Acht Jahre zurückgeblättert: 2006 stellten sich noch fünf Sporttourer dem MOTORRAD-Vergleichstest. Maschinen, die für viel Fahrspaß plus bequeme Anreise ins Zielgebiet standen, Sozia und Gepäck inklusive. Die aber auch bei Rennstreckentrainings Laune machten. Sowohl-als-auch-Motorräder, die nicht extrem waren, nur extrem vielseitig: gute Tourentauglichkeit und hohe Alltagskompetenz, gepaart mit flotten Fahrleistungen und sportlichen Fahreigenschaften.
Klingt simpel, ist aber eine echte Herausforderung. Für ein Leben zwischen R1 und RT, zwischen Supersport und Luxus-Touring – Sporttourer können rasant plus Urlaub zu zweit, die heutigen Spezialisten dagegen nur noch eines von beiden. Dabei haben die Generalisten eine lange Tradition hinter sich: Bereits vor 80 Jahren, im Jahr 1934, bewarb NSU sein „Tourensport“-Modell 501-OSL. Und auch die sportlichen Superbikes der 70er- und 80er-Jahre bis hin zu den Zweiradlegenden CB 750 Four und Kawasaki Z 900 konnten noch Alltag, Gepäck und große Reise. Ein supersportlicher Spezialist muss da zwangsläufig passen.
Sitzposition muss für lange Etappen taugen
Wo die Vielseitigkeit herkommt? Nun, ein Sporttourer darf nicht zu schwer sein und muss mit flotten Fahrleistungen verwöhnen – so ab 90 PS sollten es schon sein. Kein Problem, denn viele Motoren stammen ursprünglich aus Sportlern, wurden in Leistung und Maximaldrehzahl gezähmt, was hohe Haltbarkeit verspricht. Sinnlich anzufassende Lenkerstummel und leicht zurückverlegte Fußrasten stehen für ein sportives Fahrgefühl. Trotzdem muss die Sitzposition für Fahrer und Sozius auch für lange Etappen taugen. Am besten mit dick gepolsterter Sitzbank, entlastend wirkendem leichten Zug an der Wirbelsäule und dennoch nicht zu viel Gewicht auf den Handgelenken. Echt lässig eben.
Für Sport und Touring gleichermaßen stehen schnittig-schlanke und doch gut abschirmende Halb- oder Vollverkleidungen. Für volle Tourentauglichkeit stehen zudem vernünftig große Tanks, ordentliche Zuladung und Möglichkeiten, seine sieben Sachen mitzunehmen (Koffer, Gepäckbrücken). Topspeedstabile und dabei doch schluckfreudige bis komfortable Fahrwerke schließlich machen den Spagat erst komplett: agil und stabil. Erst das Zusammenspiel vieler Kriterien macht einen echten Sporttourer aus. Daher ist eben nicht jeder „Allrounder“ auch einer. Wer zu behäbig ist, zu fett oder zu lahm, gehört nicht dazu. Naked Bikes fallen ebenso raus wie Maschinen mit groben Fahrwerksschwächen.
Sporttourer damals Topseller und Trendsetter
Völlig aufrechte Fahrerhaltung ist ebenfalls fast ein K.-o.-Kriterium. Zu radikal wiederum sollte ein Sporttourer auch nicht sein. Suzuki Hayabusa und Kawasaki ZZR 1400 bringen zwar richtige Ansätze mit, bilden aber als Speedbikes schon wieder eine eigene Nische. Sporttourer im hier umrissenen, engeren Verständnis waren vor nicht allzu langer Zeit noch Topseller und Trendsetter. Dazu ein Beispiel: Ab dem Jahr 1986 begründete die fulminante VFR 750 F dieses Segment in Reinkultur. Alle vier Jahre schob Honda eine gründlich überarbeitete oder gar komplett neue VFR nach. Noch heute gelten RC36 der Baujahre 1990 bis 1998 zum Besten, was der Gebrauchtmarkt an universalen Youngtimern zu bieten hat. In zwölf Jahren fanden die 750er-VFRs allein in Europa über 88.000 Käufer, davon 20.000 in Deutschland. Doch seit 2002 kam Honda bei Modellzyklen und Neuverkäufen aus dem Tritt. In der aktuellen VFR 800 F sitzt ein in seinen Grundzügen 14 Jahre alter Motor. Und die große 1200er-Schwester hat zwar einen pflegeleichten Kardan und geht fürwahr rasant ab. Doch hoher Verbrauch, geringere Reichweite und kleine Koffer sind Schwachpunkte. „Weder noch“ statt „Sowohl als auch?“
BMWs erster Vierventil-Serienboxer feierte 1993 noch in einem Sporttourer Premiere, der R 1100 RS: Telelever, G-Kat, Einspritzung – der Bayern-Bomber war ein echter Technologieträger. Doch die modellgepflegte 1150er konnte ab 2001 nicht mehr an die ersten Verkaufserfolge anknüpfen. Da war die R 1200 ST ab 2006 konsequenter, ein richtig gutes Motorrad. Doch ihr hässliches Design, die Front erinnert an Moulinex-Küchenmaschinen, killte konsequent gleich das ganze Segment der BMW-Boxer. Nicht schön oder übertrieben futuristisch konnten andere auch. Aprilia etwa, erst mit der SL 1000 Falco, später dann in Form der RST 1000 Futura.
