Auf Tourern schrumpfen die Distanzen und erweitert sich der Horizont. Doch lässt sich mit den Reisemobilen auch am alpinen Ziel der Spaß finden, der mit ihnen gesucht wurde?
Auf Tourern schrumpfen die Distanzen und erweitert sich der Horizont. Doch lässt sich mit den Reisemobilen auch am alpinen Ziel der Spaß finden, der mit ihnen gesucht wurde?
War der Weg schon das Ziel? Manchen in der Vierergruppe beschleicht ein mulmiges Gefühl, als wir in Vinadio von der Hauptverkehrsader im Sturatal in Richtung Col de la Lombarde abbiegen. Denn gleich zu Beginn winden sich die Serpentinen so eng wie ein vom Schmerz gekrümmter Regenwurm den dicht bewaldeten Hang entlang. Da hinauf? Mit bis zu sieben Zentner schweren Tourern?
Denn so viel – 345 Kilogramm, um genau zu sein – wiegt die opulenteste unter den vier Kilometerfressern: die Moto Guzzi California Touring. Also, mal nicht zu viel vornehmen. Doch das Szenario von permanent kratzenden Trittbrettern, die Masse träge nach oben schiebendem Motor und einem Fahrwerk, das nur mit viel Muskelschmalz um die Kehren zu wuchten ist, bleibt aus. Auch wenn die lässige Sitzhaltung, Trittbretter, Schaltwippe und hohe Frontscheibe American-Cruiser-Feeling vermitteln.
Doch diesen Spirit, der oft auch so manche fahrphysikalische Unzulänglichkeit verzeihen helfen soll, braucht es für die Cali kaum. Selbst in den Erster-Gang-Wenden im unteren Teil des Passes geht der V2 mit seiner gut abgestimmten Ride-by-Wire-Motorsteuerung am Kurvenscheitelpunkt geschmeidig ans Gas und drückt anschließend linear voran. Kräftig obendrein. In der Durchzugsmessung im zweiten Gang hängte die Guzzi gleich zwei ihrer drei Kolleginnen ab. Angesichts ihrer Masse lässt sie sich zudem unerwartet behände durch die Kurven bugsieren. Trotzdem: Objektiv betrachtet besitzt sie in diesem Vergleich die geringste Schräglagenfreiheit, das trägste Handling und eine Federung mit den geringsten Reserven. Weshalb sie ihren Mitstreiterinnen den Vortritt lassen muss.
Verzeihlich, denn schließlich hat sich die Cali mit der High Society des Tourer-Segments angelegt. Trotz der für verbesserten Windschutz geänderten Verkleidung kommt die Yamaha FJR 1300 auch im 2013er-Modelljahr zeitlos daher. Und wirft mit ihrem Motor gleich das dickste Pfund in den Ring. Dieser famose Reihenvierer gibt sich nicht zuletzt durch das neue Ride-by-Wire als Universaltalent. Butterweich in der Gasannahme, hervorragend beim Lastwechsel, grandios im Antritt und gewaltig in der Drehfreude. Ein Traum.
Den das Fahrwerk der FJR nicht weiterträumt. Nicht dass man nach einer in diesem Segment angesagten elektronischen Federung rufen würde. Immerhin zieht die 292 Kilogramm schwere Yamaha auf den langen Bögen des Col de Larche wie an der Schnur gezogen ihre Bahn. Doch auf den gekräuselten Rampen des Lombarde irritiert sie gehörig. Als ob ein kleiner Berggeist am Lenker zöge, lässt sich die FJR störrisch von Bodenwellen aus der Spur hebeln, fühlt sich unpräzise und unhandlich an. Und kann deshalb erstaunlicherweise – trotz formidablem Motor, einer riesigen Reichweite und komfortabler Federung – der touristischer ausgerichteten Triumph Trophy SE nicht das Wasser reichen.
