Schotter-Motorradtour in Kärnten/Österreich: Offroad-light

Schotter-Motorradtour in Kärnten/Österreich
Für Offroad-light-Motorradtouristen

Veröffentlicht am 20.10.2024

Der klitzekleine asphaltierte Weg schlängelt sich den Berg hinauf, rechts eine kleine Kirche, links die Feuerwehr, davor tausendjährige Linden, aus deren Blüten fleißige Bienchen brummend Nektar schlürfen, dahinter: der Hof der Deixelbergers, gleichzeitig der Ortskern von Gräbern, einer Streusiedlung mit unter 200 Einwohnern. Das ist alles. Gräbern liegt inmitten vom Lavanttal auf 923 Metern über dem Meeresspiegel. Bei klarem Wetter wird man mit einer Fernsicht von 50 Kilometern beglückt, von den Seckauer Alpen bis zu den Karawanken.

"Ich will Dreck, ich will Staub und Schotter"

Aber ich bin nicht mit dem Motorrad in diese märchenhafte Landschaft gereist, um die Idylle zu genießen. Ich will Dreck, ich will Staub und Schotter. Nur: Wo bekommt man das noch, wo darf man das? Und selbst wenn man es dürfte, wie lange wohl noch? In meiner Heimat, dem Sauerland, nennt man die oben erwähnten klitzekleinen asphaltierten Sträßchen eher "Feldwege", und fast alle dort sind mit einem "Durchfahrt verboten"-Schild garniert. Hier hingegen, in diesem Teil Österreichs, nennt man sie Güterwege und, welch Wunder: Man darf rein, auch mit dem Motorrad. Selbst, so war mir zu Ohren gekommen, manchmal auch dort, wo der Asphalt aufhört.

Ich sollte jedoch zunächst jemanden fragen, der sich hier in der Gegend wirklich auskennt. Am besten frage ich Martin Deixelberger, Gastronom und Landwirt vom Hof im Ortskern in Gräbern. Der Endzwanziger betreibt zusammen mit seiner Lebensgefährtin Paulina, seiner Oma und dem Azubi Fabian hier, "in the middle of nowhere", ein Motorradhotel. Neben dem Traktor und etlichen Landmaschinen steht in der Maschinenhalle eine fette, für diese kleinen Sträßchen völlig übermotorisierte, KTM 1290 Adventure für Martins Schotterausflüge bereit.

Der Wecker klingelt um fünf Uhr in der Früh, wir schütten uns einen doppelten Espresso direkt in die linke Herzkammer, und los geht’s. Leichtfüßig wedelt Martin von dannen, ihm zu folgen, ist mir schlicht unmöglich. Als erfahrener Tourguide wartet er aber an jeder relevanten Abzweigung. Ich sehe dann sein Grinsen, und schon prescht er wieder los. Doch keine Panik, wenn man bei ihm Urlaub macht und er vorausfährt, gibt’s keine Hetze. Per Lichthupe bremse ich Martin ein. "Martin, lass mich mal vorausfahren, sonst entgehen uns womöglich ein paar schöne Fotos", bitte ich als Reisefotograf, der die Tour lichtbildnerisch festhalten möchte.

Klippitztörl: kleine Passstraße auf 1.642 Metern

Ab dann wird’s auch für mich ein wenig entspannter. Wir bewegen uns immer noch auf schmalem Asphalt. Dann erklimmen wir auf gut ausgebauter Trasse das Klippitztörl, eine kleine Passstraße auf 1642 Metern. Auf circa 1500 Metern halten wir an. Martin: "So, nun schoalt moal dei Navi aus. Mir wolln joa schlieli noch länger woas davon hob’n." (Hochdeutsch: "So, nun schalte bitte mal dein Navigationsgerät aus, wir wollen ja schließlich noch länger etwas davon haben.") Das heißt, ab jetzt kommen seine Geheimnisse: Schotterstraßen und zum Teil gar keine Straßen mehr, dennoch alles ohne Verbotsschild. Und wie das nun mal so mit Geheimtipps ist: Wenn man sie verrät, sind sie als Geheimtipp obsolet.

So erklimmen wir offroad den Gipfel eines Berges, den ich nicht kenne, und ich erlebe einen der geilsten Momente meiner diesjährigen fünfwöchigen Foto-Reise durch die Alpen. Ich lasse die Drohne fliegen und mache ein Foto von uns als Superhelden am Gipfelkreuz. Die Zeit steht still. Doch dann kommt der Hunger, und wir kehren in einer Almhütte ein. Dort wird uns "Frigga" als Frühstück serviert, ein echter Knaller aus Speck, Kartoffeln, Eiern und Käse – das reicht für den ganzen Tag.

