Vergleichstest Naked Bikes
Zweiklassengesellschaft

Vier unverkleidete Motorräder mit nahezu identischer Leistung. Trotzdem bleibt ein riesiger Unterschied: der Preis. Fahren die Honda Seven Fifty und die Suzuki GSX 750, beide in der Anschaffung vergleichsweise günstig, deshalb die BMW R 850 R und die Triumph Thunderbird Sport in Grund und Boden?

Über Geld spricht man nicht, man hat es. Dieser Grundsatz scheint auch unter Motorradfahrern weit verbreitet zu sein. Schließlich geht es beim Motorrad ums geliebte Hobby, um Emotionen. Und dort ist scheinbar kein Platz fürs Rationale, schon gar nicht fürs Erbsenzählen. Man stelle sich vor: Unterhaltskosten, Wertverlust, Anschaffungspreis, Preis-Leistungsverhältnis wären Themen für leidenschaftliche Benzingespräche. Wo kämen wir da hin?
Und doch, wer von uns würde leugnen, daß er, so im Stillen, vor dem Kauf eines ladenneuen Motorrads nicht auch ganz genau kalkuliert und abwägt, was er für sein Geld bekommt. Über 7000 Mark Differenz liegen zwischen der kostspieligen BMW R 850 R und der Suzuki GSX 750 am unteren Ende der Preisskala, über 4000 Mark zwischen der Triumph Thunderbird Sport und der Honda CB Seven Fifty. Eine Menge Geld, keine Frage. Was, bitte schön, können die Europäerinnen dann soviel besser, wie rechtfertigen sie diesen Preisunterschied? Komme jetzt bitte keiner und erzähle die alte Mär von deutscher Wertarbeit, die halt ihren Preis habe. Denn Qualität und Zuverlässigkeit sind Punkte, bei denen sich auch die Japaner schon seit längerer Zeit sehr gut auskennen. Bleibt das schlagende, weil schwer zu widerlegende Argument vom Charakter, der japanischen Motorrädern angeblich fehlen soll. Ein Vorwurf, den sich die beiden vierzylindrigen Honda Seven Fifty und Suzuki GSX 750 gefallen lassen müssen. Na gut. Verglichen mit der BMW und vor allem der Triumph wirkt das Design des Duos aus Fernost etwas uniform und im Falle der Suzuki abgeguckt, wenn auch äußerst gekonnt.
Über Geschmack läßt sich aber schlecht streiten, vor allem nicht mit Helmut »Heli« Faidt, seit Jahren MOTORRAD-Testfahrer. Abseits von Rennstrecken will Heli vor allem eins: bequem, aber zügig auf Landstraßen vorankommen. Spöttische Bemerkungen von Comic-Zeichner Holger Aue über das eigenwillige Aussehen der BMW R 850 R bügelt er lässig ab. »Fahr erst mal damit, Bub, und dann reden wir weiter.« Wenn der Heli so was sagt, dann muß was dran sein an der BMW, denn zumindest auf dem Papier glänzt das teuerste Motorrad im Test mit einzigartigen technischen Details: Saugrohreinspritzung mit geregeltem Dreiwege-Kat, Telelever-Vorderradaufhängung, Hinterradführung durch eine Paralever-Einarmschwinge. Aufpreispflichtig: ABS und die bestens funktionierenden Heizgriffe. Und last but not least das Sahnestück, der kleine Vierventil-Boxermotor. Kein Zweifel, der heimliche Star der Bayern heißt R 850 R.
Gleiches gilt für die Triumph Thunderbird Sport, denn auch die Britin hat das Zeug zum Renner. Gekonnt verpacken sie in Hinkley einen bewährten, bärig röhrenden Reihendreizylinder in ein klassisches Gewand, ohne dabei auf neuzeitliche Komponenten wie standfeste Bremsen, einen ungeregelten Kat oder eine Telegabel mit sämtlichen Verstellmöglichkeiten zu verzichten. Ohne Zweifel ein Hingucker, und deshalb nicht nur Holger Aues Liebling. Etwas unauffälliger gibt sich die bewährte Honda CB Seven Fifty, seit 1992 fast unverändert und erfolgreich auf dem Markt. MOTORRAD-Mitarbeiter Franco Santorro, erst seit kurzem im Besitz des unlimitierten Führerscheins, schloß sie gleich nach der ersten Fahrt in sein großes italienisches Herz.
Genau dahin will Suzuki mit der neuen GSX 750: ins Herz möglichst vieler Käufer. Die Chancen stehen gut, denn die Mischung scheint zu passen: Neben ihrem gefälligen Design überzeugt die GSX 750 vor allem durch zwei Dinge - ihren sehr günstigen Preis von 11590 Mark und den ausgereiften, bildschönen Vierzylinder.
Dieser Motor, agil und drehfreudig ganz in der Tradition des sportlichen Urahnen GSX-R 750, beflügelt die kompakte Suzuki zu den besten Fahrleistungen im Vergleich. Höchstgeschwindigkeit? Okay, bei unverkleideten Motorrädern nur ein Thema für den Stammtisch. Viel wichtiger: der Durchzug, bei dem sich die GSX 750 nur knapp der hubraumstärkeren Triumph geschlagen geben muß. Deren Triebwerk brilliert mit dem geringsten Spritverbrauch, hervorragendem Punch und dem schönsten Klang. Aber leider nimmt der Drilling das Gas hin und wieder lediglich mit einer kleinen Verzögerung an – als sei die Betriebstemperatur noch nicht erreicht.
