Ducati 1299 Panigale S und Ducati 1199 S im Vergleichstest

Ducati 1299 Panigale S und Ducati 1199 Panigale S im Vergleichstest
Was kann die Neue besser?

Zuletzt aktualisiert am 01.04.2015

Ein Gewitter liegt in der Luft, es grummelt gewaltig. Am Boden, nicht am Himmel. Diabolisch kommen zwei betörende Motorräder ange(g)rollt. Das Duo Infernale biegt mit Verve in die nächste Kurve ein, verschwindet hinterm nächsten Felsen. Zwei feuerrote Keile auf Rädern, bildschöne Ducati Panigale, der weltstärkste Serien-V2 und sein Nach­folger, die Ducati 1299 Panigale S folgt auf die Ducati 1199 Panigale S.

Ducati legt beim Superquadro nach: Nun treffen volle 116 Millimeter Bohrung, vier mehr als zuvor, auf kompakte 60,8 Millimeter Hub. Ein Verhältnis von fast zwei zu eins. Der aufgebohrte 90-Grad-Desmo-V2 ist ein Mega-Kurzhuber. Aus 1285 cm3 statt bislang 1198 Kubik schöpft er offiziell 205 statt 195 PS, gemessen sind es 197 und 191.

Belladonnas machen Bella Donner: ein lauter Klangteppich aus je zwei Unterflur-Auspuffen, ein fast prolliges Prusten und Posaunen. Tief und dumpf, dieses V2-Stakkato, noch etwas bassiger beim größeren Motor. Er atmet aus dickeren, 60 statt 54 Millimeter durchmessenden Schall­-„Dämp­fern“ mit dickeren Endrohren aus. Und wie die Airboxen dazu schnorcheln und schlürfen! In der Ducati 1299 Panigale S sitzen die größten Serienkolben der Motorradwelt, breit wie Suppentassen. Nur viel flacher. Sie hämmern über geänderte Pleuel auf eine fein gewuchtete Kurbelwelle. Leicht erhöhte Verdichtung, heftige 12,6 statt 12,5 zu eins, das sorgt für mächtig Druck im Kessel.

1299 Panigale S komfortabler auf schlechten Straßen

Auch modifiziert: verstärkte Zylinderköpfe, Ventil- und Kupplungsdeckel sowie das trichterförmige Ölsumpfgehäuse – alles aus Magnesium. Hinzu kommt neue Software, auch für umfangreiche Assistenzsysteme: neues ABS mit Kurvenfunktion und Wheelie-Kontrolle (DWC) etwa. Am Start ist die edle S-Version der Ducati 1299 Panigale. Sie hat leichte Schmiederäder von Marchesini, LED-Schein­werfer und Frontkotflügel aus Karbon. Vor allem trägt sie wie schon die Ducati 1199 Panigale S elektronisch regulierte Öhlins- statt konventioneller Sachs-Federelemente. An der Ducati 1299 Panigale S ist selbst der Lenkungsdämpfer von Öhlins elektronisch gesteuert.

Das Fahrwerk der Ducati 1299 Panigale S hat semiaktive Dämpfung Öhlins Smart EC. Es reagiert selbsttätig und „eventbasiert“ auf Impulse. Davon bieten zerfurchte spanische Landstraßen reichlich. Die neue Kontrolleinheit von Bosch verrechnet drei Achsen: Quer-, Längs- und Vertikalbeschleunigung, Roll- und Gierrate. Fünf Voreinstellungen stehen zur Wahl, von möglichst weich bis möglichst hart. Wer lieber selbst eingreift: Zug- wie Druckstufe der NIX30-Upside-down-Gabel und am links verlegten TTX-Feder­bein lassen sich wie bei der Ducati 1199 Panigale S auf einer Skala von 0 bis 31 digital und getrennt voneinander einstellen. Grundsetting der 1199 S war jeweils 18. Damit martert sie auf Holperstrecken ihren Fahrer, ist zu straff. Also alles auf zwölf gestellt. Trotzdem spricht vor allem das Federbein der Ducati 1299 Panigale S elektronisch feiner an, fischt mehr raus, ist komfortabler. Umgänglicher also, alltagstauglicher für schlechte Landstraßen, die Neue.

