Weil nur das Bessere des Guten Feind ist, scheint auch Hondas VFR 750, dieser beinahe geniale Kompromiß aus Allrounder, moderatem Sportler und soziustauglichem Tourer, endlich einen Gegner zu haben. Die neue VFR.
Weil nur das Bessere des Guten Feind ist, scheint auch Hondas VFR 750, dieser beinahe geniale Kompromiß aus Allrounder, moderatem Sportler und soziustauglichem Tourer, endlich einen Gegner zu haben. Die neue VFR.
Es war gewiß nicht von Anfang an geplant. Und 1986, als die VFR zur allgemeinen Freude auf die Motorradwelt kam, waren 105 PS in der offenen Version ja auch eine Menge Holz. Doch schon wenige Jahre später hatte sie sich - ganz von allein, ohne jede Retusche - mit dem Leben jenseits sportlicher Ambitionen eingerichtet und erfreut seither all jene, die auf ein glückliches Ganzes mehr Wert legen als auf Hundertstelsekunden.
Ausgewogenheit als Passion, Solidität als Dauerbegleiter, entlang dieser Leitlinien machte die VFR ihre Fahrer mit zu den zufriedensten Honda-Kunden. Und obwohl ein echter Konkurrent im Segment der hochpreisigen Allrounder kaum auszumachen ist, unternimmt Honda mit dem komplett neuen Modell einen überaus engagierten Versuch, diese Leute bei der Stange zu halten. Die Zahl der Interessenten womöglich noch zu steigern: Rund 2000 VFR 750 wurden 1997 zugelassen, für das kommende Jahr bestellt Honda Deutschland gleich einmal satte 1000 Einheiten zusätzlich.
Ein Viertel davon, so berichten Händler, dürfte an alte VFR-Kunden gehen. Die wissen, was sie wollen, und verlassen sich darauf, daß trotz aller Neuheiten an Motor, Fahrwerk, Bremsen und Drumherum der Charakter unverändert blieb. Und alle anderen? Bekommen ein äußerst attraktives Bike, das sich für den deutschen Markt endlich auch dank geregelten Katalysators empfiehlt. Leider stand diese auf 98 PS reduzierte Version beim ersten Fahrtermin nicht bereit, sondern ausschließlich die hierzulande offiziell nicht angebotene 106-PS-Variante. Deren Motor protzt in allen Drehzahlbereichen mit spürbar mehr Kraft, sprich Drehmoment. Ab 3500 bis 4000 Touren ist Musik drin, zieht der wassergekühlte V4 sauber und ruckfrei an, ab 6000/min bis in den roten Bereich bei 11800/min fackelt er dann ein wunderbar gleichmäßiges und - auch an anderen 750ern gemessen - souveränes Feuer ab. Explodiert nirgends, wie es die Hypersportler dieser Welt tun, aber schiebt mächtig voran, legt auch bei Tempo 200 noch satt zu.
Richtig begeistern kann der um 43 Kubikzentimeter aufgestockte Motor auf Landstraßen, wenn er es ganz dem Fahrer überläßt, ob der nun im dritten oder vierten Gang des präzisen, leicht schaltbaren Getriebes flott unterwegs sein möchte. Lastwechselreaktionen stören dabei ebensowenig wie Schluckauf beim Gasaufreißen. Kurz: Die neue Einspritzung arbeitet nahezu perfekt, überrascht vielleicht den einen oder anderen, weil sie so spontan reagiert. Das ist gut so, zumal die Gasbefehle wohldosiert werden können, und deshalb werden sich letztlich alle daran gewöhnen.
