Wohl jeder, der sich dem Rennsport verschrieben hat, träumt davon, einmal ein echtes WM-Motorrad zu bewegen. Klar, auch bei mir ist's nicht anders. Schon als kleines Kind, als noch Edwards, Haga, Chili und Co. über die Röhrenmattscheibe meiner Eltern flimmerten, träumte ich davon, eines Tages mal selbst Superbike-WM zu fahren.
Die Superbikes aus der WM
Tja, hat nie funktioniert, war auch erwartbar. Irgendwann im frühen adoleszenten Lebensalter kam die Erkenntnis, dass ich für die ganz schnellen Jungs (und Mädels) einfach zu lahm bin. Der Traum, mal in der WM zu fahren und Platz auf einer dieser Waffen zu nehmen, verpuffte. War ich deswegen traurig? Nein, ganz und gar nicht. Trotzdem ließ mich nie die Frage los, wie so ein Werks-Hobel wohl fahren mag.
Der Anruf aus der BMW-Motorrad-Motorsport-Abteilung
Es muss ja – neben dem gigantischen Fahrtalent der WM-Piloten – irgendetwas anders sein, dass solche abartigen Rundenzeiten oder Fahrmanöver mit den Motorrädern möglich sind. Aber auch hier fand ich meinen inneren Frieden damit, dass eine Antwort auf diese Frage wohl immer ein Traum bleiben wird. Bis zu einem besonderen Anruf aus der bayerischen Motorsport-Zentrale: "Hey Mario, bist du zur WSBK in Cremona und wenn ja, hast du den Montag auch noch Zeit? Du dürftest mal WM-Luft schnuppern …"
4 BMW-Superbikes in Cremona
Und dann ist es so weit: Während peu à peu die großen Lkw der Superbike-WM-Teams das Paddock in Cremona verlassen, stapfe ich mit schlotterigen Knien Richtung BMW-Box. Wird es wirklich passieren? Werks-Superbike fahren? Komm – ich bin doch gerade gefangen in einem meiner Kindheitsträume, das kann ja gar nicht wahr sein! Stimmt, die Realität sieht anders aus: Es wartet nicht ein Motorrad auf mich, sondern vier. Vier? VIER?! BMW und Alpha-Racing, offizielle Partner der BMW-Werkstruppe aus Bayern, wollen mir ihre heiligsten Werke anvertrauen: Superstock Spec, EWC-Werksrenner, WM-Spec und als Kirsche auf der Sahnetorte Topraks WSBK-Motorrad. Ich breche beinahe zusammen, mir läuft eine Träne über die Wange – das kann nur ein Traum sein. Wach auf Junge, wach auf!
Kindheitsträume werden wahr
Chris Gonschor, das Mastermind hinter der BMW S 1000 RR beziehungsweise M 1000 RR und Weichensteller für BMWs sportlichen Erfolg in der WSBK, zwickt mich und holt mich zurück ins Hier und Jetzt. "Mario, entspann dich – das sind auch nur Motorräder", meint das Technik-Genie zu mir. Na ja, "nur" Motorräder ist in dem Fall ein weit gedehnter Begriff. Um meine kindliche Freude wieder etwas zurückzuschrauben, ziehe ich mir mein Leder über und mache mich bereit.
Warm-up mit der BMW M 1000 RR
Bevor Turns mit den vier Monster-Ms anstehen, gibt es erst einmal ein paar Runden auf einer serienmäßigen BMW M 1000 RR, um in Schwung zu kommen. An dieser Stelle soll auch eigentlich kein großes Wort über Bayerns Homologations-Gerät fallen, doch eine Sache muss klargestellt werden: Dass eines der ärgsten und schnellsten Superbikes, das die Motorradwelt je gesehen hat, sich von einem auf den anderen Moment zu einem lauen Lüftchen entwickelt – damit hätte ich nie gerechnet.
Superstock von Alpha-Racing
Den Anfang des heiligen Viergestirns macht eine BMW M 1000 RR, aufgebaut von Alpha-Racing im Stocksport-Regelwerk. Heißt konkret: Motor, Rahmen und viele weitere Teile kommen vom Serienableger, sind aber handverlesen und leicht optimiert. Das ist sozusagen eine M 1000 RR auf Steroiden. Weltweit feuern die Alpha-Superstocks in nationalen wie internationalen Rennserien und heimsen dabei Pokale en masse ein – ein Indiz dafür, dass dieses Paket bestens funktioniert.
