Morgens um halb sechs springt man nicht einfach so aus dem Bett und läuft einen Halbmarathon. Der Kreislauf muss nach der Ruhephase in Schwung kommen, der Organismus hochgefahren werden. Ähnlich verhält es sich bei Ihrem Motorrad mit Motor, Fahrwerk, Reifen und Bremsen. Auch die brauchen, ähnlich wie der menschliche Kreislauf, für optimale Einsatzbereitschaft erst einmal Betriebstemperatur.

Wer morgens vor dem dritten Kaffee nicht ansprechbar ist (oder so jemanden kennt), der versteht leicht, dass auch das Motorrad nicht vom Fleck weg für Höchstleistungen zu haben ist. Eine schonende Fahrweise bei mittleren Drehzahlen bringt den Motor allmählich auf Temperatur.
Faustregel: Auf den ersten 5 km höchstens halbe Nenndrehzahl fahren. So bekommt das im kalten Zustand zähere Öl Zeit, dünnflüssig zu werden. Dann gelangt es überall hin und entwickelt seine volle Schmierfähigkeit, bevor es richtig zur Sache geht. Auch die Gemischaufbereitung - also Vergaser oder Einspritzung - arbeitet erst präzise, wenn
der Motor so warm geworden ist, dass kein Benzin mehr an den Kanalwänden kondensiert.
Die Öle in Gabel und Federbein verhalten sich ähnlich wie das Motoröl: Im kalten Zustand sind sie dickflüssiger als im warmen. Dies wirkt sich auf die Dämpfung aus:
Die Federelemente sprechen bei der Fahrt über Bodenwellen träge an, das Motorrad benimmt sich bockig und unkomfortabel.

Ein zu hohes Tempo kann jetzt leicht Fahrwerksunruhen hervorrufen. Diese sind außer den Federelementen auch den Reifen zuzuschreiben, denn sie sind außer für die Bodenhaftung auch ein wenig für die Dämpfung zuständig: Im kalten Zustand wirken sie glasig, absorbieren Stöße nur widerwillig und geben Fahrbahnunebenheiten, z. B. Längsrillen, als unwillkommene Lenkimpulse weiter.
Testfahrten mit Temperatursensoren zeigten, dass gezieltes Beschleunigen und starkes Bremsen auf gerader Strecke die Reifen am besten aufheizt. Besonders einfach geht das mit ABS-Motorrädern: Aufrecht rollend können sie vor roten Ampeln, an denen man sowieso halten muss, kräftig zusammengebremst werden. Dabei unbedingt auf den rückwärtigen Verkehr achten! Erst wenn sich die Reifen elastischer anfühlen als auf den ersten Metern, kann man auch Kurven peu à peu zügiger fahren und so die Reifenflanken auf Temperatur bringen. Der warme, elastische Reifengummi presst sich in die Vertiefungen der Straßen-oberfläche und krallt sich regelrecht fest.

Doch nicht nur das Fahrzeug, auch der Fahrer will vor der Fahrt auf Temperatur gebracht sein. Kopf und Körper müssen wach und aufgewärmt aufs Bike steigen. Der Fahrer sorgt beispielsweise durch ein paar Kniebeugen und leichte Dehnübungen vor dem Start für eine gut durchblutete Muskulatur, eine bessere Gelenkigkeit und für schnellere Reaktionen. Bereits fünf Minuten Aufwärmtraining reichen aus, um Körper und Geist in erhöhte Reaktionsbereitschaft zu versetzen und Verspannungen vorzubeugen.
Notizen
Der Vorderreifen ist noch zu kalt, wenn das Motorrad beispielsweise unwillig einlenkt oder jeder Längsrille nachläuft. In Fahrt macht sich ein kalter Reifen relativ schnell in der Lenkung bemerkbar. Den Fahrstil darauf abstimmen!
Stumpfe Bremsen sind eher selten, denn die meisten Stopper packen auch im kalten Zustand gut zu. Fühlen sie sich aber zunächst teigig an, bringen Sie sie durch bewusste Bremsungen behutsam auf Betriebstemperatur.
Hitzköpfig sollte niemand fahren, doch der Körper darf warmgelaufen sein. Dafür müssen Sie keinen Dauerlauf machen: Ein paar Kniebeugen, Lockerungsübungen von Fuß-, Hand- und Nackenmuskulatur bereiten ausreichend vor.