Wenig Gewöhnung verlangt die schon seit der CBR 1000 CBS bekannte Kombi-Bremse, jene segensreiche Erfindung, bei der die Handbremse je zwei der drei Kolben in den Zangen der Doppelscheibenbremse vorn aktiviert. Der drehbar gelagerte linke Sattel betätigt über einen Bremszylinder am Gabelholm einen Kolben hinten. Der Fuß setzt je einen Kolben vorn und zwei hinten in Marsch. Allerdings passiert dadurch bei normalem Druck kaum mehr als bei einer konventionellen Hinterradbremse, und auch die mit dem Handbremshebel erzielbaren Ergebnisse überzeugen nicht ganz: Zwar reicht die Wirkung durchaus, aber der Druckpunkt sollte sich deutlicher outen. Vor allem bei sportlicher Fahrweise - und auch dafür soll eine VFR ja herhalten - erschwert das teigige Gefühl am Hebel punktgenaues Anbremsen. Die CBR 1100 XX übrigens verrichtet diese Übung mit Bravour.
Schon eher zu verstehen, wenn Honda den Komfort möglichst hochschraubt und deshalb eine Gabel verbaut, die angenehm weich anspricht, aber eben beim harten Anbremsen auch recht tief eintaucht. Dann kann es jenseits des zugedachten Einsatzzwecks passieren, daß die Dämpfung extrem verhärtet und über Wellen leicht stuckert. Wer rasant durch Kurven fliegt, wird auch bemerken, daß die VFR beim harten Herausbeschleunigen recht weit aus den Federn kommt und dann beim Umlegen ins nächste Eck etwas Lenkpräzision einbüßt.
Die freilich gehört im normalen Leben - und das zu versüßen, tritt diese Honda an - zum Allerfeinsten. Sehr leicht und präzise läßt sich das trocken immerhin 208 Kilogramm schwere Motorrad in Kurven hineindirigieren, und selbst auf holprigen Straßen verliert es auch in großer Schräglage nie die Linie. Daran dürfte die Serienbereifung, der BT 57 von Bridgestone, einen großen Anteil haben.
Bei sehr hohen Geschwindigkeiten pendelte die Präsentationsmaschine ganz leicht und harmlos um die Lenkachse. Tiefergehende Erkenntnisse bleiben selbstverständlich einem Test vorbehalten, zumal während der Vorstellung nur ein kurzes, obendrein ziemlich schlechtes Stück Autobahn zur Verfügung stand. Ein gleichermaßen vorläufiges Urteil noch zur neu geschnittenen Verkleidung: Sie bietet deutlich besseren Windschutz als alle Supersportler, nimmt ihren Besitzer auch bei hohen Geschwindigkeiten gut in Schutz. Lediglich kleinere Fahrer stören leichte Verwirbelungen an Kopf und Schultern. Die Sitzposition dagegen findet ungeteiltes Lob, taugt wie gehabt für tagelange Touren ebenso wie für engagierte Sprints. Die Instrumente liegen gut im Blickfeld, zumindest bei wolkenverhangenem Himmel informiert das neue Checkpannel klar und deutlich über Benzinstand, Wasser- oder Außentemperatur, Uhrzeit, Tages- und Gesamtkilometerzahl.
Obs auch bei Sonne funktioniert, ließ sich leider nicht ergründen. Andererseits reichten schon wenige Stunden, davon zwei bei ekligem Regen, um auch der neuen VFR eine glänzende Zukunft zu prophezeien. Denn anders als andere japanische Hersteller, die ihre Allrounder meist aus veralteten Supersportlern ableiten, bietet Honda ein eigenständiges Modell mit durchdachter Konstruktion und gediegener Fertigungsqualität. Einen Alleskönner, der jetzt dank Kat sogar im Revier von BMW wildern könnte.
