- Unberührt, berührendes Kraftwerk
- 4.000 Umdrehungen Macht
- Zartes Fahrwerks-Update
- 300 bewegliche Kilo
- Druckvolle Bremse
- Untypisches Sitzen und Greifen
- Highlight am Ende
- Fazit
Bisher bestand die Chief-Baureihe von Indian aus der normalen Chief als hubraumstarkem Cruiser, der Bobber mit hohem Lenker und dicken Vorderreifen als ausdrucksstarkem Style-Künstler und der Super Chief als Tourenbike im Chef-Format. Alle koexistierten friedlich und ohne Nebengeräusche. Bis jetzt.
Wo die anderen drei getreu dem alten Balu-Song "Probier’s mal mit Gemütlichkeit" endlose Teerbändern unter ihren Pneus durchziehen, würzt die neue Sport Chief das ganze mit einem dicken Schuss Performance. Zumindest sieht Indian das so.
Unberührt, berührendes Kraftwerk
Damit davon während der Testfahrten rund um Girona in Spanien viel in der Realität übrig bleibt, hat Indian sich die Chief für die Sport-Variante ordentlich zur Brust genommen. Allein das große, im Stand mit 96 dB(A) auspuffende Herz blieb, wie es ist. Mit seinen überfrästen Kühlrippen, der langhubigen Auslegung mit einer Bohrung von 103,2 und einem Hub von 113 Millimetern drückt der luftgekühlte V2 seine 162 Newtonmeter in der Spitze bei 3.200 so lässig per Zahnriemen Richtung Hinterrad, dass jede Änderung eine zu viel wäre.
4.000 Umdrehungen Macht
Schon knapp über 1.000 Umdrehung schiebt dieser schiffsdieselige V2 mit 49 Grad Zylinderwinkel die 300 Kilogramm Motorrad so lässig und erhaben nach vorn, dass die Kupplungshand ab sofort Pause hat. Was nicht schlecht ist, weil erstens Brems- und Kupplungshebel nicht einstellbar und sehr üppig ausgeführt sind, und es zweitens einen zupackenden Griff für Gangwechsel benötigt.
Überträgt der passende der sechs Gänge die gewünschte Nm-Wucht und die bis zu 88 PS Spitzenpower Richtung hinterem 180er-Reifen im 16-Zoll-Format, mahnt erst bei 5.000/min der rote Bereich im TFT-Display zum Einhalt. Moment, das sind nur 4.000 Umdrehungen Motorlebensfreude. Stimmt. Die langen aber. Weil 162 Newtonmeter eben 162 Newtonmeter sind. Eine motorische Macht.
Zartes Fahrwerks-Update
Mächtig geht’s bei der neuen Sport Chief an der Front zu. Im Gegensatz zu den Schwestermodellen steckt in den Gabelbrücken mit 14 Millimeter mehr Versatz eine Upside-Down-Gabel mit 43er-Standrohren. Die basiert auf den Challenger-Typen von Indian mit 130 Millimetern Federweg, erhielt für den Einsatz in der Sport Chief Anpassungen. So fällt die nicht einstellbare Gabel 14 Millimeter länger aus, hebt dadurch die Front etwas an. Höher steht die Chief ebenfalls hinten. Das liegt an den neuen Fox-Stereodämpfer mit Ausgleichsbehältern. Die weisen 100 Millimeter Arbeitsweg auf, während es die übrigen Chief-Modelle bei 75 Millimetern belassen. Da sie ziemlich schräg stehen, hebt sich der hintere Fender laut Indian nur um 20 Millimeter nach oben. Lohn des Ganzen: Ein zartes Plus an Schräglagenfreiheit.
300 bewegliche Kilo
Und das braucht es, weil die Sport Chief auf ihren Pirelli Night Dragons im Winkelwerk fast schon cruiser-untypisch mit mächtiger Freude von einer Ecke in die nächste wischt. Mit gelungener Straffheit setzt das Fahrwerk eher auf die Karte Feedback als auf Komfort, belohnt dafür mit guter Zielgenauigkeit und Stabilität. Und das stachelt an. Immer tiefer tauchen die 300 Kilogramm ab, immer später greift die rechte Hand zur Bremse.
Das bleibt nicht ohne Folgen, weil trotz allen Fahrwerksupdates die Schräglagenfreiheit weiterhin der limitierte Faktor beim rasanten Ausflug mit dem Ober-Chef ist. Nach den Angstnippeln folgen schnell fest montierte Teile. Dann ist Obacht geboten. Also lieber das Tempo drosseln.
Druckvolle Bremse
Das können die vorderen Stopper besonders gut. Bei der Sport Chief griff Indian zu radialen Brembo-Stoppern mit vier 32er-Kolben pro Zange, abgerundet durch zwei semi-schwimmend montierte 320er-Bremsscheiben. Und dieser Stopp-Cocktail zeigt Wirkung. Bei vertretbarer Handkraft verzögert die Sport Chief fast auf den Zentimeter genau, einzig die Ausstelltendenz beim Bremsen in Schräglage sowie das etwas grob regelnde ABS trüben die Anhalteperformance etwas.
Untypisches Sitzen und Greifen
Ebenfalls in die Kerbe Sport haut bei der neuen Chief, und zwar überaus positiv, die Sitzposition. Die orientiert sich so gar nicht an Standard-Cruiservorgaben. Zwar lupfen die 152 Millimeter messenden Riser den ziemlich wenig gekröpften Lenker noch luftig nach oben, allerdings fällt die Lenkstange an sich ziemlich gerade aus. Ähnliche Griffgewohnheiten weisen sonst Naked Bikes auf. Weniger Weite, weniger optische Lässigkeit unterstreicht an dieser Stelle den sportlichen Tatendrang der neuen Chief, ihr Bemühen um Direktheit und wenigstens etwas Feedback von der Front. Mittig platzierte Fußrasten und der mit 100 Millimetern Höhe satt gepolsterte Solositz bilden die weiteren Kontaktpunkte zum Motorrad. Letztlich ein gelungenes Arrangement, das auf 170 Testkilometern als fahraktiv und bequem durchging. Weniger Cruiser – mehr Roadster: eine gute Entscheidung.
Highlight am Ende
Ein Highlight fehlt noch: das seitlich platzierte Nummernschild. Außer in Australien sitzt es immer neben dem Heck und ist klappbar montiert. Indian will so verhindern, dass es beim versehentlichen Anstoßen Schaden nimmt. Wer dagegen eine nette Brieffreundschaft mit einem Amt in Flensburg führt, findet bestimmt noch einen anderen Vorteil dieser Befestigung. Just saying.
Fazit
Indians Chief-Baureihe hat ein neues Oberhaupt bekommen. Das paart Cruiser-Gene wie den Newtonmeter-starken, lässig antretenden V2-Motor mit einem satt liegenden Fahrwerk und top zupackenden Bremsen. Damit schiebt sich die fahraktive Sport-Chief an die Spitze der eigenen Familie. Nur mehr Platz unterm Kiel der fehlt weiterhin, für noch mehr Fahrspaß mit dem sportlichsten aller Chief-Modelle.