Seit mehr als einem Jahrzehnt hat MOTORRAD keine Zweitakt-Sportenduros mehr getestet. Der Grund: Wegen der aggressiven Leistungsentfaltung der Zweitaktmotoren begeisterten sich im Wesentlichen nur noch wettbewerbsorientierte Piloten für die simple Technik. Hobby- und Freizeit-Offroader setzten – vor allem nach dem Stapellauf der 350-cm³-Motoren im Jahr 2012 – stattdessen immer mehr auf die leichter beherrschbaren Viertakt-Modelle.
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KTM 300 EXC und KTM 500 EXC-F im Test
2-Takter gegen 4-Takter
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Und jetzt? Nebelt MOTORRAD-Offroad-Experte und Ex-Motocross-Champion Didi Lacher das Unterholz des Testgeländes mit bläulich schimmernden Schwaden aus der 300er-Zweitakt-KTM ein. Ein Prinzipienwechsel im Test-Ressort? Nein, aber Fakt ist: Für den europäischen Markt rollt bei Platzhirsch KTM mittlerweile jede zweite Sportenduro mit Zweitaktmotor vom Band (siehe Interview). Und sowohl Marketing-Strategen als auch die Gewinner der populären Extrem-Enduros wie dem Erzberg-Rodeo erklären unisono: Zweitakter sind umgänglicher geworden.
Glatte Steine, lose Brocken, schmierige Auffahrten
Also gut, die Schnürle-Umkehrspülung erhält auch bei MOTORRAD eine zweite Chance. Es sind die beiden Größten, die ihre Zunft vertreten: Die KTM 300 EXC als meistverkaufte Zweitakt-Enduro und ihr hubraumstärkstes Pendant im Viertakt-Segment, die KTM 500 EXC-F. Beide bereits als mit neuem Rahmen und neuen Motoren komplett revidierte 2017er-Modelle (siehe MOTORRAD 14/2016). Doch es dreht sich um Grundsätzliches. Den Preis zum Beispiel: 1200 Euro weniger als für die 9995 Euro teure 500er wandern für die Zweitakt-KTM (8795 Euro) über den Verkaufstresen. Oder das Gewicht: Fünf Kilogramm beträgt die Differenz zwischen der 102 Kilo schweren 300er und der 107 Kilo schweren 500er (Gewicht jeweils mit leerem Tank). Zur Orientierung: Damit liegen die beiden Enduros trotz Lampenmaske und voluminöserem Schalldämpfer nur zwei bis drei Kilogramm über den vergleichbaren Motocross-Schwestermodellen. Beeindruckend.
Starten: Kein Thema. E-Starter gehören im Endurosport zum guten Ton, selbst bei Zweitaktern. Wer jemals mit abgewürgtem Motor am Schräghang den unfreiwilligen Spagat übte, wird das Knöpfchen für eine gute Idee halten. Warm-up? Ein paar Meter müssen reichen. Der Zweitakter schmeichelt sich ein. Die geringeren bewegten Massen sorgen generell für einen gepflegten Auftritt. Doch mit der in der 2017er-Variante erstmals verwendeten Ausgleichswelle demonstriert die KTM 300 EXC, wie wichtig Laufkultur auch im Gelände sein kann. Im direkten Vergleich beschämt sie geradezu den Viertakt-Single. Allerdings: Ohne den Musterschüler registriert der Viertakt-Pilot das feine Kribbeln in Fußrasten und Lenkerenden kaum.
Stattdessen freut er sich auf den ersten Konter. Glatte Steine, lose Brocken, schmierige Auffahrten, darauf beweisen sich enduristische Kernkompetenzen. Längst die Domäne der Viertakter. Satte Traktion, kein plötzliches Ausbrechen. Mit ihrem gut kalkulierbaren Einsatz haben die modernen Ballermänner ihren guten Ruf begründet. Und in der Tat bollert
auch die KTM 500 EXC-F fein kontrollierbar durchs Grobe, läuft sauber in der Spur. Wenig Gas, viel Gas – es funktioniert immer. Den Zweitakter hier in Schach zu halten, sollte kein Problem sein.
Der Weg zum Erfolg führt nur über Selbstbeschränkung
Denkste. Denn es hat sich was getan in den vielen Jahren. Ganz geschmeidig brabbelt die EXC vor sich hin, schiebt Ross und Reiter butterweich durchs Ungemütliche. Bei der KTM 300 EXC bleiben die Schieber der Auslasssteuerung bis 5400/min – also bis zu zwei Drittel der Nenndrehzahl von 8200/min – geschlossen. In diesem Bereich benimmt sich der Zweitakter so lammfromm und erstklassig dosierbar wie ein Trialmotor und ist dem Viertakter eindeutig überlegen. Allerdings nur dort. Wer zu enthusiastisch am Gas dreht, wird – wenn die Auslasssteuerung öffnet – wie eh und jeh vom bissigen Antritt durch die Botanik gewedelt. Der Weg zum Erfolg führt nur über Selbstbeschränkung. Oder konkreter: Im Zweifel einfach hochschalten, den Motor niedertourig ziehen lassen, dann passt´s.
