Interview zur KTM-Krise mit Motorsport-Direktor Pit Beirer: "Wir sind mit Ready to race groß geworden"

Interview mit KTM Motorsport-Direktor Pit Beirer
„Wir sind mit Ready to race groß geworden“

Zuletzt aktualisiert am 08.01.2025
Wie sieht die Situation von KTM und besonders die motorsportliche Zukunft der Marke aus?

Es ist in der letzten Zeit sehr viel Unsinn publiziert worden, wie der MotoGP-Ausstieg 2026. Wir fokussieren uns jetzt voll auf die Saison 2025. Natürlich haben wir jetzt einige zusätzliche Hürden zu stemmen, um die ganze Firma aus dieser Situation zu bringen. KTM hatte einen Riesen-Etappensieg am 20. Dezember, denn nach intensiver Prüfung hat der Sanierungsverwalter eindeutig ausgesagt, dass die Firma sehr stark ist und erfolgreich weitergeführt werden kann. Das sind gute Voraussetzungen für die restliche Phase des Sanierungsverfahrens.

In der Öffentlichkeit ist aber immer vom Kostenfaktor Motorsport die Rede ...

Da sind jetzt externe Berater, die sich alles ganz genau anschauen, den Motorsport als großes Kostenfenster sehen und sagen, man könnte das Sport-Budget halbieren, dann wäre das ein großes Sparpotenzial. Dass es solche Empfehlungen gibt, ist logisch, nur würden wir das gesamte Firmen- und Geschäftsmodell der letzten 30 Jahre auf den Kopf stellen. Der Leitsatz "Ready to race" hat uns über diese 30 Jahre beflügelt und wirtschaftlichen Erfolg gebracht. Die Firma lebt "Ready to race", und das hat uns nicht nur vom Wettbewerb abgehoben, es hat uns auch besser gemacht. Der Motorsport ist das Aushängeschild Nummer 1 für die Marken. Wenn wir mit unseren Motorrädern gegen die Besten der Welt antreten, dann gilt das Motto für jedes Motorrad, das vom Kunden gefahren wird. Wir arbeiten derzeit alle Tage und Nächte daran, dass es KTM weiter genauso gibt, und dann wird der Rennsport ein wichtiger Teil der Firma bleiben. Das übergeordnete Ziel ist aber natürlich für uns alle, dass Ende Februar der Sanierungsplan endgültig angenommen wird.

Es wurde auch von Missmanagement gesprochen ...

Stefan Pierer hat über 30 Jahre viele Arbeitsplätze bei KTM geschaffen, von einst 200 auf über 6.000 in dem Konzern. Es gab genau zwei Geschäftsjahre, in denen rote Zahlen geschrieben wurden, das war nach der Welt-Finanzkrise 2008 und in 2024. Alle anderen Jahre haben wir Arbeitsplätze geschaffen und konnten mit KTM wachsen. Wir wollen all das nicht aufgeben, wir wollen es wieder reparieren. Für die Region Innviertel ist es eine große Geschichte, ob die Menschen Arbeit haben oder nicht, dazu auch unsere Lieferanten. Im Innviertel und Oberösterreich braucht man KTM. Auch wir in der Rennabteilung tragen eine große Verantwortung für unsere Mitarbeiter und für die Rennfahrer, die alle Verträge mit uns haben. Wenn KTM keine Zukunft hätte, stünden viele Fahrer in der besten Phase ihres Lebens ohne Team und Motorrad da, und ein paar Hundert Mechaniker wären ohne Arbeit. Egal in welcher Abteilung, es geht uns jetzt darum, so viele Leute wie möglich zu sichern. Momentan geht unsere gesamte Energie da rein, die Firma zu retten. Stefan Pierer, Gottfried Neumeister und ihr Team arbeiten rund um die Uhr an dieser Mission. Stefan Pierer hätte schon lange sagen können "Wir verkaufen an Investoren", aber dann sind wir nur noch Passagiere, und wir wissen nicht, wo die Arbeitsplätze in Zukunft hinwandern. Wir arbeiten daran, die Arbeitsplätze in Österreich zu sichern.

Wie wichtig ist der Motorsport für KTM?

