Der eine mag es aufrecht, der andere eher vorderradorientiert: Weil diese beiden Sporttourer aus der Mittelklasse eindrücklich beweisen, dass es so etwas wie Eier legende Wollmilchsäue immer noch gibt, klären wir, welches Konzept alles besser kann.
Der eine mag es aufrecht, der andere eher vorderradorientiert: Weil diese beiden Sporttourer aus der Mittelklasse eindrücklich beweisen, dass es so etwas wie Eier legende Wollmilchsäue immer noch gibt, klären wir, welches Konzept alles besser kann.
Mit Anfang 20 hat man noch Feuer unterm Hintern. Uni, Party, Liebeleien und eine flexible Tagesplanung – mehr braucht es nicht, um durch das Jahr zu kommen. Na gut, vielleicht noch Bier. Verbindlichkeit gibt es nur unverbindlich: Kommst du heute, kommst du morgen! Zu diesem Lebensstil muss auch das Bike passen. Schließlich will man alles auf einmal: Universal ist ideal. Man will reisen, rasen und Rabatz machen, aber auch cool sein und die hübsche, blonde Austauschstudentin aus Schweden mitnehmen können – samt Zeltausrüstung versteht sich. Deshalb gibt es für das lang Ersparte auch nur eine wahre Bestimmung: den Sporttourer bzw. so ein Crossover-Bike. Schick ist, was nützt!
So eine Ninja von Kawasaki macht da schon was her. Allein der Name: Eine Ninja zu besitzen hat per se etwas Rebellisches. Man muss ja nicht betonen, dass es sich im Falle der 650er um die Nachfolgerin der ER-6f handelt, sie die zivilste Ninja im Portfolio der Japaner ist und ihr Reihenzweizylinder in der Spitze gerade mal 68 PS und 65 Newtonmeter drückt. Das mag wenig brachial klingen, doch für den Alltag reicht das locker. Und gerade hier soll die Ninja schließlich überzeugen, soll auf jede Gefühlsregung des jungen Geistes ihres Piloten eine passende Antwort parat haben.
Klar gibt es Alternativen. Außer der sportlichen, samt Gepäckhalterungen nur 195 Kilogramm schweren Ninja 650 wird ja bereits seit ihrer Vorstellung im Jahr 2014 die Yamaha MT-07 in höchsten Tönen gelobt. Doch bietet sie im Serienzustand nicht wirklich Reisequalitäten. Die Crossover-Variante Tracer 700 mit leicht modifiziertem Rahmen, größerem Radstand, 17-Liter-Tank, Verkleidung und Windschild passt da schon viel besser. Außerdem gilt sie in Fachkreisen als „die bessere MT-07“. Nun ja, so sportlich wie die Ninja schaut sie nicht aus, schnittig und detailreich gezeichnet ist sie allemal. Mit 75 PS und 68 Newtonmetern hat ihr Crossplane-Zweizylinder sogar ein paar Körner mehr im Köcher. Und wer weiß: Womöglich hängt sie die Ninja auf der Landstraße locker ab? Probieren geht über Studieren – und vielleicht liegen die beiden Sporttourer-Konzepte am Ende näher beieinander, als man beim Blick auf die Fahrerhaltung erwarten durfte?