Die Honda gerät in dieser illustren Viererbande leicht ins Hintertreffen, auch weil ihr Motor ins Gesamtbild der Seven Fifty paßt: immer schön unauffällig verhalten. Überraschend gut schlägt sich der Zweizylinder der BMW, nominell schwächster Antrieb im Vergleich. Vor allem weil der Motor äußerst willig hochdreht, überraschend vibrationsarm läuft und über absolut tadellose Kaltlaufeigenschaften verfügt: sehr kultiviert das alles.
Und weil der Boxermotor so prima zum Landstraßenräubern (und genau dafür sind diese Motorräder gedacht) paßt: Stets gibt’s genügend Druck im mittleren Drehzahlbereich. Während die beiden Vierzylinder-Fahrer fleißig schalten müssen, um dran zu bleiben, erledigt die BMW die lästigen Geraden zwischen den Kurven mit zwei Gängen. Was auf der anderen Seite auch ganz gut so ist, denn Schalten macht vor allem mit dem gediegenen Suzuki-Getriebe deutlich mehr Spaß.
Nun, alles Frohlocken wegen des BMW-Motors wäre nur die Hälfte wert - da ist auch noch dieses Fahrwerk. Klar, die Suzuki fährt sich handlicher, überzeugt durch eine perfekte Sitzposition und wirkt im Vergleich zu den drei anderen fast wie ein Spielzeug. Das Zauberwort der BMW heißt Telelever. Schon phantastisch, was diese vom Engländer Hugh Nicol erdachte Vorderradaufhängung leistet. Wie mies die Landstraße auch sein mag ( im Testgebiet Südfrankreich sind sie das meistens), die BMW gleitet gelassen darüber hinweg, zieht unbeirrt ihre Bahn. Dicht gefolgt von der ehrwürdigen Honda CB Seven Fifty, deren Telegabel ebenfalls hervorragende Arbeit verrichtet – siehe da, konventionell geht’s auch. Nur in Sachen Erstbereifung sollte man bei Honda mal schnellstens umdenken, denn der Dunlop D 202 verdirbt der Seven Fifty die saubere Linie, zudem stellt sich das Motorrad beim Bremsen in Schräglagen ungebührlich auf. Ansonsten kann der Honda ein tadelloses Fahrverhalten bescheinigt werden.
Aber auch die Triumph hatte in engen Kehren zunächst einige Probleme, allerdings nur in Rechtskurven. Denn beim flotten Hineinbremsen in Schräglagen setzte die Sport allzu früh und heftig mit ihrem Krümmer auf, noch bevor die Fußrasten warnende Geräusche von sich geben konnten. Doch nach kurzem Stopp und einem Griff ins Bordwerkzeug ist das Heck mit Hilfe der verstellbaren Federbasis und die Druckstufendämpfung geringfügig erhöht – und die Gründe allen Übels behoben. Trotzdem fährt sich die Triumph im Vergleich am gewöhnungsbedürftigsten, da sie etwas unhandlich wirkt. Ein weniger routinierter Fahrer tut sich auf den anderen Maschinen einfach leichter: insbesondere auf der BMW. Mit 244 Kilogramm ist die Triumph zwar nicht das schwerste Motorrad im Test, aber ihr Schwerpunkt liegt höher als bei den Konkurrenten, und der Lenkeinschlag fiel etwas zu gering aus. Um in Schräglagen zu kommen, ist bei der Thunderbird etwas mehr Nachdruck nötig, dann freilich zieht sie satt ihre Bahn, vermittelt Souveränität.
Genau die geht der Suzuki flöten, möchte ihr Fahrer mal schärfer verzögern, insbesonders im Zweipersonenbetrieb. Beim Bremsen bleibt zuwenig Negativfederweg übrig, geht ihre Vordergabel zu schnell auf Block. Ein Problem, das sich mit einer progressiv gewickelten Feder leicht beheben ließe, aber dem Hersteller anscheinend als solches nicht bekannt ist.
Über jegliche Kritik erhaben sind dagegen die Bremsanlagen der Testmotorräder. Mit wenig Kraft gut zu dosieren und standfest, so muß das sein. Unisono ein hervorragender Standard, der da inzwischen erreicht wurde – und nach dem man sich vor zehn Jahren noch die Finger geleckt hätte.
Wie nach solchen Motorrädern überhaupt. Das schönste Ergebnis dieses Tests: Eine Zweiklassengesellschaft gibt es bei diesen Bikes zum Glück nicht. Deshalb fällt es auch nicht leicht, einen Testsieger zu küren. In der inoffiziellen Fahrspaß- und Sympathiewertung lag die Triumph vorne, die Honda ist nach wie vor ein prima Allrounder ohne gravierende Schwächen. Und jeder im Testteam weiß jetzt, warum Helmut Faidt einen Narren an der BMW gefressen hat. Doch wenn’s darum geht, am meisten Motorrad fürs Geld zu bekommen, dann kann der Gewinner ganz eindeutig nur Suzuki GSX 750 heißen. Wer mehr nagelneues Motorrad für weniger Geld findet, bitte melden. Und mit über 7000 Mark Ersparnis gegenüber der BMW ließe sich verdammt viel bezahlen. Zum Beispiel die Versicherung für mehrere Jahre, eine neue Lederkombi, Benzin, Reifen, Inspektionen für tausende erlebnisreicher Kilometer und, und, und...

