Auf Achse: Benelli 750 Sei, BMW R 90 S, Honda CB 750 Four, Kawasaki 750 H2, Norton Commando 750 Roadster, Suzuki GT 750
Unterwegs mit den Motorrad-Ikonen der 70er-Jahre

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Man muss nicht unbedingt Millionen im Lotto gewinnen, um glücklich zu sein. Manchmal genügen schon die richtigen Motorräder. Meinte der Chef. Und schickte mich mit einem halben Dutzend seiner Jugend-Idole auf eine Zeitreise in den Süden.

Unterwegs mit den Motorrad-Ikonen der 70er-Jahre
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Die Ikonen der 70er

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Sechs Motorrad-Ikonen der 70er-Jahre.

Größer könnte der Unterschied zwischen dem, was der Kamera-Sensor aufzeichnet und dem, was die eigenen Sensoren vermelden, nicht ausfallen. Auf den Bildern sieht man stahlblauen Himmel und gleißenden Sonnenschein, tatsächlich bibbern wir jedoch hier im Süden Frankreichs bei beißender Kälte und schneidendem Wind. Zum Glück wärmt uns an diesem frostig-klaren Januar-Morgen wenigstens der Anblick der sechs Klassiker ein wenig das Gemüt.
Wahrlich ein herrliches Bild, wie die chromglänzenden zweirädrigen Heroen von einst hier um die Wette strahlen. Ein halbes Dutzend, das Motorradgeschichte geschrieben hat. Und nun - dem grauen deutschen Schmuddel-Winter entrissen - zu einer Zeitreise verführt, die in die frühen 1970er-Jahre zurückreicht.
Vor genau 40 Jahren stellte BMW mit der R 90 S sein neues Topmodell in die Schaufenster, als „Sportmotorrad mit exklusivem Anspruch“. Mit nominell 67 PS zielte der bis dahin stärkste Bayern-Boxer auf die gleich starke, 1969 präsentierte Honda CB 750 Four, die mit geschmeidigem und zuverlässigem Vierzylinder sowie Scheibenbremse vorn zum Meilenstein wurde, der die Welt im Sturm eroberte. Zum Establishment der Oberklasse zählten damals auch leistungsstarke Zweitakter wie die sportliche Kawasaki 750 H2 mit ihrem sägenden Dreizylinder oder die eher touristisch ausgelegte Suzuki GT 750 mit wassergekühltem Motor. An solche Innovationen war bei den Bikes von der Insel nicht zu denken, dazu war die wirtschaftliche Situation bei Triumph, Norton & Co. viel zu angespannt. So baute Norton die 1973 mit größerer Bohrung versehene Commando 850 noch immer nach dem klassisch-englischen Rezept. Mit seinen 50 PS war der auf einer Konstruktion von 1949 basierende Parallel-Twin mit separatem Getriebe der Konkurrenz deutlich unterlegen, zumindest auf dem Papier. Davon konnte bei der Benelli 750 Sei keine Rede sein, wenngleich beim weltweit ersten Serien-Sechszylinder-Motorrad zwischen der Präsentation Ende 1972 und dem Serienanlauf 1974 von den ursprünglich genannten 76 PS deren 13 auf der Strecke geblieben waren.

Unsere Highlights

Was am wuchtigen Auftritt der roten Diva nichts ändert. Sie gehört „Cheffe“ Michael Pfeiffer, der mit seiner Schwärmerei über Sound und Laufkultur keinen Hehl daraus macht, dass er seinem Jugendtraum schon lange verfallen ist. Nun, imposant wirkt das italienische Sixpack tatsächlich, doch zu den Traumbikes meiner Jugend gehörten bislang weder die Benelli noch die anderen fünf Maschinen. Als die Motorradwelt vor der Honda CB 750 Four auf die Knie ging, hab ich mir selbige nämlich noch auf Kinderfahrrädern blutig gestürzt. Und als ich in den frühen 1980er-Jahren endlich den „Einser“ machen durfte, wurde diese Zeit geprägt vom unglaublichen Wettbewerb der japanischen Hersteller, der in immer kürzeren Abständen immer stärkere, bessere und technisch aufwendigere Maschinen hervorbrachte, was damals zum fast schon inflationären Gebrauch des Begriffs „Meilenstein“ führte. So verwundert es kaum, dass die Traum-Bikes meiner Jugend anders aussehen als die vom Chef, obwohl uns gar nicht so viele Jahre trennen.
Nicht, dass wir uns jetzt falsch verstehen: Natürlich weiß ich, welche Bedeutung eine CB 750 Four, eine H2 haben, ebenso wie die anderen Bikes. Nur fehlte mir bislang - wie so manchem aus der Baby-Boomer-Generation - der ganz persönliche Bezug zu diesen Motorrad-Ikonen. Als die Gelegenheit günstig war, hatte ich andere Bikes im Kopf. Und heute? Gibt es keine günstigen Gelegenheiten mehr. Dafür genügend Diskussionsstoff. Doch irgendwann waren wir es beide leid, nur darüber zu philosophieren. Erfahrung sammelt man schließlich nur im Sattel solcher Maschinen, die uns hier großzügige Enthusiasten und Sammler für diese Zeitreise überlassen haben - an dieser Stelle nochmals ganz herzlichen Dank!

