»An und vier sich«, pflegt der Tankwart um die Ecke immer zu sagen, weil der Umlaut »ü« in seinem schlesischen Dialekt schon vor Jahrhunderten verlustig ging. »An und vier sich« hob er neulich wieder an, den Blick aus dem Kassenhäuschen lange auf die versammelte Testriege gerichtet, » ist ja nur die Schwarze da ein richtiges Motorrad.« Gemeint war Hondas CB Seven Fifty. So oder so ähnlich hätten die Motorräder ausgesehen, zu seinen Zeiten. Natürlich hatten die keine vier Zylinder in Reihe, hießen nicht Honda, sondern DKW oder BMW. Der deutsche Honda-Importeur in Offenbach scheint die Meinung des Tankwarts zu teilen. Lockere zehn Jahre ist die Seven Fifty nun im Sortiment und es drängt sich die Frage auf: Geht es hier nur ums zeitlose Design, oder kann auch die Technik noch mithalten?
Eine Frage, die sich Suzuki in Sachen Erscheinungsbild bei der GSX 750 F auf keinen Fall zu stellen braucht. Derart opulent verpackt rollt außer im Automobilbereich heute wohl kein Vierzylinder mehr durch die Gegend. Klar, früher war das Mode. Aber das waren Fototapeten im Wohnzimmer auch. Dass Suzuki trotzdem an der 750er festhält, mag an einer anderen Tatsache liegen. So viel Motorrad für so wenig Geld gibt es sonst kaum.
Bei Yamaha jedenfalls nicht, wenn man nur den puren Hubraum betrachtet. Wer in der Preisklasse um 7000 Euro unterwegs ist, greift bei den Stimmgabel-Produkten zur 600er-Fazer. Und damit nicht nur zum einzigen Motor des Feldes mit Wasserkühlung, sondern zu einer rundum modernen Konstruktion, die fürs Modelljahr 2002 nochmals aufgefrischt wurde und das wichtige Gesicht der großen Schwester erhielt.
Und Kawasaki? Geht einen ganz eigenen Weg. Kombiniert in der ZR-7S freudig Bauteile aus den unterschiedlichsten Epochen mit einer aktuellen Schale. Die ebenfalls ein Mittelding darstellt: Nicht ganz verkleidet wie die Suzuki, nicht nackt wie die Honda, aber doch mehr als bei der Fazer. Und treibt damit die Frage auf den Punkt: Wie viel Vierzylinder braucht der Mensch? An und vier sich.
Erstaunlicherweise ist sich die Dreiviertelliterfraktion in dieser Hinsicht weitgehend einig. 234 (ZR-7S und Seven Fifty) und 235 Kilogramm vollgetankt bei der GSX 750 F sind das Maß der Dinge. Erstaunlich deshalb, weil die Suzuki bei der ersten Kontaktaufnahme deutlich mächtiger wirkt, größer, behäbiger, so dass neben ihr die Honda fast zum Zwerg verkommt. Die Ursache: Plastik wirkt viel, wiegt aber nicht viel. Das gilt nicht nur für den Windschutz, sondern auch für die Sitzposition. Die ist in beiden Fällen »old fashioned« und doch ganz anders. So geschickt nämlich, wie die CB Seven Fifty ihr beachtliches Gewicht hinter zierlichen Proportionen verbirgt, so ungeniert kokettiert die Suzuki mit ihren barocken Formen, schwelgt in ausladenden Schwüngen. Auch da, wo es wirklich niemand braucht. Zwischen Sitzbank und den gemäß der sportlich angehauchten Ausrichtung recht tief angeklemmten Lenkerhälften zum Beispiel. Dort spannt sich der lange und vor allem hoch bauende Tank und verwehrt eine versammelte Position, während der Abstand zwischen Sitzbank und Fußrasten gemessen an aktuellen Maßstäben sehr gering ausfällt. Das genaue Gegenteil auf der Honda: flacher Tank, hoher Lenker, tiefe Fußrasten. Das freut den Traditionalisten, aber auch jene, die sonst auf sportlichem Gestühl durch die Gegend heizen. Jedenfalls, wenn es touristisch vorangeht oder die Straßen schlechter und die Bögen enger werden. Dann lässt sich die Honda deutlich handlicher und unverkrampfter bewegen, während die Suzuki immer besser gefällt, je höher das Tempo und je weiter die Kurvenradien werden.
