Zum Schluss trägt die Rebellin Weiß. Räubert nicht mehr in fremden Revieren, tritt zurück ins zweite Glied, schießt nicht mehr scharf. Trotzdem kann man mit der Suzuki Bandit 1250 S noch Pferde stehlen. Wetten, dass?
Zum Schluss trägt die Rebellin Weiß. Räubert nicht mehr in fremden Revieren, tritt zurück ins zweite Glied, schießt nicht mehr scharf. Trotzdem kann man mit der Suzuki Bandit 1250 S noch Pferde stehlen. Wetten, dass?
As time goes by. Man muss beim Thema Suzuki Bandit 1250 nicht so anfangen – aber es liegt nahe. Schließlich hat sie alles mitgemacht in den vergangenen 17 Jahren. 1996 als Trendsetter einer neuen Klasse geboren, dann lange Jahre als unangefochtene Quotenqueen geliebt und verehrt, heute Repräsentantin einer aussterbenden Rasse.
Das geht an niemandem spurlos vorbei. Auch nicht an der Bandit. Allerdings: Wer sie lange nicht gesehen hat, staunt über ihre gute Form. Rein äußerlich hat sie jedenfalls kein Fett angesetzt. Im Gegenteil. Die Bandit kaschiert ihre 255 Kilogramm angesichts der heute üblichen Abmessungen mancher trendigen Reiseenduro so geschickt, dass man ihr den Big Block mit zeitgemäßen 1250 Kubikzentimetern nicht ohne Weiteres abnimmt und sich fragt, ob das vor einem wirklich die 1250er und nicht die kleine, weitgehend identische Schwester mit 650 Kubikzentimetern ist.
Besonders, wenn sie sich ein wenig zurechtgemacht hat. Ganz in jungfräulichem Weiß, mit Yoshimura-Schalldämpfer statt fettem Ofenrohr, getönter Touring-Scheibe und schwarzen Streifen auf Tank, Schutzblech und Heckverkleidung. Das hat etwas Flottes, durchaus Dynamisches und wirft die Frage auf: Warum geht bei der Bandit nichts mehr?
262 Zulassungen bis Ende Juni, Platz 62 der Zulassungsstatistik. So schlechte Zeiten hat die einstige Topsellerin in ihrer ganzen Karriere noch nicht gesehen. Und das, obwohl sie als 2012er-Modell (entspricht technisch absolut der 2013er-Variante) derzeit als Best-Price-Modell für 8890 Euro zu haben ist und selbst der aktuelle Listenpreis mit 9740 Euro noch Respektabstand zur 10000er-Schallmauer hält. Jetzt mal im Ernst: Darüber lohnt es sich doch nachzudenken, oder nicht? Eine ausgewachsene 1250er für unter 9000 Euro – mehr Motorrad gibt’s nirgendwo fürs Geld.
Doch zurück zur Frage, warum dieses Motorrad den aktuellen Ansprüchen nicht mehr genügen kann. Sind es die nominell 98 PS, von denen die leistungsverwöhnte Klientel abgeschreckt wird, obgleich sich bei der großen Bandit vom ersten Modell an regelmäßig mehr Pferdchen einfanden als versprochen wurden (aktuell 110 PS)? Oder ist es doch die Patina der vielen Jahre, das biedere Image, der fehlende Techno-Kick?
Wie so oft gibt auch bei der Bandit zunächst die Ergonomie Hinweise auf ihre lange Geschichte. Das Bestreben nämlich, ausreichende Schräglagenfreiheit zu gewährleisten und trotzdem die Sitzhöhe nicht in den Himmel wachsen zu lassen, führte noch im Japan des aufgehenden neuen Jahrtausends regelmäßig zu relativ geringen Fußrasten-Sitzbank-Abständen. Das ist sogar bei der erst 2007 angetretenen letzten Bandit-Variante so, obgleich deren Sitzhöhe in zwei Stufen verstellbar ist. Aber, um ehrlich zu sein, daran gewöhnt man sich, wenn man nicht gerade über ein Zwei-Meter-Gardemaß verfügt.
