Tiroler Landesregierung setzt auch für die Saison 2021 sowie die kommenden Jahre auf Lärm-Fahrverbote für Motorräder auf bestimmten Passstraßen. Zudem wird nach Auskunft der Landeshauptmann-Stellvertreterin Ingrid Felipe aktuell an weiteren Strecken der Motorradlärm gemessen. Daraus könnten weitere Fahrverbote folgen.
Hier der Wortlaut der Verfügung: "Aufgrund der erheblichen Lärmbelastung für die im Bezirk Reutte lebende Bevölkerung werden ab dem Jahr 2021 jeweils vom 15. April bis 31. Oktober eines jeden Jahres, Fahrverbote für besonders laute Motorräder Standgeräusch (Nahfeldpegel) > 95 dB (A) erlassen:
- B 198 Lechtalstraße von Steeg (Landesgrenze Vorarlberg) bis Weißenbach am Lech
– B 199 Tannheimerstraße von Weißenbach am Lech bis Schattwald (Staatsgrenze Deutschland)
– L 21 Berwang-Namloser Straße von Bichlbach bis Stanzach
– L 72 Hahntennjochstraße 2. Teil von Pfafflar bis Imst (Passhöhe)
– L 246 Hahntennjochstraße 1. Teil von Imst (Passhöhe) bis Imst Kreuzung Vogelhändlerweg
– L 266 Bschlaber Straße von Elmen bis Pfafflar
Das Fahrverbot gilt vom 15. April bis 31. Oktober eines jeden Jahres."
Tiroler Landesregierung
Dünne Fakten-Grundlage
Die Politik stützt sich dabei auf eine Evaluierung von Daten aus der Vorsaison. Neben erhobenen Verkehrsdaten wurden dazu im November 2020 stellvertretend für rund 10.000 Anrainer auch 250 Personen telefonisch befragt.
Demnach habe sich die Anzahl der Motorräder im Gebiet Außerfern um rund 36 Prozent reduziert. Dadurch habe sich eine Lärmpegelreduktion um 2 dB ergeben. Entsprechend steht eine deutliche Mehrheit der Befragten Anrainer dem Fahrverbot positiv gegenüber. Der Anteil an stark von Motorradlärm Belästigten ist mit 29 Prozent weiterhin hoch, hat sich jedoch im Vergleich zu den Befragungen von 2019 mehr als halbiert. Die stärkste Reduktion war am Hahntennjoch zu beobachten. Der Motorradverkehr hat sich dort 2020 halbiert. 46 Prozent der Befragten räumen jedoch ein, dass es dadurch auch Einbußen im Tourismus gab. Eine Fokusgruppe, erstellt von der Tiroler Landesregierung, die die wirtschaftlichen Auswirkungen analysiert hat, konnte diese Befürchtungen nicht bestätigen. Die Studienautoren wollen die Ergebnisse aber nicht den Fahrverboten zuschreiben, auch die Corona-Pandemie habe hier einen enormen Einfluss genommen. Eine genaue Zuordnung sei nicht möglich.
Verzerrte und unübliche Marktvoraussetzungen
Auch Herbert Gassner, Geschäftsführer der Moho – Motorradhotels Österreichs, betont, dass die Saison 2020 aufgrund der besonderen Covid-Situation absolut keine realistischen Rückschlüsse zulässt, das heißt der "Erfolg" 2020 auf verzerrten und unüblichen Marktvoraussetzungen beruht.
"Die Ergebnisse dieser Evaluierung waren zu erwarten und überraschen mich nicht," erklärt Karin Munk, Generalsekretärin der Arge 2Rad. "In Tirol kommen die Motorradtouristen zu rund 70 % aus Deutschland. Viele Gruppen haben zum Leidwesen der ansässigen Gewerbetreibenden – z.T. auch aus Coronagründen – storniert, sind also, obwohl vielleicht nur ein Motorrad über 95 dB (Standgeräusch) hatte, gar nicht gekommen," so Munk weiter. Dass die verringerte Frequenz natürlich auch zu einer Reduktion der Lärmemissionen führt, liegt auf der Hand, hat aber nichts mit dem eingetragenen Nahfeldpegel per se zu tun. Nach EU-Richtlinien legale Motorräder werden bestraft, illegale, getunte Motorräder werden belohnt. Und diese sind es, die das subjektive Lärmempfinden definieren."
Hersteller-Statements zum Thema Motorradlärm
Gericht bestätigt Fahrverbote
Das Landesverwaltungsgericht Tirol hat jetzt die Beschwerde (Aktenzeichen: LVwG-2020/37/2639-17) eines Motorradfahrers als "unbegründet" abgewiesen, der gegen die Fahrverbote vorgehen wollte. Georg Sedlmayr aus Wattens, der auch im erweiterten Vorstand der Interessengemeinschaft (IG) Moto sitzt, hatte am 13. Juni 2020 mit seinem Motorrad (Erstzulassung 1986; eingetragenes Standgeräusch: 100 Dezibel) das Fahrverbotsgebiet befahren. Sedlmayr tat das bewusst mit dem Ziel, auf diesem Wege das umstrittene Fahrverbot zu Fall zu bringen. Sedlmayr wurde kontrolliert und erhielt eine 220-Euro-Strafe, gegen die er beim Landesverwaltungsgericht vorgehen wollte. Sedlmayrs Beschwerde wurde abgewiesen, eine Revision nicht zugelassen. Inhaltlich hielt das Landesverwaltungsgericht fest, dass die betreffende Verordnung nicht nur ordnungsgemäß kundgemacht wurde, sondern weiter weder gleichheits- noch gesetzeswidrig ist. Ebenso wurde klargestellt, dass die Fahrverbote dem Schutz der Bevölkerung vor Lärmbelästigung dienen – dieses Interesse überwiegt aus Sicht des Gerichts die Interessen der Biker an einer ungehinderten Benützung der betreffenden Streckenabschnitte. Möglich ist jetzt nur noch der Gang vor den Verfassungsgerichtshof.