Alle Assistenzsysteme lassen sich auch frei einstellen

Beide Ducati Panigale bündeln je drei Fahrmodi. Race und Sport bieten volle Power. Sie unterscheiden sich durch die Gasannahme sowie die Grund­einstellungen von „Motorbremse“ (Schleppmoment, EBC), Traktionskontrolle DTC, Wheelie-Kontrolle DWC und ABS. Dritter ist der auf 120 PS gekappte, bewusst defensive Regen-Modus. Doch selbst in ihm drückt die Ducati 1299 Panigale S bis 7000 Touren mehr Power ab als die 1199 in den beiden offenen Modi! Noch Fragen?

Alle Assistenzsysteme lassen sich auch frei einstellen, alles lässt sich mit allem koppeln. Unter 3000/min hacken die V-Zwos ziemlich unwillig, laufen nicht rund, sondern rappelig. Sie wollen Drehzahl. Tempo-30-Zonen im zweiten Gang oder Stadtstraßen mit 50 km/h sind diesen Motoren ein Gräuel. Zumal dann grausam viel Last auf den Handgelenken ruht. Nein, diese Maschinen brauchen Platz, Auslauf, flüssiges Geläuf. Sie wollen rennen. Gesamtübersetzung und Drehzahlspektrum beider Ducati-Schwestern sind identisch. Nur zieht die neue viel besser durch: von 60 auf 140 km/h in famosen 6,0 Sekunden statt derer 7,5 bei der 1199. Mehr Midrange-Power!

Hier zeigt die „alte“ Panigale eine Schwäche: Richtig brutal marschiert sie erst ab 6500/min los, tritt dann durch rapiden Drehmomentanstieg voll in den Magen. Nicht ganz zweizylindertypisch und wenig souverän für einen 1,2-Liter-Motor. Feuriger reißt die 1299 an, lässt sich aber viel weicher ans Gas nehmen. Dagegen springt die 1199 aus dem Schiebebetrieb heraus ziemlich harsch ans Gas, selbst im mittleren Modus Sport. Auffällig: Zwischen 5000 und 7000 Touren spricht die 1299er mitunter verzögert auf Gasbefehle an. Etwa beim Rausbeschleunigen aus Kurven. Fühlt sich an, als wenn der Motor dann kurzzeitig wegbliebe. Typische Eigenheit oder Elektronik-Fips? Das muss sich noch zeigen.

Von 0 auf 200 km/h in 7,5 bzw. 7,6 Sekunden

Der vergrößerte V2 springt warm oft nur zögerlich und sprotzelnd an, orgelt mehrere Sekunden lang bedauernswert. Magerere Abstimmung? Immerhin verbraucht er bei mehr Leistung etwas weniger Benzin. Auffällig: Eine deutlich strammere, schwergängigere Kupplung hat die Ducati 1299 Panigale S. Verstärkte Kupplungsfedern erfordern beim Zug an ihrem Handhebel eine eiserne Faust. In der Stadt macht’s aua, auf Landstraßen ist’s kaum ein Problem: Das neue rote Renneisen hat einen Schaltassistenten, der auch beim Runterschalten das Kuppeln spart (Blipper-Funktion). Ist im Eifer des Gefechts eine große Hilfe, spart Kraft.

Etwas smoother läuft der größere Motor, der alte vibriert einen Tick härter. Beide Heißsporne beschleunigen rasant in 7,5 bzw. 7,6 Sekunden aus dem Stand auf 200! Das doppelte Flottchen. Kein Vorteil für die Ducati 1299 Panigale S? Tja, echte 6 PS mehr Spitzenleistung sind nur drei Prozent. Zumal echte Top­fahrer wie MOTORRAD-Tester Karsten Schwers für Beschleunigungsorgien die Traktionskontrolle DTC sowie die Wheelie-Kontrolle DWC vollständig ausschalten. Dann ist es ein Ritt auf des Messers Schneide, zwischen durchdrehendem Hinterund abhebendem Vorderrad.