Als Zweites sticht die biedere Cockpit-Architektur ins Auge. Ein analoger Drehzahlmesser, kombiniert mit digitalen Basisinformationen im zweiten Rundinstrument – dieser gestalterische Versuch muss aus heutiger Sicht als misslungen gelten. Es ist weder schön noch umfangreich, das Info-Display der Bandit. Aber auch das geht nach kurzer Gewöhnung nicht als ernst zu nehmender Verweigerungsgrund durch.
Bleiben Motorleistung, Fahrwerk und Design. Bezüglich des ersten Punktes lohnt ein Rückblick in die lange Bandit-Geschichte. „Ist der reißende Wolf vergangener Tage zum zahnlosen alten Hund verkommen?“, fragte Kollege Jupp Schmitz bildhaft schon im Herbst 1995 angesichts des ersten Bandit-Tests, weil der neue Star am Naked Bike-Himmel mit nominell 98 PS (als luft-/ölgekühlter Ableger aus der Sportlerin GSX-R 1100 R) freiwillig auf möglichst hohe Spitzenleistung verzichtete. Die Antwort lieferte eine Anekdote aus dem damaligen Testalltag. „Nach dem dritten wegen drohendem Überschlag rückwärts abgebrochenen Versuch, mit der Suzuki eine zackige Beschleunigung solo aus dem Stand hinzukriegen, ist der Tatendrang des Messdieners Helmut Faidt deutlich eingebremst. Was Helmut nervt: „Das Ding steigt nicht beim Losfahren, sondern erst nach etlichen Metern bei schon voll eingerückter Kupplung.“
Okay, damals wog die Bandit mit 233 Kilogramm rund 20 Kilo weniger als heute. Aber auch diese an aktuellen Maßstäben gemessen recht harmlose Relation von Leistung und Gewicht reichte wegen des großen Hubraums locker aus, um begeisternde Fahrleistungen zu realisieren. Von 0 auf 100 km/h in 3,7 Sekunden, 160 km/h lagen nach 8,6 Sekunden an. Und dann erst der Durchzug: „Tempo 60 auf 140 in 8,9 Sekunden, das war noch nie da, auch nicht bei 150-PS-Monstern. Ein Leben im fünften Gang – die GSF 1200 macht’s möglich“, schwärmte Schmitz.
Heute hätte er noch mehr Grund zur Schwärmerei. Auf 100 km/h beschleunigt die aktuelle Bandit in 3,5 Sekunden – und zwar ohne akrobatische Einlagen. 200 Sachen sind nach gut 14 Sekunden erreicht, das reicht auch für die meisten Porsches. Und den Durchzug von 60 auf 140 km/h erledigt die Bandit nun in 8,3 Sekunden. Jetzt mal ganz im Ernst: Angesichts dieser Zahlen möge ein jeder einmal seine persönlichen Fahrgewohnheiten überprüfen und darüber nachdenken, wann er angesichts der akuten Verkehrsdichte einmal einen echten Leistungsmangel verspürte.
Also: Dass es mittlerweile viel, viel stärkere Naked Bikes gibt, scheidet zumindest als rationales Element gegen eine Bandit aus. Viel eher kommt da das Fahrwerk in Betracht. Ein Doppelschleifenrahmen aus Stahl spiegelt sicher nicht den letzten Stand der Technik wider, 255 Kilogramm Gewicht versprechen kein Handling der Superlative. Und tatsächlich ist eine Bandit 1250 S eher auf der betulichen denn auf der sportiven Seite zu Hause, kann es mit modernen Konstruktionen hinsichtlich der Agilität und der Präzision nicht aufnehmen. Aber muss sie das? Schließlich ging das den 16 Jahrgängen davor ebenso, und es hinderte diese nicht daran, mal mehr (vom Modelljahr 2003 wurden über 4000 große Bandits verkauft), mal etwas weniger erfolgreich zu sein.
Die Bandit 1250 S kam in ihrem Premierenjahr 2007 auf knapp 3000 Einheiten, und selbst 2012 gingen noch über 1000 Stück über den Tresen. Außerdem gäbe es ein einfaches Mittel, um der großen Bandit spürbar geschmeidigere Umgangsformen anzuerziehen. Ein einfacher Reifenwechsel wirkt in diesem Fall Wunder. Einfach mal einen Michelin Pilot Road oder den aktuellen MOTORRAD-Tourenreifen-Sieger Pirelli Angel GT statt des angejahrten Dunlop D 218 aufziehen, und schon präsentiert sich die Bandit von einer viel dynamischeren Seite.
