Schnell auf der Straße war eine Ducati Multistrada 1200 schon immer, nun wollen sich die Italiener auch auf schmutziges Terrain wagen. Also verwandelten sie ihre Rase- in eine Reiseenduro.
Schnell auf der Straße war eine Ducati Multistrada 1200 schon immer, nun wollen sich die Italiener auch auf schmutziges Terrain wagen. Also verwandelten sie ihre Rase- in eine Reiseenduro.
Sie waren auf einer Motocross-Piste, ernsthaft. Ducati! Der Hersteller, der Staub und Dreck bisher fürchtete wie Berlusconi den Besuch vom Finanzamt, wagt sich ins Gelände. Mit solch einem gewaltigen Enduro-Tanker, der seinen Fahrer normalerweise schon weit vor einem ernst zu nehmenden Hindernis über den Lenker katapultiert. Die Ducati Multistrada 1200 Enduro dagegen fliegt über Tables und driftet um Kurven. Wer es nicht glaubt, findet Beweise auf Youtube unter „The Wild Side of Ducati“.
Nun kann man solche Show-Acts natürlich mit präparierten Maschinen und schmerzresistentem Stuntpersonal dramaturgisch herrlich inszenieren. Doch irgendwann kommt die Wahrheit immer ans Licht. Und eine erste Gelegenheit, der Sache auf den Grund zu gehen, ergab sich bei der Präsentation der neuen Ducati Multistrada 1200 Enduro auf Sardinien.
Journalisten, die glaubten, Ducati lädt hier zu einem gemütlichen Softenduro-Ausflug, fanden sich schnell auf dem Boden der Tatsachen. Schon nach wenigen Kilometern ging es hier im Gelände ernsthaft zur Sache. Zwar nicht auf einer Crosspiste, dafür auf durchaus anspruchsvollen Schotterwegen und Singletrails, teils steinig-holprig, teils nach heftigen Regenfällen im Vorfeld schmierig-tief.
Sie meinen es also wirklich ernst. Die Ducati Multistrada 1200 Enduro soll ein echtes Abenteuerbike werden, auf Augenhöhe mit den Protagonisten dieses Segments, BMW R 1200 GS Adventure und KTM 1290 Super Adventure. Ein sehr ambitioniertes Ziel für eine Firma ohne signifikante Offroad-Vergangenheit.
Dazu musste am ursprünglichen Crossover-Powerbike einiges umgekrempelt werden. Unterm Strich sind es abgesehen von Schrauben und Kleinkram ganze 266 Teile, die für die Ducati Multistrada 1200 Enduro modifiziert oder neu angefertigt werden mussten. Das sind rund 30 Prozent aller wesentlichen Bestandteile einer solchen Maschine. Wobei der Motor sogar weitgehend unangetastet blieb. Nur ein weiter gespreiztes Getriebe mit kürzerem ersten Gang und eine verkürzte Endübersetzung passt den DVT-Testastretta an die besonderen Anforderungen an.
Substanzielle Arbeiten waren hingegen am Chassis erforderlich. Die Federwege wuchsen um 30 auf 200 mm, die Bodenfreiheit um 35 auf 205 mm. Der Rahmen ist im Prinzip unverändert, der Lenkkopfwinkel durch die veränderte Peripherie ein Grad steiler. Satte 65 mm nahm der Radstand durch die neue Zweiarmschwinge auf nun knapp unter 1600 mm zu. Robustere Komponenten, etwa die Kreuzspeichenräder, und zusätzliche Teile, darunter der serienmäßige Hauptständer, treiben das Trockengewicht um 13 Kilogramm nach oben. Mit vollem 30-Liter-Tank gibt Ducati 254 kg an, bei einer realen Testmaschine kommen erfahrungsgemäß noch einige Kilos hinzu. Übergewichtig wäre die Ducati Multistrada 1200 Enduro damit sicher keineswegs, sensationell leichtgewichtig aber auch wiederum nicht.