Unsere Highlights

1 Platz: Suzuki

Mit der GSX 750 hat Suzuki auf Anhieb einen Volltreffer gelandet, das stellt die Neue in diesem nur hauchdünn auseinanderliegenden Test-Quartett eindrucksvoll unter Beweis. Einziger wirklicher Kritikpunkt: die zu weich abgestimmte Telegabel. Dafür glänzt die kompakte Suzuki mit dem besten Getriebe, einem drehfreudigen, kräftigen Motor und ihrer spielerischen Handlichkeit. Und ihrem günstigen Preis, letztlich ausschlaggebend für ihren knappen Testsieg.

2. Platz: BMW

Ob das eigenwillige Design der BMW gefällt oder nicht, darüber läßt sich streiten. Keinen Zweifel gibt’s an den Qualitäten der R 850 R: Auf engen und holperigen Landstraßen spielt ihr tadelloses Fahrwerk in der ersten Liga. Ebenso überzeugend: die entspannte, tourengerechte Sitzposition und der überraschend quirlige, aber ruhig arbeitende Zweizylindermotor. Bleibt als dickes Manko nur der hohe Preis, deshalb landet die BMW auf Platz zwei.

3. Platz: Triumph

Die Thunderbird Sport lebt vor allem von ihrem bärenstarken, verbrauchsgünstigen Dreizylinder und ihrem extravaganten Design, das, nebenbei gesagt, alles andere als nachgemacht wirkt. Nein, dieses Motorrad hat einen grundehrlichen Charakter. Klar, die leichtere Suzuki ist handlicher, die BMW fährt sich leichter, und die Honda ist alltagstauglicher. Na und? Dafür gibt einem die Triumph das Gefühl, ein besonderes, unverwechselbares Motorrad zu besitzen.

4. Platz: Honda

Keine Schande, in einem hochklassigen Feld knapp auf Rang vier einzufahren. Die CB Seven Fifty ist nach wie vor ein grundsolides Motorrad und leistet sich in keiner Disziplin einen groben Schnitzer. Sie glänzt mit guten Bremsen, solidem Fahrwerk und einem kultivierten Vierzylindermotor. Zudem bietet sie die mit Abstand beste Soziustauglichkeit im Testfeld. Und für ihre Erstbereifung Dunlop D 202 kann sie nun wirklich nichts. Da besteht für Honda Nachholbedarf.

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MOTORRAD 20 / 2023

Erscheinungsdatum 15.09.2023