Wir sind mit "Ready to race" groß geworden. Wir haben neue Modelle in den unterschiedlichen Motorsport-Disziplinen präsentiert, haben sie in den Handel gebracht, und so ist die Firma mit dem Wechselspiel gewachsen. Das fing mit der Rallye Dakar an, das hat im Enduro-Sport funktioniert. Die ersten Motocross-Titel haben großen Zuwachs gebracht. Mit Toni Cairoli haben wir die 350er-MX eingeführt und fünf Titel eingefahren, der Ableger war jahrelang das meistverkaufte Bike in der Firmengruppe. Bevor wir nach Amerika zum Supercross gegangen sind, hatten wir dort noch nie Geld verdient. Nach den ersten Supercross-Siegen haben wir angefangen, auf dem amerikanischen Markt zu wachsen – von nahezu null Verkäufen bis zu den Hoch-Zeiten, wo wir alleine in Nordamerika 100.000 Motorräder verkauft haben. Der nächste Meilenstein im Sport war der Einstieg in die MotoGP. Sechs Jahre später hatte sich der Umsatz bei KTM verdoppelt. Natürlich nicht nur wegen der MotoGP, aber MotoGP hat uns in Ländern bekannt gemacht, wo man die Marke KTM zuvor nicht kannte. In der MotoGP präsentieren wir die Marke KTM wie auf keiner anderen Bühne. Den Erfolg im Motorsport mit Verkaufserfolg zu verknüpfen, war und ist unser Geschäftsmodell. Jetzt geht es darum, die Firma zu stabilisieren und zu retten, damit in Mattighofen nicht die Lichter ausgehen. Wenn wir das richtig hinbekommen, werden wir auch weiterhin Motorsport brauchen. Wenn es nicht über 30 Jahre funktioniert hätte, dass man aus Sport-Erfolgen wirtschaftlichen Erfolg ableiten kann, dann gäbe es den Motorsport in der Dimension bei der Firma KTM schon lange nicht mehr.

KTM Motorsport ist eine eigenständige Firma. Wie weit kann sie autark agieren?

Die Struktur von KTM Motorsport steht schon seit 2003 mit einer Tochter in Amerika, mit Trainingswerkstätten in Belgien und in Italien, dazu die Herstellung der Bikes in Mattighofen. Wir sind der KTM AG unterstellt und agieren als eigenständige Firma. Wir können uns zum großen Teil mit Sponsoren finanzieren, aber ohne das Budget von KTM würde es in der Form nicht funktionieren. Wir haben in vielen Sportarten auch immer Wert darauf gelegt, dass unsere Marke erkennbar bleibt. Nicht nur KTM, sondern auch Husqvarna und GasGas. Deshalb gab es auch immer die Budgets von KTM, um sauber aufzutreten. Wir sind das Aushängeschild von KTM und tragen die Werte der Firma in jedem Motorsport-Auftritt vor ein Millionenpublikum. Nun haben in der aktuellen Situation auch Gespräche mit Investoren stattgefunden, die bereit sind, isoliert Geld in die Rennabteilung zu investieren. Es war erfreulich zu sehen, dass speziell die MotoGP-Zukunft mit Liberty Media auch bei Investoren Interesse weckt. Wir führen deshalb Gespräche mit dem Ziel, den passenden Partner an Bord holen, um in dieser schwierigen Phase die Budgets für KTM zu senken, ohne aus irgendwelchen Sportarten herauszugehen. Die Experten erkennen den Wert unseres Engagements. Hier finden momentan gute Gespräche statt.

Wie sieht es mit dem Entwicklungs-Budget in der MotoGP aus?

