Grund für Verdruss? Keineswegs, mit dem Technologie-Flaggschiff aus Österreich ist man für diese und viele weitere Widrigkeiten des Motorradlebens gewappnet. Inklusive einem echten Stück Science-Fiction.
Diese Sorglosigkeit liegt vor allem am umfänglichen Elektronik-Paket, das fürs aktuelle Modell weiter verfeinert worden ist. Traktionskontrolle, ABS, diverse Fahrmodi, alles schräglagensensibel, eh klar. Neu ist das noch leistungsstärkere Hirn auch bekannt als "IMU", dass permanent jede Bewegung des Motorrads in sechs Dimensionen erfasst und sämtliche Systeme miteinander verbindet und steuert.
Regengöttin mit Kick
Den Arbeitseifer dieses blitzschnellen Nervensystems kann man eher beobachten als spüren, was für die Güte des Systems spricht. Bei der Kombination aus maximal wachsamem "Rain-Modus" und maximal nassem Untergrund, kann man selbst bei noch so kleinen Bewegungen am Gasgriff eine wild flackernde TC-Leuchte beobachten, ohne auch nur einmal Ansätze eines Hinterradrutschers zu verspüren. Übrigens selbst noch im sechsten Gang bei banaler Geradeausfahrt. Erlebt man auch nicht alle Tage. Großes Lob auch für die neu gewählte Bereifung von Mitas namens "Terra Force-R", die in eigens angemischter Sonderkennung montiert wird. Darüber kann man mangels Premium-Markenimage die Nase rümpfen, berechtigt ist dies jedoch nicht. Die Gummis liefern gerade unter diesen Umständen verlässlichen Grip und schnelles Vertrauen.

Und nicht vergessen: Sowohl Elektronik als auch Reifen müssen Schwerstarbeit leisten, gilt es doch, die nach wie vor beispiellose Gewalt des 1.301-Kubik-V2 in Zaum zu halten, selbst im auf 100 PS gedrosselten "Rain"-Modus. In den anderen Fahrmodi bleibt es bei 160 PS und knapp 140 Newtonmeter, nun allerdings durch zahlreiche innermotorische Maßnahmen Euro 5-befriedet. Auf den wenigen trockenen Passagen, besticht dieser Reaktor mit bekannt hartem Schlag und unendlich scheinendem Druck, unabhängig von Gang und Drehzahl. Neu sind die wiederum etwas besseren Manieren. Ganz tiefe Drehzahlen und hohe Gänge mag er bauartbedingt immer noch nicht, aber abseits dieser Niederungen hängt er selbst im schärfsten Fahrmodus "Sport" direkt, aber weich am Gas.
Super Adventure mit Super-Fahrwerk
Apropos weich: Auch die bisherige Super Adventure verfügte bereits über ein umfänglich justierbares, semiaktives Fahrwerk, das aber beim ersten Ansprechen immer etwas an Feingefühl missen ließ. Hier hat das Update spürbare Besserung gebracht. In allen drei Settings (Sport, Street, Comfort) spricht das Fahrwerk geschmeidig an, was man gerade bei langsameren Geschwindigkeiten, wie sie eine verregnete Kanareninsel zum Beispiel erfordert, mit Freude vernimmt. Ebenfalls erfreulich ist, dass diese neue Cremigkeit nicht mit mangelnder Rückmeldung einhergeht, wie es bei elektronischen Fahrwerken gerne mal der Fall ist. Ja, die KTM lenkt immer noch nicht ganz so fix ein wie die BMW R 1250 GS aus München. Dafür gibt es insgesamt trotzdem dem Firmenkredo angemessene Beweglichkeit gepaart mit eherner Stabilität. Ein Spagat, den die Mattighofener der nun etwas längeren Schwinge bei gleichzeitig nach hinten gewandertem Steuerkopf zuschreiben.