Lässig schwingt man das Bein über die Sitzbank der Ninja in 790 Millimeter Höhe, freut sich, dass auch Kleingewachsene die Füße locker auf den Asphalt stellen können. Bis 1,80 Meter Größe fällt der Kniewinkel kommod aus, der Knieschluss angenehm schmal. Nur größere Personen ordern besser die 30 Millimeter höhere Sitzbank. Die hochgezogenen Lenkerstummel liegen prima in Griffweite, der Oberkörper positioniert sich zwar vorderradorientiert, aber entgegen der ersten Vermutung vergleichsweise aufrecht hinter dem optionalen Touring-Windschild. Beeindruckend, wie die Ninja ihren Fahrer integriert – vor allem im Vergleich mit der Tracer. Auf der Yamaha thront man nämlich geradezu. Aber trotz ihrer imposanten Erscheinung müssen selbst Fahrer um die 1,65 Meter keine Bange haben, an der Ampel nicht den ersehnten Teer unter die Füße zu bekommen. 830 Millimeter Sitzbankhöhe klingen verdächtig hoch, doch das Motorrad baut schmal – Schrittbogenlänge ist hier das Zauberwort! Lässig wie auf einem Ohrensessel hockt man auf der drahtigen Japanerin, fühlt sich auf ihr wie auf einer großen Reiseenduro, die mit 200 Kilo Gesamtgewicht (inklusive optionalen Kofferträgern, Touring-Scheibe und beheizbarer Sitzbank) aber nur Kleidergröße 36 trägt. Die optimal positionierte und nicht zu breite Lenkerstange ermöglicht spielerischen Umgang mit der Tracer, lässt die tollen Handling-Eigenschaften des Bikes schon knapp über Schrittgeschwindigkeit angenehm zur Geltung kommen. Wahnsinn, wie frech man die 700er von links nach rechts umklappen kann. Nur der innige Kontakt, das Einssein von Mensch und Maschine, das mag sich auf ihr nicht so schnell einstellen wie auf der Kawa.
Ohnehin punktet gerade die Ninja damit, dass sie es ihrem Piloten in jeder Hinsicht einfach macht. Ihre Trümpfe sind Stabilität, Neutralität und Homogenität. Wie bitte? Ja, wirklich, diese Kawasaki überzeugt von Motor bis Fahrwerk nicht durch ihre Extreme, sondern ihre Ausgewogenheit. Langweilig? Nee, alles in allem ein richtig gutes Motorrad! Federleicht und mit nur einem Finger lässt sich die Anti-Hopping-Kupplung bedienen (Servounterstützung). Ohne Kraftaufwand und Getöse finden alle sechs Gänge geschmeidig ihren Kraftschluss. Sanft geht der Reihenzweizylinder ans Gas, dreht von 2000 Touren an motiviert durchs Drehzahlband. Dank kurzer Übersetzung und homogener Leistungsentfaltung steht immer ausreichend Zug an der Kette zur Verfügung. Geringe Lastwechselreaktionen, ein bestechend neutrales Lenkverhalten und aufstellungsarme Dunlops D214 komplettieren das Rundum-sorglos-Paket der Ninja 650, deren Nissin-Schwimmsättel sich obendrein feiner dosieren lassen als die Festkolbensättel der Yamaha. In Kombination mit einem zackig regelnden ABS ermöglicht die Kawa so kurze Bremswege. Boah, was für eine Vorstellung. Das sitzt!
Vor allem, weil schon die Tracer 700 niemanden überfordern dürfte. Doch ihre Kupplung und das Getriebe lassen sich nicht ganz so leicht und exakt bedienen, Lenkbefehlen folgt sie unverbindlicher, ja, eine Spur unwilliger. Ihr straffes Fahrwerkssetup bietet zwar deutlich mehr Reserven für die Fahrt zu zweit oder beim Ritt auf der letzten Rille, allerdings fällt die Tracer nicht neutral in Schräglage, neigt vor allem beim Bremsen und auf Bodenwellen zum Aufstellen. Wo das tendenziell komfortabel abgestimmte Kawa-Fahrwerk kurze Verwerfungen und lange Wellen satt schluckt, dabei aber wegen zu geringer Dämpfung etwas ins Pumpen gerät, bockelt die Tracer hölzern über Schlaglöcher hinweg, stellt sich auf und lässt den Fahrer bzw. dessen Handgelenke die Erschütterungen ausbügeln.
Die aufgezogenen Michelin Pilot Road 4 machen die Yamaha zwar trotz des breiten 180er-Hinterreifens (die Kawa ist mit einem 160er-Pneu besohlt) erfreulich agil, in tiefen Schräglagen neigt das Motorrad allerdings zum Kippeln. So wirbelt die Tracer zweifellos motiviert und durchaus rasant durchs Geläuf, wie ein Brett liegt sie aber im Kurvenkarussell der Schwäbischen Alb nicht. In der Summe nicht ganz so angriffslustig, dafür umso stabiler präsentiert sich die Ninja 650. Sie bleibt selbst beim harten Ankern vor der Kurve akkurat auf Linie, zieht auch in tiefen Schräglagen unbeirrt ihre Bahnen.