Ortswechsel. Enge Kehren, harter Boden, weite Sprünge – Terrain der Sonderprüfungen, Clubcross-Rennen oder der populären Cross-Country-Veranstaltungen. Fahrerisch quasi der Gegenpol zum traditionellen Enduro auf den Glibberpisten. Technisch ebenfalls. Härter bremsen, vehementer beschleunigen, höher drehen und mehr schalten. Vorteil Zweitakter? Zunächst schon. Ohne nennenswerte Motorbremse rollt die KTM 300 EXC wie ein Mofa in die Anlieger, fühlt sich allein durch diesen leichten Lauf erheblich leichter als der Viertakter an. Zudem belastet das geringe Schleppmoment beim Anbremsen oder Rollen die Gabel deutlich weniger, lässt die Front die Bremswellen sensibler aufschnupfen. Auch beim Springen wirft sich die 300er in die Brust. Der geringste Gasstoß reicht, um das Fliegengewicht am Table Top ein paar Meter weiter zu katapultieren. Allerdings: Auf traktionsarmem, hartem oder gar feuchtem Terrain – also in den allermeisten Fällen – fordert diese Quirligkeit ihren Tribut. Blitzartig schnalzt der Zweitakter nach den Kehren die Drehzahlleiter hoch, verlangt vom Piloten maximalen Einsatz. Die Suche nach Traktion gerät zur alles überlagernden Aufgabe. Wer das harmonische Spiel mit Gas und Kupplung nicht beherrscht, dem saugt die KTM 300 EXC wie ein Blutegel Kondition und Konzentration aus dem Körper. Daran ändert auch die per Lenkerschalter anwählbare zweite Zündkurve kaum etwas. Die Unterschiede in der Leistungsabgabe sind marginal.
Genauso gering wie die Wirkung der mit zwei Mappings und zur Saison 2017 erstmals mit Traktionskontrolle ausgestatteten Viertakter. Was den 500er-Piloten aber kaum anficht. Die 57 PS lassen sich um Welten einfacher beherrschen als die 47 Pferde der zweitaktenden Schwester. Und genauso wie die KTM 300 EXC mit der aufgewühlten Motorcharakteristik ihre vielen Vorzüge torpediert, überspielt die KTM 500 EXC-F mit dem souveränen Antrieb ihre Schwächen. Und die wegen des Schleppmoments hakeliger arbeitende Front oder das trägere Handling tauscht man gern gegen den unkomplizierten und kräfteschonenden Charakter, die der Viertakter selbst in seiner hubraumstärksten Version bietet.
Insofern: Mit erstklassiger Laufkultur, geringem Gewicht und sehr guter Dosierbarkeit im extremen Gelände liefert die KTM 300 EXC gute Argumente für moderne Zweitakt-Technik. Auf den üblichen Pisten und mit Otto-Normalendurist im Sattel bleibt die benutzerfreundliche Charakteristik eines Viertakters aber immer noch das entscheidende Kriterium.
MOTORRAD-Fazit
Das Beispiel der KTM 300 EXC zeigt: Die neue Generation der Zweitakt-Motoren bietet mit Ausgleichswelle und E-Starter so viel Laufkultur und spielerisches Handling wie nie zuvor. Doch wer den effizienten Allrounder sucht, der wird weiterhin mit einem Viertakter glücklicher. Die Revolution ist ausgeblieben.
Interview mit Joachim Sauer
Joachim Sauer (54), Offroad Product Manager bei KTM, zur Zukunft der Zweitakt-Technik bei den Sportenduros.
Campelli
Joachim Sauer: „Wir kommen um eine Einspritzung nicht herum“.
Wie groß ist denn der Anteil der Zweitakter bei den Sportenduros?
KTM stellt etwa 35.000 Sportenduros jährlich her. In Europa wird etwa die Hälfte davon als Zweitakter geordert. Die Tendenz ist leicht steigend. Zweitakter sind billiger in der Anschaffung und günstiger zu warten. Viertakt-Motoren sind technisch wesentlich komplexer und dementsprechend teurer bei Reparaturen.
Zum 1. Januar 2017 tritt die Euro-4-Norm in Kraft. Die 2017er KTM-Zweitakter sind jedoch nur nach Euro 3 homologiert. Heißt das, dass alle Modelle des Jahres 2017 noch in diesem Jahr zugelassen werden müssen?
Grundsätzlich müssen alle Zweitakter noch im Jahr 2016 zugelassen werden. Allerdings besteht die Möglichkeit, eine gewisse Menge an Fahrzeugen auch nach dem Stichtag noch zuzulassen. Diese Maßnahme betrifft jedoch ausschließlich vom Hersteller mit Fahrgestell- und Motornummer konkret festgelegte Fahrzeuge. Die Zulassungsfähigkeit muss der Kunde deshalb im Einzelfall vom Händler abklären lassen.
Das heißt, für die Modelle 2018 braucht es grundlegende technische Änderungen, um die Zweitakter homologieren zu können.
Ja, wir werden um eine Einspritzung nicht herumkommen. Allerdings genügt es nicht, den Vergaser durch eine Saugrohr-Einspritzung zu ersetzen. Es ist eine Einspritz-Technologie erforderlich, die relativ aufwendig ist.
Die Zweitakt-Technik wird damit aber komplizierter. Verliert dieses Konzept damit nicht seine Vorteile?
Nur zum Teil. Der Gewichtsvorteil bleibt, Umbedüsen des Vergasers wird hinfällig, und der Kraftstoffverbrauch wird drastisch gesenkt. Das ist eine neue Welt.