Mal mehr, mal weniger Härte
Dem großen "Ready to Race"-Claim angemessen ist auch der Grad an Härte, der bei Bedarf ins Fahrwerk gepumpt werden kann. Zumindest wenn man sich für das optionale "Suspension-Pro"-Paket entscheidet, das neben einem superb funktionierendem Vollautomatik-Modus und einer automatischen Vorspannungsregelung auch die manuelle Justierung von Front- und Heck erlaubt. Geht noch gut, muss man aber wollen. Weniger Härte gibt es hingegen bei der feingetunten Ergonomie, denn die variable Sitzhöhe ist gesunken (849 bis 869 Millimeter), der Lenker etwas näher an den Fahrer gerückt und die nun zweigeteilte Sitzbank großzügiger bepolstert, vor allem im Passagierabteil. Fühlt sich etwas integrierter an als zuvor und lässt bereits ab 175 Zentimeter Körperlänge sicher mit beiden Beinen auf den Boden kommen. Der neue, dreigeteilte Tank mit den analog zur 890er Adventure tief runtergezogenen Flanken macht sich hierbei eher optisch als ergonomisch bemerkbar.
Beam me up
Und was ist nun mit der Science-Fiction? Bitteschön: "Adaptive Cruise Control." Sorgt selbstständig dafür, dass der vorgewählte Abstand zu Vordermann oder -Frau eingehalten wird und wirkt zumindest anfangs ähnlich realitätsbezogen wie die Macht aus Star Wars. Möglich machen dies ein Radarauge in der Front sowie die umfangreiche elektronische Vernetzung aller Komponenten. Beschleunigt das vorausfahrende Fahrzeug, beschleunigt auch die KTM. Bremst das Fahrzeug hingegen, bremst auch die 1290, je nach Grad der nötigen Verzögerung per Drosselklappungschließung oder selbsttätiger Bremsung. Dieses Fahren per Leitstrahl zielt natürlich auf Autobahnen und gut ausgebaute Schnellstraßen ab, für die "stressfreie Anfahrt ins nächste Abenteuer" wie KTM sagt. Gespenstisch wie gesagt, ist aber ein echter Nervenbalsam, zumal das System zuverlässig und sanft funktioniert. Lediglich wenn ein vorausfahrendes Motorrad die Pace vorgibt, muss man ein wenig aktiv mitlenken, um den "Leitstrahl" nicht zu verlieren, was man aber schnell raushat. Für alle Skeptiker: Keine Sorge, das System ist einerseits fein einstell-, vor allem aber auch abschaltbar, ein konventioneller Tempomat ist ebenfalls an Bord.

Zu 90 Prozent neu
Bedient wird dieses wie auch die zahlreichen anderen Features mit einer komplett neuen Bedienlogik. Die schon aus der aktuellsten Super Duke bekannten, neuen Lenkerarmaturen sowie eine stark grafikorientierte Darstellung auf dem großen Cockpit erfordern zwar etwas Eingewöhnung, erleichtern es aber trotzdem enorm, der in dieser Klasse unvermeidbaren Fülle an Goodies Herr zu werden. Was diesem ersten Fahrbericht unmöglich gelingen kann in Hinblick darauf, was noch alles neu ist an der großen KTM, nur 10 Prozent des Motorrads blieben unangetastet wie die Österreicher stolz verkünden. Interessierten sei dabei unsere mehrteilige Videoserie von Redaktionskollege Dresler empfohlen, die im "Trockentest" detailliert auf alle Neuerungen der KTM 1290 S Adventure eingeht.
Preise und mehr
Erhältlich ist die High-End-Österreicherin ab sofort für 18.495 Euro zuzüglich Nebenkosten. Inklusive "Suspension Pro", frei einstellbaren Fahrmodi ("Rally-Pack") und weiteren Kleinigkeiten wie Berganfahrhilfe oder dem hervorragenden Quickshifter kommt man schnell auf die in dieser Klasse fast schon üblichen 20.000 Euro bei voller Hütte. Schade, dass das mittlerweile Realität statt Science-Fiction ist.
Fazit
Das sportlichste Angebot in der Reiseenduro-Welt: nach wie vor untermauert die KTM 1290 Super Adventure S diesen Anspruch vor allem mit ihrem wütenden Power-V2 und ihrer direkten Beinarbeit. Trotzdem gab es nun eher Feinschliff und Feature- statt Performance-Updates, was den Kern des "High Performance Adventure Bikes" nicht verwässert, dafür aber breiter zugänglich macht. Wenn man denn das nötige Kleingeld hat, um in der Königsklasse zwischen BMW GS und Ducati Multistrada V4 mitzuspielen.