Der die Moto Guzzi Stelvio PFF begleitende Pressetext weiß neben der üblichen Marketing-Prosa auch davon zu berichten, dass man das Getriebe des "Compact Block" genannten Antriebs überarbeitet habe, um "Schaltvorgänge noch weicher und sanfter zu gestalten". Selten lagen Wunsch und Wirklichkeit weiter auseinander.
Denn der durch Mark und Bein gehende Schaltschlag, den diese 2024er-Moto Guzzi Stelvio PFF beim Einlegen des ersten Gangs von sich gibt, lässt sogar altgediente Harley-Fahrer zusammenzucken. Diese deshalb, weil sich sämtliche bislang vom Autor gefahrenen Mandellos und Stelvios in dieser Beziehung unauffällig verhielten. Und nach gut 4.500 Kilometern, die das Testbike am Ende auf der Uhr stehen hatte, darf der Einfahrvorgang als abgeschlossen gelten. Vermutlich hat die Redaktion wieder einmal einen dieser "bedauerlichen Einzelfälle" erwischt. Verbuchen wir das Ganze halt erst mal unter "Charakter".
Moto Guzzi Stelvio PFF mit Quickshifter und Blipper
Wie dem auch sei, in den Gängen eins bis drei sind geräuschlose Gangwechsel diesseits der 4.000/min eher die Ausnahme, darüber passt es dann. Die Stufen vier bis sechs agieren dagegen fast schon japanisch präzise und lautlos. Die nicht besonders leichtgängige Kupplung mit einstellbarem Hebel und Radialpumpe braucht es nur zum Anfahren, darüber hinaus übernehmen Quickshifter und Blipper den Job. Wobei hier, wie immer, gilt: Für geschmeidiges Arbeiten braucht es ein Mindestmaß an Last und Drehzahl, also ab 3.500/min aufwärts, sonst klonkt es.
Generell arbeitet die Schaltbox in der Moto Guzzi Stelvio PFF mit recht langen Wegen und mäßiger Präzision. Aus Leerlauf lässt sich im Stand nur der erste Gang einlegen, direkt im zweiten losfahren verhindert eine Sperre. Grundsätzlich akzeptiert die Stelvio PFF den Sechsten bereits ab 60 km/h, ohne zu murren, was rund 2.500/min entspricht. Bärigen Durchzug darf man dann zwar nicht erwarten, dafür bleibt aber auch das lästige Hacken, wie man es von großen Einzelhubräumen bei niedrigen Drehzahlen kennt, aus.
Blind-Spot-Assistent, elektrisch verstellbares Windschild
Turbinenartige Laufkultur ist die Sache des V2 auch nicht, er läuft recht rau und schickt unter Last durchaus spürbare, aber noch nicht nervige Vibrationen in Tank und Sitzbank. Ab etwa 7.000/min lassen diese wieder etwas nach und bei 9.500/min macht der Begrenzer sanft, aber bestimmt das Licht aus. Im Schiebebetrieb spratzelt und sprotzelt es dezent aus dem Auspuff. Ein wenig Guzziness ist der Stelvio also geblieben. Als zivilisierter Motorradler bewegt man sich außerhalb der Test- und Messfahrten üblicherweise deutlich diesseits der 6.000er-Marke. Auch aus Liebe zum Lappen. Die Verbrauchsrunde schafft sie mit selbst errechneten 4,9 Litern, der Bordcomputer kommt auf 5,1. Auch bei den Test- und Messfahrten bleibt der Verbrauch unter 6,5 Litern.
Der elektrisch um 70 mm verstellbare Windschild sorgt zumindest für Fahrer bis 1,90 m Größe für angenehme Ruhe und ein in Zwei-km/h-Schritten justierbarer Tempomat für eine gewisse Teilautonomie auf der Moto Guzzi Stelvio PFF. Nähert sich von hinten ein schnellerer Verkehrsteilnehmer, zeigt der Blind-Spot-Assistent als Teil des PFF(Piaggio Fast Forward)-Pakets diesen als gelben Punkt im jeweiligen Rückspiegel an. Nachts blenden diese aber heftig, weshalb man das System dann besser deaktiviert.
Dafür gibt es nach vorn bei der Moto Guzzi Stelvio PFF eine großflächige, zwar etwas fleckige, dafür blendfreie Erleuchtung inklusive Kurvenlicht. Rückt man selbst dem Vordermann zu sehr auf die Pelle, wird dies zunächst durch ein eher unscheinbares Symbol im TFT-Cockpit angezeigt. Fährt man weiter, blinkt es im Cockpit aufgeregt rot, zusätzlich ertönt ein Warnton. Selbstständiges Eingreifen der Bremse ist aber derzeit noch nicht an Bord, genauso wenig wie ein adaptiver Tempomat.
