Ausgangspunkt für die Fahrt übers Pordoijoch: Canazei im Fassa-Tal. Schon von Weitem ist oberhalb vom Ort der Übergang zwischen Sass Pordoi und Sass Becé zu erkennen. Der Passo Pordoi (so sagen die Italiener) markiert die Grenze zwischen den Provinzen Trentino und Belluno, verbindet das Fassa-Tal mit dem Valle di Fodom. Wie in vielen Ortschaften der ladinischen Täler verstört der Gegensatz zwischen uralten bäuerlichen Gebäuden und moderner Infrastruktur für Winter- und Sommersport. Von der Sonne geschwärzte Holzhäuser und mit Fresken verzierte Fassaden konkurrieren mit greller Werbung der um Aufmerksamkeit schreienden Hotels.
Dolomitenstraße am Sella-Gebirgsstock
Bis 1900 war diese Gegend abgeschieden. Erst die Große Dolomitenstraße machte die Täler rund um den Sella-Gebirgsstock für den Tourismus zugänglich. Die Straße steigt noch im Ort an und führt in sanften Schwüngen in die Höhe. Sie überrascht mit erstklassigem Belag und reisebustauglicher Breite. Nach der zweiten Kehre öffnet sich ein weiter Blick über das sich in die Ferne verlierende Fassa-Tal. Die Straße legt sich in bestens ausgebaute und überhöhte Serpentinen. Natürlich gibt es auch hier die eine Hundekurve, die eine besondere Linienführung erfordert. An Stützmauern und Randbefestigung wurde gespart – das Grün des Waldes reicht stellenweise bis an den Fahrbahnrand. In kurzen Galerien werden Skipisten unterfahren, bunte Sessel hängen an den Kabeln der Aufstiegsanlagen und werfen Schatten vor das Vorderrad.
Enge Straßenabschnitte, weitläufiges Bergpanorama
Weder Bitumenschlangen noch Schlaglöcher stören den Fahrfluss. Vielmehr wird der Fahrer durch die zwischen den Bäumen durchblitzende Bergwelt abgelenkt. Aber nicht nur der alles dominierende hochragende Sella-Stock fasziniert. In den Talschlüssen ragen bleiche Felsnadeln schroff in den Himmel. Kurve folgt auf Kurve, ein nicht enden wollender Fahrspaß! Gelegenheit, diesen in Ruhe zu verarbeiten, bieten Parkbuchten am Straßenrand oder der Laghetto Lupo Bianco, ein kleiner See unmittelbar vor der zehnten Kehre.
In Kehre 14 teilt sich die Straße, lässt die Wahl zwischen dem Sellajoch oder dem Passo Pordoi. Nach einem Rechtsschwung wird die Fahrbahn wilder und unruhiger, antik anmutende schwarz-weiße Begrenzungssteine wechseln sich mit verbeulten Leitplanken ab. Der Blick um die Kurven wird schwieriger. Enge Straßenabschnitte fordern Aufmerksamkeit. Und dann taucht, mitten in einer Kehre, das Hotel "Bellavista" auf – eine schöne Analogie zum Stilfserjoch und dem Hotel "Schöne Aussicht" in Kehre 46. Das Haus trägt seinen Namen zu Recht – es steht an einem Logenplatz, überblickt ein unfassbares Bergpanorama. Nun prägen niedrige Sträucher sowie mit Flechten überzogene Felsbrocken die Landschaft. Gerade Streckenabschnitte gehen in scharfe Kurven über, und unweit zweier weiterer Hotels mit Pistenzugang wird die Waldgrenze endgültig überschritten. Die letzten sieben Kehren verlaufen in hochalpinem Gelände – gerahmt von Holzzäunen. Die Witterung arbeitet grob am Fahrbahnbelag, wenig sorgfältig ausgeführte Ausbesserungsarbeiten setzen dem nur wenig entgegen.
Sass-Pordoi-Seilbahn in 2.950 Meter Höhe
Vor der Passhöhe sind die letzten Meter geprägt von der Sass-Pordoi-Seilbahn. Aus dem futuristischen Gebäude spannen sich Stahlseile bis in 2.950 Meter Höhe. Die dazugehörige Infrastruktur – Hotels, riesige Parkplätze, Restaurants und Kioske – belegt den Platz zwischen Sass Becé und Sass Pordoi vollständig. Alles macht einen hektischen, aufgeregten, aber auch etwas verlebten Eindruck. Es ist ein geschichtsträchtiger Ort – Anfang des 20. Jahrhunderts wurde hier der erste Abschnitt der Großen Dolomitenstraße fertiggestellt. Die Pionier-Hotels, das "Savoia" und das "Pordoi" mit eigentümlich bemalten Fassaden, sind noch immer in Betrieb.
Und: Hier wütete der Erste Weltkrieg besonders heftig. Im Osten ist der Col di Lana, Italiens "Blutberg", zu erkennen. Unweit der Passhöhe liegt eine Gedenkstätte mit den Gebeinen Tausender gefallener Soldaten. Die nach Arabba abfallende Ostrampe verläuft in offenem Gelände, legt sich mit mäßiger Steigung an den mit Alpenrosen überzogenen Hang. Ein großer Teil der Strecke wurde im Sommer 2023 neu asphaltiert und zeigt sich nun bestens befahrbar.
Im Kurvenkarussel nach Arabba
Mehr noch als die Westrampe lebt die Strecke nach Arabba vom Gegensatz zwischen beeindruckender Natur und dem menschlichen Drang zum ganzjährigen Freizeitvergnügen. Denn parallel zur SS 48 schlängeln sich MTB-Trails um kleine Holzschuppen – im Schatten stählerner Seilbahnstützen. Diese klettern die Bergflanken empor, enden in unwirklichen Konstruktionen auf den Gipfeln. Obwohl wie der Fels selbst auch grau, wirken sie inmitten der bleichen Dolomiten doch fehl am Platz. Man hat den Eindruck, als wäre die Landschaft verdrahtet und gefangen. Allerdings: Ohne die Bedürfnisse des Wintersports wären der Passo Pordoi – und mit ihm viele andere Dolomitenpässe – wohl kaum so gut ausgebaut.
Auf dem Weg nach Arabba wird, vor allem auf den letzten Kilometern, ein Kurvenkarussell erster Klasse durchfahren. Serpentinen gehen nahtlos ineinander über, nur kurze, gerade Abschnitte erlauben das Sich-Sammeln für den nächsten Tanz durch griffige Kehren. Die Pordoi-Ostrampe endet nach 33 Kehren mitten in Arabba.