Triumph Sprint RS und Sprint ST floppten
Ducatis ST2- und ST4-Modelle gewannen auch nicht eben Designpreise. Zumal die Ducatista dem Werk seinen touristischen Versuch im Wortsinne nicht abnahmen. Schade, denn mit verstellbaren Lenkerstummeln wie Schalldämpfern und Koffern ab Werk waren sie ab 1997 Ducati-untypisch vielseitig. Heute gibt es sie günstig gebraucht, viel billiger als die Ducati-Sportler mit gleichem V2. Mit der Einstellung der ST3 hat Ducati gar einen seiner besten und geschmeidigsten Motoren überhaupt sang- und klanglos beerdigt, den Dreiventiler niemals in ein anderes Modell hinübergerettet. Schade.
Triumph leistete sich ab dem Jahr 2000 gar den Luxus, einen sportlicheren und einen touristischeren Sporttourer anzubieten. Doch sowohl die halbverkleidete Sprint RS als auch die vollverschalte Sprint ST floppten letztlich. Wirtschaftliche Misserfolge wie diese reduzierten das Angebot an Sporttourern. Sportive Alleskönner kommen unter die Räder. Dies hat vielfältige Ursachen. Zum einen ist die wichtigste Altersgruppe unter Motorradfahrern die zwischen Mitte 40 und Mitte 50. Da hat man’s gern mal bequemer.
GS, Adventure & Co. mauserten sich zu wahren Alleskönnern
Als echter Killer der Sporttourer gelten insofern insbesondere die großen Reiseenduros neuester Generation: Häufig mit mehr als 100, ja bis zu 150 PS taugen sie für dynamisch-flotte Ritte selbst über übelst zerfurchte Straßen. „Trans-Sport“ können sie noch besser als die Sporttourer, bieten besseren Sitz- und Federungskomfort. GS, Adventure & Co. mauserten sich zu den wahren Alleskönnern, sind auf der Hausstrecke schwer zu schlagen und im Urlaub eine Wucht. Souveränes Fahrfeeling hinter breiten Lenkern bei aufrecht erhabener Sitzhaltung. Nicht umsonst ist bei BMW heute die Reiseenduro der Technologie-Vorreiter unter den Boxern. Bei Ducati wurde erst die Multistrada 1200 zu einem echten Erfolg unter den Generalisten.
Hinzu kommt ein weiterer Trend: der zum Zweit- und Drittmotorrad. Viele Motorradfahrer sind mittlerweile Besitzer von zwei oder mehr verschiedenen Maschinen. Diese dürfen dann gern mal hoch spezialisiert sein. Ein Sportler für die Rennstrecke plus Zweitmaschine ganz nach Gusto.