Logisch, beide Bikes sind keine reinen Rennsemmeln, bieten dafür hohen Alltagsnutzen: Die Verkleidung und der bereits in der Serie dreifach verstellbare Windschild der Kawa schützen beispielsweise Beine und Oberkörper des Piloten hervorragend. Soll auch der Helm vollständig aus dem Luftzug verschwinden, muss sich der Fahrer flach über den 15-Liter-Tank spannen. Dann hört man prima das röchelnde Ansauggeräusch des Triebwerks oder aber ärgert sich über die Vibrationen des Zweizylinders. Häh? Ja, der Motor der Ninja vibriert durchaus kräftig, lässt Fahrer und Sozia ab 5000 Touren feinnervig erzittern. Deutlich laufruhiger gibt sich das Tracer-Triebwerk, das dank des Hubraumvorteils souveräner auftritt. So serviert die 700er ihre Leistung stets mit einer gewissen Würze, die manch einer auf der Kawa vermissen mag. Der Crossplane-Zweizylinder der Yamaha reagiert direkter und mit mehr Schmackes auf Gasbefehle, spricht dafür nicht so butterzart an wie der Ninja-Motor.
Und die Reisequalitäten? Nun, der Beifahrerin fehlt es auf der Kawa definitiv an Entfaltungsmöglichkeiten. Sie bietet nur ein schmales Sitzpölsterchen, wenig Platz für die Füße bei hoch positionierten Rasten. Auf der Tracer 700 hingegen fährt man mit der potenziellen Schwedin hintendrauf locker bis nach Schweden. Nicht nur sorgt der stufenlos einstellbare Windschild für Ruhe in der Kommandozentrale, auch die Sozia sitzt komfortabel, einfach entspannter. In die soliden Zubehörkoffer passt zudem mehr Gepäck als in die kleineren Taschen der Ninja. Bei mickrigen 167 Kilo Zuladung sollte man das zulässige Gesamtgewicht aber stets im Auge behalten. Schade eigentlich, denn das straffe Fahrwerk der Yamaha verträgt mehr.
Einen wirklichen Patzer erlaubt aber auch sie sich in der Sozius-Wertung: Nicht nur, dass das ABS mit groben Regelintervallen kürzere Bremswege verhindert, sondern dass es beim Verzögern mit Sozius Stoppies nicht unterbindet, muss man der Tracer vorwerfen. In brenzligen Situationen kann eine Rolle vorwärts nicht ausgeschlossen werden.
Kann es bei dieser gemischten Bilanz überhaupt einen klaren Sieger geben? Die Kawa fährt sich leichter, sicherer, verbraucht weniger, verträgt auch einen flotten Strich, aber nur ungern eine Sozia. Ihr größter Fauxpas sind die Vibrationen des Zweizylinders. Die Tracer wiederum punktet in allen Kategorien solide, wirkt erwachsener, hat den spritzigeren Motor, aber nicht die überragende Leichtigkeit und Neutralität der Ninja. Dafür lässt sich mit ihr trefflich reisen und auch die Dame des Herzens getrost aufladen. Nach Punkten siegt die Tracer. Preis-Leistungs-Sieger wird die Ninja. Entscheiden muss am Ende jeder selbst: Es bleibt also eine Frage der Haltung.
1. Yamaha Tracer 700
Ein richtig erwachsenes Motorrad, das den Spagat zwischen Reisen und Rasanz hervorragend meistert. Das Fahrverhalten sollte jedoch neutraler ausfallen, die Fahrwerkselemente dürften sensibler ansprechen.
2. Kawasaki Ninja 650
Sie bietet ein Rundum-sorglos-Paket aus tollem Fahrverhalten, kräftigen Bremsen, sparsamem Motor und sportlicher Optik. Wenn jetzt noch der Zweizylinder weniger vibrierte und die Sozia mehr Platz hätte …