Bleibt als dritter und letzter Punkt das Design – oder besser: der Zeitgeist. Und damit ein Kapitel, das man nicht so einfach argumentativ entkräften kann. Der Zeitgeist ist der großen Bandit eindeutig davongefahren, und sie hat keine Chance, ihn wieder einzuholen. Aggressiver müssen sie heute sein, die großen Nackten, martialisch im Auftritt, böse im Blick. Ein grundsolides Motorrad ist nicht mehr gefragt. Da hilft dann nur das Umbauen – zum Streetfighter –, was ja auch tausendfach geschehen ist. Oder sich besinnen. Darauf, was man von einem Motorrad wirklich will.
Wenn’s um einen genussvollen Trip zum nächsten Badesee geht, den täglichen Weg zur Arbeit oder auch mal ein Wochenende in den Alpen, ist die Bandit eine treue, zuverlässige Begleiterin. Das war sie immer. Und das ist vermutlich ihr größtes Problem. Denn wie sagt der alte Bandit-Hase Poensgen so treffend: „Für jemanden, der schon eine Bandit hat, gibt es keinen Grund, eine neue zu kaufen.“ Und eine Bandit haben ziemlich viele gekauft in den vergangenen 17 Jahren.
Motor
wassergekühlter Vierzylinder-Viertakt-Reihenmotor, Bohrung x Hub 79,0 x 64,0 mm, Hubraum: 1255 cm³, Verdichtung 10,5:1, Leistung 72,0 kW (98 PS) bei 7500/min, maximales Drehmoment 108 Nm bei 3700/min, Einspritzung, Ø 36 mm, Sechsganggetriebe, O-Ring-Kette.
Fahrwerk
Doppelschleifenrahmen aus Stahl, Telegabel, Ø 43 mm, Zweiarmschwinge aus Aluminium, Zentralfederbein mit Hebelsystem, Doppelscheibenbremse vorn, Ø 310 mm, Vierkolben-Festsättel, Scheibenbremse hinten, Ø 240 mm, Einkolben-Schwimmsattel, ABS, Reifen 120/70 ZR 17; 180/55 ZR 17.
Maße und Gewichte
Radstand 1485 mm, Federweg v/h 130/136 mm, Sitzhöhe 785–805 mm, Gewicht vollgetankt 255 kg, Zuladung 220 kg, Tankinhalt 19,0 Liter.
Preis
9740 Euro
Herr Poensgen, die große Bandit steht aktuell auf Rang 62 der Zulassungscharts. 262 verkaufte Einheiten seit Beginn des Jahres, Stand Juni. Zu Ihrer aktiven Zeit bei Suzuki war dieses Motorrad regelmäßig ganz weit vorne zu finden, war sozusagen Ihr Liebling. Ist das nicht furchtbar?
Poensgen: Ja, ganz furchtbar. Auf der einen Seite. Auf der anderen Seite kann ich das aber ganz gut nachvollziehen. Die Bandit gibt es halt schon furchtbar lange. Ich weiß gar nicht, wie lange sie jetzt schon auf dem Markt ist. Die Zeiten ändern sich.
Die große Bandit wurde in Japan 1995 vorgestellt und seit 1996 offiziell importiert.
Poensgen: Sehen Sie. Unglaublich!
Welche Rolle haben Sie, hat Suzuki Deutschland damals bei der Entwicklung der großen Bandit gespielt?
Poensgen: Selbstverständlich waren wir ein treibender Faktor. Aber nur einer von vielen, muss ich dazusagen. Wir haben natürlich zwei, drei Jahre bevor das Motorrad hier auf den Markt kam intensiv an dem Konzept mitgearbeitet.
War damals ganz klar, wie dieses Motorrad konfiguriert sein musste, um auf dem deutschen und dem europäischen Markt zu bestehen? Was war das Bandit-Erfolgsgeheimnis?
