Rückblick muss sein: Es war Anfang 1999. Bert Poensgen der damalige Marketing- und Vertriebs-Chef von Suzuki Deutschland – der Motorrad-Gott hab‘ ihn selig! – wandte sich an der Mautstelle einer spanischen Autobahn mit unvergesslichen Worten an die mit dem Gasgriff spielenden Journalisten: "Männer", kommandierte dieses Urgestein, "ich will Kondensstreifen sehen!" Der Rest ist Geschichte: Toni Mang eröffnete später für ein deutsches Billig-TV-Format kurzerhand eine dritte Spur ganz links, fast schon auf dem Grünstreifen, und Deutschland hatte seinen Skandal auf zwei Rädern.
Ende der Suzuki Hayabusa 2017/2018
Suzuki hatte einen Volltreffer gelandet, die Motorrad-Welt war um eine Legende reicher. Und um ein fantastisches Motorrad. Denn die nach dem japanischen Wanderfalken benannte – er erreicht überall auf dem Planeten im Sturzflug Tempo 300 – war viel mehr als nur pfeilschnell. Mit sämigen Federelementen und einer bequemen, allenfalls etwas breitbeinigen Sitzposition gesegnet, gab sie von Anfang an einen formidablen Sporttourer ab. Ihre gewaltige Leistung, damals noch aus 1.298 Kubik geschöpft, machte lässig-souverän. So war sie tatsächlich ein reisetaugliches Speed-Bike, ein handzahmes Power-Bike.
2007 folgte eine große Überarbeitung: Mehr Hub pumpte den Vierer auf volle 1.340 cm³ auf. Zusammen mit vielen weiteren Maßnahmen am Motor erstarkte die Leistung auf 197 PS, das maximale Drehmoment stieg von 138 auf gewaltige 155 Newtonmeter. Auch an Fahrwerk, Bremsen und Bodywork gab es vor knapp 14 Jahren gravierende Veränderungen. 2013 hielten Nissin-ABS und radiale Brembos Einzug ins absolut preiswerte Power-Bike. Doch die Welt drehte sich weiter, weg von der Busa: Supersportler kamen, die gleich viel Power hatten, aber einen guten Zentner weniger wogen. Und dann brachte auch noch Kawasaki modernere Konkurrenten; nach der glücklosen ZX-12 R die ZZR 1400 und schließlich die mit Kompressor bestückte H2 SX SE. 2017/2018 purzelte die Hayabusa aus dem Modellprogramm – Suzuki hievte den fast 20 Jahre alten Motor nicht mehr über die Hürde Euro 4.

Euro 5-Motor innen komplett neu
2021 ist das Kult-Motorrad Haybusa wieder da, wie Phönix aus der Asche. Willkommen zurück! Nun eben unter Euro 5. Da haben die Techniker, Ingenieure und Designer in Hamamatsu jedes Bauteil in die Hand genommen und umgedreht. Die Basis ist die alte Bekannte: Rahmen und Schwingen sind wie von wie von 2007, und auch das Motoren-Gehäuse erlebt hier sein zweites Leben. Im Inneren dagegen blieb kaum ein Stein auf dem anderen: Kurbelwelle, Pleuel, Kolben, Ventile, Ventilfedern, Nockenwellen, Getriebe – alles neu oder grundlegend überarbeitet. Das gilt erst recht in der Peripherie des fulminanten Vierzylinders: Die Software, Airbox und die Ram-Air-Kanäle in der komplett neu gezeichneten Verkleidung wurden überarbeitet. Auch die Auspuffanlage ist komplett neu. In den Schalldämpfern stecken zusätzliche Katalysatoren. Drehmomentfördernd verbindet ein zusätzliches Interferenzrohr die Krümmer eins und vier. Hat da irgendwer die Nase gerümpft, weil die sauberere Busa nun "nur" noch 190 PS abdrücken soll? Hallo? Ist immer noch reichlich eingeschenkt.
Vierzylinder klingt dumpf, sonor und satt
Nun haben wir einen Zündschlüssel in der Hand, ein beeindruckendes Motorrad unter und einen großartigen Fahrtag vor uns. Das Design: gelungen, ein gekonnter Mix aus Rundungen, Kanten und Sicken. Unverkennbar die Basis beibehalten, und doch schnittig in die Gegenwart transferiert. Ein Statement auf Rädern. Majestätisch und ein wenig Old School. Ist der aktuell regierende Kaiser von Japan oder die Queen in England etwa eine moderne Erfindung? Vier wohltuend klassische Runduhren signalisieren per Selbst-Check, volle Betriebsbereitschaft. Zentral in der Mitte dazwischen sitzt die Digital-Abteilung des Cockpits. Es kann losgehen! Grummelnd nimmt der Vierzylinder die Arbeit auf, klingt dumpf, sonor und satt. Er muss sich und niemand anderem mehr etwas beweisen, ruht komplett in sich selbst.

