MOTORRAD wollte es wissen: Was erlebt man beim Kauf einer Gebrauchten? War der bezahlte Preis zu hoch? Und wie ermittelt man überhaupt den Wert einer Gebrauchten?
MOTORRAD wollte es wissen: Was erlebt man beim Kauf einer Gebrauchten? War der bezahlte Preis zu hoch? Und wie ermittelt man überhaupt den Wert einer Gebrauchten?
Das gabs noch nie. Bisher kaufte MOTORRAD für den redaktionseigenen Dauertest-Fuhrpark ausschließlich aktuelle Neumaschinen. Doch angesichts der immer größer werdenden Bedeutung des Gebrauchtmarkts in Deutschland entschloß sich MOTORRAD nun, diesem Fuhrpark einmal ein gebrauchtes Motorrad einzuverleiben.
Aber welches? Es sollte noch in großen Stückzahlen am Markt vertreten sein, damit die geplanten Folgegeschichten wie beispielsweise »aktuelle Reifenempfehlungen« oder »Verbesserung alter Fahrwerke« für möglichst viele Leser interessant sind. Möglichst zuverlässig sollte es sein, außerdem nicht sehr teuer und nicht sehr verkleidet, damit es ohne aufwendige Demontagearbeiten für die ein oder andere Schraubergeschichte herhalten kann. Und schließlich, ein auf dem Privatmarkt wohl eher exotischer Wunsch, sollte das Wunschmotorrad schon möglichst viele Kilometer auf dem Buckel haben - der Einstiegs-Kilometerstand sollte deutlich jenseits der 50 000 liegen.
Die Entscheidung fiel recht schnell. Ein Interessent für eine BMW K 1100 RS schaute auf seiner Suche bei einem Gebrauchtmotorrad-Händler vorbei und wollte gleichzeitig seine alte Yamaha XJ 900 F in Zahlung geben. Der Händler wußte von dem MOTORRAD-Vorhaben und vermittelte den Kontakt.
Die ersten Angaben am Telefon hörten sich vielversprechend an: Erstzulassung 1986, erste Hand, sämtliche Inspektionen beim Händler durchgeführt, guter Zustand mit leichten Gebrauchsspuren, Kilometerstand rund 60 000, Krauser-Träger samt Koffer sind im Kaufpreis enthalten, ein Schwarz-Lenkkopflager ist montiert. Schön. Und der Preis? 4500 Mark. Schluck. Naja, angucken kann man sie ja mal, und erfahrungsgemäß läßt sich am Preis ja noch was machen.
Ein paar Tage später stehen zwei MOTORRAD-Redakteure bei dem Verkäufer auf der Matte. Der Zustand der XJ ist angesichts des Alters von elf Jahren wirklich noch recht gut. Die Lackierung zeigt sich proper, nur der rechte Motorseitendeckel hatte unter zu langer Kaltreiniger-Einwirkung gelitten, und an der Reparatur der verschlissenen Sitzbank hatte sich der Bruder des Verkäufers, seines Zeichens Schuhmacher, versucht - und so etwas offensichtlich noch nie vorher probiert. Die Verkleidung ist auf der linken Seite nach einem Umkipper eingerissen - da aber der Lenkanschlag unbeschädigt blieb, sind keine Fahrwerksschäden zu erwarten. Letzte Sicherheit kann aber nur, wie schon so oft in MOTORRAD geschrieben, nur eine Probefahrt bringen. Also Motor anlassen: Kurzer Griff zum Zylinder - ist noch kalt, demnach hat sie der Verkäufer vorher nicht warmlaufen lassen. Springt super an, läuft sofort rund und macht keine absonderlichen Geräusche. Helm auf und ... halt, da ist ja gar kein Kennzeichen dran. Oh Mann, da predigt MOTORRAD ständig »erkundigt Euch schon am Telefon, ob das Motorrad zugelassen ist und bringt ansonsten eine rote Nummer mit« und dann das - in der Hektik vergessen. Peinlich. Dann eben keine Probefahrt.
Dennoch, die soll es sein, jetzt darf gehandelt werden. Denkste, der Verkäufer zeigt sich beinhart: »Ich bin selbst im Einkauf tätig, der Preis von 4500 Mark ist reell, gehandelt wird in Marokko«. Aha. Wußte der Verkäufer vielleicht von der momentanen Angebots-Knappheit und gleichzeitigen Beliebtheit gebrauchter Motorräder zwischen 4000 und 6000 Mark? Machte er sich die Frühjahrs-Hektik auf dem Gebrauchtmarkt zunutze? Oder spürte er gar die labile geistige Verfassung des Autors, der kurz davor stand, Vater zu werden? Wie auch immer, 4400 Mark waren sein letztes Wort - MOTORRAD schlug - leicht zähneknirschend - ein. Und hat jetzt eine gebrauchte XJ 900 F im Dauertest. Angepeiltes Ziel: 150 000 Kilometer.