Fahrwerk mit Komponenten von Öhlins
Erster Schock im Vergleich zur normalen BMW M 1000 RR: Der Superstock-Ableger zeigt sich von einer wilden, temperamentvollen Seite und zirkelt mit leichten Wacklern durch Cremonas lange Bögen. Das bedeutet nicht, das Bike wäre biestig – ganz im Gegenteil: Die Federelemente, Öhlins TTX-Bein hinten, geschlossenes Cartridge vorn, bieten ein dermaßen feinfühliges Feedback, dass jedem Racer das Wasser im Munde zusammenläuft. Jede noch so kleine Unebenheit wird sauber absorbiert, findet dennoch ihren Impuls in Richtung Fahrer. Und das Wackeln? Kommt von einer hecklastigen Abstimmung, verrät Alpha-CEO Sebastian Hofmann.
Variable Geometrie und 216 PS
Bei Bedarf kann das Alpha-Bike jedoch in alle Richtungen angepasst und individuell verändert werden: Ob nun Federbeinlänge, Schwingenwinkel, Heckhöhe – alles ist möglich. Kurzer Einschub zur Power: Gut 216 PS zerren an der Kette und schieben sauber durchs Drehzahlband. Dabei ein akustischer Leckerbissen: das sogenannte "Split Throttle"-System. In tiefer Schräglage werden zwei Zylinder elektronisch abgeschaltet und wieder zugeschaltet, wenn die Fuhre etwas senkrechter steht – frühzeitiges Aufreißen wird so zum puren Vergnügen.
M 1000 RR auf Steroiden
Für mehr Infos zum Stockbike empfiehlt sich der Fahrbericht von Kollege Jacko in PS 10/2024 – er konnte im Rahmen des letztjährigen PS-Tuner GPs zwei intensive Tage mit Alphas Steroid-M 1000 RR abspulen. Für mich sind die Runden auf der Stock-BMW jedoch wie ein Vorbote auf das, was danach kommt. Kann es noch krasser werden? Ja, es kann …
Die EWC-BMW aus Le Mans
Nach den glücklichen Runden auf der Stocksport-BMW wird es nun ernst – und meine Knie fangen wieder das Schlottern an. Platz nehmen auf dem Bike, mit dem Markus Reiterberger und Co. einige Tage zuvor bei den 24 Stunden von Le Mans den 4. Platz eingefahren hatten: auf dem Werks-Langstreckenmotorrad von BMW. Persönlich gesehen hege ich eine große Liebe für Endurance-Renner, denn schon äußerlich spielen diese Bikes in ihrer eigenen Liga: scharfe, brutal helle LED-Lichter vorn wie hinten, zig Schalter, mächtige Gabelbrücken, Schnellwechselsysteme, farblich akzentuierte Kabel und Stecker für schrauberische Orientierung. Außerdem massig Patina.
Langstrecken-Renner mit 220 PS
Jap, Patina: Diese Motorräder feuern einmal rund um die Uhr, und das sieht man ihnen an. Und genau das macht sie auch so besonders: Das sind echte, grundehrliche Racebikes! Exakt so verhält sich auch die BMW-EWC-Maschine: grundehrlich. Trotz der laut BMW etwa 220 PS schiebt die Langstrecken-M besonders in hohen Drehzahlen weniger vehement vorwärts als der Superstocker. Spürbar drückt das Endurance-Bike aber, selbst verglichen mit den noch kommenden zwei Motorrädern, heftigst in der Drehzahlmitte.
Starker Durchzug in der Drehzahlmitte
Warum? In der Langstrecken-WM müssen Reiti und Co. ständig überholen, reine Top-End-Power wäre im dichten Endurance-Verkehr kontraproduktiv und würde so manches Überholmanöver nur unnötig gefährlicher machen. Zudem setzt der Drehzahlbegrenzer schon relativ früh ein – gängig in der EWC, um die mechanische Belastung des Motors zu senken. Auch wenn jetzt der Eindruck entstehen könnte, die EWC-BMW wäre ein langsamer Tropf, sei gesagt: Das Ding zieht dir die Augäpfel nach hinten, aber auf eine angenehme Weise.