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Aus dem Besitz von Hans-Peter Krause: BMW R 90 S.

BMW: bärig und bequem

Bevor meine blau verfrorenen Hände steif werden, schnappe ich mir den BMW-Schlüssel. Weil man sich an den Zylindern so schön wärmen kann. Und weil ich mit so einem großen Bayern-Boxer noch eine Rechnung offen habe. Unvergessen meine erste Probefahrt mit einer R 100 CS im September 1982. Da hatte ich gerade meine ersten 1000 Kilometer Fahrpraxis auf einer Kawasaki Z 550 absolviert, fühlte mich schon wie ein alter Hase. Ein böser Trugschluss, wie mich die BMW mit ihren ganz speziellen fahrdynamischen Eigenarten rasch eines Besseren belehrte. Um es kurz zu machen: Statt Glücksmomente blieben mir vor allem Aufstell- und Rückdrehmomente in Erinnerung. Was meinen Respekt vor jedem flotten Boxer-Treiber fortan ins Unendliche wachsen ließ.
Tschak - mit einem heftigen Ruck reißt mich der Anlasser aus den Gedanken. Zwei, drei Gasstöße, und der mit viel Schwungmasse versehene Boxer pröttelt zufrieden im Leerlauf. Schon nach einer halben Minute kann der Choke raus, die Dellortos nehmen sauber Gas an. Also Gang rein und Kupplung kommen lassen. Sanft schüttelnd hebt sich die stattliche Fuhre aus der butterweichen Federung. Dämpfung? Kaum vorhanden. Sowohl Gabel und Stoßdämpfer als auch die zahnlosen Bremsen harren noch der Überholung, hatte mich Hans-Peter, der Eigner dieses teilrestaurierten Exemplars, vorgewarnt. Gewohnheitssache.
Keinerlei Eingewöhnung verlangt die ausgesprochen bequeme Haltung mit perfektem Knieschluss und ideal gekröpftem Lenker. Alles passt bestens für lange Touren, zudem schützt die stilbildende Cockpitverkleidung spürbar vor Kälte und Wind. Außerdem verleiht erst dieses Kunststoffteil der BMW jene Harmonie, die sie mit ihrem zeitlos-eleganten Auftritt bis heute ausstrahlt. Das hat mir schon als Jungspund gefallen, und daran hat sich bis heute nichts geändert. Einen weiteren Sympathiepunkt sammelt die R 90 S mit ihrem leichtfüßigen Handling, sie klappt ohne großen Kraftaufwand in Schräglage. Was jedoch - wie erwartet - nicht gleich klappt, ist eine saubere Linie. Es braucht einfach Zeit, bis man sich an die softe Federung, die harsch ausrückende Kupplung, das geräuschvolle und mit langen Wegen operierende Getriebe sowie das Aufstellmoment des Kardans gewöhnt.

Letzteres fällt jedoch bei weitem nicht so drastisch aus, wie ich es in Erinnerung hatte. Mit jedem Kilometer fasse ich mehr Vertrauen, aus dem anfänglichen Gestochere wird immer mehr ein runder Bogen. Ein verlässlicher Kumpel ist dabei der ungemein elastische Boxer, der einen selbst dann nicht hängen lässt, wenn er sich kräftig schüttelnd aus den tiefsten Tiefen seines weit gespreizten Drehzahlbands hocharbeiten muss. Was anfänglich öfter passiert, weil man vor Kurven gerne mal den Gang drin lässt, um sich einen geräuschvollen Schaltvorgang zu ersparen. Am wohlsten fühlt sich der Zweiventiler bei mittleren Touren, wie er mit kräftigem Durchzug, geschmeidigem Lauf und dem typisch sonoren Brummen unterstreicht. Obwohl sich der BMW-Antrieb selbst obenraus nicht lumpen lässt, ersparen Boxerfreunde ihm hohe Dauerdrehzahlen. Nicht zuletzt, weil die deutlich anschwellenden mechanischen Geräusche den insgesamt sehr souveränen Eindruck des Motors doch empfindlich stören.
Weitaus mehr jedenfalls als die anderen Marotten. Das ist mir bei unserer gemeinsamen Runde bewusst geworden. Dass es beim ersten Mal nicht gleich gefunkt hat, lag wohl an meiner jugendlichen Unerfahrenheit. Nicht ausgeschlossen, dass wir im gereiften Alter doch noch zusammenkommen, die BMW und ich.