Nicht nur, weil sich dann die Vorteile von so viel Plastik bemerkbar machen und Oberkörper sowie Beine effektiv vor Wind und Wetter geschützt werden, sondern auch, weil insbesondere die Dämpfungsreserven von Gabel und Federbein die der Honda und sogar die von ZX-7R und Fazer übertreffen. Das Resultat: ein deutlich direkteres Fahrgefühl, das sich dank Zugstufenverstellung der Gabel und Druck- sowie Zugstufenschräubchen am Federbein je nach persönlicher Vorliebe variieren lässt, während die Honda auf derartigen Schnickschnack nach alter Väter Sitte gänzlich verzichtet und bei Kawa und Yamaha lediglich die Zugstufendämpfung des Federbeins einstellbar ist.
Einen freiwilligen Verzicht traut man der klassischen Honda auch zu, wenn es um die Spitzenleistung geht. In der Tat sieht sie in dieser Hinsicht gegen die Suzuki alt aus. Während deren luft/ölgekühlter Vierzylinder angedenk der GSX-R-Ahnen immerhin noch gemessene 92 PS abliefert, lässt es die Seven Fifty bei 78 PS bewenden. Und landet damit man höre und staune zwei PS vor der vermeintlich aktuellen ZR-7S, deren Zweiventilmotor aber wir erinnern uns an die Zephyr selig durchaus dem Alteisen zugerechnet werden kann. Dass die beinahe gleich schwere Kawa trotzdem im Durchzug Boden gutmacht, liegt zum einen an der längeren Sekundärübersetzung der Honda, in höheren Geschwindigkeitsregionen an dem beträchtlichen Loch, dass diese in die Atmosphäre stanzen muss.
So ist es auch kein Wunder, dass bei 200 km/h das Ende der Fahnenstange erreicht ist, während sich die Suzuki zu beachtlichen 223 km/h aufschwingt und ebnso punktgenau wie in Sachen Leistung mit der Fazer gleichzieht, während der Kawasaki-Fahrer hinter der sehr gut schützenden Halbschale immerhin 211 km/h erreicht. Ein Tempo, bei dem die Fazer erstaunlicherweise unbeirrter geradeaus läuft wie die vollverschalte Suzuki, während die insbesondere in schnellen Kurven den fahrstabilsten Eindruck hinterlässt.
Dort hinterlässt auch die Seven Fifty einen besseren Eindruck, als man ihr dem Anschein nach zutraut. Vor allem, weil die Federbeine zwar altbacken wirken, doch feder- und dämpfungstechnisch auf der Höhe der Zeit sind. Selbst im Zweipersonenbetrieb. Spätestens dann aber sind die Grenzen der sehr weich abgestimmten Gabel und erst recht der Bremsanlage endgültig erreicht. Deren Doppelkolben-Schwimmsättel verbeißen sich äußerst zahnlos in die 296-mm-Scheiben. Schade eigentlich, denn für den Sozius hält ausgerechnet die Honda das komfortabelste Angebot bereit. Auch der Fazer muss man ein Lob aussprechen, weil nach der jüngsten Überarbeitung längere Touren in trauter Zweisamkeit nicht mehr so an den Grundfesten der Beziehung rütteln, wie es vor allem bei der Suzuki der Fall ist.
Dazu ist wenn es um die generelle Beziehung von Fahrer und Untersatz geht aber der Benzindurst der Honda geeignet. Nicht auf der Landstraße (für die Punktewertung maßgeblich). Da liegt die Seven Fifty zusammen mit der Fazer mit 5,8 Litern gar am günstigsten. Geht es jedoch um Konstantfahrt auf der Autobahn, wo sie sich in ihrer ganzen Nacktheit gegen den Wind stemmen muss, säuft sie wie ein Loch. 5,5 Liter bei konstant 100 km/h und gar 7,5 Liter bei 130 zeigen nicht nur, dass ein bisschen Plastik vorm Bug vielleicht nicht puristisch ist, aber aus ökonomischen Aspekten ebenso Sinn macht wie gezielte technische Weiterentwicklung abseits des reinen Datenfetischismus.