Denn der wuchtig wirkenden Britin würde kein Mensch eine derartige Wuseligkeit zutrauen. Mit viel Druck auf dem Vorderrad sticht die Trophy SE zielsicher in dieKehren, lässt sich trotz ihrer Masse mit sanftem Zug von einer in die nächste schwenken und ist mit ihrer fein abgestimmten, elektronisch justierbaren Federung prima ausbalanciert. Und weil er diese Qualitäten mit dem vom Drehzahlkeller bis in höchste Regionen kultivierten und kräftigen Dreizylindermotor kombiniert, fühlt sich der Luxusliner in den Alpen so wohl wie seine Konstrukteure beim Five o’Clock Tea.
Zumindest bis beim Wenden auf den Aussichtsparkplätzen oder dem Ausparken aus der Hotelgarage die Dimensionen der Trophy wieder ins Bewusstsein rücken. Dann verlangen die stattlichen 303 Kilogramm Lebendgewicht nach bedachtem Handeln. Wer aus der Balance gerät, hat verloren – und überlegt sich vielleicht gerade in diesen Momenten, das Kontrastprogramm zu wählen.
Denn mit der BMW F 800 GT gehen die Bayern das Reisethema quasi von der gegenüberliegenden Seite an. Der Sporttourer wirkt trotz Vollverkleidung in diesem Kreis fast wie ein Minibike. Schmal, niedrig, leicht. Und setzt sich mit genau diesen Qualitäten auf der Achterbahn der Bergwelt in Szene. Vor allem der gegenüber den Verfolgerinnen mindestens 80 Kilogramm große Gewichtsvorteil lässt die 221 Kilo schwere GT in Sachen Handling in einer anderen Liga spielen. Ein zarter Schubs wirft die Bayerin von einer Schräglage in die nächste, bombensicher hält sie selbst über übelste Verwerfungen die Linie und pariert jede alpine straßenbauliche Herausforderung mit einem Achselzucken
Dieses unkomplizierte Wesen ergänzt der gemessene 94 Pferde starke Twin mit sanftem Leistungseinsatz und kurzer Übersetzung. Doch weil mit diesen Attributen sich auch jedes sportliche Naked Bike zum Alpen-Meister aufschwingen könnte, wertet erst der ordentliche Windschutz, die erstaunliche Soziustauglichkeit und nicht zuletzt der moderate Verbrauch (3,9 Liter/100 km) das Spaßmobil zum Passmobil auf. Ganz abgesehen davon ist die GT in Vollausrüstung mit knapp 12000 Euro das mit Abstand günstigste Touren-Bike. So geht das Kopf-an-Kopf-Rennen knapp zugunsten der GT aus.
BMW F 800 GT | Moto Guzzi California Touring | Triumph Trophy SE | Yamaha FJR 1300 A | |
Motor | Zweizylinder | Zweizylinder | Dreizylinder | Vierzylinder |
Hubraum | 798 cm³ | 1380 cm³ | 1215 cm³ | 1298 cm³ |
Leistung | 90 PS | 97 PS | 135 PS | 146 PS |
Drehmoment | 86 Nm | 120 Nm | 120 Nm | 138 Nm |
Gewicht | 221 kg | 345 kg | 303 kg | 292 kg |
Zuladung | 199 kg | 202 kg | 251 kg | 212 kg |
Preis | 10300 Euro | 19600 Euro | 18570 Euro | 17595 Euro |
Preis Testmotorrad | 11975 Euro* | 19600 Euro | 18670 Euro | 17595 Euro |
Testverbrauch Pässe | 3,9 l/100 km | 6,1 l/100 km | 4,9 l/100 km | 5,3 l/ 100 km |
theoretische Reichweite Pässe | 384 km | 334 km | 532 km | 469 km |
Durchzug in 2000 m über NN, 50-100 km/h | 8,6 sek | 9,8 sek | 8,8 sek | 8,5 sek |
Durchzug bergauf mit Sozius 2. Gang, 25-75 km/h | 7,0 sek | 5,2 sek | 4,7 sek | 5,6 sek |
Bremsweg bergab mit Sozius 75-25 km/h | 22,6 m | 27,3 m | 28,3 m | 25,0 m |
Plus
Minus
Plus
Minus
Plus
Minus
Plus
Minus