Vollbremsungen sind mit der 1299 S tricky

Tricky sind Vollbremsungen mit der Ducati 1299 Panigale S. Das neue, rund ein Kilogramm leichtere Bosch-ABS 9.1 regelt so aggressiv an der Blockiergrenze entlang, dass zum Ende einer Vollbremsung ein ums andere Mal das Hinterrad abrupt und fast unkon­trolliert hochkommt. Ohne dass man es provoziert hätte. Dies ist keine Verbesserung. Denn die Ducati 1199 Panigale S bleibt bei fast identischen Bremswerten am Boden. Ansonsten sind die Brembo-Bremsen ein Gedicht. Unglaublich kraftvoll und transparent beißen die Monoblocks M 50 auf die 330er-Scheiben. Herrlich feinfühlig und doch bissfest lässt sich der Bremsdruck im System modulieren.

Vorteil Ducati 1299 Panigale S: Ihre Bremse fühlt sich dank weniger Leerweg im Hebel noch knackiger an. Das Kurven-ABS der ABS-Stufen zwei und drei erlaubt selbst in großen Schräglagen, gefahrlos bis zum Stillstand zu ankern. In Stufe eins (Race-Modus!) ist diese Funk­tion ebenso wie ABS am Hinterrad inaktiv.

Von der Landstraße auf die Rennstrecke

Wir sind nun auf der herrlichen, 3,74 Kilometer langen Rennstrecke von Alcarràs. Denn die auf Landstraßen eher fordernden roten Diven sind auf Rundkursen zu Hause, erst hier in ihrem Element. Wer auf Nummer sicher gehen will, kann selbst im Race-Modus Kurven- und Hinterrad-ABS aktivieren.

Beide Panigale rollen auf gleichen Pirelli Super­corsa SP mit breitem 200er-Heckschluffen in modernem 55er-Querschnitt. Trotzdem fährt die neue Ducati 1299 Panigale S direkter, handlicher, lenkt leichter und homogener ein. Dieses Motorrad fährt nicht einfach durch Kurven. Es fällt über sie her! Dagegen drängt die Ducati 1199 Panigale S am Kurvenausgang mehr nach außen. Man muss sie härter anfassen. Das braucht schon bald mehr Kraft: 20-Minuten-Turns spürst du. Mit der 1299 ist man entspannter schnell, schneller entspannt. Federleichte 194 Kilogramm sind noch mal eins weniger als bei der 1199. Doch Obacht: Unsere 1299er ist eine Monoposto, trägt also weder Soziusrasten noch zweites Sitz- „Polster“.

Ducati 1299 Panigale S spielerischer und präziser

Wirkungsvoll erscheinen die gut gesetzten Änderungen am Fahrwerk. Der Nachlauf ist vier Millimeter kürzer, der Schwingen-Drehpunkt um den gleichen Betrag tiefer, der Lenkkopf steht mit 66 Grad ein halbes Grad steiler. Kleine Ursachen, große Wirkung. Die Ducati 1299 Panigale S fährt noch spielerischer und präziser. Sie umrundet das ewig lange Omega wie gelasert, pfeilt exakt durch die Schikane, bleibt extrem stabil in allen Kurven. Und liefert fantastisches Feedback, bietet durch weit ausgestellte Lenkerstummel totale Vorderradkontrolle, vermittelt selbst bei immensen Schräglagen viel Vertrauen. Feeling und Vertrauen stimmen. Auch die Stabilität beim harten Zusammenbremsen ist prima.

Gilt alles auch für die Ducati 1199 Panigale S. Die allerdings auf der welligen Start-Ziel-Geraden weniger mit dem Lenker auskeilt. Hm, vielleicht mal Lenkungsdämpfer und Wheelie-Kon­trolle der Ducati 1299 Panigale S nachjustieren. Auf der Renne verschmilzt man mit diesen Italienerinnen, wird eins mit ihnen. Du bist die Ducati! Und die Duc wird ein Teil von dir. Eine ungeheure Körperlichkeit ist das. Die Ergonomie passt für Rennstrecken perfekt, integriert den Fahrer super. Ein tolles Kontaktgefühl mit dem ganzen Körper. Alles ist gut! In den Herzen brennt Benzin. Dies ist ein großartiges, beglückendes Erlebnis. Emotional und bei Rundenzeiten. Hervorragend unauffällig arbeiten die Assistenzsysteme, das ABS regelt spät, die Traktionskontrolle feinfühlig.

