Power is nothing without control. Zu Deutsch: Ohne Kontrolle nützen die größten Muckies nichts. Ein dummer Werbespruch? Vielleicht. Im Falle dieses Vergleichstest trifft er allerdings den Nagel auf den Kopf. Leistung muß beherrschbar bleiben, sonst geht der Schuß nicht nur politisch gesehen nach hinten los.
Die Titelverteidigerin
Das Maß der Dinge in der nach oben offenen Leistungsklasse ist die CBR 1100 XX . Im Vergleich mit Kawasakis ZZ-R 1100 (siehe MOTORRAD 22/1996) nicht nur als Siegerin gekührt, weil sie stärker und schneller als alles bisher serienmäßig Dagewesene ist, sondern vor allem wegen ihrer leichten Beherrschbarkeit. Besonders durch das spielerische Handling, den beruhigenden Geradeauslauf bei Topspeed, die hervorragende Bremsanlage und die, trotz aller Kraft, recht sanfte Leistungsentfaltung des modernen Reihenvierzylinders konnte sich die Honda einen deutlichen Vorsprung sichern.
Die Herausfordererin
Die neue BMW hat es damit alles andere als leicht: Die offene K 1200 RS zählt nicht unbedingt zu den Stärksten in der Big Bike-Szene, doch ist sie die erste bayrische Schöpfung, die BMW zumindest im Ausland mit mehr als den von der deutschen Industrie selbstauferlegten maximal 100 PS ausliefert.
Ein Blick auf das Leistungsdiagramm reicht, um in Sachen Spitzenleistung die unantastbare Chefin auszumachen. Die Stärke der BMW liegt dagegen unter 6500/min. Genau in dem Bereich, in dem sich 90 Prozent des täglichen Motorradlebens abspielt. Die restlichen zehn bleiben für kurze Zwischenspurts auf der Landstraße oder zum schnellen Kilometerfressen auf der Autobahn übrig. Die tatsächlichen Fahrleistungen spiegeln ein ähnliches Bild wider: Die MOTORRAD-Meßwerte weisen die K im Vergleich zur Doppel-X weniger als Sprinterin, sondern eher als durchzugsstarkes Arbeitstier aus. Als Trümpfe bringt die gewichtige BMW schon serienmäßig einen geregelten Katalysator, ABS und ein Ergonomiepaket samt manuell verstellbarer Verkleidungsscheibe ins Spiel.
Power
Je vier Zylinder, sechzehn Ventile, wassergekühlte Reihenmotoren - und dennoch zwei völlig unterschiedliche Konzepte. Während die Japaner ihr Aggregat quer und aufrecht in einem leichten Aluminium-Chassis starr verschrauben, hängen die Bayern ihren »Ziegelstein« längs, auf der Seite liegend, durch Gummilager entkoppelt, in einen mächtigen Alu-Guß-Rahmen. Diese Vibrationsbremse funktioniert tatsächlich so gut, daß im Fahrbetrieb vom Hin und Her der bewegten Massen im Inneren des Motors nahezu nichts mehr zu spüren ist. Lediglich im Standgas gibt die BMW noch verbrennungsmotorische Lebenszeichen von sich.
Auch bei der Fütterung ihrer vierzylindrigen Raubtierchen gehen beide Hersteller unterschiedliche Wege: Honda setzt auf Vergasertechnik, während BMW auf eine elektronische Einspritzung vertraut. Beide Wege sind zielführend, was einen einwandfreien Kaltstart oder eine spontane, direkte Gasannahme betrifft. Auch die Verbrauchswerte sind annähernd identisch. Das ist alles sehr schön, aber nicht das Wichtigste.
Denn wichtig ist, was hinten rauskommt, sprich wie der wertvolle Sprit (die BMW lechzt sogar nach teurem Super) in Vortrieb umgewandelt wird. Das Beschleunigungsduell entscheidet die Honda schon vom ersten Meter an klar für sich: In gut neun Sekunden erstürmt die XX die 200-km/h-Marke, die offene K läßt`s deutlich ruhiger angehen und kann bis Tempo 100 sogar gegenüber ihrer gedrosselten Version keine Boden gutmachen, und die 98-PS-Version (MOTORRAD 6/1997) ist der offenen K im Durchzug sogar deutlich überlegen - kein Wunder, leistet das gedrosselte Triebwerk doch zwischen 3000/min und 6000/min gut zehn PS mehr.
Trotzdem zeigt auch die offene BMW in Sachen Durchzug der Honda, wo der Hammer hängt. Erst wenn der Doppel-X-Motor im sechsten Gang bei etwa 180 km/h so richtig anbeißt, macht sie verlorenen Boden gut und schiebt ihren schlanken Bug schließlich bei 200 km/h an der pausbackigen BMW vorbei. Eigentlich schade, denn ab 220 km/h beginnt das Innenrohr des K-Endschalldämpfers in aufregendem Hellrot zu glühen - ein beeindruckender Anblick, der dem Honda-Treiber somit verwehrt bleibt.
