Es könnte gleich schon wieder losgehen. Landesstraße L 3247, die ehemalige B 247, von Suhl nach Schleusingen, in Hirschbach Blinker rechts und mitten hinein in den südlichen Thüringer Wald. Da wird man schnell und gerne zum Wiederholungstäter, ob begleitet von Hermann auf der Moto Guzzi Stelvio oder Steffen auf seiner Honda Africa Twin.
Vom Dambachtal über Oberstadt und Themar
Hoch oben stelzt die Autobahnbrücke der A 73 übers Dambachtal, etwas weiter piekst der Helm der bereits 1617 geweihten Kirche Altendambach in den Himmel, daneben hängen als Überbleibsel einer schon nach 40 Jahren untergegangenen Epoche noch Hammer, Zirkel und Ährenkranz am Mast. Aber das registrierst du wohl nur im Vorbeifahren. Wisch und weg. In kurvigem Sinkflug schrauben wir uns hinab nach Keulrod, bevor sich das dichte Grün lichtet und den Blick auf offeneres, hügeliges Land freigibt. In Bischofrod rechts ab Richtung Marisfeld, auf die Naturpark-Route Thüringer Wald.
17 Prozent Steigung, da jubeln nicht nur die Twins. Hoch her ging es auch schon vor etwa 200 Jahren in Oberstadt, als sich die Paare um den Stamm der örtlichen Tanzlinde drehten, auf einem Podest in der Baumkrone. Eine Runde im Achterbahnmodus über Schmeheim, Dietzhausen und Dillstädt nach Marisfeld und dann in lang gezogenen, schwungvollen Bögen via Themar und Ahlstädt nach Schleusingen. Unterwegs auch mögliche Stippvisiten im KTM Adventureland, einem Motocross- und Enduro-Gelände, sowie beim Hennebergischen Museum Kloster Veßra, einem Fachwerkensemble und Freilichtmuseum.
Schloss Bertholdsburg in Schleusingen
"Ich hab’ versucht, es zu vermeiden", erklärt Steffen nach geduldigen Extrarunden um den dekorativen Kreisverkehr in Schleusingen mit Blick auf das Schloss Bertholdsburg, wo ordinärer Alltagsverkehr das Bild doch nur stören würde. Danke dafür. Und falls nicht gerade ein Dienstfahrzeug direkt vor dem Rathaus im nachgotischen Profanstil dauerparkt, dann lässt sich auch die Figur der schönen Wasserfee Slusia nebst Reh, ihrer verzauberten Tochter, zusammen mit dem herbeieilenden Ritter auf dem geflügelten Eisenross passend in Szene setzen. Um es abzukürzen: Aus den Anfangsbuchstaben von "Sieh Liebe Und Siege" wurde SLUSingen, Schleusingen; und noch heute soll die Nixe Slusia im Schlossbrunnen wohnen.
Bergsee Ratscher und die Fehrenbacher Schweiz
Vom Brunnen zum Bergsee Ratscher. "Baden – Camping – Boot – FKK", lockt der idyllisch gelegene Naturbadesee. Nun, Wasserkühlung hat inzwischen ja sogar die Guzzi, und so belassen wir es beim Blick aufs Glitzer-Glitzer der leicht gekräuselten Wellen, biegen in Oberrod scharf rechts ab und steuern über Wiedersbach die Kartbahn Schwarzbach an – leider außerhalb der Öffnungszeiten des Kurses, der ein Nachbau der ehemaligen F1-Grand-Prix-Strecke im portugiesischen Estoril ist, Maßstab 1:10, 436 Meter lang. Von Portugal also quasi gleich weiter in die Schweiz. Hä, wie das? Ganz einfach: Lichtenau, Tellerhammer, Einsiedel, und schwups landest du in der Fehrenbacher Schweiz. Nomen est omen, selbst wenn die felsig-alpinen Attribute im Vergleich zum eidgenössischen Vorbild doch eher einem Maßstab 1:1000 entsprechen. Immerhin ähnelt der leichte Anstieg mit der Rechts-Links vor Masserberg fast sogar der Anfahrt zu einem Gebirgspass, Fantasie vorausgesetzt.
