Motorradfahren. Die Welt entdecken, dem Rausch von Schräglage und Geschwindigkeit frönen. Nur von der Lederhaut geschützt den Elementen ausgesetzt. Alles buchstäblich im Griff der rechten Hand, dahinbrummeln oder vorwärtsschnellen, nach Lust und Laune beschleunigen und verzögern, durch Schenkeldruck den Weg bestimmen. Motorräder. Am besten welche, die allein und zu zweit beglücken, zum Bummeln oder zur gelegentlichen Hatz einladen, Fahrspaß und Reserven bieten. Alleskönner, Sporttourer.
Bislang galt die Honda VFR als bestes Paket dieser Gattung. 1998 bekam sie starke Gegnerinnen: Da wäre die BMW R 1100 S, der »Sportboxer«. Dann die drahtige Ducati ST 4 mit potentem Vierventil-V2. Und schließlich die brandneue Triumph Sprint ST, die sich erstmals einem Vergleich stellt. Vier Konzepte, die auf grundverschiedene Art und Weise um die Käufergunst buhlen.
Herz und Kreislauf
Vier Motoren, vier Charaktere. Der Zweizylinder-Boxer der R 1100 S protzt mit kernig tönender, satter Leistung schon ab 1500/min, bietet eine gefühlsmäßig starke Mitte, um dann bereits bei 7500/min sein Maximum zu erreichen. Der bayrische Twin spart nicht mit Vibrationen, die ab etwa 4000/min das gesamte Fahrzeug erschüttern, vor allem auf Autobahn oder Schnellstraße lästig. Dafür hängt er munter am Gas, wie auch der ST 4-Kraftprotz.
Der für ein Duc-Triebwerk recht kultivierte 90-Grad-V2 übertrifft mit rekordverdächtigen 116 PS die Werksangabe um satte 13 PS. Drehzahlverliebt eilt er markig durchs Leistungsband, das folgerichtig unterhalb von 3000/min nur unwillige Schüttelei feilbietet. Ein echtes Sportlerherz, eines Vollblutes würdig.
Gentlemanlike gibt sich der trotz Ausgleichswelle leicht vibrierende Reihendrilling der Sprint ST. Familientypisch strotzt er mit mächtig orgelndem Bums bei niedrigen Drehzahlen und spontaner Reaktion auf Gasbefehle. Gefühlsmäßig ebbt die Gewalt des 955ers oberhalb von 7000/min etwas ab. Ungewohnt: Aus dem Schiebebetrieb reagiert die Sprint auf die ersten Winkelgrade der Drosselklappenöffnung mit einer Art »Turboloch«, um dann wieder stürmisch loszudrehen. Mit etwas Routine leitet der Pilot deshalb leichte Gasstöße, etwa beim Herunterschalten, mit kurzem Vorlauf ein. Weiteres Manko: Vor allem heißgefahren geht der Drilling nach heftigem Bremsen schon mal aus, und dann erst nach längerem Anlasser-Genudel wieder an. Klasse hingegen der unglaublich geringe Verbrauch der Triumph.
Zwischen diesen Charakterherzen fällt der 90-Grad-V4 der Honda VFR kaum auf. Immerhin, der kehlige Sound verführt gerne mal zu harten Gasstößen. Vor allem brauchts hohe Drehzahlen, damit der Honda-Vau seine Leistung nicht allzu schmächtig ausschüttet. Dafür vibriert er kaum.
Getriebe- und Antriebsreaktionen fallen bei allen Testkandidatinnen weitgehend typisch aus. Sprint ST: knackiges, in niedrigen Gängen leicht hakeliges Schalten, mit langem ersten Gang und auf den letzten Hebelweg-Millimetern einrückender, nicht einstellbarer Kupplung. Auf Lastwechsel reagiert die Britin gemäßigt ruckelnd, die Honda mit spürbarem Ruck, was zu den »einklackenden« Gangstufen des ansonsten guten Antriebs paßt. Ducati? Sportlich-enggestufte Schaltbox, niedrige Fußkräfte, exakte Rasterung, kaum Lastwechselreaktionen. Einzig die hohen Handkräfte der Kupplung stören das Schaltvergnügen.
Die BMW fällt, vor allem bei Stop and Go, durch heftige Lastwechselreaktionen auf. Was passiert? Der längslaufende Boxer legt die R 1100 S bei jeder Winkelbeschleunigung seiner rotierenden Massen in Rechtsschräglage, macht somit eine Lenkbewegung. Gleichzeitig stemmt der Kardan, als Reaktion auf das Antriebsmoment, das Heck leicht in die Höhe. Die dynamische Radlastverteilung tut ein übriges und hebt den Telelever-Vorbau an. Spielerisches Provozieren all dieser Reaktionen versetzt die Münchnerin in dreidimensionales Gezappel. Schlimm? Nicht unbedingt, solange klar ist, daß das BMW-Konzept anderes Fahren erfordert. Überraschend, weil BMW-untypisch, das diesmal recht exakt und einigermaßen sanft zu schaltende Getriebe, weniger schön die Geräusche aus dem Antrieb.
