BMW hat seinen Monstertourer renoviert. Mehr Leistung. Mehr Sicherheit. Noch mehr Luxus. Und nahezu spielerisch soll er sich führen lassen, der Acht-Zentner-Brocken. MOTORRAD bat zum Tanz.
BMW hat seinen Monstertourer renoviert. Mehr Leistung. Mehr Sicherheit. Noch mehr Luxus. Und nahezu spielerisch soll er sich führen lassen, der Acht-Zentner-Brocken. MOTORRAD bat zum Tanz.
Eine zentrale Frage drängt sich auf, wenn man die K 1200 LT in natura sichtet. Wenn man demutsschwanger, fassungslos oder auch amüsiert vor ihr steht und dieses zweirädrige Monumentalepos auf sich wirken lässt. Ist das »dynamische Jonglieren« dieses Giganten noch als
Motorradfahren zu bezeichnen?
Zumindest im Stand nicht. Denn
wir reden über sonderausgestattete 392 Kilogramm. Über einen relativ hohen Schwerpunkt, der durch die Beladung von Topcase, den integrierten Koffern oder bei
Gepäckbefestigung auf der Topcase-Reling noch ungünstiger ausfällt. Wir reden über die gewaltige Kluft von 1,31 Meter zwischen der Aufstandsfläche des Vorderrads und den Enden des Lenkers. Eine Skulptur, mit der jeder afrikanische Antilopenbock das Balzritual für sich entscheiden könnte. Gottlob haben die Techniker ihn plastilin verschalt. Kurzum: Wir reden über die
Mutter der Unhandlichkeit. Zumindest beim Rangieren.
Um der Kundschaft die berechtigte Angst vor dem Saurier zu nehmen, haben die BMW-Dompteure ihm ein paar Dressurkunststücke beigebracht. Eine über den Anlasser betriebene Rückfahrhilfe unterstützt Aus- und Einparkaktionen sowie Wendemanöver. Neu ist der elektrohy-
draulische Hauptständer. Mühelos liftet
der Aufbock-Heinzelmann die Fuhre per Knopfdruck auf das gut versteckte Stahlgerüst (siehe Grafik Seite 53). Und das
bis zum zulässigen Gesamtgewicht von sage und schreibe 600 Kilogramm. Einfach anhalten, sitzen bleiben, Knöpfchen drücken. Eine kurze Liftfahrt. Selbstinsze-
nierung par excellence. Dumm nur, wenn der Untergrund uneben ist. Der Brocken ins Kippen kommt und die Maschine samt Passagiere in die Tiefe geht. Doch keine Panik. Auf ungewollten Bodenkontakt ist die dicke Bayerin bestens vorbereitet. Zwei gut versteckte Sturzbügel fangen
das Ungetüm ab. Nicht mal die Spiegel, in denen man übrigens außerordentlich gute Sicht genießt, verkratzen beim Umfaller.
Um sicheren Stand zu garantieren, kann zusätzlich eine beidseitige Bodenbeleuchtung aktiviert werden, die den Untergrund erhellt. Ideal zum Überprüfen des Stiefeldrecks sowie zum Aufspüren von Pfützen oder Geröll. Abbocken erfordert nach wie vor Muskelschmalz oder energisches Wippen. Und für Kleingewachsene hält der 2004er-Jahrgang ein besonderes Schmankerl bereit. Die Sitzbank ist nach neuesten Wohlfühlerkenntnissen geformt, in der Sitzhöhe in weniger als zehn Sekunden zweifach einstellbar und im vorderen Bereich schmaler.
Dadurch sollen auch Kurzbeinige
sicheren Stand auf dem Boden finden. Die freundliche BMW-Pressemappe empfiehlt die LT für Personen ab einer Körpergröße von 1,69 Meter. MOTORRAD gibt sich verhalten euphorisch. 1,75 sind besser. Garantiert.
Also gut. Wir haben die »repräsentative Erscheinung« (bayerische Presseprosa) den Niederungen der Parkbucht entrissen und widmen uns ganz ihrem
Daseinssinn. Gelassen rollt der 0,6-Tonner dem Horizont entgegen. Die oftmals
kritisierte Taumelbewegung beim Langsamfahren ist verschwunden. Als Grund hierfür nennt der Hersteller einen um
15 Millimeter verlängerten Nachlauf. Spätestens wenn der Kahn Fahrt aufnimmt, passierts. Rangierabenteuer verblassen. Ängste verschwinden. Respekt trollt sich. Eine Woge allumfassender Zufriedenheit durchflutet den Körper. Da wärmt die Sitzheizung. Schützen kleine Windflossen in Verbindung mit einer stufenlos per Knopfdruck verstellbaren, gigantischen Scheibe vor fiesen Fahrtwind-Attacken und Regen. Schmeichelt sich ein wunderbarer Sound aus den vier Stereo-Boxen ins Gehör. Und führt ein gut ablesbares, GPS-unterstütztes Navigationssystem ans Ziel der Träume. Kein Witz: Das Sofa der LT macht aus
jedem Günther Prenz einen Graf Protz.