Spielzeugmuseum in Sonneberg
Apropos: Das Deutsche Spielzeugmuseum in Sonneberg ist unser nächstes Ziel, nimmt dich mit auf Zeitreise, back in time. Ob die "Thüringer Kirmes" mit 67 lebensecht wirkenden Figuren auf einem Volksfest um 1900, ob die große Piko-Modellbahnanlage oder "Gulliver in Lilliput", der schiffbrüchige "Menschenberg", gefangen und attackiert von einer ganzen Schar Winzlinge – beim Eintauchen in all diese Welten vergeht die Zeit wie im Fluge. Falls sie das nicht schon längst getan hat. Etwa beim Angasen auf der verkappten zweispurigen Bergrennstrecke (aber Tempo 80) von Goldisthal nach Scheibe-Alsbach oder im Infozentrum des Goldisthaler Pumpspeicherwerks.
Oder, besonders zeitintensiv, beim Abstecher durch eine apokalyptische Landschaft mit Unmengen von Stapelholz hoch zum Bleßberg, früher Sperrgebiet und Radarstation der NVA, heute Ausflugsziel mit Wanderheim, Kiosk und Aussichtsturm sowie 195 Meter hohem Funkturm der Telekom. Nicht zu vergessen, buchstäblich aber zu übersehen, der gut acht Kilometer lange Bleßberg-Tunnel, durch den die Intercitys auf der Schnellfahrstrecke Nürnberg–Erfurt verkehren, maximal 330 Meter tief unter der Bergoberfläche. Wie war das doch mit der Fantasie?
Europäisches Flakonglasmuseum in Kleintettau
So oder so von Sonneberg über den Sattelpass zum Europäischen Flakonglasmuseum am Rennsteig in Kleintettau. Eine sehr spezielle Adresse. Besonders, wenn du dort einer hitzeresistenten Rentnergang bei der Glasmachervorführung am Halbautomaten über die Schulter gucken kannst, zusiehst, wie Henry, der Anfänger, Fritz, der Motzer, und Andreas, der Ausbläser, die rot glühenden, zähen Tropfen geschmolzenen Glases zu kleinen Flakons formen. Bis Ende der 1950er-Jahre wurden so, je nach Größe und Form, zwischen 2.000 bis 5.000 Flakons produziert, pro Schicht mit einem Viererteam. Wichtig dabei auch die Bierholerin, sie versorgte die durstigen Männer mit Leicht- oder Dünnbier. Heutzutage laufen dagegen durchschnittlich 62 Flakons (mit Ausschuss) pro Minute und Linie vollautomatisch vom Band, zu beobachten von einer Besuchertribüne. Dazu im Showroom eine Dauerausstellung mit allen erdenklichen Parfumflakons sowie Sondereditionen für Promis wie Naomi Campbell und Andreas Gabalier.
Imbiss "Kalte Küche" in Spechtsbrunn
Dass diese dufte Location der Firma Heinz-Glas übrigens schon ganz knapp in Bayern liegt: Total egal, verschmelzen doch sozusagen die Naturparks Frankenwald und Thüringer Wald zu einer Einheit, ist auf die Schnelle kein Unterschied zu entdecken. Dritte im Bunde ist der Naturpark Thüringer Schiefergebirge/Obere Saale, gemeinsamer Treff- respektive Schnittpunkt des Trios das Naturparkinformationszentrum & Rennsteig-Imbiss Spechtsbrunn alias "Kalte Küche", nicht zu verwechseln mit der "Kalten Kuchl", dem beliebten Biker-Treff in Niederösterreich. Aber auch hier, auf der Passhöhe der alten Heer- und Handelsstraße von Nürnberg nach Leipzig, wo sich die Fuhrleute eine Pause gönnten, Brot und Wurst verzehrten, also Kalte Küche machten, sollen sich Motorradfahrer treffen. Momentan sind allerdings weit und breit keine Kolleginnen oder Kollegen in Sicht, aber dafür gibt’s in der gemütlichen Gaststube des Infozentrums kurz vor Feierabend noch Kaffee und Kuchen am Stammtisch. Danach die Sahnestrecke von Spechtsbrunn nach Piesau mit piekfeinem Belag. Und hatte auch einst der gute Goethe "Ueber allen Gipfeln Ist Ruh’" gedichtet, so pfeift docheinpaarEtagentieferderWinddirganzschönumdenHelm. Ganz zu schweigen vom Betrieb auf der Motocrossstrecke vom MSC Piesau.