Übrigens nutzen BMW, Honda und Triumph die Einspritztechnik konsequent via Lambdasonde zur Regelung des Katalysators, wofür es richtig Punkte gibt, oder, im Falle der unbereinigten Ducati, eben nicht.
Der aufrechte Gang
Sporttourer fahren häufig solo. Sonne und Freiheit genießt der Mensch aber ungern allein, weshalb Sporttourerfahrwerke bequem abstimmbar sein und auch vollbeladen funktionieren sollen. Ansprüche, denen das nicht gerade taufrische Testexemplar der Honda VFR (16000 Testkilometer) diesmal wider Erwarten unvollkommen nachkommt.
Noch in Ordnung gehen die Federelemente bei Solofahrt. Aber schon beim harten Beschleunigen sackt das schlappe Federbein tief in die Progression und teilt, mit wenig Restfederweg arbeitend, wütende Schläge an den Rest des Fahrwerks aus, was hochfrequentes Lenkerschlagen zur Folge haben kann. In schnellen Kurven verdirbt die rührende Hinterhand die Spurstabilität. Auf welligen Pisten stempelt dann die Gabel, das Federbein pumpt auch bei höchster Vorspannung und härtester Zugstufeneinstellung. Die sparsamen Reserven treten bei voller Beladung noch deutlicher zutage. Spazierenfahren ist angesagt, soll die Honda nicht ständig durchschlagen oder mangels Restfederweg hart aufsetzen. Wenig Freude macht diesmal auch die Kombibremse, die zwar spontan anspricht, sich aber mit degressiver Kennung schlapp und schwammig dosierbar zeigt. Unterm Strich eine echte Enttäuschung, läßt sich die Honda doch ansonsten kinderleicht dirigieren.
Die Triumph Sprint ST kann es besser. Die straffe Grundabstimmung ihrer Federelemente birgt große Reserven, ohne Abstriche beim Komfort zu machen. Allein sporteln? Kein Problem. Zu zweit über Holperstrecken? Bitte schön. Fahrwerksteile und Brückenrahmen machen alles mit, da wackelt nichts. Sollten im Zweipersonenbetrieb einmal Hauptständer und Verkleidung aufsetzen, hilft das Anheben des Hecks durch Verstellung der hinteren Federbasis mittels Schlitzschraubenzieher. Im Vergleich ragt die Triumph durch fast unglaubliche, aus niedrigsten Lenkkräften erwachsende Handlichkeit heraus, was schon mal ganz leichte Nervosität in die Lenkung bringen kann. Und dann die Bremse: vorn eine sanft dosierbare, für Ungeübte fast zu leistungsstarke Einfingerwonne, hinten ein im Transportverkehr geschätztes Werkzeug.
Das Fahrwerk der Ducati ST 4 überzeugt ebenfalls. Der Abstimmungsbereich der aufwendigen, voll einstellbaren Federelemente beginnt bei straff und stößt auch im schnellen Paarlauf nicht an seine Grenzen. So büßt die Duc zwar etwas Komfort ein, steckt aber jede Unebenheit weg. Wie auf Schienen zieht sie ihre Bahn, braucht eine feste Hand beim Einlenken, um dann ungerührt jeden eingeschlagenen Radius zu zirkeln. Kurz: das Fahrwerk zum Motor. Wenn doch nur die Bremse, am Testexemplar mit gruseligem Leer-Hebelweg fast bis zum Lenker, auch ohne Riesen-Handkräfte kraftvoll zubeißen würde.
Gewohnt ungewohnt die BMW R 1100 S. Die Devise heißt: Vertrauen fassen und die Eigenarten nutzen. So mag die Bayerin lieber über Schenkeldruck dirigiert werden als via Lenker, an dem sich recht wenig Gefühl fürs Vorderrad einstellt. Immer unter Zug gefahren, bietet die »S« auch bei sehr sportlicher Gangart auf üblen Belägen große Fahrwerksreserven. Die mittels Handrad einstellbare Federbasis hinten erleichtert die Anpassung an Soziuseinlagen ungemein.
Beim Einlenken reagiert der Sportboxer etwas schwerfällig, in weitere Schräglagengrade fällt er leicht. Auch Kurven sollten im Interesse von Schräglagenfreiheit und konstanter Einfederung mit Zug am Hinterrad durcheilt werden. Die Bremsen profitieren vom Telelever, das immer für ausreichend Positivfederweg sorgt und so die Übertragung der Bremskräfte auf welliger Fahrbahn erleichert. An der Testmaschine funktionierte leider das aufpreispflichtige ABS nicht. Aber auch so überzeugten die Stopper mit guter Bremswirkung und angenehmer Dosierbarkeit. Die Bridgestone BT 56/BT 57-Bereifung flößte übrigens deutlich mehr Vertrauen ein als die bei vergangenen Tests montierten Dunlop D 205.