Am Abend fahren wir noch mal los. Immer noch drückende Hitze in Kärnten. Martin weiß sich zu helfen und kühlt seinen Blutkreislauf via engagierter Wasserdurchfahrt. Danach tauchen wir tief in den Wald ein. Verbotsschild? Nö. Aber wir tauchen tiefer ein als erwartet. Als wir wieder rauswollen, steht dort eine Schranke, auch rechts und links sehen wir keine Chance auf ein Weiterkommen. Langsam beginnt es zu dämmern, wir werden ein klein wenig nervös. Ob wir vor Einbruch der Dunkelheit den Weg aus dem finsteren Wald finden werden? Um mich ein wenig davon abzulenken, singe ich unterm Helm das Kinderlied: "Hänsel und Gretel verirrten sich im Wald …" Und dann muss ich daran denken, wie ich als 15-Jähriger mit einem 250er-Zweitakt-Crosser, weder mit Kennzeichen und Zulassung, noch Lampen und Blinkern, durch die heimatlichen Wälder geballert bin. Ohne jegliches Bewusstsein für Gefahren, lediglich bekleidet mit Werkstatt-Overall und Gummistiefeln. Ja, doch, einen Helm hatte ich schon auf dem Kopf, aber ich bin wirklich sehr grenzwertig durch den Wald geknallt. Hätte ich mich auf die Nase gelegt, würde ich vermutlich heute noch dort liegen.

"Don’t drink & f***in drive!"

Aber heute und hier ist alles anders. Wir haben Kennzeichen, Führerscheine, sind absolut legal unterwegs, und zumindest ich habe eine enorm erweiterte Risikoeinschätzung. Bevor es komplett dunkel wird, haben wir aber zum Glück wieder Asphalt unter den Rädern und tauschen die Motorräder. Martin hat den Fußbremshebel wegen seiner Offroad-Aktivitäten für mich auf unerreichbar eingestellt. Als großer Freund der Hinterradbremse komme ich mit der KTM deshalb gar nicht klar. Er indes tut sich auf der Ducati DesertX sehr leicht und entwischt mir direkt. Kurz vor zu Hause werden wir von der Dorfjugend eingebremst. Vier Burschen sitzen an einem schnuckeligen Brunnen. Sie kühlen reichlich Bier im erfrischend fließenden Wasser: "Kumm, trink oin mit!" Überschwängliche Gastfreundschaft schlägt uns vehement entgegen! Ich sage: "Neee, lass’ ma’ – don’t drink and drive.” Sie sagen: "Kumm, oiner geht!"

Martin meint, wir hätten noch einen Kilometer bis nach Hause. Na gut … einer! Die Dorfjugend und Martin sprechen Mundart, ich verstehe kein Wort, dennoch ist es sooo lustig, dass ich eine Menge des aufgesogenen Alkohols beim Lachen direkt wieder ausschwitze. Aber ein paar Zehntel Promille bleiben trotzdem hängen, und auf dem anschließenden Heimweg habe ich noch einen Vorderradrutscher, den ich ohne Alkohol vielleicht nicht gehabt hätte. Fazit: "Don’t drink & f***in drive!" Krönender Abschluss im Garten des "Deixelberger Hofs": einen feisten Kärntner Wurstteller und noch ein großes, kühles Bier. Es ist immer noch sehr warm, die Grille zirpt ihr Lied, in der Ferne Wetterleuchten. Auf dem Weg ins Bett habe ich noch einen fetten Rutscher, diesmal mit dem Vorderfuß.

"Bitte, schalt das Navi aus"

Nächster Tag: Martin bittet mich erneut, das Navi auszuschalten. Ich fahre Martin hinterher und bin damit glücklich. Wenn’s der Martin eilig hat und ich ihm folgen möchte, komme ich doch arg an meine Grenzen. Aber jetzt sitzt Partnerin Paulina bei ihm als Sozia und Fahrdynamikbremse hintendrauf, und so kann ich einigermaßen gut Anschluss an die KTM halten. An Paulinas Stelle würde ich allerdings wohl nur schwer Chef meines Stoffwechseltrakts bleiben können …

Wir erklimmen wieder einen mir unbekannten Berg, fette Gewitterwolken kommen uns entgegen, tolles Licht für Fotos! Am Ende stehen wir vor einer Almhütte, ich schieße noch ein paar Bilder von den beiden, auf dem Rückweg treiben uns die Gewitterwolken vor sich her, das Licht wird noch spektakulärer. Allerdings verlassen wir die reizvolle Berglandschaft, und öder Stadtverkehr hält mich davon ab, noch zu fotografieren. Außerdem müssen wir weiter, Martin und Paulina wieder zurück zum Hof, ich setze meine Alpen-Fototour fort, wir verabschieden uns. Hinter Wolfsberg geht es spektakulär den Berg hoch, Martin fährt mir mal wieder gnadenlos davon, Sozia Paulina winkt nochmal. Unterm Helm lächele ich, denke zurück an diese beiden erstklassigen Schotter-Tage und stelle für mich fest: Schön war’s, gerne wieder!