Berechtigterweise wird sich mancher fragen, was das mit Biken zu tun haben soll. Gemach. Die LT ist dynamischer,
als sie signalisiert. Stichwort Sumo-Ringer. Alles klar? 40 Grad Schräglagenfreiheit
garantieren Kurvenabenteuer. Und die 1200er enttäuscht nicht. Folgt trotz vermuteter Zeitverzögerung beim Lenken (Antilopen-Lenker) zielgenau der angepeilten Linie, schwenkt auf den Metzeler Marathon harmonisch von einer Schräglage in die nächste und gibt sich selbst
bei etwas sportlicherem Touren souverän. Blendend verzögert vom verlässlichen, ABS-bewehrten, elektrisch verstärkten Verbundbremssystem. Komfortabel gefedert durch die Bremsnick-unempfindliche Vorderradführung und ein Federbein mit
wegabhängiger Dämpfung (WAD). Obwohl der Koloss bei Geschwindigkeiten jenseits von 180 km/h immer noch leicht pendelt, er durch ganz enge Kehren mit der recht
teigigen Kupplung per Fingerspitzenge-fühl balanciert werden muss und beim Überfahren von harten Kanten das Gefühl
entsteht, der Kardanstrang würde irgendwie auskeilen, schwebt der Fahrer immer auf Wolke sieben.
Und die kann er auch diszipliniert
beschleunigen. Größere Drosselklappen, geänderte Steuerzeiten sowie ein überarbeitetes Motormanagement erhöhen die Leistungsausbeute von ehemals 98 auf 116 PS und türmen das maximale
Drehmoment von 115 auf 120 Nm. Diese
Steigerungen gegenüber dem Vorgängermodell sind allerdings nur im letzten Drehzahldrittel spürbar, zwischen 6000 und 8500/min. In einem Bereich also, über den touristisch engagierte Piloten nur die Nase rümpfen. Trotzdem: Wer zügig überholen will, muss runterschalten. Wie gut, dass sich das neue, geräuschärmere Getriebe leichter betätigen lässt. 210 km/h Spitze sind drin. Die vernünftige Reisegeschwindigkeit liegt jedoch eher zwischen 130
bis 160 km/h. Da pendelt dann nichts, der Fahrtwind ist Legende, und der Verbrauch hält sich in in Grenzen. Mit 5,9 Litern bei konstant 130 km/h und 5,3 Litern auf der Landstraße verbraucht die LT geringfügig mehr als ihre Vorgängerin. Die Reichweite liegt bei ordentlichen 434 Kilometern. Und die können gern auch am Stück kommen. Nicht nur wegen dem Einparken.
Motor: wassergekühlter Vierzylinder-Viertakt-Reihenmotor, Kurbelwelle längs liegend, eine Ausgleichswelle, zwei oben liegende, kettengetriebene Nockenwellen, vier Ventile pro Zylinder, Tassenstößel, Nasssumpfschmierung, Einspritzung, Ø 36 mm, geregelter Katalysator, Lichtmaschine 840 W, Batterie 12 V/19 Ah, hydraulisch betätigte Einscheiben-Trockenkupplung, Fünfganggetriebe, Kardan.
Bohrung x Hub 70,5 x 75,0 mm
Hubraum 1171 cm3
Verdichtungsverhältnis 10,8:1
Nennleistung 85 kW (116 PS) bei 8000/min
Max. Drehmoment 120 Nm bei 5250/min
Schadstoffwerte (Homologation) in g/km
CO 0,446 / HC 0,099 / NOx 0,017
Fahrwerk: Brückenrahmen aus Aluminium, längslenkergeführte Telegabel, Ø 35 mm, Einarmschwinge aus Aluminium, ein
Federbein, verstellbare Federbasis, Doppelscheibenbremse vorn, Ø 320 mm, Vierkolben-Festsättel, Scheibenbremse hinten,
Ø 285 mm, Zweikolben-Festsattel, vollintegrales Verbundbremssystem mit ABS und Bremskraftverstärker.
Alu-Gussräder 3.50 x 17; 5.00 x 17
Reifen 120/70 ZR 17; 160/60 ZR 17
Bereifung im Test
Metzeler ME 880 Marathon
Maße und Gewichte: Radstand 1627 mm, Lenkkopfwinkel 63 Grad, Nachlauf 117 mm, Federweg v/h 102/130 mm, Sitzhöhe* 800 mm, Gewicht vollgetankt* 392 kg, Zuladung* 208 kg, Tankinhalt 23 Liter.