Alltag
Kein Kaufentscheid ohne Sitzprobe. Tester von 1,58 bis 1,93 Meter Größe fühlten sich wohl auf Ducati, Honda und Triumph, aber nur die Großen mochten die R 1100 S. Wirklich mißfallen hat keine Sitzposition. Die Triumph-Lenker sind ein bißchen weit weg, auch der BMW-Fahrer reckt sich weit vornüber und spreizt zudem die Beine ziemlich weit. Die hinteren Plätze sind durchgängig akzeptabel. Der BMW-Mitfahrer sitzt am bequemsten und fahrdynamisch ideal, großgewachsen allerdings voll im Wind. Die unpraktischen »Haltelöcher« empfehlen den Klammergriff am Fahrer. Recht gut auch die Honda-Rückbank, wo es außerdem die besten Griffe und Gepäckhaken gibt. Die Triumph und besonders die Ducati integrieren den Beifahrer als aktiven Teilhaber am Fahrgeschehen. Der Wind- und Wetterschutz geht ebenfalls bei allen in Ordnung, ist am besten bei der BMW. Lobend erwähnt sei das Licht der VFR, Schande über die Funzeln der R 1100 S und der ST 4.
Alle Prüflinge zeigen hohen Alltagsnutzwert, wenngleich die Ausstattungspakete Stärken und Schwächen aufweisen. Zum Beispiel der brilliante Seitenständer der Triumph oder den traurige der Ducati. Das reichhaltige Bordwerkzeug der BMW oder das nette Außenthermometer der Honda. Dann die aspherischen Rückspiegel und der gute Spritzschutz für das Duc-Federbein, die Stahlflex-Bremsleitungen und die servicefreundlich gekröpften Reifenventile der Triumph. Der unter der wohlbefestigten Verkleidungsflanke versteckte Mini-Öleinfüllstutzen der ST 4 ist nicht witzig, und ihre hohen Inspektionskosten können einem die Laune verderben. Die sind bei Triumph superniedrig. Aber warum die Briten wohl Torxschrauben verbauen? Da sei die wartungsfreundliche BMW gelobt.
Wie es uns gefällt
Nach viel Funktionsgerede ein paar Worte zum subjektiven Feeling abseits aller Punktewertungen. Auch im persönlichen Vorliebenranking aller Tester rangiert die Honda auf dem Schwiegermutterplatz. Das Pragmato-Bike bietet nämlich außer heiserem Sound wenig Persönlichkeit. Auch die Triumph, in der Funktion absolut überzeugend, mußte sich die Sympathien erst erfahren. Die ausladenden Formen wirken leblos und unnötig massig. An der R 1100 S scheiden sich, wie so oft, die Geister. Nicht jeder mag sie fahren, aber alle schätzen Eigenständigkeit, Charakter und das im Vergleich wirklich gelungene Styling. Die Ducati schließlich hat nur Fans. Das Rasseln der Trockenkupplung und das Bellen des Motors lassen das etwas triste Design schnell vergessen. Die ST 4 macht einfach Spaß. Und darum gehts letztlich beim Motorradfahren.
2. Platz - BMW R 1100 S
Nach Anlaufschwierigkeiten setzt sich der Sportboxer in diesem Testreigen gut in Szene. Er gefällt mit hohem Nutzwert im Alltag und großen Fahrwerksreserven auch im Zweipersonenbetrieb. Weniger schön: die extremen Lastwechselreaktionen und kräftigen Vibrationen. Einmal mit den Eigenarten vertraut, können vor allem große Fahrer mit der BMW glücklich werden.
3. Platz - Ducati ST 4
Das Bologneser Vollblut erntet reichlich Sympathiepunkte. Was für ein hervorragendes Fahrwerk, was für ein potenter Motor! Die recht kompromißlose Auslegung geht ein bißchen auf Kosten der Bequemlichkeit. Zudem stehen die fehlende Abgasreinigung und die insgesamt hohen Kosten einer besseren Plazierung im Weg. Trotzdem, Ducati ST 4, que bella machina!
4. Platz - Honda VFR
Für viele überraschend, landet Hondas Multitalent VFR knapp geschlagen auf dem undankbaren vierten Platz. Dabei ist sie eigentlich kinderleicht zu fahren. Ein Wort charakterisiert die Schlappe der Honda: schlapp. Ein relativ schlapper Motor, diesmal schlappe Bremsen und ein schon solo zu schlappes Fahrwerk. Defizite, die die Honda zum Schlußlicht machen.
1. Platz - Triumph Sprint ST
Veni, vidi, vici. Mit den unstreitbar besten Gesamteigenschaften katapultiert sich der britische Newcomer mit deutlichem Abstand auf den ersten Platz. Fahrwerk, Bremsen, Motor, Ergonomie - zwar gibt es hie und da was zu verbessern, aber schon jetzt ist die Sprint ST einfach gut. Bis auf das Styling vielleicht - aber das ist natürlich Geschmacksache.