Beim Studium der schönen Hochglanzprospekte von Sporttourern fängt so mancher zu träumen an. Doch beim Blick in die Preisliste ist der Traum dann ausgeträumt. Alles, was vierzylindrig, hubraum- wie leistungsstark, halbwegs verkleidet ist und sich zu ausgiebigen Reisen eignet, reißt ein kaum zu schließendes Loch in die Haushaltskasse.
Halt, stimmt nicht ganz. Seit Sommer 1994 zeigt Yamaha Erbarmen mit den Reiselustigen. Für die XJ 900 S, Nachfolgerin der erfolgreichen XJ 900 F, muß man nicht ganz so tief in die Kasse greifen. Ein 90 PS starker Vierzylinder, ordentlich halbschalenverkleidet und mit einem wartungsarmen Kardanantrieb ausgerüstet, mit 15620 Mark heute kaum teurer als vor zwei Jahren, das ist ein günstiges Angebot. Kein Wunder, daß der Sporttourer in der Zulassungsstatistik unter den Top ten rangiert.
Und nochmals halt. Seit neuestem bietet auch Suzuki, immer für eine preiswerte Überraschung gut, ein Modell an, daß der XJ 900 S sehr nahekommt: die Bandit 1200 S. Mehr Hubraum, noch mehr Leistung, nämlich 98 PS, und das für noch weniger Geld. Gerade mal 15190 Mark kostet der Vierzylinder, leistet sich allerdings auch keinen Kardanantrieb, und die Verkleidung fällt optisch weitaus dürftiger aus und nimmt die Instrumente nicht auf.
Die guten wie schlechten Eigenschaften der Yamaha sind hinreichend bekannt. Ihr luftgekühlter, einfach aufgebauter Zweiventil-Vierzylinder erfreut durch Laufkultur, saubere Gasannahme und eine homogene Leistungscharakteristik. In Verbindung mit einer guten Getriebeabstufung verführt die XJ zu schaltfauler, flotter Fahrweise, ist für jeden Sprint gut. Den Wunsch nach noch mehr Leistung verspürt der XJ 900-Pilot nicht, wohl aber nach weniger Gewicht. Immerhin wiegt die Yamaha vollgetankt stattliche 276 Kilogramm. Die machen ihrem Fahrer zu schaffen, weil er beim Rangieren, Schieben, Abstellen und Aufbocken die vielen Pfunde deutlich zu spüren bekommt. Nicht sehr benutzerfreundlich ist auch die Vorderradbremse, die ohne Zweifel unter allen Bedingungen sicher verzögert, aber besser dosierbar und mit geringeren Handkräften zu bedienen sein könnte.
Gewiß läßt sich damit leben. Ihr gutes Abschneiden bei diversen Vergleichstests zeigt, daß die XJ 900 in der Summe ihrer Eigenschaften überzeugen. Nun aber wird sich die Yamaha an der neuen Suzuki Bandit 1200 S messen müssen. Ihr luft-/ölgekühlter Vierventiler, nominell 98 PS stark, bei MOTORRAD allerdings mit 108 PS deutlich stärker gemessen, hat schon beim letzten Big Bike-Vergleichstest kräftemäßig die Konkurrenz wie Yamaha XJR 1200 und Kawasaki Zephyr 1100 alt aussehen lassen. Da kann sich auch die weit hubraumschwächere XJ 900 S nur geschlagen geben. Zwischen 2000 und 8000 Umdrehungen verfügt der Suzuki-Motor über Leistung satt. In Beschleunigung und Durchzug glänzt die Bandit mit absoluten Spitzenwerten. So gönnt sich die Schaltwalze im Getriebe die meiste Zeit eine Pause. Ob voll beladen oder solo unterwegs, in der Regel sind nur die oberen Gänge im Eingriff. Will die XJ 900 nicht den Anschluß verlieren, muß sich ihr Fahrer bisweilen fleißig des gut schaltbaren Fünfganggetriebes bedienen.
Leistung und Kraft im Überfluß zu haben, sich ihr zu bedienen, wenn nötig, ist schön, aber bei weitem nicht alles, was einen guten Sporttourer ausmacht. Ein ansprechendes Fahrwerk ist die andere Seite der Medaille. Und da hat Yamaha am 1996er Modell etwas Hand anlegen müssen, um gegenüber der Konkurrenz nicht ins Hintertreffen zu geraten. Die Telegabel der XJ 900, die nicht selten beim harten Bremsen bis zum Anschlag abtauchte, mußte sich wegen ihrer zu weichen Abstimmung Kritik gefallen lassen. Ganz im Gegensatz das Zentralfederbein. Zu straff war die Abstimmung, um sensibel genug anzusprechen.
