Ein Motor, erst recht ein Rennmotor, braucht unter Last jede Menge Sauerstoff. Dessen Anteil ist in kühler Luft höher als in warmer, deshalb gehört es zu den schwierigen Aufgaben der Motorradkonstrukteure, die Ansaugluft effizient und mit möglichst geringer Erwärmung durch eine aufgeheizte Umgebung zu leiten. Bei heutigen Motorrädern laufen die Luftkanäle durch den Lenkkopf oder um ihn herum, sind in die Verkleidungsseiten integriert. Diese Lösung steckte Ende der 1980er-Jahre noch in schüchternen Anfängen, siehe Yamaha FZR 1000. Die Konstrukteure von Kawasaki ließen bei den Rennmotorrädern die dringend benötigte Luft von der Verkleidungsfront durch Schläuche in die Airbox strömen und erzeugten zudem bei hohen Geschwindigkeiten mithilfe eines leichten Staudrucks mehr Leistung.
Umfangreiche Änderungen bereits 1990
Das Problem dabei: Die 1988 eingeführte Superbike-WM basiert auf einer Silhouettenregel. Rennmotorräder müssen von allen Seiten den gleichen Schattenriss zeigen wie ihre Basismaschinen aus der Serie. Die Schläuche waren also auch für die käuflichen ZXR 750 unabdingbar, obwohl man sie für deren rund 100 PS nicht brauchte und auch nicht in die Airbox münden ließ. Die wenigsten – auch ich nicht – haben diese Zusammenhänge kapiert, und so erntete die erste "Staubsauger-Kawa" reichlich Spott. Ein späterer PS- und MOTORRAD-Chefredakteur ließ sich sogar etliche karikierende Fotomotive zum Thema Staubsauger und Kawasaki einfallen und hätte damit seine Karriere als Journalist um ein Haar unfreiwillig vorzeitig beendet. Was die erste ZXR 750 H1 betrifft, war auch Kawasaki selbst nicht von ihrem Potenzial überzeugt.

Schon 1990 gab es mit der H2 umfangreiche Änderungen, 1991 kam in zwei Varianten eine komplett neu konstruierte ZXR 750 auf den Markt. Mit kürzerem Hub, Ventilbetätigung über Schlepphebel, großem Kühler, bissigen Bremsen und einem ungemein steifen Fahrwerk erwies sich dieses ambitionierte Rennstreckenmotorrad als großer Wurf; für mich beginnt erst mit ihm die eigentliche ZXR-Geschichte. Leider endete diese in stiller Tragik. Für die Nachfolgerin ZX-7R waren die Fußstapfen der ZXR im Profi- wie im Amateursport viel zu groß. Nach der Ablösung 1996 nahm Werksfahrer Akira Yanagawa den damaligen PS-Sportredakteur Jürgen Gassebner zur Seite und gestand ihm hinter vorgehaltener Hand: "Old bike mo‘, mo‘, mo‘ fast." Dem ist nichts hinzuzufügen.
Modellgeschichte – H1 bis L/M
Kawasaki ZXR 750 H1 (1989)

Die Markteinführung der ZXR 750 H1 war im Jahr 1989. Kawas Schlauch-Pionier zeigte Ansätze, aber mehr auch nicht. Der von der GPX 750 abgeleitete Motor mit mittigem Nockenwellenantrieb, aber nur fünf Kurbelwellenlagern war nicht drehzahlfest genug für den Rennsport, die Kanalführung stand der nötigen Leistungssteigerung im Wege.
Kawasaki ZXR 750 H2 (1990)

Änderungen am Zylinderkopf und der Vergaserbestückung sowie ein größerer Kühler und eine steifere Schwinge waren nur eine Zwischenlösung. Längst schon arbeitete Kawasaki an einer kompletten und entwicklungsfähigen Neukonstruktion, die im Jahr darauf auf den Markt kam.
Kawasaki ZXR 750 J/K (1991)

Der rechtsseitige Nockenwellenantrieb ermöglichte mit nur fünf Hauptlagern eine steife Kurbelwelle, die Ventilbetätigung über Schlepphebel effiziente Nockenprofile. Die J kam mit 100 PS und Gleichdruckvergasern, die K mit kapriziösen Flachschiebervergasern.
Kawasaki ZXR 750 L/M ((1993)

