Vergleichstest Adventure-Reiseenduros

Aprilia Caponord 1200 Rally gegen Yamaha XT 1200 ZE Super Ténéré Adventure-Reiseenduros im Vergleich

Mit größerem Vorderrad und offroadiger Optik verleiht Aprilia der Caponord in der Rallye-Version einen Touch Abenteuergeist. Im Vergleichstest muss sie sich mit der Yamaha XT 1200 ZE Super Ténéré messen.

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Das matte Grün scheint Programm bei der Aprilia Caponord 1200 Rally zu sein. Kampfbereit, ­durchsetzungsstark, auf dem Kriegspfad. Entschlossen, sich den Weg im dichten Dschungel der Reiseenduros freizuschlagen. Keine einfache Aufgabe. Denn neben den Supersportlern erkoren die ­Hersteller in jüngster Vergangenheit gerade diese großen Allrounder zu ihren Flaggschiffen. Traktionskontrolle, diverse Fahrmodi, zum Teil sogar eine semiaktive Federung – technologisch fahren Reiseenduros seit geraumer Zeit schweres Geschütz auf.

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Ganz aus der Hüfte muss die Italienerin allerdings nicht schießen. Bereits seit der Saison 2013 kämpft die Basisversion der Aprilia Caponord an der Reiseenduro-Front, bekommt nun von der Rally-Variante Verstärkung. Mit Speichen- statt Gussrädern (vorn im 19- statt 17-Zoll-Format), 20 Millimeter längerem Radstand, 1,3 Grad flacherem Lenkwinkel, größerem Windschild, Sturzbügel und zwei LED-Zusatzscheinwerfern wurde die Italienerin für den Grabenkampf zurechtgemacht.

Caponord lärmt, Yamaha pöttelt zurückhaltend

Doch trotz aller Kriegsbemalung – Schotter bleibt für Reiseenduros weiterhin ein Nebenkriegsschauplatz. Wo’s hauptsächlich zählt, ist auf der Straße. Das weiß auch Ya­maha. Schließlich sind die Orden der XT 1200 ZE ­Super Ténéré von den Wüstenschlachten um ­Dakar in den 90er-Jahren schon etwas matt geworden. Heute definiert sich der im Jahr 2010 vorgestellte Zweizylinder als komfortabler Kilometerfresser – und in diesem Fall, in dem mit elektronisch einstell­baren Federelementen ausgestatteten ZE-Modell, als Messlatte für die junge Aprilia Caponord 1200 Rally. Denn mit ­annähernd identischem Hubraum von knapp 1200 cm³, moderat differierenden Spitzenleistungen von gemessenen 113 PS (Ya­maha) und 123 PS (Aprilia) sowie der klassenüblichen Preise von um die 16.000 Euro kämpft das Duo auf Augenhöhe.

Knöpfchen gedrückt. Ungeniert bricht der aus dem Funbike Dorsoduro stammende 90-Grad-V2 der Aprilia Caponord 1200 Rally los, reiht sich mit dem Bass aus der Edelstahlanlage zwischen seine akustisch ebenfalls so auffälligen vier­zylindrigen Schwestern RSV4 und Tuono ein. Diesen Lärmteppich braucht es ­gerade bei einem touristisch orientierten Konzept wie der Caponord sicher am allerwenigsten. Zurückhaltend pöttelt dagegen der ­Paralleltwin der Yamaha XT 1200 ZE Super Ténéré, haucht dezent aus seinem Stahlblech-Schalldämpfer. Ein vernünftiger Zug, der so manchen Abstecher auf Provinzsträßchen oder Feldwege mit ­einem reineren Gewissen erlaubt.

Der kurzhubigste aller Reiseenduro-Zweizylinder

Doch letztlich macht der Ton die Musik – zumindest aus der Sicht der Aprilia. Denn während der Blick auf die Leistungskurve der Italienerin ein im gesamten Drehzahlbereich unterlegenes Drehmoment attestiert und auch die im Datenblatt überlegene Leistung nur für die obersten 1000 Umdrehungen zutrifft, zerknüllt die Caponord in der Praxis förmlich ihre Prüfstandsdiagramme. Spritzig tritt der Zwei­zylinder an, schiebt die Maschine mit Macht voran. Dass er bis etwa 3000/min noch etwas mürrisch auf die Kette einhackt, stört dabei kaum. Schließlich katapultiert er sich mit einer beeindruckenden Leichtigkeit die Drehzahlleiter hoch, lässt sich – mit relativ schwergängiger Kupplung – durchs leicht flutschende Getriebe schalten. Kein Wunder, ist doch der Aprilia-Treibsatz der kurzhubigste aller Reiseenduro-Zweizylinder.