Ein Wohlfühl-Superbike
Deswegen fühle ich mich als einigermaßen flotter Breitensport-Pilot auf dem Endurance-Gerät auch am wohlsten. Sie ist sack-schnell, überfordert aber an keiner Stelle, lässt Fehler, unterschiedliche Linien oder einen falsch gewählten Gang zu. Zu der Wohlfühlatmosphäre trägt auch die Bremse bei: Progressiv, ohne aggressiven Initialbiss, stoppen die Sechs-Kolben-Nissin-Zangen sowie die 320er-Motomaster-Scheiben die EWC-M souverän und ohne zu murren.
Softes Setup fürs Fahrwerk
Ebenfalls ein Gedicht: das Fahrwerk. Eine mächtige Öhlins RVP25/30-Gabel und ein RVP50-Federbein halten das Bike in egal welcher Situation präzise auf Kurs, beeindrucken aber vor allem mit einem angenehm weichen Setting. Auch hier gilt die Devise: Bequem und langstreckentauglich muss es sein. Kurzum: Die EWC-BMW will eine Partnerin sein, mit der du durch dick und dünn gehen kannst, die deine Fehler akzeptiert und deine Schwächen eher abmildert.
Langstrecken-Komfort für 24 Stunden
Auch wenn im Vorfeld des Turns auf dem Langstrecken-Werksrenner meine Nervosität ins Unermessliche stieg, so fühle ich mich nach nur wenigen Metern "zu Hause". Im Grunde könnte ich ewig und einmal rund um die Uhr auf diesem Motorrad meine Kreise drehen, so angenehm rennt die EWC-M. Doch es warten noch zwei weitere bayerische Meisterwerke auf mich.
WM-Spec von Alpha-Racing für 149.999 Euro
Die schöne Liaison mit der EWC-BMW gab mir Selbstbewusstsein und nahm mir die Furcht vor dem abartigen Gerät, was nun folgt: eine M 1000 RR im vollen WM-Spec von Alpha-Racing. Hierbei handelt es sich um exakt das Motorrad, was Toprak und Michael van der Mark in der WSBK bewegen, jedoch mit ein paar Limitierungen. Auch wenn man sich als solventer Kunde diesen carbon-schwarzen Tarnkappenbomber für schlappe 149.999 Euro in die heimische Garage stellen könnte, so ist die Wunderwaffe eigentlich für BMWs Semi-Werksteams in der BSB, MotoAmerica oder Isle of Man TT gedacht.
Weit abgehoben von einer Standard-BMW M 1000 RR
Ihr fragt euch jetzt bestimmt, was an diesem Gerät so besonders ist? Kurze Antwort: alles! Fast nichts an diesem Motorrad hat etwas mit einer serienmäßigen M 1000 RR zu tun. Beinahe keine Schraube ist hier unangetastet geblieben, jede Kleinigkeit ist auf maximale Performance getrimmt. Besonders der Rahmen sticht hierbei hervor: In dem WM-Spec-Bike haust ein BMW-Rennsport-Aluminium-Rahmen, der in seinen Abmessungen auf dem serienmäßigen M 1000 RR-Rahmen basiert, jedoch maximal verändert ist. Im Bereich des Lenkkopfs, der Motoraufnahme sowie zwischen hinterer linker und rechter Rahmenbrücke befinden sich – fein-säuberlich eingearbeitet – Aluminiumverstärkungen, die für mehr Steifigkeit an der Front bei gleichzeitig mehr Flex im Bereich der Schwinge sorgen sollen.
240 PS für nur 164 Kilo
Die Schwinge selbst ist ein edles Werksteil aus der 2024er-WSBK-Saison, das länger ist und einen massigen Unterzug hat. Edelste Öhlins-Fahrwerkselemente – RVP25-Gabel und RSP40-Dämpfer aus dem Werksprogramm der Schweden – sollen für bestes Feedback sorgen. Für die finale Eskalation sorgt ein Alpha-Typ-3.1 Kit-Motor inklusive MS04-Rennsportgetriebe (Leerlauf über dem 1. Gang), der circa 240 PS an den Pirelli-Pneu auf OZ-Schmiedefelge überträgt – und dabei nur 164 Kilogramm durch die Atmosphäre katapultieren muss!