Im aktuellen Modell verfügt die Telegabel über eine Federbasisverstellung. Die lindert das Problem zumindest bei voller »Vorspannung«, bei deftigen Schlaglöchern schlägt die Gabel aber noch immer durch. Dafür ist die Abstimmung des Federbeins endlich gelungen. Und somit verfügt die XJ 900 S zumindest über ein Fahrwerk, das hohen Komfortansprüchen bei nicht allzu sportlicher Fahrweise genügt. Letzterer Gangart steht ohnehin ihr hohes Gewicht und die Tendenz zur Schwerfälligkeit auf kurvenreichen Strecken entgegen.
Daß die Abstimmung des Fahrwerks bereits beim ersten Anlauf in Ordnung sein kann, beweist die große Bandit. Zwar sind ihre Federelemente durchgehend straffer organisiert, dafür sind sie aber über gemeine Schlaglöcher, beunruhigende Bodenwellen und Bremsattacken erhaben. Die GSF 1200 baut erstaunlich kompakt, ist mit 240 Kilogramm zwar auch kein Fliegengewicht, aber immerhin um einiges leichter als die XJ 900 S und wirkt trotz ihres größeren Motors weitaus zierlicher. Wen wundert’s da, daß sie deutlich handlicher agiert, leichter in Kurven einlenkt und sportlicher Fahrweise eher zugetan ist als die Yamaha. Ihrer etwas untersetzten äußeren Erscheinung verdankt sie es, daß die Scheu vor einen so großen Motorrad gar nicht erst aufkommt.
Die schmale Tank-Sitzbank-Kombination, der wohlwollend gekröpfte Lenker und nicht zuletzt die aufrecht bequeme Sitzposition tragen dazu bei, daß selbst kleinere und zierlichere Personen mit der Suzuki sehr schnell zurechtkommen. Und das, obwohl die Sitzhöhe um vier Zentimeter höher ausfällt die der Yahama. Auch der Sozius findet auf der augenscheinlich kleinen Sitzbank ein sicheres und bequemes Plätzchen, ohne ständig dem Zwang ausgesetzt zu sein, sich bei jedem Bremsmanöver oder bei jedem Beschleunigung krampfhaft festhalten zu müssen.
Passionierte Tourenfahrer allerdings werden sich auf der XJ noch wohler fühlen. Auf Dauer ist die Sitzposition - das gilt auch für den Sozius - noch bequemer und ermüdungsfreier, die Sitzbank ist großflächiger und besser gepolstert. Und es gibt noch mehr, was das Touren mit der XJ über kurz oder lang angenehmer gestaltet. Auch wenn die Halbschalenverkleidung nicht gerade das Prädikat geräuschlos verdient - die Turbulenzen am Helm gehen bisweilen ganz schön auf die Ohren -, ist der Wind- und Wetterschutz der ausladenden Verkleidung mit der hohen Plexiglasscheibe weitaus besser als bei der Bandit.
Deren hübsche kleine Verkleidung ist eher Zierat denn funktionelles Element. Lästigen Winddruck kann sie durchaus noch erfolgreich vom Oberkörper des Fahrers fernhalten, der Wetterschutz hingegen geht gegen null. Hände und Arme sind hoffnungslos Regen und Kälte ausgesetzt.
Man muß natürlich nicht bei jedem Sauwetter fahren. Um die Unterhaltskosten kommt man dagegen nicht herum. Und auch da gibt es bei beiden Kontrahenten einige Unterschiede. Zunächst einmal bieten beide Motorräder eine Zwei-Jahres-Garantie und damit die Verpflichtung, in diesen zwei Jahren alle Inspektionen durchführen zu lassen, will man die Garantie nicht aufs Spiel setzen. Beide Motorräder müssen alle 6000 Kilometer zu einem mehr oder minder umfangreichen Kundendienst. Keine besonders großzügig bemessenen Intervalle. Dafür halten sich die anfallenden Arbeitsstunden und somit auch die Kosten (siehe Tabelle) in annehmbaren Grenzen.
Legt man 24000 gefahrene Kilometer in zwei Jahren zugrunde, liegen die gesamten Inspektionskosten bei der Yamaha etwa um 300 Mark höher als bei der Suzuki - Wechsel von Ölfilter, Öl, Zündkerzen und Luftfilter mit einberechnet. Billiger ist die Yamaha dagegen bei den Reifen. Die kleineren Dimensionen machen einen niedrigeren Preis aus: etwa 110 Mark pro Paarung. Für Vielfahrer auf Dauer bezahlt macht sich auch der Kardanantrieb der XJ, der außer einem Wechsel des Öls für 3,70 Mark keine weiteren Kosten verursacht. Wohl aber der Antrieb der Bandit. Bei guter Plege gehören Kette, Ritzel und Kettenrad erfahrungsgemäß alle 20000 Kilometer gewechselt: macht 469 Mark. Unterm Strich gleichen sich die Kosten der beiden Kontrahenten aus.
Ob Suzuki GSF 1200 S Bandit oder Yamaha XJ 900 S, das läßt sich am Preis nicht entscheiden.