Seit die japanischen Konkurrenten ebenso schöne und potente Reihenvierzylinder in die Welt setzen wie Honda, versucht sich der Weltmarktführer am V-Vierzylinder. Längst mit großem Erfolg, und spätestens die vor elf Jahren präsentierte VFR 750 darf als echter Meilenstein gelten: potent, zivilisiert und außerordentlich robust.Gleichzeitig sportelt der 90-Grad-V-Vierzylinder schon seit RC 30-Zeiten ziemlich siegreich über die Superbike-Strecken dieser Welt, nicht zuletzt die mit enormem Engagement betriebene Entwicklung des aktuellen Renners RC 45 bezeugt, daß diesem Motorkonzept im Hause Honda die Rolle des Technologie-Trägers zukommt. Und so sonnen sich im Glanze des soeben gewonnenen WM-Titels nicht nur John Kocinski und die Sportabteilung, sondern unter allen Honda-Fahrern ganz besonders jene, die schon immer wußten, daß ihre VFR etwas Besonderes ist.Dieser verwöhnten Klientel war Honda nach sieben Jahren technologischer Stagnation und drei Jahren Design-Stillstands einiges schuldig - und trägt einen Großteil der Schuld schon dadurch ab, daß fortan wie bei der RC 45 eine Einspritzanlage das Gemisch aufbereitet. Das System wurde gegenüber dem Rennbike etwas vereinfacht und trägt maßgeblich dazu bei, daß die Drehmomentkurve um satte zehn Prozent angehoben werden konnte. Die Einspritzung erlaubt - endlich auch in einer Honda - den Einsatz eines geregelten Katalysators.Durch eine um zwei auf 72 Millimeter angewachsene Bohrung erhöhte sich der Hubraum trotz leicht reduzierten Hubs von 748 auf 781 Millimeter. Da der Zahnradantrieb der insgesamt vier obenliegenden Nockenwellen seinen zentralen Platz zwischen den linken und rechten Zylindern räumen mußte und auf die rechte Motorseite wanderte, kann die zwischen den Zylinderpaaren um 180 Grad gekröpfte Kurbelwelle auf eines von bisher zwei Mittellagern verzichten. Der neue Motor baut also noch etwas schmaler als der alte.Die zierlichen Slipper-Kolben hasten in sogenannten Metall-Composite-Zylinderlaufbüchsen auf und ab, auf Deutsch: aus gesintertem Aluminiumpulver und mit Keramik und Graphit beschichteten Büchsen. Neben weniger Reibung liegt der Vorteil im geringen Gewicht: insgesamt zwei Kilogramm weniger als Graugußbüchsen.Die dank engerer Ventilwinkel (26 Grad) sehr kompakten Brennräume werden nach dem Fallstrom-Prinzip beatmet, die Ansaugluft beziehen sie aus einem Filter mit zwei Einlaßkanälen. Allerdings öffnet der zweite Kanal via Elektromagnet erst dann, wenn bei hohen Drehzahlen oder Geschwindigkeiten wirklich Luftnot herrscht. Der zweigeteilte Wasserkühler liegt wie bei VTR 1000 links und rechts schräg neben dem Motor. Weil die unterschiedlichen Druckverhältnisse vor und hinter der Verkleidung geschickt genutzt werden, ist die Durchströmung noch besser als bei konventioneller Anordnung. Außerdem kann der Motor im Interesse kompakter Bauweise enger an das Vorderrad rücken, und schließlich vereinfacht sich der Zugang zum vorderen Zylinderkopf.Außerdem muß der Motor bei der neuen VFR richtig mittragen: Sein Gehäuse fällt im hinteren Bereich deutlich stabiler aus, weil es die bekannte Einarmschwinge nunmehr direkt aufnimmt. Auch die Delta-Link-Hebelei des Mono-Federbeins stützt sich direkt am Motor ab, und so konnte der eigentliche Rahmen, eine Brückenkonstruktion aus Alu-Profilen, um 3,5 Kilogramm abgespeckt werden.Während viele VFR-Fans auf den 180er Hintereifen wohl verzichten könnten, darf das Dual-CBS-System, bei dem die beiden vorderen und die hintere Dreikolben-Bremszangen gemeinsam aktiviert werden, uneingeschränkt als sinnvoller Fortschritt begrüßt werden. Desgleichen die beiden Freiflächen-Scheinwerfer in der Front der windschlüpfrigeren Verkleidung. Summa summarum bleibt eigentlich nur zu hoffen, daß alles so wunderbar lange und problemlos hält wie bei der alten VFR.