Die erste Serien-ZXR mit echtem Ram-Air – ironischerweise ohne Schläuche. Die L mit Gleichdruckvergasern sollte ungedrosselt jetzt 122 PS leisten, der PS Prüfstand ermittelte immerhin 113 PS. Neun und sieben Kilogramm Mehrgewicht trübten die Freude über die Mehrleistung etwas.
Kawasaki ZXR 750 L/M (1996)

Als die ZX-7R mit Tassenstößel-Motor und noch kürzerem Hub schon auf dem Markt war, wurde die ZXR nur noch abverkauft. Wer sich für die Alte entschied, tat einen Glücksgriff. Leider ließen sich die PS-Tester damals von einem besonders gut vorbereiteten Exemplar der ZX-7R täuschen.
Marktsituation für gebrauchte ZXR
"Die ZXR gilt als Kamikaze-Moped und wurde leider oft auch so behandelt", unterstreicht ein bayerischer Kawasaki-Händler die Schwierigkeit, eine gebrauchte ZXR in gutem Zustand zu finden. Häufig sind es verkratzte, wild umgebaute oder auf der Rennstrecke malträtierte Maschinen. Einigermaßen brauchbare Angebote ab rund 1.500 Euro finden sich nur auf dem Privatmarkt, denn Händler übernehmen die Gewährleistung für alte, geschundene Gebrauchtmaschinen ungern. Die üblichen Laufleistungen bewegen sich zwischen 35.000 und 60.000 Kilometern. Von privat ist für 2.000 bis 2.500 Euro eine gut erhaltene, trotz des Alters immer noch sehr beliebte H oder J durchaus zu bekommen.
Rein serienmäßige Exemplare sind extrem selten und erste Sammler suchen genau das. Die RR-Version (Modell K und M) ist in einwandfreiem Zustand noch stärker gefragt und entsprechend höher gehandelt. Allerdings hat eine Entwicklung die Nachfrage nach der ZXR angekurbelt: Die FIM (Internationaler Motorradsportverband) hat das Reglement für Classic Endurance Racing geändert und der 750er-Klasse bis in die 1990er-Jahre das Prädikat "Europameisterschaft" verliehen – die ZXR passt jetzt also perfekt und kaum eine andere 750er dieser Zeit versprüht so viel Sportsgeist. Vereinzelt werden übrigens auch Umbauten mit dem 150-PS-Motor der ZX-9R angeboten
Sportliche Historie der ZXR
Lange vor der Siegesserie von Tom Sykes und Jonathan Rea auf der ZX-10R bildete die ZXR 750 die Basis für Kawasaki-Erfolge im serienbasierten Rennsport. Scott Russell war 1993 der Einzige, der es auf seiner ZXR Modell M schaffte, die Siegesserie von Ducati zu unterbrechen. Zusammen mit Aaron Slight, dem WM-Dritten, konnte er im selben Jahr auch noch das prestigeträchtige Acht-Stunden-Rennen von Suzuka gewinnen. In den beiden Jahren zuvor war schon Rob Phillis jeweils WM-Dritter geworden. In der Langstrecken-Weltmeisterschaft war die ZXR 750 zwischen 1991 und 1994 sogar für vier Titel in Folge gut.