Tropfsteinhöhle im Schauberkwerk Morassina
Eigentlich könnte es endlos so weitergehen. Kurve links, Kurve rechts, okay, immer wieder auch mal eine Ortsdurchfahrt mit nicht immer fein herausgeputzten Häusern. Nichtsdestotrotz sticht auch manches noch hervor, sei es in Schmiedefeld das Schaubergwerk Morassina mit seinen Tropfsteinhöhlen, eine Alternative vielleicht ja zu den trubeligen Feengrotten in Saalfeld, sei es, falls man es lieber ober- als unterirdisch mag, bei Oberweißbach der Fröbelturm, benannt nach dem Begründer der Kindergärten. Aber mal ehrlich: Passt das alles in einen Tag? Zumal, wenn du spaßige Spielgeräte mit 1.100 Kubik kutschierst und gar nicht soo viel Zusatzprogramm brauchst? Oder doch mal chillst und einfach abschaltest, im Erlebnisfreibad Unterweißbach etwa, nahe der umstrittenen Talsperre Leibis/Lichte, auf deren Grund das geflutete Dorf Leibis liegt.
Auf der Deutschen Spielzeugstraße Richtung Neuhaus
Also weiter im Flow, auf der Deutschen Spielzeug- straße nach Neuhaus am Rennweg, dann zehn kurvige Kilometer bis Katzhütte durch den Wald, wo dir auch, nicht erschrecken, ein keuchendes Ungetüm von Kleinheinz entgegenkommen kann, pickepackevoll mit Rundholz. Ein Stückchen durchs schöne Schwarzatal, bis in Meuselbach-Schwarzmühle das Hotel "Waldfrieden" – ein Tipp von Steffen, befreundeter Wirt der Biker- und Sportlerherberge "Alte Lache" in Gräfenroda – zum durchaus längeren Boxenstopp einlädt. Jetzt schon? Unsere Runde ist doch gar nicht komplett. Es warten noch so Leckerchen wie die saftigen Serpentinen zwischen Gießübel und Kahlert und das Panoramasträßchen von Lichtenau nach Frauenau. Dort, wo Steffen vor 13 Jahren auf seiner Varadero einen glatt rasierten Baumstumpf passiert hat, ist wohl genau jener Stumpf inzwischen pittoresk verwittert und hat grünliche "Bartstoppeln" bekommen. Als Statist auf der Bühne von Mutter Natur im Biosphärenreservat Vessertal-Thüringer Wald, bestehend aus Kern-, Pflege- und Entwicklungszone.
Naturtheater in Steinbach-Langenbach
Aber nicht nur Flora und Fauna spielen hier groß auf. 3.000 Sitzplätze bietet das etwas unterhalb der Strecke liegende "Naturtheater Steinbach-Langenbach", vormals "Naturtheater Deutsch-Sowjetische Freundschaft", und dürfte selbst damit viel zu klein gewesen sein für die Auftritte unlängst von – doch, doch – Karat und Status Quo. Tja, Rockin’ All Over The World. Statt über sieben Brücken zu fahren, rocken wir noch mal den Thüringer Wald, machen kurz Station am Bunkermuseum Frauenau sowie am originellen Waldlokal "Bahnhof Rennsteig", bevor es dann heißt: Whatever You Want. Zur Waldbaude Großer Dreiherrnstein und über Neustadt am Rennsteig zurück zum "Waldfrieden" – oder via Schmiedefeld nach Suhl zum Fahrzeugmuseum und die L 3247 nach Hirschbach, wo sich der Kreis somit endlich schlösse. Und es gleich schon wieder losgehen könnte.