Im Eifer des Besichtigungs-Gefechts übersieht man doch immer wieder die eine oder andere Macke. Daher nahm MOTORRAD-Mitarbeiter Uli Baumann die XJ 900 F nach dem Kauf in die Werkstatt und dort noch einmal gründlich unter die Lupe. Glücklicherweise traten keine weiteren Mängel außer den bereits gefundenen zutage. Die Mechanik erwies sich als kerngesund - das Kompressionsdiagramm wie aus dem Lehrbuch. Auch das Fahrwerk hatte, wie gehofft, durch den Umkipper keinen Schaden davongetragen, wie erste längere Fahrten mit der mittlerweile angemeldeten XJ bewiesen.
Es ist wirklich nicht leicht, den Wert eines Motorrads festzulegen, die vielen hilfesuchenden Anfragen in der Redaktion beweisen dies täglich. Die einfachste Möglichkeit ist, in den einschlägigen Anzeigenblättern oder im Kleinanzeigenteil von MOTORRAD nach vergleichbaren Motorrädern suchen. Wichtig zu wissen: private Verkaufsofferten sind häufig einige hundert Mark zu hoch angesetzt, hier ist der Verhandlungsspielraum gleich mit eingerechnet. Im Fall der Yamaha XJ 900 F schlug dieser Versuch jedoch fehl, denn es fand sich tatsächlich kein einziges »Vergleichsmotorrad« - auch das kommt vor. Also die nächste Möglichkeit: der Blick in eine Preisliste. Doch nicht jeder hat die aktuellen Ausgaben der Deutsche Automobil Treuhand (DAT) oder der Eurotax/SCHWACKE GmbH zur Verfügung. Lohnt sich für den Privatmann auch gar nicht, denn die Monatsausgabe der DAT kostet rund 50, das vierteljährlich erscheinende Heft von Eurotax/SCHWACKE rund 70 Mark. Daher druckt MOTORRAD in unregelmäßigen Abständen einen Auszug aus dem SCHWACKE-Komplettwerk ab (der letzte erschien in Heft 7/1997). Also: Yamaha XJ 900 F, Baujahr 1986 ... Fehlanzeige. Die Listen reichen nur zehn Jahre, also bis 1987 zurück. Dann muß eben der 1987er Wert als Anhaltspunkt herhalten: 3350 Mark mit rund 83 000 Kilometer Laufleistung. Da besagte XJ aber nur 60 000 Kilometer auf dem Buckel hat, dürfen für die 23 000 Minderkilometer noch zirka 17 Prozent auf die 3350 Mark aufgeschlagen werden - macht rund 3900 Mark. Wohlwollend für das eine Jahr wieder 300 Mark abgezogen ergeben sich 3600 Mark.Auch ein Anruf bei einem Händler, am besten einem Gebrauchtmotorrad-Dealer, kann hilfreich sein, seine spontane Schätzung nach telefonischer Beschreibung: zwischen 3500 und 4000 Mark.Wer die Zeit hat und bereit ist, einige Mark zu investieren, kann sein Motorrad beziehungsweise das, was er kaufen möchte, auch von einem Gutachter schätzen lassen. Die Wertermittlung eines privaten Gutachters (auf SCHWACKE-Basis) kostete 135 Mark und ergab 3500 Mark, .ein Gutachter, der auf DAT-Basis schätzt, verlangte für seine Arbeit xxx Mark und kam auf einen Wert von xxxx Mark.Bleibt der letzte interessante Preis, der Kaufpreis. MOTORRAD konnte die ürsprüngliche Summe von 4500 mit viel Mühe wenigstens auf 4400 Mark herunterhandeln.Zu viel bezahlt? Wie mans nimmt. Legt man die Gutachten zugrunde, sicher. Da aber bekanntlich das Angebot die Nachfrage regelt und die alten XJ 900 F zur Zeit auf dem Privatmarkt scheinbar ausverkauft sind, ist der Preis doch wieder gerechtfertigt. Und außerdem, als Trost die alte Verkäuferweisheit: Ein Motorrad ist immer so viel wert, wie dafür bezahlt wird.