Wobei die pfeilschnelle und dabei absolut spurstabile XX ihren Topspeed-Vorteil sowieso nur auf einem wirklich freien Stück Autobahn ausspielen und die hartnäckige, etwas unruhigere Konkurrentin aus dem Windschatten schütteln kann. Noch bevor die BMW ihre Höchstgeschwindigkeit erreicht, kapituliert ihr ABS: Bei Tacho 260 km/h steigt der Rechner aus, die Warnleuchten beginnen zu blinken, das ABS ist außer Funktion. Erst nach einem Neustart mit stehenden Rädern meldet es sich wieder zurück.
Control
Leistungsstarke Motoren brauchen leistungsstarke Fahrwerke. Und auch hier sind sich Japaner und Bayern uneins: Honda setzt auf konventionelle Fahrwerktechnik mit Telegabel und Zweiarmschwinge, BMW vertraut seinen Eigenentwicklungen Tele- und Paralever. Daß diese Hebeleien funktionieren, haben die Bayern schon mehrfach bewiesen, aber noch nie so überzeugend wie bei der neuen K: Die komfortable Abstimmung der Federelemte, der fast vollständige Bremsnickausgleich und die kaum spürbaren Kardanreaktionen vermittelt eher den Eindruck, schwerelos dahinzugleiten anstatt über schnöden Asphalt zu holpern. Verstärkt wird dieses ungewohnte Gefühl noch durch die Art, wie der BMW-Ziegel die Befehle der Gashand sofort und nahezu geräusch- und vibrationslos, egal in welcher Gangstufe und bei welcher Drehzahl, in Vortrieb umsetzt - ein Vorgeschmack auf zukünftige Vehikel mit Elektroantrieb. Fast schon bedauerlich, denn dadurch bleibt das butterweich zu schaltende Getriebe meist arbeitslos.
Erdverbunden gibt sich dagegen die Honda. Auf jeden Lenkimpuls folgt über die etwas straff gedämpfte und leider nicht einstellbare Gabel eine direkte Rückmeldung, jedes Zucken der Gashand verändert die Ton- und Schwingungslage des diesmal »nur« 153 PS starken Kraftwerks (die Testmaschine in MOTORRAD 20/1996 mit gemessenen 162 PS war wohl ein besonders gut aufgelegtes Exemplar), das seine Leistung über das gesamte Drehzahlband fein dosierbar, aber mit Nachdruck auf die Straße drückt. Die Sitzposition ist sportlicher, der Windschutz hinter der flach geschnittenen Verkleidung schlechter, und die tieferen Lenkerstummel lassen die Handgelenke früher ermüden als auf der K.
War die Doppel-X mit ihren immerhin 254 Kilogramm bislang der Maßstab, was spielerisches Handling unter den schwergewichtigen Big Bikes betrifft, setzt der 290 Kilogramm schwere Bayern-Bomber noch eins drauf: Sobald er erst einmal Fahrt aufgenommen hat, läßt er sich - als wäre die Lenkung servounterstützt - mit minimalstem Krafteinsatz zielgenau dirigieren, während die Honda mit etwas mehr Druck in die Kurve gezwungen werden muß. Und ist das Aufstellmoment beim Bremsen oder über Bodenwellen mit der Bridgestone-BT 57-bereiften Honda schon gering, ist es bei der Dunlop-Sportmax-bereiften BMW so gut wie nicht mehr zu spüren.
Unangetastete Herrin im Ring bleibt die Honda beim Thema Bremsen trotzdem: Ihr Verbundbremssystem (egal ob man Hand- oder Fußbremse betätigt, stets werden beide Räder verzögert) zeichnet sich durch enorme Verzögerung bei geringer Handkraft und traumhafter Dosierbarkeit aus. Im direkten Vergleich wirkt die im Alltagsbetrieb problemlose Brembo-Anlage der BMW mit ihren hohen erforderlichen Handkräften und ihrem schwammigen Druckpunkt wie eine Felgenbremse am Hollandrad. Nur das ABS kann was wettmachen, obwohl es manchmal auf welligem Belag sehr früh einsetzt und dadurch wertvolle Meter verschenkt werden können.
Und wer hat schon was zu verschenken? Honda und BMW sicherlich nicht. Ihre Kronjuwelen lassen sie sich nur gegen einen nicht ganz bescheidenen Obulus von knapp 22 Braunen für die XX und deren knapp 28 für die K entwenden.
