Test Yamaha FZS 600 Fazer
Wirbel-Tier

Keine Frage, was die Fazer im Schilde führt: Getreu der Bedeutung des namengebenden englischen Verbs to faze - durcheinanderbringen - will die FZS die Naked Bike-Konkurrenz in der 600er Klasse tierisch durcheinanderwirbeln.

Die Fazer - ein Naked Bike? Kann ja wohl nicht sein, schließlich schiebt die FZS 600 ein Stück Plastik vor sich her, das eindeutig den Tatbestand einer Halbschalenverkleidung erfüllt. Ein berechtigter, aber kleinkarierter Einwand: Zum einen ist niemandem mit der Einführung eines neuen Gattungsnamens (Half-Naked Bike?) gedient, zum anderen kann sich die Yamaha ein wichtiges Merkmal klassisch-unverkleideter Motorräder an die (blanke) Brust heften. Sie zerfällt (bildlich gesprochen) unter dem Blick des Betrachters in mehrere, klar voneinander abgegrenzte Einzelteile: Motor, Fahrwerk, Tank, Sitzbank - transparente Technik in nackter(!) Offenheit präsentiert. Bingo.
Zerfallsprodukt Motor. Klein, schwarz, stark. Ein Vierzylinder, nicht viel breiter als eine Aktentasche, aber mit dem Gehalt eines Überseekoffers: gefällige 95 PS, die nicht nur versprochen, sondern auf den Punkt gehalten werden. Daran angedockt ein enggestuftes Sechsganggetriebe und eine messerscharf kalkulierte Endübersetzung als willfährige Helfer beim Ringen um aufsehenerregende Fahrleistungen: In Beschleunigung und Durchzug erreicht die Fazer fast das Niveau der aktuellen 600er Supersportler, und mit 216 km/h Spitze ist sie in der Lage, Big Bikes mit doppeltem Hubraum zur Verzweiflung zu treiben.
Es ehrt den in seinen Grundfesten auf dem YZF 600-Triebwerk fußenden Vierzylinder, daß er seine Kraftakte ohne Zicken zuwege bringt. Er ist ein williger Kaltstarter, der sich schnell und ohne Umstände für gute Zusammenarbeit erwärmen kann, er läuft mechanisch erstaunlich leise, er läßt allenfalls hier und dort einen Hauch von Vibrationen durchs Motorrad rieseln. Und weil er so ein netter Kerl ist, verdirbt er einem nicht einmal an der Zapfsäule den zuvor erlebten Spaß an der Freud`. Der zurückhaltened Spritkonsum hat natürlich Gründe: Der Motor ist nicht nur der reißende Hund, als der er sich nach Überschreiten der 8000er Drehzahlmarke gibt. In seinem zweiten - niedertourigen - Leben ist er ein friedfertiger Zeitgenosse, dem es gefällt, an der langen Leine zu traben, ohne dabei zahnlos zu wirken.
Zähne und Klauen - und das ist ein weniger schönes Kapitel - zeigt das Getriebe der Fazer. Ersten Gang einlegen - klonk -, in den zweiten schalten - krrrk -, und so weiter. Dazu kommt ein Quentchen zuviel Spiel im Antriebsstrang, das dabei für Ruck-Zuck-Erlebnisse sorgt. Geschmeidiger geht`s ohne Kupplung: Ein leichter Druck auf den Schalthebel, das Gas lupfen, und schon sitzt der nächsthöhere Gang.
Zerfallsprodukt Fahrwerk. Das Wirbel-Tier Fazer fährt in Sachen Rückgrat zweigleisig mit einem breit geführten, ansehnlich verarbeiteten Doppelschleifenrahmen als Bindeglied zwischen Gabel - ein simples Bauteil mit 41er Standrohren - und Schwinge - eine Aluminium-Kastenkonstruktion, die sich über Umlenkhebel auf ein schlichtes Zentralfederbein stützt. Nichts für Spielernaturen, das FZS-Chassis: An den Dämpferraten gibt`s nichts zu drehen, das Motorrad fährt, wie`s fährt.
Und wie fährt`s? Hart, aber gerecht. Die nicht sonderlich fein ansprechende Gabel und die straff geferderte Hinterhand lassen keine Unklarheit über die Straßenbeschaffenheit, in puncto Federungskomfort erfüllt die Fazer gerade Grundbedürfnisse - mehr nicht. Glücklicherweise erfüllt sie die auch im Kapitel Spurstabilität. Selbst auf üblen Autobahnabschnitten Marke »Wellblech« leistet sich die FZS keine Attacken auf die Gemütsruhe des Fahrers: Sie hoppelt und stuckert ein wenig, bleibt aber unbeirrt auf Kurs.
Auch am anderen Ende ihres Einsatzspektrums, bei genußorientierter Fahrt von Kurve zu Kurve, heimst die Fazer gute Haltungsnoten ein. Leichtfüßig. präzise, neutral - mit diesen Adjektiven ist das Handling treffend beschrieben. Mit der Einschränkung: wenn die Reifen Dunlop D 207 heißen. Rollt die FZS dagegen auf Bridgestone BT 57-Pneus, wie sie als Erstausrüstung ebenfalls verwendet werden, läuft`s nicht so glatt, wird das Fahrverhalten nervös bis kipplig.
Nervosität beim Bremsen ist dagegen in keinem Fall angezeigt: Die vordere Doppelscheibenanlage mit den blaugetupften, einteiligen Vierkolbensätteln ist feinfühlig zu dosieren und hat den Biß eines Schraubstocks. Ein zweifingriger Zug am Handhebel reicht, um die Druckstufe der Arme auf eine harte Probe zu stellen.
Deren Zugstufe ist dagegen weniger gefragt. Die kleine Verkleidung ist erstaunlich wirkungsvoll und reduziert die Haltekräfte am Lenker bei hohen Geschwindigkeiten auf ein bekömmliches Maß. Auch sonst herrscht Wohlbefinden beim Führungspersonal, weil die FZS die beliebte »Locker vom Hocker«-Ergonomie bietet. Die hintere Hälfte der Sitzbank hingegen hat eher Notsitzcharakter - wer will schließlich dem Partner bei jedem Stopp helfen, die Knie aus den Ohren zu bekommen? Und anschließend feststellen, daß es ein frustierter Partner in Sachen »Wirbel machen« durchaus mit der Fazer aufnehmen kann?

Unsere Highlights

Mein Fazit

Die FZS 600 Fazer beweist schlüssig, daß die Wiederentdeckung der klassischen Fahrmaschine auch mit modernen Mitteln zum Erfolg führt: Ein drehfreudiger, kräftiger Motor, der heftig anschiebt, und fürs Gegenteil eine spitzenmäßige Bremsanlage - da ist schon mehr als die halbe Miete eingefahren. Den Rest erledigt das Fahrwerk: Schlicht in Konzeption und Ausführung, nicht sonderlich komfortabel, aber handlich, präzise und spurstabil. Damit ist die Fazer ein Motorrad, das den Begriff »preiswert« rundum mit Leben erfüllt.

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MOTORRAD 12 / 2023

Erscheinungsdatum 26.05.2023