Szene: So funktioniert Motorrad-Versandhandel

Szene: So funktioniert Motorrad-Versandhandel
Post von Doreen...

Zuletzt aktualisiert am 22.10.2009
Post von Doreen...
Foto: Bilski

"Guten Tag, Polo-Expressversand, mein Name ist" ... zum Beispiel Marion van Houten. Die Telefondame mit der munteren Stimme bekommt ans Ohr, wer die telefonische Bestell-Hotline des Motorradzubehör-Multis in Jüchen, Nordrhein-Westfalen, wählt. Während die Technik- und Service-Nummern nachts und am Sonntag nicht besetzt sind, kennt die Bestellhotline weder Ladenschlusszeiten noch Wochenenden, ist immer rund um die Uhr erreichbar. Wenn Marion van Houten oder eine ihrer sieben Kolleginnen in der Polo-Zentrale gerade sprechen oder ihren verdienten Feierabend haben, werden die Anrufer automatisch an ein externes Callcenter nach Münster weitergeleitet. "Dort sitzen ebenfalls fest angestellte Profis am Telefon, die sich mit unseren Produkten auskennen und wissen, dass zum Beispiel ein Supersportler normalerweise keine Heizgriffe hat, sagt Eckard Isphording, der den Bereich Versand für Polo seit elf Jahren leitet. Wer anruft und bestellt, wird gebeten, neben Namen und Adresse auch sein Geburtsdatum zu nennen. Die von den Telefonistinnen in den Computer eingegebenen Daten werden dann automatisch und sekundenschnell via Systemabfrage geprüft, ob bei bisherigen Bestellungen Unregelmäßigkeiten vorgekommen sind und ob die letzte Abfrage länger als ein Jahr zurückliegt. Bei Auffälligkeiten wird die Schufa für Polo aktiv: Die "Schutzgemeinschaft für allgemeine Kreditsicherung" prüft dabei, ob aktuell etwa ein Inkasso-Ver-fahren gegen den Besteller läuft und ob Adresse und Name zusammenpassen. "Ein solches oder ähnliches Verfahren ist bei allen Versandhändlern und -häusern üblich. Der Name Schufa klingt für viele ein bisschen abschreckend, für uns ist die Schufa ein Dienstleister, der uns sagt, erstens: ja, die Person existiert, und zweitens: ja, sie ist in der Lage, ihre Bestellung über zum Beispiel 500 Euro auch zu bezahlen, erklärt Versand-Chef Isphording. "Das heißt nicht, dass wir erfahren, wer wie viel auf dem Konto hat." Die Schufa hat aktuelle Daten von rund 65 Millionen Deutschen gespeichert. Bei 99 Prozent aller Polo-Besteller gibt die Schufa laut Isphording grünes Licht. "Das ermöglicht uns, Kunden auch einen größeren Kreditrahmen zu gewähren, wenn sie etwa eine größere Bestellung auf Rechnung machen wollen."

Die Bestellung ist also aufgenommen, im Computer erfasst und von der Schufa positiv gecheckt: alles okay. Die bestellten Artikel - rund 33000 hat Polo ständig auf Lager - können verschickt werden. Theoretisch. Denn bevor etwas das riesige Jüche-ner Zentrallager verlässt, muss es ja erst einmal hinein, sprich eingelagert werden. Das funktioniert so: Jeden Tag ab sieben Uhr früh wird Ware an die neun Lkw-Entladerampen angeliefert, von Hand vorsortiert - Helme zum Beispiel nach Größe und Farbe - und dann von Teamleiter Michael Kujawski und seinen Kollegen erfasst und per Handscanner eingescannt. Der Scanner übermittelt via Infrarot-Funkverbindung die Daten an die zentrale EDV. Der Computer weiß genau, wo in der riesigen, 43000 Quadratmeter Lagerfläche bietenden Halle mit ihren rund acht Meter hohen, vierstöckigen und aus 96 Sektionen bestehenden Metallregalen gerade Platz ist. ?Und genau da, nämlich wo Platz ist, kommt die Ware hin, erklärt Michael Kujawski. Also nicht etwa Lenker zu Lenker oder Packtasche zu Packtasche. "Chaotische Lagerhaltung" heißt dieses System. Klingt unordentlich, ist aber das derzeit modernste, weil schnellste und effektivste. Und die EDV und die Scanner wissen immer Bescheid.

