Fahrbericht Honda VTR 1000

Fahrbericht Honda VTR 1000 Zeitverschiebung

Japan ist Deutschland acht Stunden voraus, Honda ist Suzuki vier Wochen hinterher - zumindest, wenn es um die erste Fahrpräsentation der neuen Zweizylinder geht.

Schuld an der Verspätung sind mal wieder die Amerikaner. Die wollten nämlich, laut Honda, ein supersportliches Motorrad mit Vollverkleidung und rennsporttauglicher Technik. Die europäischen Vertreter dagegen bestanden auf einem eher gemäßigten Konzept, das die breiter Masse der Motorradfahrer erreichen sollte. Letztendlich konnte sich die europäische Fraktion durchsetzen und bekam, was sie wollte: einen gemäßigten Sportler mit alltagstauglichen Manieren.
Angesichts der unerwarteten Suzuki-Konkurrenz ist die dadurch entstandene, fast einjährige Verzögerung um so ärgerlicher, da bereits 1992 - als bei Suzuki noch kräftig am Lastenheft der TL 1000 S getrickt wurde - der erste, bildschöne VR 980 Prototyp auf Basis der Hawk 650 erfolgreich seine Runden auf dem Honda-Testgelände in Tochigi drehte. Und genau auf diesem Testgelände, rund 100 Kilometer nördlich von Tokio gelegen, bietet sich jetzt einer Abordnung europäischer Journalisten die Möglichkeit, erste Fahreindrücke mit der neuen VTR 1000 zu sammeln.
Die Technik, die sich hinter dem knapp geschnittenen Plastikleid der ersten, offiziell vom Band gelaufenen Maschinen verbirgt, ist eher schlicht. Kein unnötiger Schnickschnak, so lautete schließlich eine der Entwicklungsvorgaben. Wie auch Suzuki baut Honda auf einen 90-Grad-Vau mit 98 Millimeter Bohrung. Beatmet wird dieser 110 PS starke Twin allerdings von zwei konventionellen Vergasern mit einem Durchlaß von 48 Millimetern. Auf ein Ram-air-System wurde verzichtet.
Fahrwerkstechnisch ist bis auf den extrem kurzen Aluminiumrahmen, der die Aufgabe der Schwingenführung dem Motorgehäuse überläßt, ebenfalls nichts Aufregendes zu entdecken. Lediglich die beiden ungewöhnlich platzierten Kühler ziehen noch etwas Aufmerksamkeit auf sich. Ansonsten wirkt die neue VTR 1000 - verglichen mit der TL 1000 S - eher schlicht und unauffällig.
Auch die ersten Meter auf einem engen, verschlungenen Handlingkurs sind von diesem unspektakulären Eindruck geprägt. Die Ergonomie ist ausgezeichnet und erlaubt eine sehr entspannte Haltung. Ganz Honda, sitzt auch bei der VTR bis auf den Chokeknopf an der linken unteren Rahmenstrebe jeder Hebel und Schalter genau da, wo er hingehört. Alles geht wie selbstverständlich von der Hand, und der nagelneue Vau-Zwei brummelt vor sich hin wie ein alter englischer Buttler, der noch nie etwas anderes getan hat.
Schiebt eine Suzuki TL 1000 erst ab 2000/min ruckfrei aus dem Keller heraus, kommt die Honda schon bei 1500/min. Nahezu vibrationsfrei und mit einer fast schon zu harmlosen akustischen Untermalung bewegt sich die Drehzahlmessernadel dann gleichmäßig über das weiße Zifferblatt. Die sechs Gänge flutschen nur so in ihre Rastungen, und auch die hydraulische Kupplung arbeitet tadellos. Vom Biß einer Ducati 916 ist allerdings nicht viel zu spüren, obwohl interne Messungen der Honda-Ingenieure das VTR-Aggregat in Sachen Durchzug klar im Vorteil zeigen. Aber keine Angst, auch ohne den letzten Biß hat der 996 Kubikzentimeter große Vierventiler genug Bums, das Vorderrad beim bloßen Beschleunigen im ersten Gang vom Boden zu lösen. Nach reichlichen Versuchen haben sich nämlich die Honda-Ingenieure aus Handlinggründen auf eine Einbaulage des Motors geeinigt, die das Gesamtgewicht der trocken 192 Kilogramm wiegenden VTR, zu nur 47 Prozent auf das Vorder- und 53 Prozent auf das Hinterrad verteilt.
