Nicht nur die Fans haben lange genug auf einen Sport-Boxer gewartet. Auch etliche BMW-Ingenieure begrüßten diesen Auftrag vehement.
Nicht nur die Fans haben lange genug auf einen Sport-Boxer gewartet. Auch etliche BMW-Ingenieure begrüßten diesen Auftrag vehement.
Manches Geheimnis des BMW-Motorradbaus lüftet sich nur zufällig. Beispielsweise erfuhr MOTORRAD erst anläßlich eines Kurztrips mit Münchener Technikern und der neuen R 1100 S, daß in der Entwicklungsabteilung Männer dominieren, die sich schon aus blankem Eigennutz für jüngere BMW-Spezifika begeistern. Die Herrschaften drehen nämlich äußerst beherzt am Gas. Tele- und Paralever kommen da grad recht, ABS sowieso. Und Leistung kann nie schaden.
Markus Poschner, Konstruktionsleiter Gesamtfahrzeug, gibt denn auch zu, mit der S seine Traum-BMW realisiert zu haben. Während des Brainstormings zu diesem Projekt vertrauten er und seine Gesinnungsgenossen auf jene BMW-Kunden, die noch immer von den S-Modellen des alten Zweiventil-Boxers schwärmen. Beinahe-Sportler mit Allround-Appeal, neben denen eine R 1100 RS beinahe schon pummelig wirkt. Im Jahr 199(5) erkannte auch das Marketing Chancen für derlei Gerät, die Trimm-Kur konnte beginnen. Unter Berücksichtigung geltender sowie zu erwartender Lärm- und Abgaswerte sollte der Vierventil-Boxer an seinen Leistungszenit geführt und das Gewicht bei 230 Kilogramm eingefroren werden. Schon diese Tops des Lastenheftes belegen, daß jene BMW-Fraktion, die fast fundamentalistisch von einem Motorrad alles verlangt, einmal mehr überstimmt werden konnte. Der letztjährig eingeführte Cruiser zielt ja ebenfalls in eine verkaufsträchtige Nische. Mit der S, so ließ Entwicklungschef Wolfgang Dürrheimer durchblicken, sei nun aber Schluß: »Sechs Boxer-Reihen - die RS wird nämlich weitergebaut - sind genug.«
Sportlicher als die RS, aber kein Supersportler. Eine gedrungene Sitzposition, direkte Rückmeldung vom Vorderrad, spontanes Handling: VFR und dann auch VTR von Honda lagen stets im Visier der Entwickler. Zum Glück für BMW rangieren beide um 100 PS, besagter Leistungszenit reicht also aus. »Mehr als 98 PS sind mit vertretbarem Aufwand nicht herauszuholen«, erklärt der Boxer-Baureihenverantwortliche, Benno Brandlhuber. »Wir mußten schon jetzt ein- und auslaßseitig viel Aufwand treiben.«
Dazu zählt beispielsweise ein flexibler Schlauch, der die Luft vom Ram Air-Maul der Verkleidung zu den Drosselklappen führt. Er wurde so ausgelegt, daß keine Resonanzschwingungen entstehen, läßt sich natürlich obendrein leicht verlegen. Ram Air übrigens favorisierten die Techniker wegen der kühleren Verbrennungsluft, nicht wegen des leistungsmäßig nahezu irrelevanten Staudrucks. Eine aus der K 1200 RS übernommene, allerdings auf den Boxer gemodelte Bosch Motronic MA 2.4 steuert die Gemisch-Zusammensetzung, der Ventiltrieb blieb bis auf dünnere Ventilschäfte unangetastet.
Weil man dem Motor schon einmal zu Leibe rückte, wurde gleich noch dessen Entlüftung renoviert - wegen der lebhaften Pulsationen des Boxers bislang problematisch und nun für alle Typen gelöst. Ebenfalls neu für alle BMW-Twins: Die Pumpe saugt das Öl über doppelte Ansaugführungen an. Daraus sowie aus dem gegenüber der RS vergrößerten Ölkühler mag geschlossen werden, daß die Operation Leistungszenit auch an die thermischen Grenzen des luft-/ölgekühlten Boxers führte.
Freilich verblassen all diese Maßnahmen gegen den Aufwand und die Schmerzen, mit denen die Gewichtskur einherging. Im einzelnen: Der Auspuff wiegt trotz zusätzlichen Interferenzrohres zwischen den Krümmern nur zwölf Kilogramm. Zylinderkopfdeckel aus Magnesium sparen 800 Gramm, am Telelever wurden 1,5 Kilo abgeknappst. Der Alu-Tank muß sich mit 18 Liter Volumen bescheiden, die Kupplung wird über eine sehr dünne Leitung angesteuert. Einige Gramm bringt der Kohlefaser-Kotflügel überm Vorderrad, insgesamt zwei Kilo eine kleinere Batterie und eine weniger leistungsstarke Lichtmaschine.
Doch just da begann ein Teufelskreis: ABS nämlich braucht Strom, und das nicht zu knapp. Eben deshalb fällt das Mehrgewicht bei dieser äußerst beliebten und empfehlenswerten BMW-Option diesmal höher aus als gewohnt. Wer ABS will, kriegt auch eine dicke Batterie und eine kräftige Lima. Wer ein Ergonomie-Paket will, der kriegt diesmal - gar nichts. Verstellbare Rasten und Lenkerhälften wiegen zuviel, und deshalb gibts nur die Wahl zwischen unter oder oberhalb der Gabelbrücke montiertem Lenker.