Frei veränderbare Mappings Sport, Road, Tour, Rain und Offroad
Womit wir bei der Elektronik der Moto Guzzi Stelvio PFF wären. Die sich über ein leider nicht hinterleuchtetes Schalterkreuz nach kurzer Eingewöhnung intuitiv und zielgerichtet bedienen bzw. konfigurieren lässt. Wie heutzutage üblich, lässt sich auch bei der Moto Guzzi Stelvio PFF einiges feintunen. Wobei die angebotenen (und frei veränderbaren) Mappings Sport, Road, Tour, Rain und Offroad jeweils nur eine andere Kombination der zwei Varianten des ABS, drei des Ansprechverhaltens und vier
plus Off der Traktionskontrolle sind. Wobei auch das zackigste Ansprechverhalten (Eins) noch gemäßigter zu Werke geht als Road bei anderen Herstellern.Um alle möglichen Kombinationen in der Praxis durchzuspielen, braucht es Zeit und Geduld, die Abkürzung lautet: Alles lassen, wie es ist! Für eilige Solisten ist Sport der Modus der Wahl, zu zweit macht Road die Sache rund. Fertig. Offroad erklärt sich von selbst, hier ist das ABS hinten aus. Beim Wenden on the road zu bleiben ist dank großem Lenkeinschlag kein Problem, hier ist eher die Armlänge des Fahrers der limitierende Faktor.
Moto Guzzi Stelvio mit straff abgestimmtem Federbein
Ein Kritikpunkt betrifft das direkt montierte hintere Federbein der Moto Guzzi Stelvio PFF. Es ist sehr straff abgestimmt und spricht im Gegensatz zur USD-Gabel auf kleinere Unebenheiten nur widerwillig an. Das war bei der Mandello auch schon so und lässt sich wohl damit erklären, dass der erfreulich reaktionsarme Kardan eben nach straffer Führung verlangt. Wenn das Tempo anzieht oder ein Sozius den angenehm bequemen Platz einnimmt, hören die Klagen auf. Vorne entstehen die gar nicht erst, die Gabel macht ihre Sache gut, und der bequeme, aber recht dünn gepolsterte Sitzplatz ist in der für diese Kategorie Motorrad eher niedrigen und fixen Höhe von 840 mm montiert. Der ohne die Lenkergewichte gemessene 800 mm breite Lenker reckt sich dem Fahrer sehr hoch und weit entgegen, was zu einer sehr aufrechten und touristischen und für manchen Fahrdynamiker schon als zu passiv wahrgenommenen Sitzposition führt. Auch das Gefühl fürs Vorderrad leidet darunter ein wenig.
Solide Leistung im Top-Test Parcours
Dessen ungeachtet liefert die Moto Guzzi Stelvio PFF auf dem Top-Test-Parcours solide ab. Man darf auch nicht vergessen, dass wir es hier nicht mit einem Sportler, sondern mit einem Reisemotorrad zu tun haben. Dessen ungeachtet stürzt sie auch im echten Leben mit einer nicht nur angesichts ihrer Leibesfülle (256 kg vollgetankt) erfreulichen Agilität ins Winkelwerk. Das Einlenken geht auch auf der Bremse leicht und mit nur geringem Aufstellmoment vonstatten. Dem vorgegebenen Radius folgt sie willig, ebenso eventuell notwendigen Kurskorrekturen. Den ersten Preis für die satteste Straßenlage bekommt sie aber nicht. Geschenkt. So ist man schon nach kurzer Zeit sehr zügig und sehr schräg unterwegs und wenn die stählernen, gezackten Fußrasten mit den leicht demontierbaren Gummiauflagen über den Asphalt raspeln, sollte man es dabei belassen.
Moto Guzzi Stelvio: neigt zu Stoppies
Auch die Bremse überrascht. Positiv. Sie fühlt sich zwar nicht übermäßig knackig an und benötigt auch durchaus Handkraft, packt dann aber kräftig zu. Bremswege von 40 Metern und weniger im ABS-Modus I sind top, aber da wird die Moto Guzzi Stelvio PFF arg unruhig und neigt am Ende zu Stoppies. Im weniger scharfen Modus II hingegen liegt sie besonders auf unebenem Untergrund deutlich satter und stabiler. Besonders Nichtprofis fühlen sich damit wohler und letztendlich sicherer. Abgesehen vom Hauptständer, der nach Ansicht des Autors zwingend an ein Reisemotorrad gehört, fehlt es der Stelvio an nichts Wesentlichem. Das Cockpit informiert umfangreich inklusive Außentemperatur und Connectivity. Winkelventile erleichtern die Luftdruck-Kontrolle, der schwarze Ölmessstab hingegen erschwert den Check des Ölstands. Im Motorgehäuse ist zwar schon der Anguss für ein Schauglas vorgesehen, wahrscheinlich hatten wieder einmal die Controller das letzte Wort.
Die Moto Guzzi Stelvio PFF-Version für 17.498 Euro
Womit wir zu den Zahlen kommen. Die getestete PFF-Version kostet stramme 17.498 Euro, was sicherlich preiswert, aber eben nicht günstig ist. Wer auf das Front- und Heckradar sowie den Spurwechselkollisionswarner verzichten kann, spart mit der Standard-Stelvio satte 800 Euro. Dank langer 12.000er-Service-Intervalle und günstiger Inspektionskosten belasten beide das Budget nicht übermäßig.
Ist die Moto Guzzi Stelvio PFF nun also das Gelbe vom Ei? Punktemäßig ist sie jedenfalls dicht dran an der Konkurrenz, für einen Testsieg müsste man aber noch rund 25 Punkte finden. Sicherlich nicht einfach, aber auch nicht unmöglich. Die Stelvio befindet sich ja erst am Anfang ihrer Karriere. Die größten Baustellen sind das Getriebe und die Hinterradfederung. Definitiv einzigartig ist ihr Antriebskonzept mit Kardanantrieb. Den gibt es außer bei der kleinen Schwester V85 TT sonst nur noch bei den Oberklasse-Dickschiffen aus München bzw. Hinckley. Und die sind nochmals deutlich teurer.