Ducati Multistrada V2 S (2022) und 950 S (2021) im Vergleich

Ducati Multistrada V2 S (2022) und 950 S (2021)
Multi-Talente im Generationenkampf

Zuletzt aktualisiert am 03.08.2023

Es hat etwas von einem Déjà-vu-Erlebnis: 2017 erschien Ducatis 950er-Multistrada als Ableger der 1200er. Wir zogen damals gleich mit ihr und den wichtigsten Mitbewerbern los. Nach Frankreich, ins schöne Elsass. Die Ducati kam damals, sah und siegte – mit 713 von 1.000 möglichen Punkten im Vergleichstest. Ehre, wem Ehre gebührt. 2022, viele Tests später, fahren wir mit gleich zwei Multistradas durch Frankreich, viele Kilometer weiter südlich im Massif des Maures, dem Maurenmassiv. Nun eben an ockerfarbenen Felsen und knorrigen Korkeichen entlang. Wie eineiige Zwillinge wirken die zwei Ducatis. Das überarbeitete 2022er-Modell des Multi-Talents hat seinen 2021-Vorgänger im Schlepptau. Die feinen Unterschiede können wir nur im direkten Vergleich herausfahren.

Aus Multistrada 950 wird die V2

Zur Abgrenzung von der großen V4-Schwester mit 1158er-Kraftwürfel heißt die kleinere Version nun nur noch Ducati " Multistrada V2 ". Die "950" als Hubraumbezeichnung des erwiesenermaßen fahraktiven Vielzweck-Fahrzeugs ist damit passé. Top ausgestattet, pilotieren wir die teureren S-Versionen der "kleinen" Multistradas. Ihre Kennzeichen sind semi-aktive Fahrwerke, Kurvenlicht, Tempomat, das kontrastreich-bunte Fünf-Zoll-TFT-Display, Quickshifter mit Blipper-Funktion, beleuchtete Schalter in den Armaturen und Funkschlüssel.

Sonst nur wenig geändert

Die Änderungen von Ducati bei der Multistrada V2, von "Alt" auf "Neu", stehen unter dem Motto "Evolution statt Revolution". Fürs Update zur Homologation nach Euro-5-Kriterien gab es neue Software für die Steuerung von Zündung und Einspritzung. An der Hardware erleichterten die Bologneser Ingenieure die Pleuel um 170 Gramm. Gewichtseinsparung stand ganz oben im Lastenheft. Der nach wie vor 937 cm³ messende, nominell 113 PS starke 90-Grad-V2 erhielt ein überarbeitetes Getriebegehäuse und eine geänderte Kupplung. Damit sollen rund 1,9 Kilogramm eingespart werden. Die neue Kupplung ist am flacheren, weiter eingezogenen Gehäusedeckel zu erkennen.

Kleine Diät bei den rotierenden Massen

Weitere 1,7 Kilogramm sollen neue, aus der Ducati Multistrada V4 übernommene Räder einsparen – wie gehabt vorn in 19 Zoll (48,26 cm), hinten in 17 Zoll (43,18 cm). Um 500 Gramm leichter seien die vorderen Bremsscheiben der Multistrada V2 dank inneren Rings aus Aluminium statt Stahl, 700 Gramm leichter die Spiegel (ebenfalls von der V4-Multi). Macht in Summe rund fünf Kilogramm Ersparnis.

Trotzdem kaum leichter geworden

Nun, 240 Kilogramm wiegt das aktuelle S-Modell der Ducati Multistrada V2, 242 Kilogramm der Vorgänger. Doch die Neue trägt einen optionalen Hauptständer. Kommt also hin. Ein kleines Motorrad war und ist die Multistrada nicht. Aber optisch ein unverwechselbares: gedrungen, bullig, kompakt. Mit Ölkühler im Adlerschnabel.