Autobahn, linke Spur, freie Bahn
Diese Souveränität überträgt sich vom ersten Meter an auf den Fahrer. Du weißt: Dieser hochelastische Motor drückt überall und immer, ist stets hellwach. Tiefste Drehzahlen in der Stadt sind Ausdruck purer Stärke. Und dann ist er endlich da, der große Moment: Autobahn, linke Spur, freie Bahn, Hahn auf. Was dann passiert, kann man nur schwer in Worte fassen. Versuchen wir es: Die Tachonadel rotiert schneller als die Kollegin im Drehzahlmesser. In der zweiten Drehzahlhälfte bleibt dir die Spucke weg, so mühelos-rasant beschleunigt die Boden-Boden-Rakete. 240, 250, 260, der Vortrieb will nicht erlahmen. Wer hier sein Herz, seinen Puls nicht spürt, muss tot sein.
Fahren die Lastwagen rückwärts?
Wo bleibt der sechste Gang, um Himmelswillen? Er flutscht völlig easy rein, ohne Griff zur leichtgängigen hydraulischen Kupplung per zweistufig einstellbarem Quickshifter mit Blipper betätigt. Passt perfekt zu diesem Konzept. Beschleunigung aus dem Stand auf 200 meistert das Geschoss in 7,5 Sekunden, das ist die Neue ganz die Alte. Noch beeindruckender sind 10,2 Sekunden für den Durchzug im sechsten Gang von Tempo 60 bis hoch auf 180 km/h. Das ist sogar einen Tick rasanter als zuvor. Beleg für einen gleichmäßig-bärigen Drehmomentverlauf. Er gipfelt in gewaltigen 149 Newtonmetern bei bloß 6.900 Touren. Dieser Vierzylinder drückt einfach brillant. Deine Wahrnehmung fährt Schlitten. Fahren die Lastwagen rückwärts? Motto: Zisch und Weg. Abducken, bloß abducken – die Scheibe dürfte durchaus noch einen Tick höher sein. Offeriert Suzuki als Zubehör.
Elektronikpaket der Suzuki Hayabusa
Klar bieten topmoderne 200-PS-Plus-Supersportler mit nur einem Kilo pro PS oben heraus noch mehr Rasanz. Doch so lässig wie diese 264 Kilogramm schwere Sumo-Suzi schüttelt höchstens Kawasakis Kompressor-Motor seine Leistung aus dem Ärmel. Was die Hayabusa zelebriert, ist nicht mehr und nicht weniger als die Pracht und Herrlichkeit eines großvolumigen und dennoch drehfreudigen Saugmotors: reinst destillierte Kraft. Drei Fahrmodi, A, B, C, haben die Aufgabe, die Power zu bändigen. Sie koppeln Leistungsabgabe (voll oder reduziert) und Gasannahme, härter oder weicher, geglättet. Hilfestellung geben auch die zehnstufig arbeitende Traktionskontrolle, sowie eine regelbare Motorbremse. Nicht zu vergessen, die jeweils zehnfach einstellbare Wheelie-Kontrolle und dreifach regelbare Launch-Control als Hilfe beim Raketen-Start. Wer will, kann dank der Urgewalt Vierzylinders also gut kontrolliert das Vorderrad lupfen. Aber komplettes Elektronik-Paket hin oder her: Das eigentliche Erlebnis auf der Hayabusa ist die Sicherheit, welche ihr Fahrwerk vermittelt: Sie liegt bockstabil und stürmt präzise wie ein Laserstrahl durch langgezogene Autobahnkurven. Die können nämlich nah an der 300 furchtbar eng und damit schräg werden. Bei echten 295 km/h wird per Drehzahlbegrenzer abgeriegelt. Reicht.
Bridgestone S 22 R passen perfekt
Herrlich fein sprechen die konventionellen, voll einstellbaren Federelemente an. Insbesondere die kohlenstoffbeschichte Upside-down-Gabel ist ein Gedicht arbeitet sämig gedämpft. Es muss nicht immer elektronisch geregelt, also semi-aktiv sein. Konventionelle Ware tut es auch, wenn die Basis stimmt. Ganz geschmeidig lenkt der rasende Falke ein, zieht majestätisch seine Bahn. Gutmütig und berechenbar. Doch eine Hayabusa ist naturgemäß kein Handling-Wunder.
Hier sind selbst die vielleicht voluminösesten Auspuffe der Motorrad-Geschichte mehr als schnöde Herrlichkeit, sondern Ausdruck von Kraft und Potenz eines Torpedos auf Rädern. Als prima Partner empfehlen sich neue Bremssättel von Brembo: Sie ankern wunderbar transparent und ziemlich kräftig, ohne gleich wütende Beißer zu sein. Nicht vergessen: "Abbau von Geschwindigkeit" ist bei diesem Motorrad eine Überlebens-Frage. Kongenial arbeiten die gripstarken Reifen Bridgestone S 22 R in Sonderkennung "L". Sie kombinieren hohen Abrollkomfort mit toller Lenkpräzision, haben einen gehörigen Anteil am Fahrerlebnis erster Klasse.
Fazit
Ist die Suzuki Hayabusa nur noch ein aus der Zeit gefallener Anachronismus auf Rädern? Nein, sicher nicht. Sie ist ein Bekenntnis zum Motorradfahren an sich: Herrlich unvernünftig und hoch-emotional. Wer sie nicht fährt, weiß nicht, was ihm/ihr entgeht. Danke Suzuki, dass wir dieses Erlebnis teilen durften.