Das Anforderungsprofil eines Power-Tourers liest sich fast wie der viel zu lange Wunschzettel eines Grundschülers zu Weihnachten: Scheinbar Gegensätzliches wie Komfort für Fahrer und Sozius sowie Sportlichkeit und verlässliche Sicherheit - das alles natürlich zu vertretbaren Kosten. Kein leichtes Unterfangen, dem sich das Testtrio aus BMWs S 1000 XR, Kawasakis Z 1000 SX und KTMs 1290 Super Duke GT bei MOTORRAD stellen muss. Alle drei basieren auf kraftvollen Naked Bikes. Schicke Verkleidungen und weitere Features steigern ihre Tauglichkeit zum Kilometerfressen, ohne dabei den Charme ihres unverkleideten Erbguts komplett abzulegen. So zumindest der Ansatz der Hersteller. Nun geht’s an die Wahrheitsfindung.
Vibrationen an der BMW S 1000 XR
Und hier steht der Aspekt Touren-Komfort an erster Stelle. Denn ohne ein bequemes Plätzchen verliert schon die schnuckelige 50-Kilometer-Runde schnell an Reiz. Der alphabetischen Reihenfolge gemäß gebührt der BMW der Vortritt. Erstmals tritt die S 1000 XR gemäß der Euro 4-Norm zum Test an. Am fernreisetauglichen Sitzarrangement hat das Update freilich nichts geändert. Wie bisher schon hockt es sich äußerst entspannt auf dem hochbeinigen Vierzylinder. Der breite und hoch liegende Lenker ist griffgünstig positioniert. Einzig der nicht einstellbare Kupplungshebel trübt das Bild. Dank Blipper fällt das aber nur beim Anfahren ins Gewicht. Ansonsten herrscht eitel Sonnenschein.
Der Windschutz hinter der zweifach verstellbaren Scheibe schirmt den Fahrer vom Fahrtwind effektiv ab, die Kilometer fliegen nur so unter den Reifen durch. Klar, wegen des Vierers mit 999 cm³ zwischen den Alu-Rahmen-Profilen drückt es die Knie leicht auseinander, kommod bleibt es trotzdem. Auch für den Sozius: Idealer Kontakt zum Fahrer, breites und bequemes Polster, dazu optimal platzierte Griffe zum Festhalten – einer ausgedehnten Zweierbeziehung steht nichts im Wege. Auch gut: Die optionalen Koffer fassen locker einen Integralhelm, bieten am unteren Rand sogar eine extra Auflagefläche, die das per Spanngurt gesicherte Gepäck vorm Herauspurzeln beim Be- und Entladen bewahrt.
Nervpotenzial bringt der bayerische Power-Tourer dennoch mit, weil sich der gemessen 170 PS starke Antrieb ab 4.500/min mit hochfrequenten Vibrationen in den Vordergrund schiebt. Tankflanke, Griffe, Rasten: Überall zittert’s wahrnehmbar.
Knappes Platzangebot auf der Z 1000 SX
Das kennt auch die Kawasaki. Allerdings erst später, so ab 7.000 Umdrehungen vibriert sie vernehmlich. Darunter überzeugt ihr 1.043 cm³ großer und 136 PS leistender Vierzylinder mit seidenweichem Rundlauf. Wie die BMW werkelt er schon knapp über der Leerlaufdrehzahl ohne Murren, selbst im sechsten Gang. Das schafft Raum für die Konzentration auf die Landschaft, verstärkt den Tourengenuss. Fahrer und Beifahrer müssen sich beim Entdecken neuer Landstriche allerdings mit dem knappsten Platzangebot zufriedengeben. Es zwackt zwar nirgends, im Vergleich gibt es bei der Z 1000 SX aber die kompaktesten Sitzgelegenheiten. Und auch hinter der dreifach verstellbaren Scheibe geht’s luftiger zu als beim BMW-Pendant. Dafür lässt sich der Hebel der Kupplung in der Griffweite anpassen. Die Kupplung punktet zudem mit niedrigen Bedienkräften. Beim Getriebe sieht’s anders aus: Gangwechsel erfordern etwas Nachdruck, die einzelnen Zahnräder finden stellenweise nur ruppig zueinander. Die Zubehörkoffer verdienen dagegen ein Lob, fassen locker einen Integralhelm.
Kennzeichen-Geklapper auf der KTM
Fehlt noch die KTM. Die gibt sich in Sachen Sitzkomfort etwas zwiespältig. Wie von der nackten Super Duke gewohnt, fallen Platzangebot und Kniewinkel üppig aus. Allerdings stört bei Langen die harte Kante am im Vergleich zum Genspender um fünf auf 23 Liter vergrößerten Tank, die sich bis zu den integrierten Blinkern samt Kurvenlicht nach vorn durchzieht. Unter 190 Zentimeter Länge tritt das Problem aber nicht auf. Was dagegen allen Mitfahrern missfällt, ist der nicht an der Seite, sondern am Heck platzierte Haltegriff. Dauerhaft ohne Verrenkung die Fahrt zu genießen fällt schwer. Schade, denn weil die Koffer im vorderen Bereich extra Aussparungen für die Soziusbeine besitzen, reist es sich auf der KTM eigentlich gut mit. Indes, einen Integralhelm nehmen die Hartschalen-Gepäckschlucker nicht auf.