Auch im Kurvenscheitelpunkt benimmt er sich vorbildlich, brilliert mit minimalen Lastwechselreaktionen und geht – dank gut abgestimmtem Ride-by-Wire – auch ausgesprochen sanft ans Gas. Vor diesem Hintergrund bleibt sogar die Wahl des Fahrmodus Geschmacksache. Im spontan ansprechenden Sport-Mapping verbindet die Elektronik Fahrspaß und gute Manieren so gelungen, dass es sich auch bei moderaterer Gangart auf den zahmer einsetzenden Touring-Modus verzichten lässt. Auf den auf 98 PS begrenzten und träge reagierenden Regenmodus sowieso. Und wer jetzt vermutet, dass dem fidelen Auftritt mit einer kurzen Übersetzung auf die Sprünge geholfen wurde, der irrt. Im Vergleich zur Yamaha ist die Aprilia in den unteren vier Gängen sogar länger übersetzt. Was sie nicht davon abhält, der Super Ténéré sowohl in der Beschleunigung als auch im Durchzug immer eine Nasenlänge voraus zu sein.

Super Ténéré vermittelt ein erhabenes Fahrgefühl

Was die Yamaha XT 1200 ZE Super Ténéré aber nicht zu scheren scheint. In der Ruhe liegt die Kraft, dieses Motto hat sich der XTZ-Antrieb zu eigen gemacht. Vom dezenten Sound noch verstärkt, gibt sich der mit 270 Grad Hubzapfenversatz konzipierte Zweizylinder betont sanftmütig. Kein Anreißen, kein ruppiges Ansprechen mischt den Piloten auf. Stattdessen vermittelt ihm die Ténéré vom ersten Meter an ein erhabenes Fahrgefühl. Unaufgeregt spricht der Twin an, verlangt nur für den ganz ambitionierten Ritt nach Drehzahlen, lässt sich leichtgängig durchs Getriebe schalten und verbraucht letztlich mit 4,3 Litern sogar einen Liter weniger als die Aprilia Caponord 1200 Rally. Den Wechsel vom Sport-Mapping in den verhaltener ansprechenden Touring-Modus kann sich der Yamaha-Pilot bei dieser Charakteristik ebenfalls ersparen. Dass das XTZ-Triebwerk bei diesem wohligen Auftritt in Wirklichkeit vom Aprilia-Antrieb kaum in die Schranken gewiesen wird, kann der unbedarfte Reiter kaum glauben. Eine Tatsache, die letztlich eindeutig für die Effizienz und Laufkultur des japanischen Treibsatzes spricht. Gerade deshalb hätten die Yamaha-Techniker bei der Überarbeitung der ­Super Ténéré im vergangenen Jahr die Drosselung in den ersten drei Gängen endgültig aus dem Programm nehmen können.

Vor allem, weil sie sich mit den Bits und Bytes auch in Sachen Fahrwerk beschäftigten. Den Schraubendreher für die Einstellung der Federelemente kann der Yamaha-Pilot beim ZE-Modell (Aufpreis zum Basismodell: 500 Euro) nämlich im Bordwerkzeug lassen. Ähnlich wie beim ESA von BMW können per Lenkerschalter über elektrische Stellmotoren Dämpfung und Federvorspannung (nur am Monoshock) in drei Grundstufen (soft, Standard, hard) und je sechs Feinjustagen mit verschiedenen Beladungszuständen (Ein-Personen-Betrieb bis Zwei-Personen-Einsatz mit Gepäck) kombiniert werden. Klingt komp­liziert, ist es aber nur in der Gewöhnungsphase. Später entpuppen sich die elektronischen Helferlein als ganz praktisch, heben beispielsweise im Zwei-Personen-Betrieb das Heck um bis zu zwei Zentimeter an, nivellieren die XTZ mühelos.

Auch die Bandbreite der Dämpfung gelang praxisnah, verhindert deswegen auch beim Fehlgriff am elektronischen Wahlknöpfchen einen Fauxpas – und erlaubt der Yamaha XT 1200 ZE Super Ténéré weiterhin, ihre Stärke auszuspielen: den exzellenten Fahrkomfort. Wie auf Daunen gebettet gleitet die Yamaha selbst über marodeste Landstraßen, nützt ihre bis zu 40 Millimeter längeren Federwege weidlich aus und saugt obendrein mit einer der kommodesten Sitz­gelegenheiten des Reiseenduro-Segments auch noch das übelste Schlagloch auf. Toll. Überhaupt lässt die Yamaha nicht eine Sekunde Stress aufkommen, lenkt präzise und ruhig, bremst ordentlich, hält sauber die ­Linie und führt mit dieser Fahrwerksaus­legung quasi den geschmeidigen Auftritt ihres Motors fort. Allerdings: Das ruhige Gemüt fordert seinen Tribut. Der flotte Eckenwetz ist nicht das Ding derSuper Ténéré. Beim Kurvenswing fühlt sich das 271 Kilogramm schwere Big Bike massig an, suggeriert, deutlich mehr Speck auf den Rippen zu besitzen als die mit 267 Kilogramm nur vier ­Kilo leichtere Aprilia Caponord 1200 Rally.