Basis der Ducati Multistrada 1200 Enduro ist die S-Multistrada, von der sie das komplette elektronische Assistenzsortiment übernahm. Ein kleiner Auszug ohne Anspruch auf Vollständigkeit: variable Traktions- und Wheelie-Kontrolle, semiaktives Fahrwerk, Kurven-ABS und -Licht, Tempomat, individuell programmierbare Riding-Modi, TFT-Dashboard, dazu lustiger Bluetooth-Spielkram. Die gesamte Bordelektronik wurde für den Offroad-Einsatz optimiert. Ein echtes Hightech-Gerät also, technisch gesehen derzeit das Maß der Dinge in diesem Segment. Selbst eine – im Übrigen durchaus praktische – Berganfahrhilfe ist nun an Bord.
Einen Elektronik-Workshop braucht der Fahrer trotzdem nicht, alles ist logisch und leicht zu bedienen. Also schnell den Riding-Mode auf „Offroad“ umgeswitcht, und ab geht’s ins Gebüsch. Dort passt die Ducati Multistrada 1200 Enduro ergonomisch gesehen hervorragend. Die Füße stehen auf griffigen Crossrasten, der Lenker liegt stehend bestens in der Hand. Man fühlt sich fast wie auf einer Sportenduro, zumal die Kontur im Sitzbankbereich schmal gehalten ist – da stört gar nichts. Der gewaltige Tank bläht sich erst weit vorn auf, selbst 1,90 Meter große Fahrer stoßen nicht mit den Knien an. Für die ist der Seriensitz sicher ein wenig tief, der optional höhere Fahrersitz war beim Test leider nicht verfügbar. Gut zu sitzen und zu stehen ist offroad sicher schon mal eine gute Basis, doch muss auch der Rest passen. Wer angesichts der eindrucksvollen Dimensionen einen schwerfälligen Panzer erwartet, wird auf angenehme Weise überrascht. Erstaunlich wendig und zielgenau lässt sich die Multistrada über steile Steinpfade den Berg hinaufbugsieren. Complimenti, das haben die Entwickler um Projektleiter Federico Valentini wirklich gut hinbekommen.
Da hilft natürlich auch der weich einsetzende DVT-Motor, der für das Modelljahr 2016 in allen Multistrada-Versionen ein neues Mapping bekam. Bisher hatte ein zu defensiv abgestimmter Klopfsensor das Drehmoment bei niedrigen Drehzahlen gekappt, nicht zuletzt nach Kritik von MOTORRAD wurde nun nachgebessert.
Des Weiteren überrascht im Gelände die semiaktive Federung in positiver Hinsicht. Die Elektronik schafft es, blitzschnell auf Federbewegungen zu reagieren. Deswegen hat man dort beides: eine bei langsamer Fahrt gut ansprechende, weiche Federung, die sich bei zügiger Fahrweise über grobe Unebenheiten wie von Zauberhand verhärtet und so reichlich Reserven und einen guten Durchschlagschutz bietet. Testfahrer und Enduro-Champion Andrea Rossi versichert, dass die im Video auf der Crosspiste gefahrenen Ducati Multistrada 1200 Enduro völlig serienmäßig waren. Da geht also was – wenn man es kann.
Mit Straßenreifen klappen solche Einlagen natürlich nicht. Wer Ernsthaftes abseits des Asphalts plant, sollte die Ducati Multistrada 1200 Enduro mit Pirelli Scorpion Rally bereifen . Die Stollenreifen verkrallen sich gut im Untergrund, das gilt speziell für den vorderen 19-Zöller. Sicher führt ein schmales 21-Zoll-Vorderrad offroad noch besser, doch macht der Pirelli seine Sache ganz gut. Der hintere Rally verzahnt sich ganz ordentlich, könnte aber mehr Seitenführung bieten. Die Höchstgeschwindigkeit mit den Grobstollern ist auf 190 km/h limitiert.
Auf der Straße ist die Ducati Multistrada 1200 Enduro mit den serienmäßigen Pirelli Scorpion Trail 2 offen und unkastriert bis zu ihrem Topspeed von 240 km/h fahrbar. Mit Koffern toleriert Ducati – wie BMW – 180 km/h. Entwicklungsboss Andrea Forni fügt jedoch augenzwinkernd hinzu, dass man die Enduro selbstverständlich auch voll beladen bis zur Höchstgeschwindigkeit getestet hat. Ein kleiner Seitenhieb.