Und noch etwas trübt die Touring-Atmosphäre: der Motor. Unter 3.500/min im sechsten Gang verzichtet er auf geschmeidigen Rundlauf. Wer das missachtet, den erinnert er per peitschender Kette und Kennzeichen-Geklapper dran. In den unteren Gängen agiert der V2 auch bei tieferen Drehzahlen geschliffener. Gangwechsel im hart zu schaltenden Getriebe gelingen wegen des Schaltautomaten (kein Blipper) von unten nach oben angenehm. Aber, so viel sei schon verraten, die große Stunde der 1290er Super Duke GT kommt noch.
Wie sportlich sind die Power-Tourer?
Nämlich jetzt! Widmen wir uns dem Thema Sport. Kaum ist das kleine Wort ausgesprochen, zementiert die Super Duke mit Vehemenz, warum sie hier die Krone anstrebt. Mit kaum zu fassendem Nachdruck schiebt sie nach Überschreiten der 4.000er-Marke auf dem Drehzahlmesser in allen Gängen voran, lässt das Vorderrad wie von selbst ein ums andere Mal leicht werden. Touring ade, willkommen in der Welt der Sport-Performance. Dass der KTM-V2 mit seinen 1.301 Kubik – gut für 168 PS – nicht so hoch dreht wie die beiden Vierzylinder, ist egal. Bis ihm der Begrenzer kurz vor 10.000 Umdrehungen das Licht ausknipst, marschiert der Austria-Donnerbolzen voran wie ein gedoptes Raubtier auf der Überholspur. 137 Nm in der Spitze bei 6.800/min lassen kaum Luft zum Atmen. Bei all dem Treiben spielt das Fahrwerk fast klaglos mit. Die semiaktiven WP-Federelemente erlauben die Dämpfungsvorwahlen Komfort, Street und Sport. Und im letztgenannten Mode zaubert die Abstimmung aus der KTM einen ultrastabilen Wetzhobel, der sich vom unbarmherzigen Gaseinsatz genauso wenig wie vom spätesten Bremspunkt vor der nächsten Kehre beeindrucken lässt.
Wem’s so zu heftig ist: Bitte sehr, einfach die Vorauswahl der Dämpfung ändern. Das klappt so simpel wie die Anpassung an die Beladung, die sich ebenfalls elektronisch regeln lässt. Allerdings fliegt die KTM beim forschen Kurventanz nicht allein durch die Biegungen. Dicht folgt ihr die BMW. Und das trotz des höchsten Gewichts des Trios. Vollgetankt bringt sie 244 Kilogramm auf die Waage, die Kawasaki 236, die KTM nur 232 Doppelpfund. Ebenfalls semiaktiv gedämpft, nimmt die BMW Passstraßen im Modus Dynamik stramm unter die Räder. An die Stabilität der KTM reicht sie zwar nicht ganz heran – von der Schräglagenfreiheit ganz zu schweigen –, aber langsam ist der potente Vierer nicht unterwegs.

Was ihm beim zügigen Kehrensammeln eher ein wenig im Wege steht, ist die gemütliche, aber auch etwas passive Sitzposition. Knackiges Feedback vom Vorderrad fehlt. Dafür bewahrt sich die BMW selbst in der sportlichsten Dämpfer-Konfiguration immer einen Hauch mehr Komfort als die KTM, die auf Härte pur setzt. Unterm Strich kommen die beiden fast im Patt über die virtuelle Ziellinie am Pass. Woran neben dem Fahrwerk vor allem der Motor der BMW schuld ist. Wobei es Schuld nicht trifft. Ähnlich der KTM presst der Vierer der BMW Mensch und Maschine mit Vehemenz voran. Stachelt immer ein wenig zur nächsten Drehzahlorgie an, will bis über 12.000/min ausgezwirbelt werden. Ein Unterfangen, das die BMW nach einem kleinen Einbruch sogar noch mit einem Extra-Punch ab 6500 Umdrehungen belohnt. Über 15 Nm steigt das Drehmoment in diesem Bereich innerhalb weniger Touren an.
