Dicke Motoren und All-inclusive-Ausstattung sind für viele Interessenten in der Kategorie "Reiseenduro" Pflicht. Doch wie sieht es weiter unten im Preis- und Leistungsspektrum aus? Ein spannendes Modell ist die Rieju Aventura 500 aus Spanien. Katalanische Traditionsmarke, gegründet 1934 und im Heimatland Spanien Marktführer bei Kleinmotorrädern. Präsentiert auf der EICMA 2022, steht die Rieju Aventura 500 seit dem Frühjahr 2023 bei deutschen Händlern.
Rieju Aventura 500 mit enormem 40-Liter-Tankvolumen
Für eine kleine Reiseenduro ist ihr Auftritt imposant: Ähnlichkeiten zu Hondas Adventure-Topmodell CRF 1000 L Africa Twin sind nicht von der Hand zu weisen, die Rieju Aventura 500 wirkt aus jeder Perspektive massiv. Und nicht nur optisch ist sie eine Wucht: Von Rieju versprochene 190 Kilogramm Trockengewicht wachsen vollgetankt auf stolze 244 Kilogramm an. Und geben einen guten Hinweis auf eine weitere beeindruckende Kennzahl: enorme 40 Liter Tankvolumen, verteilt auf zwei umschaltbare 20-Liter-Tanks. Einer davon ist im angeschraubten Heck des Stahlrahmens untergebracht.
Reichlich Crashschutz aus Alu und Stahl an Motor, Kühler, Lenker, Seiten und Front ist im Ernstfall gut, drückt aber aufs Gewicht. Dazu großzügige 190 Millimeter Federweg und schlauchlose, stollenbereifte Drahtspeichenräder im Format 21 Zoll vorn und 18 Zoll hinten: Das Thema Abenteuer nimmt die Rieju Aventura 500 ernst.
Aventura ist teuerste Reiseenduro im Vergleich
Im Hinblick auf die Elektronik trägt sie dünner auf: Ein hochauflösendes TFT-Display samt Connectivity ist an Bord, ansonsten sucht man elektronische Helferlein abseits des vorgeschriebenen ABS (ohne Schräglagenfunktion, aber mit Offroad-Modus) vergeblich. Traktionskontrolle, Fahrmodi oder Blipper sind auch gegen Aufpreis nicht zu bekommen, trotzdem ist die Rieju Aventura 500 mit knapp 8.999 Euro das teuerste Bike im Vergleich.
Voge 500 DSX gibt sich straßenorientierter
Preislich auf einer ganz anderen Ebene, aber optisch nicht weniger ausgewachsen rollt die Voge 500 DSX daher. Mit 19-Zoll-Rad und 156 Millimetern Federweg an der Front gibt sie sich straßenorientierter. Ihre Linienführung erinnert mehr an ein Crossover-Bike als an eine rassige Enduro. Aber auch ihr Design ruft unweigerlich eine Honda in Erinnerung: Der VFR 800 Crossrunner sieht sie erstaunlich ähnlich. Trotzdem präsentiert sich die Voge 500 DSX nicht als billiger Abklatsch, sondern wirkt erwachsen und wertig.
Dazu gibt es feine Markenware: Nissin liefert die Doppelscheibenbremsen, Kayaba das Fahrwerk, Metzeler die Erstbereifung auf schicken Drahtspeichenrädern. Elektronisch bietet die Voge 500 DSX ein TFT-Cockpit mit Connectivity und Reifendrucküberwachung; abgesehen vom einfachen ABS gibt’s aber ansonsten Elektronik-Magerkost. Samt 16,5 Litern Spritvorrat wiegt sie 225 Kilogramm – wer gemessen an Hubraum- und Leistungsklasse ein Fliegengewicht erwartet, wird auch bei der Voge enttäuscht. Enttäuschung, die sich mit Blick auf das Preisschild verflüchtigt: Für 2024 senkt Voge den Preis von bisher fairen 6.200 auf jetzt schmale 5.599 Euro.