Die MotoGP-Klasse wird im Schnitt eine Sekunde pro Jahr schneller, es gibt sehr viele Strecken, wo im Qualifying zwischen den ersten 20 nur eine Sekunde liegt. Wenn wir ein Jahr stehenbleiben würden, würden wir vom zweitbesten Hersteller auf den letzten Platz zurückfallen. Bei allen extremen Sparmaßnahmen, und nicht nur in der MotoGP, haben wir versucht, das Geld, was wir haben, in das Bike zu investieren. Wir sind Motorradhersteller und stolz auf unsere Motorräder. Wenn die sich nicht weiterentwickeln, dann funktioniert auch das Geschäftsmodell, von dem wir geredet haben, nicht mehr. Weder für den Kunden noch für den Motorsport. Unsere Gelder fließen weiter in die Entwicklung der Motorräder. Das ist die Kernaufgabe der Firma. Im MSMA-Bündnis wurde im Frühjahr 2024 bereits ein Entwicklungsstopp bei den MotoGP-Motoren beschlossen. Die Motorenentwicklung wurde für 2025 und 2026 eingefroren, um nicht die Doppelentwicklung mit der Formel ab 2027 zu haben. Dafür haben Ducati und KTM an der vordersten Front gekämpft. Wir haben jetzt einen sehr starken Motor, die Weichen für die Entwicklung wurden aber bereits letztes Frühjahr gestellt. Ende Sommer kamen die ersten Teile ins Haus, bis Ende 2024 mussten die Motoren zusammengebaut sein. Als wir über das Reglement diskutiert haben, haben wir noch nicht gewusst, was auf uns zukommt, aber es ist nun sehr hilfreich, dass wir keine Gelder für neues Motorenmaterial brauchen.

Wie wird die bislang sehr breit aufgestellte Nachwuchsförderung von KTM in Zukunft aussehen?

Was den Red Bull MotoGP Rookies Cup angeht, werden wir mit unseren Industriekollegen und der Dorna reden. Jedes Jahr stehen 30 neue Rookies im Paddock, von denen können wir nie mehr als einen oder zwei in unseren Teams unterbringen. Im Endeffekt profitiert das ganze Fahrerlager von dieser Jugendarbeit. Die werden wir in Zukunft nicht mehr alleine stemmen. Wir wollen es nicht aufgeben, weil es ein genialer Baustein zum Thema MotoGP ist, aber wir müssen aufhören, die Zeche alleine zu bezahlen.

Und in der Moto3?

Wir werden uns dort reduzieren, aber unsere Kunden und Partner ordentlich mit Material beliefern. Das muss für uns eine Klasse werden, in die wir nicht mehr Millionenbeträge investieren, sondern die wir als Technik-Partner kostendeckend abwickeln. Es wird mehr und mehr zum normalen Kundengeschäft werden.

Wie steht es um die Zukunft der Marken Husqvarna und GasGas?

Der Werkssport wird sehr stark Red Bull KTM werden. Wir geben aber die Marken nicht auf, und wir werden auch gezielt Dinge weiterlaufen lassen. Unser Husqvarna-Team hat zum Beispiel den aktuellen Motocross-Weltmeister der 250er-Klasse. In der Enduro-WM haben wir genau vier Fahrer in vier verschiedenen Sportarten, und alle vier haben uns den Weltmeistertitel gebracht. Andrea Verona bleibt auf GasGas, Josep Garcia auf KTM, Billy Bolt auf Husqvarna und Manuel Lettenbichler als bester Extrem-Endurist auf KTM. Hier können wir nicht weiter ausdünnen. Eine Riesen-Ersparnis wird aber sein, dass wir nicht mehr als Hauptsponsor der Hard-Enduro-Weltmeisterschaft auftreten werden. Im Sommer haben wir bereits Einschnitte eingeleitet, aber immer nur dort, wo Verträge ausgelaufen sind. Ich kann nicht ausschließen, dass sich die Anzahl von Werksfahrern für 2026 verringern wird, aber was wir nicht aufgeben wollen, sind die Siegchancen in den verschiedenen Klassen. Die Topfahrer in den wichtigen Sportarten wollen wir uns erhalten.

Wie sieht die Planung derzeit aus?

Als es am 20. Dezember vom Gericht hieß, es geht weiter mit KTM, hatten wir Tränen in den Augen. Da war klar, dass mit dem Sanierungsverwalter auch ein Budget für den Motorsport eingeplant war. Extrem wichtig ist nun Ende Februar, ob der Sanierungsplan angenommen wird. In den letzten drei Wochen hat KTM genauso viele Motorräder verkauft wie im Vorjahr im gleichen Zeitraum, und das trotz der Nachrichten von dem Sanierungsverfahren. Der KTM-Kunde glaubt an die Marke und an die Produkte. Es passieren derzeit sehr positive Dinge, und deshalb sind wir fest davon überzeugt, dass der Sanierungsplan funktionieren wird.