Auch bei Motorrädern mit klassischer Anmutung. Davon ist die Fazer zugegeben weit entfernt. Sie entspricht ganz und gar einem modernen, alltagstauglichen Vierzylinder. Bringt zum Beispiel mit 217 Kilogramm fast 20 Kilo weniger auf die Waage. Eine Tatsache, die man ihr schon im Stand, erst recht aber in Fahrt deutlich anmerkt. Schon nach den ersten Metern wird klar: Die 600er rangiert unter den großen Schwestern mal mehr (gegenüber der Suzuki) und mal weniger (gegenüber der Honda) als Springinsfeld. Allein die Pfunde dafür verantwortlich zu machen wäre jedoch zu kurz gesprungen. Mit 66 Grad steht der Lenkkopf deutlich steiler, mit 1415 Millimetern ist der Radstand deutlich kürzer und mit 110 Millimetern der Vorderreifen ein wenig schmaler als bei der mit 120ern besohlten Konkurrenz.
Abseits des schnöden Zahlenwerks äußert sich das in einer Lebendigkeit, die den beiden Alten, aber auch der jüngeren ZX-7S in allen Belangen überlegen ist. Geschmeidig diese Vokabel drängt sich auf, wenn es um den Tanz durchs Kurvenlabyrinth geht. Mit der Fazer eine Kurve anvisiert, behände abwinkeln, einen sauberen Strich ziehen und am Ausgang zielgenau herhausbeschleunigen. Das ist die hohe Schule. Dabei bleibt es dem Fahrer selbst überlassen, ob er bei dem flotten Wirbel die Führungsrolle übernimmt oder die Dame führen lässt. In jedem Fall endet es in einem harmonischen Zusammenspiel, an dem jeder seine Freude und dieser feine 600er-Motor mit seinem kraftvollen Antritt und seiner formidablen Drehfreude einen gehörigen Anteil hat.
Da wirkt der Umstieg auf die ZR-7S doch etwas ernüchternd. Nicht beim ersten Kontakt, im Gegenteil. Die schlanke Taille ohne unangenehme Tankkanten bei der Fazer trotz Nachbesserung immer noch störend und der breitere Rohrlenker, die bequeme Sitzbank sowie die gelungene Ergonomie schüren große Erwartungen. Doch erst mal in Fahrt, erweist sich die Kawa nicht mehr so umgänglich. Ein Grund: Der luftgekühlte 750er-Treibsatz ist ein vergleichsweise rauer Geselle. Wo das Yamaha-Pendant seidenweich säuselt, sich für den ersten Auftritt sanft dehnt und streckt, wirken diese Übungen auf der ZR-7S vom ersten Arbeitstakt an ungehobelter. Ein Eindruck, der sich fortsetzt, wenn es ernsthaft zur Sache geht. Denn obwohl die Kawa auf Bridgestones BT 020 und damit auf den mit Abstand modernsten Reifen aufs Kurvenparkett geht, wirkt sie im Vergleich zur Fazer ein wenig hüftsteif, knochig. Lenkt nicht so willig ein, hält nicht so sauber die Linie, sondern fährt eher den großen Bogen, will bewusster geführt werden. Das ist nicht träge, aber träger. Genau wie die Gabel in Sachen Federn nicht hart, aber härter ist als das traditionell sehr softe Yamaha-Pendant, das beim Zubeißen der formidablen einteiligen Vierkolbenzangen tief wegtaucht, im Landstraßenbetrieb jedoch stets genügend Reserven bereithält.
Von den Doppelkolben-Schwimmsätteln der Kawasaki kann man Letzteres leider nicht behaupten. Liefen die zuvor genannten Kriterien unter Ernüchterung, firmiert die Bremsanlage schlicht unter Enttäuschung. Kein Druckpunkt, bei normaler Handkraft kaum Wirkung: Wer ausschließlich ZR-7 fährt oder nur die Seven Fifty kennt, mag sich damit anfreunden. Wer von der Fazer umsteigt, läuft schnell Gefahr, vom nächsten Bremspunkt aus direkt in die Botanik abzubiegen.