Neue Ergonomie ein Riesenschritt

Einen Riesen-Unterschied bewirkt die geänderte Ergonomie der Multistrada V2 von Ducati bereits beim Aufsitzen. Zwar ist auf Anhieb das typische "Multistrada-Sitzgefühl" da: aufrecht-erhaben-souverän und nah am breiten, hoch aufragenden Lenker. Dazu sitzt man einzigartig drin im Motorrad, wunderbar geborgen. Doch die neue, im vorderen Bereich schmaler geschnittene Sitzbank bewirkt Wunder für kleine Leute: So fällt die erforderliche Schrittbogenlänge um rund 40 Millimeter kürzer aus und selbst Piloten ohne Gardemaß bekommen beide Fußsohlen links wie rechts sicher auf den Erdboden. Der Knieschluss fühlt sich kompakter an.

Da wirkt die Vorgängerin trotz identischen 20-Liter-Tanks spürbar bauchiger. Zudem sind die geänderten Fußrasten des aktuellen Modells zehn Millimeter niedriger platziert, was den Kniewinkel noch weiter entspannt. Im hinteren Bereich ist der Fahrersitz wie gehabt tourentauglich breit geschnitten. Nur noch besser: Durch den nun konkav ausgeformten Übergang zum vergrößerten Soziussitz genießen selbst lange Kerls mehr Platz auf einem rutschfesten Bezug. Und Passagiere größeren Komfort.

Alter Bekannter mit 2 Zylindern

Herzstück der Ducati Multistrada V2 blieb der bekannte 937-Kubik-Motor. Er erwacht mit einem herzhaften V2-Stakkato, das sich zum noch moderaten Standgeräusch von 95 Dezibel (A) bei 4.500/min aufschwingt. Als Zugabe hämmert es hart aus der Airbox. Dieses sündige Ansaugschnorcheln hört nur der Fahrer. Du spürst, dass die neue Version des V2 weniger Schwungmasse besitzt. Er läuft im tiefsten Drehzahlkeller etwas rappeliger, verlangt in hohen Gängen rund 4.000 Umdrehungen, um richtig rundzulaufen. Bei Tempo 60 im sechsten Gang, wo die Durchzugsmessung beginnt, schüttelt sich der modifizierte Motor noch wie ein nasser Pudel. Untenrum läuft der "alte V2" mit den schwereren Pleueln einen Tick sanfter. Er verträgt geringfügig tiefere Drehzahl, ruckelt und hackt dann weniger.

Mehr denn je begeistert dagegen die antrittsstarke Drehzahlmitte, emotional bis explosiv. Ab 6.000, 7.000 Touren schnalzt der modifizierte V2 noch lebendiger los, stürmt feurig-entfesselt dem Leistungszenit bei gut 9.000 Touren entgegen. An Drehfreude und Power legte der Motor oben heraus nochmals zu, drückt gemessen volle 113 statt zuvor 107,5 PS. Daneben fällt die Drehmomentkurve fülliger aus. Bei legal-landstraßenkonformer Fahrweise benötigt die bisherige 950er genau fünf Liter je 100 Kilometer, die neue V2 einen Zehntelliter mehr, was eher im Bereich der Messtoleranz liegt.

Bekannt gutes und pralles Elektronik-Paket

Wie bereits bewährt gibt Ducati der Multistrada V2 vier Fahrmodi: Touring, Urban, Sport und Enduro. Sie bündeln die Gasannahme mit den Eingriffsschwellen von achtstufiger Traktionskontrolle, dreistufig regelndem ABS und dem Niveau der hinteren Federbasis. Anpassung an Zuladung erlauben vier Grund-Settings "Solo", "Solo mit Gepäck" (gut bei schwereren Fahrern!), "zwei Personen" und "zwei Personen mit Gepäck". Sie lassen sich in insgesamt 24 Schritten abstimmen. Alle Funktionen beider Ducati-Sisters lassen sich frei kombinieren. Am geschmeidigsten auf Landstraßen funktioniert der Touring-Modus.

Tolle Traktionskontrolle

Wunderbar feinfühlig hat die MotoGP-Marke Ducati die Traktionskontrolle der Multistrada V2 abgestimmt. Wenn sie eingrätscht, ist es nötig. Das Gefühl, jederzeit alles unter Kontrolle zu haben, fährt immer mit. Beim Fahrerlebnis begeistert immer wieder aufs Neue diese eingebaute Souveränität und Lässigkeit. Fluffig-easy und verdammt flott umrundet das Ducati-Duo Kurvenradien jeglicher Couleur. Beide beherrschen das Kunststück, ebenso entspannt wie anregend zu fahren, emotional und doch mit hoher Touring-Kompetenz. Eine rollende Liebeserklärung ans Motorradfahren!