MOTORRAD hat zum Thema mit Karin Munk, Generalsekretärin der Arge2Rad ( Dachverband der österreichischen Zweiradimporteure und Zweiradindustrie) gesprochen.
Arge2Rad
Karin Munk, Generalsekretärin Arge2Rad.
Will die Arge gegen die Sperrungen vorgehen und wenn ja, wie?Munk: Es handelt sich wie gesagt, nicht um Sperrungen, sondern um ein Fahrverbot für Motorräder, die im Zulassungsschein mehr als 95 Dezibel Standgeräusch eingetragen haben.
Das Ziel der Arge 2Rad wird es weiterhin sein, allen legalen Motorrädern den Zugang zu allen Straßenzügen zu ermöglichen, den ansässigen Gewerbetreibenden eine sichere Zukunft zu gewährleisten, unter Rücksichtnahme auf die Bedürfnisse der Anrainer. Dafür bedarf es einer Bewusstseinsbildung einzelner Motorradfahrer und der massiven Kontrolle des Verbotes von illegalen Anbauten durch die Exekutive. Diese Grundlagen für eine nachhaltige Verringerung der Anrainerbelastung werden von der Arge 2Rad und Partnern durch Kampagnen und durch die enge Zusammenarbeit mit dem Innenministerium gewährleistet.
Was ist davon zu halten, dass die EU-Kommission die Ü95-Sperrungen für angeblich für rechtens erklärt hat?Munk: Wir kennen den Antragsteller nicht und auch nicht den Inhalt der Beschwerde. Wir müssen aber davon ausgehen, dass die wesentlichen Aspekte (Gleichheitswidrigkeit, Diskriminierung, Unverletzlichkeit des Eigentums, etc) keine inhaltliche Berücksichtigung gefunden haben. Somit kann die Stellungnahme nicht wirklich evaluiert werden.
Für die Kommission ist es wesentlich, dass es sich um ein lokal und zeitlich limitiertes Verbot handelt. Auf jegliche Ausweitung (auch in anderen Bundesländern) muss einer erneuten Beurteilung folgen. Für die Beurteilung der Rechtmäßigkeit und Verhaltensmäßigkeit ist der Europäische Gerichtshof zuständig, nicht die Kommission.
Steht zu befürchten, dass andere österreichische Bundesländer dem Tiroler Beispiel folgen werden?Munk: Das können wir nicht ausschließen. Wir bemühen uns jedoch, schon im Vorfeld hier aktiv zu werden und bewußtseinbildend zu wirken. Mit dieser Verordnung werden nach EU Richtlinien legale Motorräder bestraft, illegale, getunte Motorräder werden belohnt. Und diese sind es, die das subjektive Lärmempfinden definieren. Es gilt also andere Maßnahmen zu pushen.
Leser schreiben uns immer wieder, dass sie Tirol als Touristen boykottieren wollen. Was hältst du davon?Munk: Jeder soll das halten, wie er will. Im Sinne der ansässigen Gewerbetreibende wünsche ich mir natürlich, dass die Touristen trotzdem kommen, weil sie sonst durch ihr Wegbleiben die Verordnung natürlich stärken – weniger Frequenz ist gleich weniger Motorradlärm – und die touristischen Betriebe die Suppe auslöffeln dürfen. Also im Sinne der guten Kundenbindung und sogar Freundschaften zu einzelnen Betrieben würde ich mir natürlich viele deutsche Motorradtouristen für 2021 wünschen.
Auch in Deutschland werden die Gräben zwischen Motorradgegnern und Motorradfahrern immer tiefer, der "Motorradlärm" spielt dabei eine zentrale Rolle. Hast du eine Idee, wie eine Verständigung der beiden Seiten noch erreicht werden könnte?Munk: Es gibt ein Österreichisches Sprichwort, das heißt: Durchs reden, kommen die Leut zam (zusammen). Wir müssen uns in jede betroffene Seite hineindenken und verstehen und nach gemeinsamen, nachhaltigen Lösungen suchen: wir das sind die Community, die Industrie, der Handel, die Exekutive und die Politik.
Umfrage
Übermäßiger Lärm muss nicht sein, deshalb passe ich meine Fahrweise an.
Das ist kein Lärm, sondern Sound - und der gehört, egal wie laut, zum Motorradfahren dazu.
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Fazit
Tirol schreibt die Lärmfahrverbote für Motorräder mit über 95 db Standgeräusch auf bestimmten Passstrecken auch 2021 fort. Damit bleiben viele Motorradfahrer vom Befahren beliebter Strecken in Tirol weiterhin ausgeschlossen. Langfristig helfen hier wohl nur leisere Motorräder und ein Umdenken bei den Fahrern, die mit dem Thema Lautstärke immer noch sorglos umgehen. Die Sinnhaftigkeit eine Begrenzung übers Standgeräusch vorzunehmen, bleibt trotzdem fraglich.