KTM 390 Adventure mit Kurven-ABS
Komplettiert wird das Trio durch die KTM 390 Adventure . Die Österreicherin ist eigentlich eine Inderin, läuft wie alle 125er und 390er von KTM bei Bajaj vom Band. Qualitätsbedenken? Nach über einer Million im Joint Venture gefertigten KTM-Bikes sollten Know-how und Fertigungsstandards eigentlich jenen in Mattighofen entsprechen. Sollten – das lockere Gasgriffgehäuse schieben wir jetzt mal großzügig auf ein Montagsmodell. Im Vergleich zum Testfeld wirkt die KTM 390 Adventure gedrungen und drahtig, rangiert bei Gewicht und Technik-Accessoires in einer anderen Liga als die leicht adipösen 500er. Ganze 70 Kilogramm trennen KTM und Rieju, obwohl 174 Kilogramm für ein 390-Kubik-Bike eher angemessen als sensationell leicht erscheinen.
Federwegstechnisch liegt die KTM 390 Adventure im Mittelfeld (170 Millimeter vorne, 177 hinten) und trägt wie die Voge vorn 19 Zoll. Allerdings auf Alu-Gussfelgen, schicke Drahtspeichen gibt es bei der 500 Euro teureren Modellvariante SW. Stichwort Preis: Nackt möchte KTM knapp 7.949 Euro für den Einstieg in die Adventure-Familie. Unser Testexemplar mit optionalem Quickshifter+ kommt 243 Euro teurer. Weitere Powerparts sind zahlreich wie kostspielig verfügbar. Wer etwa ein originales Kofferset samt Befestigungen wünscht, legt rund 1.120 Euro drauf. Trotzdem: Angesichts der umfangreichen Ausstattung mit Kurven-ABS, Traktionskontrolle, Fahrmodi, Schaltautomat samt Anti-Hopping-Kupplung, an Front und Heck einstellbarem WP-Fahrwerk und einem mit Smartphone kompatiblen TFT-Cockpit ist die 390 ein sehr faires Angebot.
Ergonomie auf den 3 kleinen Reiseenduros
Aufgesattelt! Am einfachsten gelingt das bei der Voge, deren flauschig weiches Sofa den Reiter auf moderaten 830 Millimetern willkommen heißt. Die Hände finden wie von selbst zum angenehm breiten Lenker, nur der spitze Kniewinkel irritiert. Bei der Rieju geht es straffer und einen Zentimeter höher zu, man sitzt mehr im Bike und weit weg vom breiten, hohen Lenker. Die Position der drehbar gelagerten Rasten und das Platzangebot sind stimmig. Das hubraumkleinste Bike im Feld hat den höchsten Thron. Aber keine Sorge: Bei Problemen mit 855 Millimetern Sitzhöhe gibt’s von KTM eine 25-Millimeter-Tieferlegung, Kostenpunkt 292 Euro. Insgesamt ist die Adventure kompakter, fahraktiver, platziert dich näher am Vorderrad. Echtes Enduro-Gefühl will ab 1,80 Meter jedenfalls nicht aufkommen.
Motor, Dosierung, Gangwechsel
Wir starten die Motoren. Akustisch dezent gibt sich der Single der KTM, kräftiger die beiden Twins. Entspannt mitschwimmen auf der Bundesstraße und über Land zügig vorbei am Lkw – das klappt mit allen drei Reiseenduros. Sanfte Schubdosierung beherrschen Voge und KTM gleich gut, die Rieju ist etwas ruppiger. Dafür glänzt sie beim Gangwechsel: Die leichtgängige Kupplung mit schön definiertem Schleifpunkt passt prima zur knackig-präzisen Sechsgangbox. Zumindest beim Anfahren fordert die KTM mehr Aufmerksamkeit: Ihre Kupplung ist zwar auch leichtgängig, braucht aber Drehzahl und neigt zum Rupfen. Dafür macht der Quickshifter seinen Job fast immer zuverlässig, verweigert nur sporadisch den Hochschaltbefehl. Am anstrengendsten ist die Schaltarbeit auf der Voge. Auf Dauer ist das Kuppeln mit zwei Fingern mühsam, der Schalthebel ist ungünstig positioniert und hat lange Wege.