Doch noch liegt der Artikel nicht drin im Regal. Dafür müssen Michael Kujawski und Kollegen erst noch den "Fahrauftrag" erstellen und die so genannte "Kiepe", eine Art Kunststoffbox mit der Ware drin, mit dem Fahrauftrag "verheiraten". Den Rest erledigt wieder Kollege Computer, der die Kiepe anschließend über ein kompliziertes System aus vollautomatisch gesteuerten Rollstraßen und Aufzügen, die das gesamte Lager auf insgesamt fünf Kilometer Länge durchlaufen, zu einem von drei Kommissioniermodulen mit dem ausgewählten Lagerplatz befördert. Am Modul, das man sich wie eine Art Rollstraßen-Haltestelle zwischen den Regalschluchten vorstellen kann, wird der gelieferte Artikel von einem der 70 (bei Hochbetrieb bis zu 100) Lagermitarbeiter schließlich ins entsprechende Regal sortiert. Via Scanner erfährt der Computer dann, dass die Ware am ihr zugedachten Platz angekommen ist. Da bleibt sie so lange, bis sie jemand bestellt. Womit wir wieder bei Versandleiter Eckhard Isphording wären. Der hat zwischenzeitlich die Schufa-Checks der frisch eingegangenen Bestellungen, auch derjenigen per Internet, die rund zwei Drittel aller privaten Kundenorder ausmachen, geprüft und am Bildschirm sein Häkchen dahinter gesetzt. Damit startet er von seinem Schreibtisch aus per Mausklick die vollautomatische Liefererstellung in Form eines Versandlaufs durch das Zentrallager zum Versendebahnhof. Der Versandlauf funktioniert im Grunde genauso wie die vorher erfolgte Einlagerung des Artikels, nur eben in umgekehrter Reihenfolge: Eine von 5000 Kiepen wird leer gestartet und läuft auf der computergesteuerten Rollstraße zur jeweiligen Sektion, in welcher die Ware eingelagert ist. Dort erfährt ein Mitarbeiter von seinem Handscanner, was genau rein soll und wo die Ware liegt, holt sie, legt sie in die Box und "verheiratet" den Versandauftrag mit der Kiepe. Diese läuft anschließend wieder vollautomatisch zu einem der beiden Versandbahnhöfe mit ihren je 60 Verpackstationen.

An der Verpackstation steht schließlich Doreen Ott oder eine ihrer Kolleginnen. Zeigt das Licht über der eben angekommenen Kiepe Grün, bedeutet dies, dass die Bestellung komplett ist, alle vom Kunden bestellten Waren drin. Kommt Rot, heißt das: auf weitere Boxen warten. Noch einmal werden alle Artikel gescannt, ob es auch wirklich die richtigen sind. Erst wenn das sicher ist, kann Doreen einpacken, die Rechnung mit dem Retoureschein ausdrucken, beilegen, den Adressaufkleber drauf - und weg mit dem Karton. Nämlich via Rollstraße zu Johann Maciollek, der ihn fachmännisch verschließt und zuklebt. Fast fertig. Doch bevor die bestellte Ware am Nachmittag per Lastwagen von DHL abgeholt werden kann, ist noch ein letzter, wichtiger Arbeitsschritt nötig: Jeder für Endkunden bestimmte Karton muss noch durch den Deaktivator. Denn jeder Polo-Artikel, vom LED-Blinker bis zur Lederkombi, ist mit einer Diebstahlsicherung versehen. "Ein Kunde bemerkt das gar nicht", erklärt Michael Kujawski. "Bei einer Jacke zum Beispiel ist das ein kleiner Silberfaden, der irgendwo im Futter eingenäht sein kann." Wird die Sicherung nicht entschärft, würde der Träger der Jacke Alarm auslösen, wenn er das nächste Mal einen Polo-Shop betritt oder verlässt - und würde dann keine Post von Doreen mehr haben wollen. Und so funktioniert Versandhandel sicher nicht.