Zu göttlich laut Datarecording
Die große Frage nun: Wie fährt sich so ein WM-Monster? Kurz und knapp: göttlich. Doch hier muss ich euch etwas gestehen: Meine fahrerischen Fähigkeiten reichen bei Weitem nicht aus, um die Alpha-WM-Spec-Waffe auch nur annähernd Richtung Limit zu bugsieren, was im Übrigen auch das integrierte 2D-Datarecording schonungslos zur Schau stellt – seufz. Dennoch ein Versuch der Erklärung: Fahrwerk, Bremse, Geometrie und Chassis harmonieren in einer Perfektion miteinander, dass sich innerhalb kürzester Zeit ein Gottvertrauen in das Motorrad aufbaut.
Sie will präzise und perfekt gefahren werden
Ärgste Bremsmanöver, brutalste Beschleunigungsorgien oder abartige Schräglagen werden so zu einer fast schon grotesk einfachen Übung. Zwar lässt sich die WM-Spec-M in gewissem Maße etwas stoischer fahren als beispielsweise die EWC-BMW – Linienkorrekturen mag sie nicht so gerne, sie will präzise und perfekt gefahren werden –, aber ein so butterweiches Fahrerlebnis stellt sich nur selten ein. Und die Power? Immer und überall im Überfluss vorhanden.
Das Weltmeister-Superbike von BMW
Und jetzt: der Superbike-Gipfel. Voller Ehrfurcht verfrachte ich mich auf den Fahrerplatz in der offiziellen WSBK-Box von BMW. Knurrig läuft die WSBK-BMW mit der Nummer 1 warm. Das gesamte offizielle BMW-Team bereitet das Motorrad vor, Chris Gonschor gibt mir noch aufbauende Worte und Tipps mit auf den Weg. Das ist es – das Gefühl, der Traum, der seit Kindesjahren in mir schlummert! Gänsehaut überkommt mich, die Augen tränen leicht, trotzdem voller Fokus.
Über 240 PS brüllen mich an
Dann geht alles schnell: Die WSBK-BMW wird rapide von den Mechanikern vor die Box geschoben, ich stapfe wie Toprak hinterher, nehme Platz und brause los. Martialisch brüllt der gut 240 PS starke WM-Antrieb durch die Akrapovic-Werks-Abgasanlage, röchelt und sprotzelt. Die Klangkulisse verschleiert dabei den entspannten Charakter der WSBK-BMW: Kinderleicht pflügt es sich mit dem WM-Brenner um den Kurs, das schon fantastische Fahrverhalten der Alpha-WM-M hebt die WSBK-BMW nochmals auf eine höhere Stufe – ganz klar ein Schaf im Wolfspelz.
PVM-Räder und Brembo-Bremsen aus der WSBK
Interessant: Eigentlich handelt es sich bei beiden Motorrädern um beinahe
identisches Material. Offensichtliche Unterschiede: PVM- anstatt OZ-Felgen, Brembo-WSBK-Stopper – und der WSBK-Motor soll noch etwas mehr Qualm haben. Warum die WSBK-BMW dennoch einen Hauch feinfühliger und glanzvoller fährt, wollen die Verantwortlichen nicht beantworten. "Ein bisschen hier, ein bisschen da", höre ich nur mit einem verschmitzten Grinsen.Extrem hart bremsen wie Toprak Razgatlioglu
Aber: So handlich wie die Alpha-WM-M biegt Topraks WSBK-Gerät nicht ab, braucht ein paar Muckis mehr, um in Schräglage abzutauchen. Warum? Der Weltmeister setzt auf eine für Rennmotorräder unübliche Geometrie. Die Front seines Einsatzgeräts steht weit oben, während das Heck tief kauert – ein bisschen wie ein Chopper. Warum Toprak eine derart spezielle Geometrie fährt, wird beim ersten harten Bremsmanöver deutlich: Die fette Brembo-WSBK-Stopperanlage entschleunigt derart heftig, dass einem das Hirn an die Schädeldecke schlägt.
Traumhaft und sensationell
Trotz dieser abartigen Bremsperformance bleibt das Motorrad stabil wie auf Schienen, ein abhebendes Heck lässt sich selbst unter brutalstem Hebelziehen nicht provozieren – außer von Toprak selbst. Als ich nach dem Ritt wieder in die Box rolle, halte ich kurz inne – immerhin ist gerade ein Kindheitstraum in Erfüllung gegangen. Nachdem ich mich wieder gefangen habe, ploppt aber gleich eine Frage auf: Wenn Topraks BMW so sensationell fährt, wie schaffen es eigentlich Ducati, Yamaha, Bimota und Kawasaki, da dranzubleiben – oder sogar mal besser zu sein? Mmmh, vielleicht kann ich ja …