Rieju und Voge stabiler als KTM
Mühsamkeit ist der KTM dagegen völlig fremd, besonders im Kurvengeschlängel. Abwinkeln und Umlegen gelingt wie von selbst, für Kurswechsel reichen feine Lenkimpulse, und die Schräglagenfreiheit ist gefühlt endlos. Bei Eiltempo geht die hyperagile Abstimmung aber auf Kosten der Stabilität. Das machen Rieju und vor allem die Voge besser. Die Chinesin lenkt zwar etwas träger ein, carvt dann aber zielgenau, neutral und unbeirrbar um jeden Radius. Grenzen setzen nur die früh aufsetzenden Rasten. Dafür ist der Geradeauslauf auch nahe Topspeed tadellos.
Anderes Bild bei der Rieju Aventura: Hat man sich erst an das ausgeprägte Taumeln bei langsamer Fahrt gewöhnt – wir vermuten den serienmäßigen Lenkungsdämpfer als Übeltäter –, kann man zumindest bei gemäßigter Gangart von zufriedenstellender Handlichkeit sprechen. Richtiges Ballern liegt der Spanierin aber nicht: Hoher Kurvenspeed erfordert Einsatz und Aufmerksamkeit. Mit zunehmender Schräglage neigt sie zum Wegkippen. Die entkoppelte, hohe Front vermittelt wenig Gefühl für den grobstolligen CST-Pneu. Zudem ist auch hier die Schräglagenfreiheit begrenzt – der Hauptständer hat bedenklich früh Bodenkontakt.
Voge komfortabel, aber nicht zu weich
Wird der Asphalt ruppig, schlägt die Stunde der Voge. Auch ganz ohne Einstellschrauben für Zug- und Druckstufe fahrwerkt sie ganz vorzüglich, spricht fein an und dämpft sämig. Komfortabel, aber nicht zu weich und selbst mit Beifahrer auf schlechtem Weg souverän. Gute Vorstellung auch von der KTM: insgesamt etwas straffer, aber immer mit sattem Fahrbahnkontakt. In der Mitte des Einstellbereichs der WP-Federelemente gefällt uns der Kompromiss aus Sport und Komfort am besten. Trotz langer Federwege wird der Rieju-Pilot ordentlich durchgeschüttelt. Das Ansprechverhalten ist ausbaufähig, bei wiederholten Schlägen wirkt die Fuhre schnell überfordert und unruhig. Mit Sozius ist das Fahrwerk trotz erhöhter Vorspannung noch schneller am Limit. Schade, denn eigentlich haben Beifahrer auf ihrem großzügigen Heckpolster mit gut erreichbaren Griffen das lauschigste Plätzchen. Zudem zahlt der gute Windschutz aufs Alltagskonto ein.
Bremsen-Test der Reiseenduros
Viel hilft viel? Nicht so bei der Verzögerung. Während beide Rieju und Voge vorn Doppelscheiben auffahren, genügt der leichten KTM eine Einzelscheibe samt Bybre-Zange. Die liefert tollen Initialbiss, hervorragende Progression und in Summe die stärkste Bremsperformance. Feinfühlige Regelintervalle des Kurven-ABS und kaum Aufstellmoment sind die Kirsche auf der A2-Torte. Was bei der Voge für die Kupplung gilt, stimmt auch bei der Bremse: Wer kräftig zulangt, bekommt solide Wirkung, wenn auch mit weniger knackigem Biss. Die Rieju gerät auch in Sachen Entschleunigung ins Hintertreffen, braucht trotz starkem Zug am Hebel viel Strecke zum Stoppen. Das grob regelnde ABS kostet zusätzliche Meter.
Zeit fürs Schlusswort: Dass sich keiner der bezahlbaren Hochbeiner als völlig makelloses Universal-Reisemobil entpuppt, war erwartbar. Massig Spaß, Vielseitigkeit, Ausdauer und fast völlige Freiheit bei der Routenwahl garantieren sie aber alle – und empfehlen sich damit nicht nur für reisebegeisterte Anfänger als solide Optionen. Gerade wegen unterschiedlicher Stärken und Schwächen bleibt die Auswahl des optimalen Reise- und Alltagsbegleiters am Ende auch in der 48-PS-Kategorie eine Frage persönlicher Vorlieben.