Garantie zwei Jahre
Farben Grau-, Blau-, Gelbmetallic
Preis 19950 Euro
Preis Testmotorrad** 21765 Euro
Nebenkosten 262 Euro
Fahrleistungen
Höchstgeschwindigkeit1 210 km/h
Beschleunigung
0100 km/h 4,8 sek
0140 km/h 8,1 sek
0200 km/h 20,9 sek
Durchzug
60100 km/h 6,3 sek
100140 km/h 7,0 sek
140180 km/h 9,3 sek
Tachometerabweichung
effektiv (Anzeige 50/100) 49/99 km/h
Verbrauch im Test
bei 100 km/h 4,6 l/100 km
bei 130 km/h 5,9 l/100 km
Landstraße 5,3 l/100 km
Kraftstoffart Super
Führerscheinneuling Volker Elsässer, 20, und die K 1200 LT
MOTORRAD hat mich eingeladen, an meinem ersten Tag nach Erhalt des offenen Führerscheins ein leistungsstarkes Bike zu fahren. GSX-R oder so, hab ich gedacht. Mit der K 1200 LT habe ich nicht gerechnet. Respekt ist völlig untertrieben. Zittrige Knie, Flugzeuge im Bauch. Ausparkängste. Auf den ersten Metern dann die gnadenlose Überraschung. Sie fährt sich
viel lässiger als gedacht. Und all die elektrischen Helferlein. Gigantisch. Bremsen, Pfadfinden, sogar rückwärts fahren. Eigentlich unverständlich, dass man noch selbst schalten muss. Ein Automatikgetriebe, womöglich mit Tiptronic-Funktion, würde hervorragend ins Konzept passen. Sehr entspannt, gefühlsmäßig weit weg vom Alltag und Fahrtwind gleitet sie durchs Land. Jeder Meter Urlaub. Am Besten mit Sozia. Bei dieser Möbelgarnitur gilt die LT trotz Hüftspeck ohne weiteres als Frauenschwarm. Denn sie ist Star auf der städtischen Showmeile. Während andere mit bestialischem Sound Aufmerksamkeit erregen, genügt der BMW ein leises Surren. Wie von Geisterhand verstellt sich die Scheibe, ungemein wichtig leuchtet das GPS. Allein ihre wuchtige Erscheinung fokussiert. In Anlehnung daran könnte das Auspuffgrummeln ruhig selbstbewusster ausfallen. Wie gesagt: Fahren prima, Show-off optimal, Handhabung extrem gewöhnungsbedürftig.
Magazin-
Redakteur Michael Orth über die wahren Vorzüge des EHKS
Die neue K 1200 LT, so haben es die Damen und Herren Werbetexter von BMW geschrieben, trage einen »mit Luxus in die Freiheit«. Sie werde »höchsten Ansprüchen an souveränes Fahren« gerecht. Das stimmt natürlich. Aber es stimmt doch nur zur Hälfte! Denn irgendwann kommt man ja an in der Freiheit und will sich dort vielleicht ein bisschen die Füße vertreten oder muss nach langer, luxuriöser Fahrt einfach nur mal auf die Toilette. Ja und dann? Dann kommt man halt nicht umhin, seine LT, zulässiges Gesamtgewicht: 600 Kilogramm, abzustellen.
So konnte es bislang passieren, dass einem
alle Souveränität schlagartig flöten ging. Jetzt nicht mehr. Wo die eigenen Kräfte versagen, hilft
ab sofort EHKS, das »elektrohydraulische Kippständersystem« der K 1200 LT: »Das Motorrad kann selbst unter voller Zuladung mit Sozius im Sitzen auf Knopfdruck automatisch aufgebockt werden.« So werden sich die LT-Piloten künftig also den Ständer elektrohydraulisch ausfahren lassen können.
Absehbar, dass es da wieder welche gibt, die
sich darüber lustig machen werden. Aber: Über so was zu lachen wäre dumm. So dumm, wie es immer ist, über Leute zu lachen, die sich helfen lassen, weil sie sich ihre Schwäche eingestehen können. Denn dazu muss man mental stark sein. Womöglich stärker als die, die es vielleicht ohne Unterstützung schaffen, dieses Motorrad auf den Hauptständer zu ziehen. Mit EHKS diese Stärke in jedem einzelnen LT-Kunden in Serie zu fördern kann BMW gar nicht hoch genug angerechnet werden. Eine Innovation von immenser Tragweite. Denn mehr noch als die Zweiradtechnik bringt das System die zutiefst menschliche Erkenntnis von der eigenen Beschränktheit voran. Wenn auch nur unter LT-Fahrern.