Das konnte auf Sardinien natürlich nicht überprüft werden, erscheint aber angesichts dessen, was man über die Basis-Multistrada weiß, glaubhaft. Onroad bleibt auf jeden Fall der typisch sportliche Charakter der Basis-Multistrada erhalten. Durch den DVT-Motor hatte die Maschine im letzten Jahr zwar einige Kilo zugelegt, doch an Laufkultur klar gewonnen. Damit spricht der im oberen Bereich immer noch explosive V2 nun nicht nur Raser, sondern auch Touristen an. Ganz gemütlich wie mit einem BMW-Boxer oder einem KTM-V2 unter 3000 Umdrehungen umherzuckeln, das kann auch eine Ducati.
Reisequalitäten hat die Ducati Multistrada 1200 Enduro also, das gilt nicht nur für den Antrieb. Die Federung arbeitet im Touring-Modus ausgesprochen komfortabel. Der Windschutz ist ordentlich, dank der genialen Arretierung unterwegs blitzschnell zu variieren. Neben aller Vernunft kommt der Spaß aber keineswegs zu kurz. Im Gegenteil bringt es den Fahrer immer wieder zum Grinsen, wenn der V2 im Sport-Modus aus dem Eck feuert. Zumal auch Handling, Lenkverhalten und Feedback für eine Maschine dieser Kategorie hervorragend sind.
Mit vier Ausstattungspaketen kann die Ducati Multistrada 1200 Enduro individuell verfeinert werden. Touring, Travel, Urban und Sport Pack bieten mehr oder weniger sinnvolles Zubehör vom Touratech-Koffer bis zu gefrästem Alu-Zierrat. Dann muss der Käufer auf den ohnehin schon beträchtlichen Einstandspreis von knapp 20.000 Euro noch einige Euros drauflegen. Dafür gibt es dann aber auch eine edel verarbeitete Hightech-Maschine, die nicht nur quick – das wird von Ducati erwartet –, sondern auch dirty draufhat – und Letzteres überrascht selbst Kenner der Materie.
Motor
Wassergekühlter Zweizylinder-Viertakt-90-Grad-V-Motor, je zwei obenliegende, zahnriemengetriebene Nockenwellen, vier Ventile pro Zylinder, desmodromisch betätigt mit variablen Steuerzeiten, Nasssumpfschmierung, Einspritzung, 2x Ø 56 mm, geregelter Katalysator, Batterie 12 V/12 Ah, hydraulisch betätigte Mehrscheiben-Ölbadkupplung (Anti-Hopping), Sechsganggetriebe, O-Ring-Kette, Sekundärübersetzung 2,867.
Bohrung x Hub | 106,0 x 67,9 mm |
Hubraum | 1198 cm³ |
Verdichtungsverhältnis | 12,5:1 |
Nennleistung | 117,7 kW (160 PS) bei 9500/min |
Max. Drehmoment | 136 Nm bei 7500/min |
Fahrwerk
Gitterrohrrahmen aus Stahl mit verschraubten Alugussteilen, Motor mittragend, Upside-down-Gabel, Ø 48 mm, elektronische Dämpfungsanpassung, Zug- und Druckstufendämpfung, Zweiarmschwinge aus Aluminium, Zentralfederbein, elektronische Dämpfungsanpassung mit Federvorspannung, Zug- und Druckstufendämpfung, Doppelscheibenbremse vorn, Ø 330 mm, Vierkolben-Festsättel, Scheibenbremse hinten, Ø 265 mm, Doppelkolben-Schwimmsattel, Traktionskontrolle, ABS.
Speichenräder mit Alufelgen | 3.00 x 19; 4.50 x 17 |
Reifen | 120/70 R 19; 170/60 R 17 |
Maße + Gewicht
Radstand 1594 mm, Lenkkopfwinkel 65,0 Grad, Nachlauf 110 mm, Federweg v/h 200/200 mm, Sitzhöhe 870 mm, Gewicht vollgetankt 254 kg, Tankinhalt 30,0 Liter.
Garantie | zwei Jahre |
Farben | Schwarz, Rot, Weiß |
Preis/Nebenkosten | ab 19990 Euro/345 Euro (Touring: 21665 Euro; Urban: 20851 Euro; Enduro: 20791 Euro; Sport: 20922 Euro)
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