Nicht ganz so souverän reagiert der Vau-zwo dagegen beim feinen Gasdosieren in den langgezogenen Kurven, die fast alle im zweiten Gang gefahren werden. Hier sprechen die bislang größten von Honda jemals verbauten und mit speziellen Flachschiebern ausgestatteten Gleichdruckvergaser nicht ganz so sanft an, wie das die Einspritzanlage der Suzuki vorgemacht hat. Der Übergang von Schiebebetrieb in Lastzustand geht nicht ganz ruckfrei vonstatten, was sich vor allem in extremer Schräglage negativ bemerkbar macht. Für solche Extremsituationen ist die neue VTR laut Honda allerdings auch nicht gemacht. Denn obwohl die Dunlop D 204-Bereifung bei zügigem Tempo nur mäßige Haftung bietet, setzt in Rechtskurven schon mal der vordere Krümmer auf.
Dieses Ärgernis geht hauptsächlich auf die viel zu weich abgestimmte Telegabel zurück. Leider bietet sich keine Möglichkeit, auf die Druckstufendämpfung Einfluß zu nehmen, und so sackt die sehr feinfühlig ansprechende Frontpartie schon beim Gaswegnehmen in sich zusammen. Ein leichter Zug am Bremshebel genügt dann, um noch die letzten Federwegsreserven zu vernichten und die Gabel auf ihren Endanschlag zu zwingen.
Dieser schränkt nicht nur die Bodenfreiheit ein, sondern führt auch zu Problemen beim Einlenken in die engen Kehren des Honda-eigenen Handlingskurses. Nur unwillig läßt sich die ansonsten agile VTR auf der ebenfalls unspektakulär arbeitenden Vorderbremse in Schräglage zwingen und vermittelt dabei immer das ungute Gefühl, als wolle sie über das Vorderrad zur Kurvenaußenseite schieben. Sobald sich die Fuhre aber wieder unter Zug befindet, bereiten schnelle Schräglagenwechsel dann keinerlei Probleme mehr.
Die Hinterhand macht einen besseren Eindruck, obgleich auch hier das verbaute Federbein alles andere als Hightech signalisiert. Der billige Dämpfer mit Stahlgehäuse arbeitet ohne Ausgleichsbehälter und läßt ebenfals eine Druckstufeneinstellung vermissen. Auch er ist sehr komfortabel abgestimmt, ohne dabei so früh an seine Grenzen zu stoßen wie die Gabel. Wenn aber erst die fummelige Höckerabdeckung entfernt und ein Sozius hinzugepackt wird, dürfte auch er überfordert sein.
Um sich von den Qualitäten der VTR auch im Hochgeschwindigkeitsbereich zu überzeugen, stand ein Oval mit überhöhten Kurven à la Daytona zur Verfügung. Tacho 250 donnert die VTR zielgenau und ohne zu wackeln durch die Steilwände. Lediglich bei Fremdanregung auf den langen Geraden gerät sie leicht ins Schlingern, um sich aber schnell von allein wieder zu stabilisieren. Erstaunlich ist bei dieser gnadenlosen Vollgasprüfung bei knapp 9500/min, wie vibrationsarm und mechanisch leise der Motor seine Arbeit dabei verrichtet.
Bleibt festzustellen, daß die neue Honda zwar eine Bereicherung der Zweizylinder-Klasse ist, ihr erster Auftritt aber leider im Schatten der Suzuki TL 1000 S steht. Man darf also gespannt sein, ob die Honda im direkten Vergleich einer TL trotz ihrer recht unspektakulären Art Paroli bieten kann.

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