Semi-aktiv durch alle Kurven

Im Kurvendickicht nehmen beide Multistradas mit V2 telepathisch Witterung auf. Mit tollem Anlehngefühl saugt sich das Ducati-Duo in die Kurven. Generell gilt bei beiden: Sie fahren spielerisch, nicht nervös. Leichtfüßig, doch neutral dabei. Ebenso stabil wie agil sind sie, gut ausbalanciert, nie kippelig. Pirelli-Scorpion-Trail-II-Pneus "made in Germany" haften herrlich. Alles geht dank breiten Lenkers so easy, eine Multi fährt auf den Punkt genau. Die 2022er-Multi klappt dabei dank geringerer Kreiselkräfte der leichteren Räder einen Tick leichter ab, fährt noch runder. Größer als zwischen Alt und Neu fallen die Unterschiede im Handling bei diversen Heck-Niveaus aus: Anheben macht die Geometrie noch einen Tick handlicher. Dies bringt mehr Schräglagenfreiheit, die Last aufs und das Gefühl fürs Vorderrad steigt.

Neues Fahrwerk etwas besser

Noch einen Tick satter auf der Straße liegt das identische semi-aktive Skyhook-Fahrwerk der neue Ducati Multistrada V2 dank geringerer ungefederter Massen. Es verarbeitet mit 170 Millimeter Federweg vorn wie hinten selbst Schotterpisten, übelsten Teer oder hochaufragende Rampen vor Zebrastreifen in Südfrankreich. Die Dämpfung lässt sich weiterhin vorn und hinten in je fünf Stufen getrennt einstellen. Insgesamt arbeitet die Upside-down-Gabel noch einen Tick sensibler als das Federbein. Es kann seine direkte Anlenkung nicht verbergen, ihm fehlt eine progressiv wirkende Umlenkung.

Sicher bremsen

Bestens ankern die vorderen Radial-Bremsen der Multistrada V2, knackig und dosierbar nehmen Brembos Vierkolbensättel die nunmehr leichteren 320er-Scheiben in die Zange. Obacht: In ABS-Stufe 2 des Sport-Modus gibt es keine Abhebe-Erkennung. So sind selbst und gerade mit Sozius hohe Stoppies möglich. ABS-Stufe 1 deaktiviert das ABS am Hinterrad, gut für Offroad-Einsatz im Enduro-Modus. Keine Bange, im Touring- und Urban-Modus hält die Elektronik das Hinterrad ABS-gebremst am Boden. Neu 2022: das Notbremslicht im Heck, um nachfolgende Fahrer zu warnen.

Strahlende, ladende Multistrada

Gigantisch gut strahlt das Licht der Multistrada V2, Kurvenlicht inklusive. Und das Fernlicht ist der Hammer. Hinter der manuell höhenverstellbaren Scheibe findet jeder im Nu eine passende Einstellung. Tourentauglich machen zwei Bordsteckdosen im Cockpit, etwa für ein Navi, und unter der Sitzbank. Dort wartet eine USB-Ladebuchse aufs Handy. Im Touring-Pack für 1.089 Euro extra sind Hauptständer, Heizgriffe und funktionale Koffer mit an Bord; der linke fasst einen Integralhelm.

Teure Mittelklasse

16.990 Euro kostet, die überarbeitete Multistrada V2 2022, 1.000 mehr als bisher, nicht eben wenig. Löblich sind weiterhin vier Jahre Werksgarantie; Vielfahrer freuen die langgestreckten Wartungsintervalle (alle 15.000 Kilometer, Kontrolle Ventilspiel nur alle 30.000 Kilometer). Es gibt viele stichhaltige Gründe, eine Multistrada V2 zu kaufen. Doch wer bereits eine 950er hatte, muss nicht unbedingt aufs modifizierte 2022er-Modell umsteigen. Was nur zeigt, wie gut das Multitalent bereits war.