Auch in der deutschen Pro Superbike-Serie spielte die Kawasaki ZXR 750 eine wichtige Rolle, wenngleich Andreas Hofmann 1993 die bis dahin größte Chance auf einen Titel verpasste. Der ehrgeizige Schweizer wollte nicht mit dem Rechenschieber fahren und leistete sich zwei folgenreiche Stürze. Beim Regenrennen zum Saisonabschluss in Hockenheim verspielte er durch eine falsche Boxenregie im zweiten Lauf seine Führung endgültig. Meister wurde sein Schweizer Landsmann Edwin Weibel auf Ducati. So blieb es dem Ex-Grand Prix-Piloten Jochen Schmid vorbehalten, die Meisterschaft 1995 für Kawa zu gewinnen. Beim WM-Rennen in Hockenheim gelang ihm zudem mit dem legendären "Paul" ein dritter und ein zweiter Platz.
Jochen Schmid über die Kawasaki ZXR 750
MOTORRAD: Jochen, welche Erinnerungen hast du an die ZXR 750
Schmid: Auf unsere ZXR 750, die wir Paul genannt haben, setze ich mich heute noch gerne und fühle mich sofort zu Hause. Der Motor hat richtig Druck und man spürt genau, was die Reifen machen; da kannst du in die erste Kurve reinhalten, als ob du schon 20 Runden gefahren wärst. Mit diesem Motorrad hatte ich meine größten Erfolge, deshalb ist es mir wichtig, es wenigstens einmal im Jahr zu fahren.
MOTORRAD: Nun ist der Paul ja ein von Kurt Stückle mit größter Sorgfalt aufgebautes und von euch fleißig weiterentwickeltes Rennmotorrad, aber was brachte die ZXR 750 schon in der Serienausführung mit, wie gut war die Basis?
Schmid: Bei der ZXR 750 haben Rahmen, Schwinge und Motor sehr gut harmoniert. Ihr Fahrwerk ist unglaublich stabil, verlässlich beim Reinbremsen in die Kurven und wenn die ZXR erst einmal in Schräglage ist, fährt sie im Kurveneingang richtig schnell. Beim Rausbeschleunigen entwickelt der Hinterreifen enorme Traktion. Bei raschen Schräglagenwechseln benahm sich die ZXR zwar wie ein störrischer Esel, dafür war man aber in schnellen Kurven der Chef. Der Motor war damals schon ein Schlepphebelmotor und rundum so gemacht, wie ein Rennmotor sein sollte. Das hat auch der Kurt immer gelobt. Mich fasziniert die Technik der ZXR heute noch.
MOTORRAD: Wie kamst du in die Superbike-Klasse und auf die ZXR 750?
Schmid: Bis 1993 bin ich 250er-WM gefahren, hätte aber für die 1994er-Saison mit Yamaha eine große Mitgift bringen müssen, die ich mir nicht leisten konnte. Da kam das Kawasaki-Angebot gerade recht, mit Kurt Stückle als Tuner in die Pro Superbike-Serie einzusteigen. Ich war vor der Saison ein paarmal bei ihm in der Werkstatt in Leutkirch, wir mussten uns ja erst kennenlernen. Beim ersten Vorsaisontest in Le Castellet bin ich dann zum ersten Mal ein so starkes Rennmotorrad gefahren. Das flößte mir schon Respekt ein. Dann habe ich aber schnell gemerkt, dass der Kurt recht hatte. Er gab mir den Ratschlag, reinzuhalten wie mit der 250er, das ginge schon. So war es auch.
MOTORRAD: 1995 hast du ja beim ersten Superbike-WM-Lauf in Hockenheim richtig Furore gemacht …
Schmid: Da hat einfach alles zusammengepasst. Während der 1994er-Saison waren wir ständig am Entwickeln, haben über den Winter spezielle Nockenwellen machen lassen, Ventile, Ventilfedern und Federteller aus Titan eingesetzt und als eines der wenigen Teams die vielen Möglichkeiten zur Getriebeübersetzung genutzt, die der Superbike-Kit von Kawasaki bot.
MOTORRAD: Ein riesiger Aufwand...
Schmid: Man braucht ein Team, das nach den Trainings den Motor öffnet, die Gangräder wechselt und alles wieder sauber zusammensetzt. Der Kurt hat immer gesagt: "Wenn du meinst, dass es etwas bringt, dann machen wir das." Am Ende hatten wir sogar verschiedene Primärübersetzungen in ganz feinen Abstufungen. Ein wichtiger Faktor waren auch die Federelemente. Damals hatte Kayaba in Düsseldorf einen Verkaufschef namens Myamoto, der sich ein Hobby daraus machte, bei den Rennen im japanischen Rennmonteur-Overall aufzutauchen und seine Fahrer zu betreuen. Im Winter 1994/95 brachte er uns spezielle Gabeln und Federbeine; das waren die gleichen Teile, die Suzuki für die 500er-GP-Maschinen bekam. Ein Satz ist heute noch im Paul eingebaut. Von der Bearbeitung der Teile und der Funktion her ist dieses Material unübertroffen. Das Federbein hat sogar nadelgelagerte Federauflagen, weil sich die Feder beim Komprimieren ja dreht. Es sollte alles ganz leicht, ohne Verklemmung ansprechen.
MOTORRAD: Wie viel Leistung hat denn der Paul?
Schmid: Ich schätze knapp 160 PS. Vielleicht hatte der Kurt den Motor mal auf dem Prüfstand, aber ich habe nie ein Leistungsdiagramm gesehen. Da legten wir auch keinen großen Wert drauf. Die Stoppuhr war unser Prüfstand.