Viele haben also gar nicht mehr so sehr den Bedarf an dem einen Motorrad für alles. Zudem sanken die Jahresfahrleistungen stark. Bei oftmals nur 2000 oder 3000 Kilometern im Jahr kann einem der Sitzkomfort ziemlich egal sein. Nur eine Minderheit fährt heute noch mit Sozia, Sack und Pack über Tausende Kilometer in den Urlaub. Geht’s auf Langstrecke, parken Motorräder viel häufiger als früher im Transporter oder auf dem Auto-Anhänger. Dies hält auf eintöniger Autobahn-Anreise die Reifen rund und die Laune hoch. Eine ganze Servicebranche lebt vom Bike-Shuttle. Dann lässt es sich auch mit (Power-)Naked Bikes oder Supersportlern entspannt auf Alpentour gehen oder durch die Pyrenäen pflügen. Vielleicht sprechen sich die Vorteile von Sporttourern ja noch einmal herum: sinnlich und doch vernünftig zu sein! Auf Autobahnen pfeilen sie besser als Reiseenduros, auf Landstraßen sind sie sportlicher als Top-Tourer. Fahrspaß mit Komfort und Dynamik ist – gut gemacht – kein fauler Kompromiss, sondern fast die Quadratur des Kreises.
Was kennzeichnet einen Sporttourer?

Gepäckunterbringung: Zuschnitt von Heck und Auspuff müssen Packtaschen oder feste Koffer (oft ab Werk) erlauben, häufig Gepäckhaken/Brücke vorhanden; tourentaugliche Zuladung.
Sitzbank: Schön dick gepolstert und komfortabel zugeschnitten – auch für den Sozius.
Tank: Groß genug für mittlere bis große Reichweiten.
Lenker: Meist Stummel (teilweise verstellbar) für moderat sportliche, leicht nach vorn gebeugte Sitzhaltung.
Verkleidung: Halb- oder Vollverschalung mit gutem Windschutz, von vorn eher schlank geschnitten, gute Rücksicht in den Spiegeln.
Fußrasten: Für den Fahrer moderat hoch und zurückversetzt für gute Schräglagenfreiheit bei noch bequemer Anordnung; für den Sozius mit genügend Abstand zur Sitzbank.
Motor: Mindestens zwei Zylinder, geschmeidig und drehfreudig, ausreichend stark für flotte Fahrleistungen.
Fahrwerk: Spurstabil auf der Autobahn mit dennoch schluckfreudigen, nicht zu straff abgestimmten Federelementen.
Bremsen: Kräftig, aber nicht zu giftig, mit ausreichend Reserven für volle Beladung.
Kommentar





Warum Sporttourer anmachen
Sie wuchs mir während des bravourös überstandenen Dauertests sehr ans Herz, die Triumph Sprint ST 1050. Weil wir zusammen viel erlebt haben. Wie die Reise 2006 mit Sozia durchs Motorradparadies Korsika. Oder die unvergessliche Tour in die Ukraine, bis zum Unglücksreaktor in Tschernobyl. All das zeigt, dass der Name „Sporttourer“ auch im zweiten Teil Programm war: Zwei Personen und Gepäck ging doch. Zugegeben, so etwas kann ein Top-Tourer à la RT oder FJR noch besser. Aber mit denen hätte das Rennstreckentraining vom MOTORRAD action team auf der Nürburgring-Nordschleife bestimmt nicht so viel Laune gemacht. „Sport“ ging nämlich auch. Klar, nicht wie bei einer R1 oder Fireblade. Logisch, bei 125 PS und 260 Kilogramm, Hauptständer und Koffer-Träger inklusive. Aber genau dies war ja der Reiz, mit nur einem Motorrad alle Möglichkeiten zu haben. Deswegen habe ich die absolut alltagstaugliche und sinnliche Sprint ST nach Dauertest-Ende gekauft. Just am kommenden Wochenende geht es mit ihr auf Langstrecke und dann für ein paar Runden nach Hockenheim. Ich freu mich drauf!
Schon im Jahr 2000 war ich mit einer Triumph Sprint RS im dreiwöchigen Campingurlaub mit Freundin in Schweden. Schade also, dass Hersteller und Kunden die Sporttourer mittlerweile links liegen lassen: Der touristischer ausgelegte Nachfolger Triumph Sprint GT, Ducatis ST-Reihe und BMWs RS/ST – alle sang- und klanglos eingestellt. Ob Hoffnung naht? Zur Saison 2015 rechnet man wieder mit einem BMW-Sporttourer auf Boxer-Basis.