Wie ein roter Faden zieht sich die Grammfuchserei durch die Entstehung der S. Gateway heißen BMW-intern jene Genehmigungsrunden, bei denen am Ende jeder Entwicklungsphase geprüft wird, ob alle Ziel noch im Visier liegen. Und erst an einem dieser Gateways wurden der R 1100 S ihr Vorderradkotflügel sowie Spar-Lima plus Batterie verpaßt.
Von vornherein klar war dagegen, daß dieser Beinahe-Sportler das Sechsganggetriebe der K 1200 RS verwenden sollte. Woraus logisch ein veränderter Rahmen resultierte (siehe MOTORRAD 15/1998), denn anders als die Fünfgang-Box kann ersteres nicht die Schwingenlagerung übernehmen. Während bei der RS Heckausleger sowie Vorderbau direkt am Motor anlenken, wölbt sich nun also eine Leichtmetallkonstruktion über das Triebwerk, welches nur noch mittragende Funktion hat. Natürlich bringt dieser Rahmen mehr Gewicht, andererseits wiegt die neue Schaltbox deutlich weniger als die alte. Gleichstand also.
Am 5. Mai bereits startete der Serienanlauf - mit zusätzlichen Bearbeitungsplätzen in Berlin, weil die Boxer-Reihe eh schon boomt. Vorangegangen war eine ausführliche Erprobung, zu deren gutem Schluß drei Motorräder aus der Serie 100000 Kilometer absolvieren mußten. Keine besonderen Vorkommnisse. Daran hatten sich die Entwickler fast schon gewöhnt, denn auch in der sogenannten Felderprobung, bei welcher vom Kundendienst ausgewählte Piloten Erfahrungen sammeln, ernteten sie ein rundum positives Feedback. Sogar auf der Rennstrecke konnte ihr Proband, der 55 Prozent seines Gewichts auf die Vorderhand konzentriert, durchaus gefallen. Alles easy?
Ganz zum Schluß plaudert Benno Brandlhuber doch noch aus dem Nähkästchen: Die Hitzeabstrahlung der à la Ducati in den Bürzel verlegten Endrohre habe man lange unterschätzt, jetzt jedoch Abhilfe gefunden.Wäre ja auch allzu peinlich gewesen.
Design als Herausforderung: der BMW-Boxer im Sportgewand
Schon beim Vorläufer der R 1100 S hatten David Robb und sein Design-Team die Finger im Spiel: Mit der vielbeachteten Sportler-Studie, die 1994 den IFMA-Stand von BMW schmückte (siehe MOTORRAD 23/1994), startete der neue Boxer seine erste sportive Gratwanderung. Gleichzeitig animierte sie Marketing-Leute und Techniker, noch intensiver über einen flotten Zweizylinder nachzudenken. Erstere entdeckten dabei ein beachtliches Potential, hoffen mittlerweile gar auf 30 Prozent Käufer von anderen Marken. Letztere markierten Eckdaten, die Robb tatsächlich ein bis dato ungewohntes Aufgabenfeld eröffneten: So sportlich war, mal abgesehen von Schorsch Meiers TT-Renner, wohl noch keine BMW.Woraus zwingend eine Design-Linie folgen mußte, mit der die gesamte Motorradszene angesprochen werden kann und die gleichzeitig als Aushängeschild für BMW taugt. »Aus jeder Perspektive BMW«, präzisiert Rob, »erwachsen, aber deutlich athletischer als die RS.« Um die beinahe geduckte, zum Sprung bereite Grundhaltung zu realisieren, verlegten die Designer den optischen Schwerpunkt weit nach vorn. Überhöhten ihn noch dadurch, daß die Verkleidung in ihrem hinteren Bereich recht massig ausfällt. »So konnten wir gleichzeitig einen erstaunlich guten Wetterschutz realisieren«, betont Robb. Im Heckbereich der S herrscht dagegen die unendliche Leichtigkeit: Wohl selten gestattete eine BMW so offene Durchblicke. Sogar der Schlitz in der Abdeckung des Soziusplatzes ist bewußt plaziert, »weil wir keinen massiven Höcker-Eindruck wollten«. Unter dem kleinen Plastikhäubchen läßt sich übrigens ein Rucksack verbergen, in Gestalt und Farbe hübsch aufs Bike abgestimmt. Selbstredend wird sich auch der Fahrer als wandelndes S-Accessoire verkleiden können - passende Helme und Kombis sind bereits in Arbeit.Zurück zur S: Eine echte Vespentaille verbindet massigen Vorbau und filigranes Heck. Horizontal verläuft eine Trennung zwischen Technik unten und Karosse oben. Ein Motorrad der Gegensätze. Und eines, das von vorn bis hinten technische Kompetenz und Wertigkeit signalisieren soll, vom Verstellknopf für die vordere Dämpfung bis hin zu den Sozius-Haltegriffen. »Sie sollen wirken wie ein technisches Detail«, sagt David Robb, »und nicht wie ein rein funktionaler Anbausatz.