Was schade wäre. Generell. Und im Speziellen, weil der Hubraum-Vorteil den Kawasaki-Motor zumindest im unteren und mittleren Drehzahlbereich gegen die modernere Yamaha-Konstrukion nicht ins Hintertreffen geraten lässt, sondern sogar geringfügige Durchzugsvorteile bietet, während ihm jenseits von 8000/min jenem Bereich, in dem der 600er erst richtig Ernst macht die Luft wegbleibt. Wie es besser geht, zeigt die Suzuki, die der Fazer durchzugsmäßig davon fährt und auch in der Beschleunigung dagegenhält. Wie es schlechter geht, zeigt die Honda. Bei der Beschleunigung noch mit bei der Musik, sieht sie in Sachen Durchzug kein Land.
Und ist somit das beste Beispiel dafür, dass der Plan, ein zehn Jahre praktisch ohne Modellpflege abgehangenes Motorrad zu einem durchaus zeitgemäßen (Listen)preis an den Mann zu bringen, nicht ohne weiteres aufgeht. Deutlich mehr bietet da schon die Suzuki, die sich in der Summe ihrer Qualitäten fast auf ZR-7S-Niveau befindet. Einem Niveau allerdings, welches an die in nahezu allen Belangen überlegene Fazer nicht heranreicht. Denn die ist nicht nur an und für sich ein gutes, zeitgemäßes Motorrad. Sondern absolut. Was wiederum dem schlesischen Tankwart absolut egal sein wird. Und jemandem, der so ein altes Schätzchen zum Schnäppchenpreis ergattern kann, dann doch zu einem nachdenklichen »an und vier sich« anregen könnte.
1. Platz - Yamaha FZS 600 Fazer
Dass die Fazer in diesem Feld vorne liegt, ist nicht so überraschend. Mit welchem Punkteabstand sie vorne liegt, schon. Wer sie kennt, weiß warum. Kaum ein anderes Motorrad fährt so leicht, so selbstverständlich und doch so dynamisch und geprägt von hohem Unterhaltungswert. Das hat nichts mit Zeitgeist oder Erscheinungsbild zu tun, sondern mit technischem Entwicklungsstand. Und da ist die Fazer im Gegensatz zu den Konkurrentinnen voll auf der Höhe.
3. Platz - Kawasaki ZR-7S
Die Kawasaki ZR-7S eine treue Begleiterin für den Motorradalltag. Bequeme Sitzposition, guter Windschutz, reichhaltige Ausstattung. Das passt schon. Zur Fazer fehlt ihr allerdings eine ganze Menge. In Sachen Handling die spielerische Leichtigkeit, in Sachen Motor die zeitgemäße Dynamik. Und bei den Bremsen eigentlich alles, weil man derart schlechte Stopper gerade von den Grünen nicht gewohnt ist. Da heißt es nachbessern, und zwar gründlich.
2. Platz - Suzuki GSX 750 F
Das nicht mehr ganz taufrische Konstruktion der vollverschalten Suzuki wird an der Sitzposition am deutlichsten. Lang über den Tank gestreckt: Das war eindeutig gestern und macht den Umgang mit ihr nicht eben spielerisch. Im übrigen aber schlägt sie sich tapfer. Hat ein vollwertiges Fahrwerk und einen rauen, doch kräftigen Motor, der für Landstraße und Autobahn locker ausreicht, einen ordentlichen Windschutz, gute Bremsen und eine vollwertige Ausstattung.
4. Platz - Honda CB Seven Fifty
Der Umgang mit der Seven Fifty ist so, wie man das von einem schnörkellosen Klassiker erwartet: einfach, unkompliziert aber eben im Rahmen ihrer Möglichkeiten. Längere Autobahntouren sind auf ihr ein Martyrium, auf der Landstraße setzen die weiche Gabel, die geringe Schräglagenfreiheit und die schlechte Bremse die Grenzen, und auch der Vierzylinder kann modernen Ansprüchen vor allem beim Verbrauch nicht mehr genügen. Alles in allem kein Ruhmesblatt. An und vier sich.