Die dritte Macht: Kawasaki ZZ-R 1100
Im siebten Jahr ist sie mittlerweile, aber zum alten Eisen gehört das Kawasaki-Flagschiff deshalb noch lange nicht. Für 150 PS ist eine offene ZZ-R allemal gut, ihr nach wie vor hochaktuelles und viel kopiertes Ram-Air-System beschert ihr bei Vollgas den letzten Tick Speed, das Platzangebot ist für Fahrer und Sozius großzügig bemessen, und dank Kawasakis Abgasreinigungssystem KCAS ist sie sogar umweltpolitisch auf dem richtigen Weg. Daß ihr etwas klobiges Erscheinungsbild und das Gewicht von 278 Kilogramm mit der eleganteren Doppel-X-Honda nicht mehr ganz mithalten kann, macht aus der ZZ-R nicht gleich ein schlechtes Motorrad. Auch die Nachteile im Handling sind bei etwas Gewöhnung zu verkraften. Und ein echtes Highlight ist das ZZ-R-Getriebe: So lässig und ruckfrei ist kein anderes Motorrad zu schalten. Auch an der Bremsanlage gibt es für die Kawasaki-Ingenieure nicht mehr viel zu verbessern - außer einem guten ABS oder einer kombinierten Bremsanlage, wie sie Honda verbaut. Aber wer weiß, vielleicht dauert es gar nicht mehr lange, und Kawasaki kommt mit der Antwort auf Hondas Doppel-X. Und die muß lauten: nicht nur stärker und schneller, sondern sauberer und sicherer in die Zukunft.
Die Ahnen: BMW K 1100 RS und Honda CBR 1000 F
1990 kam in der K 100 RS erstmals ein Vierventiler zum Einsatz und leistete schon damals 100 PS. 1993 wurde die K 100 RS durch den hubraum- und drehmomentstärkeren 1100er Motor abgelöst. Neben einer neuen Verkleidung mit den markanten Lüftungsschlitzen erhielt die K 1100 RS einen steiferen Rahmen und geänderte Federelemente. Eines der Hauptprobleme des Ziegelstein-Motors, die nervenden Vibrationen, haben die BMW-Techniker allerdings erst jetzt mit der neuartigen, entkoppelten Aufhängung der Antriebseinheit bei der K 1200 RS weitgehend lösen können.Bei Hondas CBR 1100 XX geht die Ahnengallerie noch weiter zurück. Bereits 1987 stellte Honda den »Joghurtbecher« vor, der allen Unkenrufen zum Trotz schon ein Jahr später als meistverkauftes Motorrad gefeiert. Im Laufe der Jahre spendierten die Japaner ihrem Erfolgsmodell eine elegantere Verkleidung, bessere Federelemente und breitere Felgen. 1993 folgte dann erstmals das für Honda neuartiges Dual-CBS-Bremssystem. Im gegensatz zu Moto-Guzzis Integralbremssystem aktivieren sowohl die Hand- als auch die Fußbremse beide Radbremsen.
BMW Platz 1 - Platz 1
Es kann nicht sein, was nicht sein darf. Und trotzdem gewinnt die dicke BMW K 1200 RS diesen Vergleich. Bis 7000/min setzt der neue K-Motor neue Maßstäbe läuft durch die Abkoppelung der Antriebseinheit dabei seidenweich wie ein Elektromotor. Tele- und Paralever-Aufhängung funktionieren so perfekt, das der sensationelle Eindruck entsteht, die BMW schwebe auf einer Magnetbahn dahin. Ob Bodenwellen, Längsrillen oder löchrige Piste, es geht einen überhaupt nichts mehr an. Doch dieses vermeintliche Gefühl der Überlegenheit und Unverwundbarkeit birgt auch seine Gefahren. Die K verleitet leicht zur Selbstüberschätzung, wenn nicht ständig mit einem Auge das Tempo via Tachometer überwacht wird.
Honda Platz 2
Kaum zu glauben, aber die pfeilschnelle Honda CBR 1100 XX hat ihre Meisterin gefunden. Nicht in Sachen Spitzenleistung, Beschleunigung oder Topspeed, da bleibt sie weiterhin die Königin unter den Serienmaschinen. Auch an der überragenden Bremsanlage ist kaum noch etwas zu verbessern. Ihr lautes Getriebe, das lästige Spiel im Antriebsstrang und die nicht einstellbare, zu straff abgestimmte Gabel können dagegen weniger überzeugen. Über das leichte Handing des Honda-Boliden konnte man sich bisher immer nur freuen. Aber da hat es auch noch keine BMW K 1200 RS gegeben. Und die hat die Meßlatte eben noch ein Stückchen höher gelegt - zu hoch, selbst für die Doppel-X.