Deutscher Trial-WM-Lauf in Gefrees und kein spanischer Sieger in der GP-Klasse? Aktuell unwahrscheinlich. Mit Jaime Busto segelt gar schon der nächste Überflieger an. Doch noch sitzt Toni Bou fest auf dem Trial-Thron.
Deutscher Trial-WM-Lauf in Gefrees und kein spanischer Sieger in der GP-Klasse? Aktuell unwahrscheinlich. Mit Jaime Busto segelt gar schon der nächste Überflieger an. Doch noch sitzt Toni Bou fest auf dem Trial-Thron.
Elf Uhr morgens bimmeln die sonntäglichen Kirchenglocken in Gefrees. Beinahe wie ein bestelltes Ehrengeläut für den Samstagssieger und neunfachen Weltmeister Toni Bou, der eben an seiner ersten Sektion des Tages eintrifft. Je drei Runden à zwölf Sektionen müssen die Trialer aller drei Klassen absolvieren. Die Regeln: Fahre ich fehlerfrei, habe ich eine Null, vermassle ich alles, kassiere ich eine Fünf. Dazwischen liegen ein, zwei oder drei „Strafpunkte“ für „gesetzte Füße“. So weit, so einfach. Konzentrieren wir uns also auf die Lichtgestalt dieses Sports – auf Toni Bou. Spanier, Katalane, Andorraner? Völlig egal, denn der 29-jährige Bou ist sowieso der universell einsetzbare Weltbotschafter des Trialsports.
Seit 2007 gewann er ununterbrochen jede mögliche Meisterschaft in diesem Sport. Das heißt: Neben dem, was er jährlich draußen auf Stein, Felsen und Wurzeln einfährt, gewinnt er zusätzlich im Winter die Hallentrialweltmeisterschaften auf künstlichen Riesenhindernissen. Also addieren sich zu den neun Outdoor- nochmals zehn Indoor-WM-Titel. Den von 2016 erhüpfte er sich bereits.
Die Kirchenglocken sind verstummt, in den Sektionen sägen die Motoren. Sägen ist der passende Ausdruck, denn bis auf die Montesa (Honda) geben hier, ganz klassisch „duftend und qualmend“, Zweitakter den Ton an. Beta, GasGas, Sherco, Scorpa, TRS, Vertigo – kleine europäische Hersteller gegen den Viertaktgiganten aus Japan. Eigentlich wollte die FIM die Zweitakter aus Umweltschutzgründen verbannen, hätte damit aber wohl nur die Hersteller eliminiert und ließ es wieder bleiben. Vermutlich gut so, denn die Reduktion auf das Einfache ist der Kern des Trialsports.
Während Bous edelst aufgebaute Werks-Honda – oder exakter Werks-Montesa – bereits dumpf bollert, beobachtet er seine Gegner in den Sektionen. Für Außenstehende mag er unnahbar wirken, zeigt selten Emotionen, aber die Augen verraten seine Wachsamkeit. Seit Jahren treibt er seine Gegner vor sich her. Seine Landsleute Adam Raga und Albert Cabestany, den Japaner Takahisa Fujinami oder den Briten James Dabill. Eine Fahrergeneration, die mit Bou gemeinsam altert, aber jährlich eine eigene Meisterschaft austrägt. Die hinter Toni Bou.
Nun aber Sektion frei für den Chef über Stock und Stein. Wer beim Trialfahren nur an gemütliches Rumgetuckere denkt, täuscht sich gewaltig. Vor allem an der steilen Waldsektion Nummer drei ist quasi Racing angesagt. Sogar ein Reifen-Burn-out steht hier an. Jeder Dreckkrümel soll weg, um maximalen Grip zu gewährleisten. Direkt nach der Startlinie kommt eine hohe, senkrechte Naturwand, danach geht es kurz über Waldboden zum nächsten Felsen und dann ultrasteil in ein zerklüftetes Steinfeld, das scheinbar selbst zu Fuß unpassierbar ist. Sogar die Helfer – oder hier besser Fänger – halten sich an festgeknoteten Gurten. Das Kraftpaket Toni Bou hat wie üblich den Jethelm ganz nach hinten geschoben, versenkt den Hals fast wie eine Schildkröte zwischen den Schultern, und dann gibt er Gas. Was nun folgt, ist mit bloßem Auge kaum zu erkennen.
Alle Fahrer federn ihr Motorrad extrem ein, um Sprungkraft zu gewinnen, aber Bou macht es noch extremer. Einem ersten Wippen folgt ein massives Hineinwerfen in das Motorrad. Die Knie angewinkelt, der Hintern ganz unten – um im nächsten Augenblick nach vorne oben zu schnellen und das Motorrad perfekt kontrolliert fliegen zu lassen. So erreicht Bou mit Kraft und Energie eine gewaltige Sprung-Amplitude, zu der sich die weiteren Faktoren seiner Überlegenheit hinzuaddieren. Seine zur Perfektion gereifte Fahrtechnik, Coolness, Mut und sein endloser Ehrgeiz sind die Bausteine seines Erfolgs. Gas, Kupplung, Balance, Timing, Bewegung – es ist eine Art Magie, mit der Bou durch die Sektionen zirkelt. Streiten sich andere Fahrer unentwegt mit den Punktrichtern, ob die Fahrlinie inner- oder außerhalb der Pfeile lag, legt Bou seine Linie immer zehn Zentimeter auf die sichere Seite. Den Mehraufwand an Höhe oder Schwierigkeit kompensiert er spielerisch.
Hinter dieser Dominanz steckt naturgegebenes Talent, ein perfektes Team, clevere Analyse und vor allem eins: harte Arbeit. Allein an seiner Muskulatur ist der Unterschied sichtbar. Unschlagbar ist aber auch Toni Bou nicht. Eine Schulterverletzung, die Folge eines Trainingssturzes, macht ihm aktuell Schwierigkeiten. So konnten Albert Cabestany und sein stärkster Konkurrent Adam Raga ihm in diesem Jahr schon einen Laufsieg abluchsen. In Gefrees aber holte er mal wieder Maximalpunktzahl.
Was aber geschieht nach der Ära Toni Bou? Sind es Jaime Busto und der Deutsche Franzi Kadlec, die dann möglicherweise den Ton angeben? Franzi Kadlec zeigt mit seinen gerade mal 18 Jahren tolle Ansätze. Der Europameister von 2014 bleibt im Gegensatz zu vielen anderen auf der Runde jetzt schon ruhig und gelassen, sein Talent ist unbestritten. Was ihm noch fehlt, ist die „confidence“, wie die Helfer ihren Fahrern immer zurufen. Selbstvertrauen von der ersten Sekunde an. Hellwach und mutig schon in die erste Runde. Aber das wird schon werden. Vielleicht läuten die Glocken beim nächsten Mal in Gefrees ja schon für Franzi Kadlec.