100 Jahre Desmodromik stehen 2024 im Kalender. Und da passt es gut, dass der italienische Kleinserienhersteller Borile, gegründet von Umberto Borile, mit dem Crossbow-Motor eine neue Form der Zwangssteuerung der Ventile entwickelt hat. Interessant an der Borile-Desmo: Durch den Einsatz von Schubstangen aus Titan und leichten Kugellagern sind die bewegten Massen und die Gleitreibung der Teile sehr gering. An einem Einzylinder zeigte Borile das System Mitte Januar 2024 in Italien. Der Name des Motors ist Crossbow.
100 Jahre Desmodromik
Desmodromik oder kurz Desmo wird meist mit Ducati gleichgesetzt. Und ja: Ducati ist der Hersteller, der die Desmodromik am längsten dauerhaft nutzt – allerdings erst seit Mitte der 1950er-Jahre. Bereits 1924 nutzte Richard Küchen die Desmodromik, um seinen Einzylindern zu Leistung zu verhelfen. Die Neander K 500 dürfte das bekannteste Desmo-Modell aus dieser Zeit sein. Ebenfalls ein großer Desmo-Name ist die Norton Manx. Erst 1956 hatte Ducati die Desmodromik in einer zwar sehr simplen, aber effektiven Form in den Zylinderköpfen. Und der Mercedes 300 SLR-Rennwagen von 1955 hatte einen Reihenmotor mit 8 Zylindern und Desmodromik. Wobei die ersten Patente für die Zwangssteuerung sogar von Ende des 19. Jahrhunderts stammen.
Neuer Desmo-Motor Borile Crossbow
Die Geschichte zeigt, dass die Spielarten der Desmodromik sehr vielfältig waren und sind. Einst Hauptgrund dafür waren häufiges Ventilflattern bei hohen Drehzahlen, was die Zwangssteuerung verhinderte. Allen gemein war im Grunde, dass die Nockenwelle die Öffner und die Schließer im Zylinderkopf bewegte. Und das ist einer der augenscheinlichsten Unterschiede zum neuen Borile Crossbow, bei dem die vier Nocken um den Kurbelwellenstumpf herum lagern und über ein Zahnrad angetrieben werden. Die Ventile sind fest mit einer Kippwelle verbunden, die per Schubstangen rotiert.
Interessant: Die komplette Mechanik des Borile Crossbow kommt ohne Schmierstoff aus, der Ventiltrieb muss also nicht an den Ölkreislauf des Motors angeschlossen sein. Die zentrale Lage der sehr kurzen Nockenwellen reduziert die rotierenden Massen, und der Einsatz von Kugellagern zum Übertragen der Nockendrehung auf die Schubstangen minimiert die Gleitreibung, das erhöht die Effizienz des Motors. Die Bezeichnung Crossbow scheint zur gekreuzten Stellung der Schubstangen zwischen Nocken und Ventilen zu passen.
Schubstangen im Motorrad
Apropos Schubstangen und Ventilsteuerung. Das gab es, und es wurde zeitweilig sehr erfolgreich eingesetzt. Die NSU Max mit dem 250er-Einzylinder und der Ultramax-Steuerung hatte eine obenliegende Nockenwelle, die per Schubstange von der Kurbelwelle angetrieben wurde. Von 1952 bis 1963 wurde der Ultramax-Single gut 100.000 Mal gebaut, und die ersten Pkw des Typs NSU Prinz hatten einen Twin mit Schubstange unter der Haube. Im Grunde war der Einsatz bei NSU und Borile ähnlich bedingt: Vereinfachung. Wobei NSU damals wohl Ketten als zu schwach und die Königswelle als zu teuer befand.
Teure Materialien für außergewöhnliche Technik
Borile setzt bei seinem Crossbow-Motor auf sehr hochwertige und innovative Materialien. So bestehen die Nockenräder aus einem Faserverbundstoff. Das Umlenken der Drehbewegung der Nocken erfolgt über kurze und lange Schubstangen aus Titan. Ebenfalls aus Titan besteht die Kippwelle, welche die Ventile öffnet und schließt. Die leichten Stoffe unterbauen erneut den Ansatz von Borile, den Motor effizienter arbeiten lassen zu können. Weiterhin kann das Schmiersystem des Motors auf die Kurbelwelle beschränkt bleiben, und laut Borile ist kein Ventilspielausgleich nötig. Ein weiterer Vorteil soll der geringe Bedarf an Bauraum im Zylinderkopf sein, laut Borile braucht der Crossbow-Kopf nur knapp die Hälfte der Höhe eines Kopfs mit herkömmlichem Ventiltrieb.