Fehlt noch die Kawasaki. Die bietet beim Fahrwerk zwar nicht ganz das Niveau der zwei Europäer, doch für sich betrachtet taugen ihre Federelemente sowohl für die gemütliche Bummeltour als auch für den engagierten Ritt. Allerdings kündigen schleifende Rasten am ehesten das Limit an, lenkt sie nicht ganz so handlich ein wie die anderen, haut den nächsten Haken etwas träger ins Eck. Es sind zwar stets nur wenige Punkte, aber in Summe landet die Z 1000 SX immer etwas hinter den anderen beiden. Mit ihrem herkömmlichen Fahrwerk deckt sie eine große Bandbreite an Einsatzmöglichkeiten ab, hinterlässt einen guten Eindruck, nur: BMW und KTM sind eben ein Stück weit besser.
Das trifft auch auf den Motor zu. Mit leichter Verzögerung und nicht ohne Ruck wechselt der Vierzylinder beim Kurvenritt zwischen geschlossenen und offenen Drosselklappen. Er hängt danach zwar forsch am Gas, liefert beeindruckende Beschleunigungs- und Durchzugswerte ab, kommt aber in der Realität nie ganz an die Vorstellungen von BMW und KTM heran. Was auch daran liegt, dass die mit 136 PS alles andere als leistungsschwache Kawasaki von den anderen in Sachen Power einfach überflügelt wird.
Mehr als 30 Pferdestärken weniger lassen sich nicht wegdiskutieren. Aber genau wie bei der KTM heißt es auch bei der Kawasaki: Ihr Stündlein kommt noch – garantiert.
Unterschiede beim Thema Sicherheit
Wer meint, dass mit dem spätestens seit diesem Jahr vorgeschriebenen ABS die Unterschiede nur gering ausfallen, irrt. Weshalb wir gleich die harte Probe aufs Exempel machen. Gerade unter dem Aspekt Bremswirkung, ergeben sich auch diesseits des absoluten Verzögerungslimits feine Differenzen. So greift die rechte Hand bei der BMW zu einer axialen Pumpe, während die anderen zwei auf radiale Hardware setzen. Spontan und direkt packen die Stopper der S 1000 XR schon bei leichten Zupfern zu. Allerdings lässt sich der Hebel nach mehreren forschen Stopps etwas weiter gen Lenker ziehen, ohne dass der Druckpunkt nachlässt. Die Kawasaki wartet mit einem etwas weicheren Druckpunkt auf, gut für die Dosierbarkeit, verlangt dagegen aber fürs Abrufen des vollen Bremspotenzials nach einer fest und kraftvoll zupackenden Hand. Die hat die KTM nicht nötig. Zwei Finger genügen immer, die radiale Pumpe erlaubt eine piekfeine Dosierbarkeit. Allerdings stellt sich beim harschen Ankern immer das Gefühl ein, dass mehr ginge, das System aber nicht mehr erlaubt. Ein Eindruck, den auch die Messwerte belegen.
Kosten und Verbrauch
Noch unterschiedlicher schlagen sich die Power-Tourer bei den Kosten. Die Z 1000 SX muss zwar mit 6.000er-Inspektionsintervallen öfter zur Durchsicht als der Rest (BMW alle 10.000, KTM alle 15.000 Kilometer), dafür schluckt sie aber am wenigsten Sprit. 5,1 Liter genügen für die 100-Kilometer-Tour. BMW und KTM benötigen für die gleiche Distanz 5,9 Liter Benzin. Dass die 1290 Super Duke GT trotzdem als Reichweitenkönig abschneidet, liegt einzig und allein am 23 Liter fassenden Tank. Ebenso knauserig wie beim Verbrauch gibt sich die Kawasaki beim Preis. Fast 5.500 Euro weniger als die Europäer kostet sie in der getesteten Ausführung! Ein dicker Batzen. Zwar warten die anderen zwei mit einem umfangreicheren Ausstattungspaket und elektronischen Fahrwerken auf, ein rundum gelungenes Paket bietet die Kawasaki aber allemal, weshalb sie trotz Punktrückstand als Preis-Leistungs-Tipp der drei getesteten Sporttourer durchgeht.
Testergebnis
1. KTM 1290 Super Duke GT: Die KTM sammelt richtig viele Punkte, weil sie bei allem Sportsgeist auch alltagsrelevante Aspekte wie eine große Reichweite oder geringe Inspektionskosten nicht vernachlässigt. Allerdings: Bei der ABS-Abstimmung ginge mehr, der Preis ist heftig.
2. BMW S 1000 XR: Ihr Antrieb imponiert, bietet immer und überall Kraft im Überfluss. Die BMW ist etwas weniger sportlich, dafür komfortabler als die KTM unterwegs. Nur bei der Zuladung strauchelt sie leicht – und wie die KTM ist sie sehr teuer.
3. Kawasaki Z 1000 SX: Dritter Platz – und trotzdem ist die Kawasaki ein richtig guter Power-Tourer. Obenraus fehlt ein wenig Leistung, dem Motoransprechverhalten und dem Getriebe täte etwas Feinschliff gut. Aber spätestens beim Blick aufs Preisschild ist das Lächeln da.
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