Caponord erkennt Beladungszustand automatisch

Die beim Thema Fahrwerk noch eine Schippe nachlegt. ADD, Aprilia Dynamic Damping, nennen die Italiener ihre auf Sachs-Federelementen basierende semiaktive Federung. Die Besonderheit gegenüber den bereits in den Reiseenduros von BMW, Ducati und KTM verwendeten Systemen: Zusätzlich zur kontinuierlich während der Fahrt angepassten Dämpfung erkennen Federwegsensoren auch noch den Beladungszustand. Also Automatik-Modus angeklickt – und schwups spannt beispielsweise bei beladenen Koffern oder aufgekletterter ­Sozia ein Stellmotor selbsttätig die Feder des Mono­shocks vor, hebt das Heck um maximal 17 Millimeter. Wer das Zepter nicht aus der Hand geben möchte, kann die Beladungs- und Dämpfungseinstellungen manuell justieren. Doch das Autosetup funktioniert gut, gibt dem Piloten Gelegenheit, die Caponord ohne Ablenkung zu genießen.

Denn wie die Yamaha XT 1200 ZE Super Ténéré setzt auch die Aprilia Caponord 1200 Rally ihre konzeptionelle Ausrichtung beim Fahrwerk fort. Straffer als bei der XTZ sitzt es sich auf der Aprilia; direkter, aber dennoch nicht unkomfortabel tasten Gabel und Federbein die Straße ab, liefern deshalb eine deutlich bessere Rückmeldung und animieren zu sportlicherer Gangart. Abwinkeln? Klappt einen Tick müheloser als bei der XTZ. Spur halten? Dito. Und das nicht nur im Vergleich zur Ténéré, sondern auch zur Capo-Basisversion. Denn die Kombo aus 19-Zoll-Vorderrad (Standardvariante: 17 Zoll), 170er-Hinterrad­pneu (Standard: 180er) und dem Metzeler Tourance Next (Standard: Dunlop Sportmax Qualifier II) steht der Rally exzellent. Präzise und neutral lässt sie sich um die Ecken biegen. Und nicht nur das. Auch beim Geradeauslauf mausert sich die in der Basis-Ausgabe noch etwas nervöse Aprilia durch den 1,3 Grad flacheren Lenkwinkel (Aprilia kommunizierte bei der Präsentation in Heft 6/2015 irrtümlich 3,4 Grad) und den durch geänderte Gabelklemmfäuste längeren Radstand zur Musterschülerin. Auch jenseits von 200 km/h und mit angebauten Koffern zuckt sie auf der Autobahn nicht mit dem Lenker und bietet zudem wegen der größeren Scheibe einen spürbar besseren Windschutz. Der Sportsgeist geht der Rally ohnehin nie verloren. Die im Vergleich bissigeren Bremsen und ein aggressiver regelndes ABS reduzieren im Ernstfall den Bremsweg auf den Rekordwert in diesem Segment von 39 Metern (Yamaha: 41,5 Meter). 

Letztlich nur ein weiterer Stein im Mosaik, durch den sich die Aprilia Caponord 1200 Rally nicht nur an der Yamaha XT 1200 ZE Super Ténéré vorbeischiebt, sondern deren Änderungen in einem ganz anderen Licht erscheinen lassen: Die Rally ist schlicht und ergreifend die bessere Caponord.

Technische Daten und Ergebnis

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Während die Aprilia Caponord 1200 Rally gefühlt – und auch bei den gemessenen Fahr­leistungen – kräftiger als die Yamaha XT 1200 ZE Super Ténéré ist, bleibt sie der XTZ auf der Rolle im größten Teil des Drehzahlbands unterlegen. Die Erklärung: Während die Aprilia bei der Beschleunigungsmessung von ihrer letztlich höheren Spitzenleistung profitiert, nützt sie beim Durchzug die kürzere Übersetzung im letzten Gang. 

Testergebnis

Aprilia Caponord 1200 Rally: Die Basis war bereits gut. Nun haben ein größeres Vorderrad und einige Fahrwerksretuschen die Italienerin feingeschliffen. Und sie liefert Emo­tionen – eben typisch italienisch.

Yamaha Super Ténéré: Homogenität ist ihre Stärke. Kultivier­ter Motor, ausgewogenes Fahrwerk, exzellenter Komfort – die XT gibt sich als Genuss-Enduro. Erste Wahl für die ganz, ganz große Tour.

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