Poensgen: Eins war von vornherein ganz klar: Dieses Motorrad musste nackt oder bestenfalls halb verkleidet sein. Und es musste einen starken, guten Motor haben. Dazu kam eine einfache Wartung und dass es auch im Soziusbetrieb gut funktioniert. Weiterhin sollte die Bandit gut aussehen und am Ende des Tages auch einen Preis haben, den der Kunde voll akzeptiert. Sie war ein Fahrzeug, das irgendwie jeder mochte und für sich selbst in Erwägung ziehen konnte. Das war absolut wichtig.
Inwieweit konnten Sie damals auf den Preis Einfluss nehmen? Irgendwie war die Bandit ja auch immer ein Preisbrecher.
Poensgen: Preisbrecher ist vielleicht ein bisschen hochgehängt. Vor allem war die große Bandit ein Motorrad, dass es so auf dem Markt noch nicht gab.
War der Erfolg der Bandit deshalb absehbar?
Poensgen: In dieser Form war er natürlich nicht absehbar. Aber wir hatten damals schon Stückzahlen geplant, bei denen man den Hintern ein bisschen zusammenkneifen musste. Der weitere Verlauf hat dann deutlich gezeigt, dass wir jedes Jahr mehr Motorräder planen konnten. Zu Hochzeiten haben wir mehrere Tausend Stück verkauft. Die große Bandit war in manchem Jahr unser bestverkauftes Motorrad. In dieser Zeit haben wir das Motorrad dann auch immer nur leicht modifiziert.
War das vielleicht der Anfang vom Ende für die große Bandit?
Poensgen: Wenn man zurückblickt, könnte man vielleicht sagen, ja, das ist so. Aber es ist auch immer so, dass man zum richtigen Zeitpunkt größere Änderungen machen muss. Und noch etwas kommt hinzu. Der Feind des Guten ist das Bessere, und nach dem Bandit-Erfolg sind wir ja auch nicht ganz ohne Wettbewerber geblieben. In beiden Klassen – also 600 und 1200 Kubikzentimeter – haben wir ja doch im Laufe der Jahre starke Konkurrenz gehabt. Das heißt, jeder hat ein Motorrad, das in diese Kategorie hineingepasst hat. Das hat natürlich automatisch dazu geführt, dass die Verkäufe zurückgegangen sind.
Gab es einen Punkt in der Bandit-Geschichte, von dem Sie sagen: Ab da ist es schiefgelaufen?
Poensgen: Eigentlich nicht, das war ein langsamer Prozess, das kann man an den Zulassungszahlen – die letzten fünf Jahre einmal ausgenommen – sehen. Das hat sich eingeschlichen. Irgendwann haben wir dann Verkaufsförderaktionen machen müssen. Da haben wir zum Beispiel eine Vollverkleidung drangebaut. Aber da hat man dann schon gesehen, dass die Bandit nicht mehr ganz so up to date war wie in den vergangenen zehn Jahren. Und irgendwann kamen dann verhältnismäßig aggressiv aussehende Motorräder auf den Markt, und die Bandits wurden zu Streetfightern umgebaut. Das hat dann gezeigt, dass die Bandit eigentlich zu bieder war. Es hat einfach nicht mehr gefunkt.
Aber man hätte sie doch aufpeppen können. Die technischen Voraussetzungen waren doch gegeben?
Poensgen: Tja, das hätte man tun können. Es gab ja auch mit der GSR 600 den Versuch, in der kleinen Klasse eine Nachfolgerin zu installieren, und auch eine große GSR war angedacht. Das hat aber in meiner Zeit nicht mehr geklappt, obwohl ich es mir sehr gewünscht habe. Damals war allerdings schon deutlich sichtbar, dass dieses Konzept des wirklich bodenständigen Motorrads nicht mehr gegriffen hat.
Wo sehen Sie die große Bandit heute?
Poensgen: Da, wo ich sie immer sah. Die Bandit war nie ein Traummotorrad, hat sich immer über Leistung und Funktion definiert. Aber ich wüsste nicht, warum sich heute jemand eine neue Bandit kaufen sollte, der schon eine hat.