Uwe Eisenbeis lächelt: „Du kannst sie selber messen.“ Die Alpha-Racing BMW R 1200 GS steht mit laufendem Motor auf dem modernen Rollenprüfstand, bereit für MOTORRAD. Das lässt man sich nicht zweimal sagen. Nichts wie rauf auf den Bock und im ersten Gang zart das Gas öffnen. Oder sagen wir, die Einlassventile etwas öffnen. Denn Drosselklappen wie ein herkömmlicher Motor besitzt die Power-GS nicht. „Wir regeln die Leistung nur über den Ventilhub. Kein Gas, kein Ventilhub, Vollgas, maximaler Ventilhub.“ Aha.
Gute 20 PS mehr als die Serien-GS
Wundersamerweise fühlt sich das Ganze kaum anders als normal an. Der Boxer der Alpha-Racing BMW R 1200 GS dreht schon mit wenig „Gas“ kräftig hoch, klingt aber deutlich aggressiver als sein Serienpendant. „Nicht höher als 9.000/min drehen, bitte!“, mahnt Uwe, was in Anbetracht seiner noch raren Zylinderköpfe verständlich ist. Es gibt nur vier.
Doch bis 9.000/min heißt es jetzt Attacke. Wie ein wild gewordener Mustang bäumt sich die Alpha-Racing BMW R 1200 GS auf, die Prüfstandsrolle rotiert unter großem Getöse immer schneller, die Gänge werden hart durchgesteppt. Herzzerreißend rotzt der getunte Wasserboxer satte 134 PS am Hinterrad auf die Rolle. Das sind mit den üblichen acht Prozent Verlustleistung durch den Antriebsstrang ordentliche 145 PS. Gute 20 PS mehr, als der GS-Boxer mit den Serienköpfen leistet. Das Ding rockt wirklich. Vor allem ab 6.000/min geht vehement die Post ab, aber auch unter 5.000/min übertrifft der frei saugende Motor die Serienkonfiguration.
Besonders beeindruckend ist dabei, dass bis auf die Zylinderköpfe der Motor der Alpha-Racing BMW R 1200 GS komplett serienmäßig aufgebaut ist. Luftfilter, Abgasanlage, alles Serie. Ein Vorteil bei der späteren Homologation. Aber wie um Himmels willen funktioniert dieser Geniestreich?
Uwe Eisenbeis malt. „Am besten zeichne ich kurz die Funktion auf ein Flipchart.“ Ein typischer Ingenieur eben, dem Skizzen leichter fallen als Worte. Wie funktioniert seine Ventilsteuerung? Statt von einer Nockenwelle werden die speziellen Schlepphebel von einem über eine kleine Kurbelwelle und Mini-Pleuel betätigten Schiebestück mit Rollen geöffnet. Diese Mimik kann mehr oder weniger gekippt werden, was die Einlassventile mehr oder weniger aushebt. Und so die Leistung regelt. Klingt kompliziert, ist es auch. Zumindest wenn man es erzählen will. Am besten versteht man alles, wenn man die kleine Animation anschaut.
Drehzahlfestigkeit bis mindestens 10.000/min
Das Kippen wird von zwei Elektromotoren bewerkstelligt, die aus dem Automobilbau stammen. Über Schneckengetriebe regeln sie exakt und blitzschnell so den Ventilhub. Und woher kommen die 20 Mehr-PS der Alpha-Racing BMW R 1200 GS? „Wir können die Steuerzeiten und die Ventilüberschneidung bei Volllast deutlich aggressiver auslegen. Denn bei Teillast und wenig Ventilhub werden automatisch auch die Steuerzeiten und die Überschneidung zahmer.“ Ein normaler Motor mit festen Steuerzeiten sei immer ein Kompromiss zwischen Abgas, Drehmomentverhalten und Topleistung. Eisenbeis will mit seinem Patent dem Viertaktmotor auch deutlich bessere Manieren in Sachen Abgas und Verbrauch anerziehen. „Durch unsere Technologie erreichen wir bisher ungekannt niedrige spezifische Verbräuche im Muscheldiagramm.“ Ingenieursdeutsch eben. Übersetzung: Der Spritverbrauch pro PS ist in vielen Bereichen niedriger als bei herkömmlichen Motoren. Eine Weisheit, die auch die mit variablen Steuerzeiten ausgestatteten Automotoren vieler Hersteller schon bewiesen haben. Gerade BMW hat seit den frühen 2000er-Jahren unter dem Namen Valvetronic ebenfalls über die Ventilhübe gesteuerte Motoren im Einsatz. „Das ist etwas ganz anderes!“ An diesem Punkt wird Eisenbeis emotional, was wohl daran liegt, dass er einige Jahre in der BMW-Motorenentwicklung gearbeitet hat. „Für einen Motorradmotor brauchen wir Drehzahlfestigkeit bis mindestens 10.000/min. Das kann eine Valvetronic nicht.“
Umrüstkit mit Euro-4 soll kommen
Wie auch immer, jetzt muss gefahren werden. Schließlich soll heute der erste Rollout stattfinden. Die Sonne lacht kühl vom bayerischen Himmel, Eisplatten zieren das Werksgelände im bayerischen Stephanskirchen. Erstaunlich normal lässt sich die Alpha-Racing BMW R 1200 GS starten und einkuppeln. In Sachen Elektronik ist man noch am Anfang der Entwicklung, so fehlt noch ein stabiler Leerlauf, da dieser momentan nur über die Zündung geregelt wird. Wir jedoch brauchen keinen Leerlauf, wir geben Gas. Druckvoll schiebt der Boxer aus dem Keller, auffallend spontan liefert er sein Drehmoment. Schon bei Halbgas geht die Luzi ab. Dabei klingt er deutlich kerniger als die Standard-GS. Man will gar nicht darüber nachdenken, was passiert, wenn jetzt irgendetwas an den Stellmotoren stecken bleibt. In Sachen Sicherheit muss noch eine Lösung her. „Dieselmotoren haben auch keine Drosselklappen“ meint Uwe später. Da hat er nun auch wieder recht.
Nach ein paar Kilometern bringen wir die Alpha-Racing BMW R 1200 GS wohlbehalten zu den sichtlich erleichterten Alpha-Racing-Jungs zurück. Fazit: Wenn das irgendwie zur Serienreife gebracht werden kann, dürfte die Motorentechnologie bei Motorrädern einen deutlichen Schritt nach vorne machen. Alpha-Racing will einen kompletten Umrüstkit anbieten. Mit Euro-4-Homologation. Das ist ein Wort.
Warum BMW selbst dieses System nicht anwendet? Hier hält sich Uwe Eisenbeis auffällig zurück. Man wollte es in München offensichtlich nicht. Man habe aber durchaus schon wohlwollend darüber gesprochen. Man würde alles kennen. Klingt seltsam. Uwe geht jedenfalls seinen eigenen Weg. Und baut weiter an seinem Power-Boxer. Möge er gelingen.