Vergleichstests in PS und MOTORRAD

Wenn die elektronisch betätigten ovalen Drosselklappen auf Durchzug stehen, sich die zweiten Einspritzdüsen über jedem Zylinder zuschalten und der schön auffällige Schaltblitz knallrot die nächste Gangstufe anmahnt, (kupplungsfrei versteht sich) geht die Ducati 1299 Panigale S wie der Teufel. Atemberaubend. Durchdacht bis ins Detail: Der Ablesemodus „Track“ des TFT-Displays zeigt Rundenzeiten und Schräglagenwinkel; DTC, DWC und EBC sind per neuer +/-Taste im Nu variiert.

In PS 5/2015 folgt die Rennstreckennummer aus Sicht des Ex-Profifahrers Arne Tode und im Vergleich mit BMW S 1000 RR und Yamaha YZF-R1. MOTORRAD macht Ende April einen großen Rennstreckentest: Ducati gegen den Rest der (1000er-)Welt. Sie die beiden nachfolgenden Links "Supersportler-Vergleichstest 2015, Teil 1" und "Supersportler-Vergleichstest 2015, Teil 2".

Fakt ist: Die Ducati 1299 Panigale S ist ein super Bike. Aber kein Superbike – sprengt sie doch die Grenzen des WM-Reglements. Deswegen behält die Panigale R als Homologationsmodell 1198 cm3.

Die Königin ist tot. Es lebe die Königin!

Und unsere Ducati 1299 Panigale S hängt die Latte deutlich höher als die 1199. Doch wo bloß gut 25.500 Euro hernehmen? Gemessen am technischen Fortschritt fallen 800 Euro als Aufpreis auf die 1199 S moderat aus. Wer die Segnungen des semi-aktiven Fahrwerks der S-Version erlebt hat, wird womöglich keine Standard-1299er-Pani­gale mehr wollen. Sie spart bei 20.500 Euro volle fünf Tausender ein. So oder so, die Zweizylinder-Sportlerinnen haben eine neue Regentin. Die Königin ist tot, es lebe die Königin!

Bremsmessungen

fact

Bremsmessung aus 100 km/h (ABS-Stufe 2/Sport):

Ducati 1199 Panigale S: 40,8 m

Ducati 1299 Panigale S: 40,4 m

Weniger ist mehr! Dies gilt beim Thema Bremsweg ganz sicher. Wenn die 1299 bereits steht, ist die 1199 noch mit 9,9 km/h unterwegs.

Das neue Bosch ABS 9.1 regelt feiner, holt das Beste aus den Brembo-Monoblocks raus. Allerdings steigt bei der Ducati 1299 Panigale S im Gegensatz zur 1199 mitunter das Hinterrad unangenehm abrupt.

Fazit

Es ist vollbracht! Ducatis neue 1299 Panigale S fährt jetzt so, wie man sich das von der 1199 gewünscht hätte: agil und kräfteschonend, mit überragendem semi­aktivem Fahrwerk. Es kann jetzt sogar Komfort, nicht nur Präzision. Der erstarkte V2 puncht in der Mitte grandios, zieht bärig durch. Doch bitte kein Vertun: 

Die Über-Duc bleibt ein extremes Motorrad für extreme Situationen. Erst auf der Rennstrecke entfaltet die pfeilschnelle Diva (1 PS pro Kilogramm!) ihr volles Potenzial, auf Landstraßen ist sie unterfordert, strengt an.

Technische Daten: 1199/1299

fact

Gebrauchte Ducati 1299 Panigale S in Deutschland

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Aufgrund ihres Preises ist die Ducati 1299 Panigale S ein seltenes Stück am Gebrauchtmarkt. Das gibt ihr Exklusivität, weshalb sich der Wert wahrscheinlich für lange Zeit auf hohem Niveau halten wird. Hier eine aktuelle Preisübersicht aller gebrauchten Exemplare: gebrauchte Ducati 1299 Panigale S in Deutschland.