Kawasaki: wild und ungestüm

Vielleicht macht uns aber die Zweitakt-Kawasaki einen Strich durch die Rechnung? Scharf sieht sie ja schon aus, die 750er. Wie die Zähne eines Piranhas schneiden die Kühlrippen des schlitzgesteuerten, angeblich 74 PS starken Dreizylinders durch die Luft, akustisch untermalt vom charakteristischen Schwirren, das mit ein wenig Fantasie an die Drohlaute einer gereizten Klapperschlange erinnert. Ein echter Kulturschock nach dem Umstieg von der gediegenen BMW. Also Attacke, mittlerweile muss der Asphalt ja mindestens zwei Grad haben! Blöd nur, dass der aufheulende Triple einfach stehen bleibt, selbst nach mehrmaligem Einlegen des ersten Ganges. Bis mir der grinsende Chef den Tipp gibt, den Schalthebel einfach mal nach oben zu drücken - bei der H2 wird nur in eine Richtung geschaltet, also auch der erste nach oben!
Weitere komische Tricks hat die schlank und schlicht wirkende Kawa zum Glück nicht auf Lager. Dafür jede Menge Qualm, es dauert, bis sich der rauchende Colt bereit zum Abschuss zeigt. Na ja, so ähnlich hab ich mir das jedenfalls vorgestellt, nach all den wilden Geschichten und Erzählungen einiger mir näher bekannter Redaktionsmitglieder. Von wegen Witwenmachers große Schwester, und so... Doch ganz so krass wie kolportiert reißt die Kawasaki nicht an. Im Gegenteil, sobald der Wohlfühlbereich des Drillings bei etwa 3000 Touren erreicht ist, zerrt er Mann und Maschine gut dosierbar und druckvoll voran. Richtung Redline lässt der Elan dann spürbar nach, von den befürchteten eruptiven Gewaltausbrüchen keine Spur.
Klingt langweilig? Ist es aber nicht. Vollgas, und dir zieht es die Arme mächtig lang, und das auch bei niedrigen Drehzahlen im fünften Gang. Ein ganz spezielles Erlebnis auf der H2, weil es das Tier in ihr zu wecken scheint. Zumindest erinnert dieses unglaublich laute Uaaahh aus der Airbox an einen brünftigen Hirsch, der seinen Paarungswillen direkt unter deinen Kronjuwelen herausbrüllt. Ich muss das jetzt mal so deutlich sagen, denn das Ansauggeräusch der H2 übertrifft wirklich alles, was ich bis jetzt auf einem Motorrad erlebt habe. Man(n) kann gar nicht anders, als damit zu spielen, um immer wieder das Echo zu genießen, das von den Felswänden der Route de Crêtes schallt.

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Freundlicherweise von Jürgen Deeß vom Wasserbüffel-Club überlassen: Die Suzuki GT 750.

Ein geschicktes Ablenkungsmanöver der Kawa, weil du so nicht gleich merkst, dass das wirklich Wilde, Ungestüme gar nicht in der Vorwärtsbewegung liegt, sondern mit der nur rudimentär vorhandenen Laufkultur zu tun hat. Der Dreizylinder vibriert so heftig, dass er sich nach und nach diverser Anbauteile und Schrauben entledigt (Blinker, Lampenhalter, Vergaser), außerdem hackt und ruckelt er beim Schließen der Gasschieber, dass einem Angst und Bange ums Getriebe wird.
Ähnliche Gefühle soll anscheinend auch das überforderte Fahrwerk verursachen, wie man hört. Doch hier, im unterkühlten südfranzösischen Kurvenlabyrinth, schlägt sich die H2 wacker. Angesichts massiver Felsen und steiler Schluchten hält man sich freiwillig fernab der letzten Rille, und bei Landstraßentempo funktioniert das einfache Fahrgestell trotz unterdimensionierter Gabel ganz ordentlich. Die neuen Zubehör-Federbeine und die modernen Gummis unserer H2 mögen daran ihren Anteil haben, dass mich die Kawa weder verschaukelt noch mit anderen Hinterhältigkeiten malträtiert. Mit ihren 192 Kilogramm Trockengewicht lässt sie sich über den langen Hebelarm des hohen Lenkers zudem recht leichtfüßig und zielgenau durch die engen Wechselkurven treiben. Bremsen? So la la. Immerhin, Druckpunkt und Wirkung sind besser als bei der BMW. Das gilt ebenso für den Unterhaltungswert, doch auf Dauer ist mir die H2 mit ihren ungehobelten Manieren zu stressig. Für einen spaßigen Quickie am Sonntagvormittag wäre ich aber jederzeit zu haben, obwohl Zweitakter eigentlich gar nicht so mein Ding sind.

Suzuki: sanft und kraftvoll

Ein gänzlich anderes Naturell als die Kawasaki offenbart die Suzuki GT 750. Schon ihr Äußeres macht einen gesetzteren, gediegeneren Eindruck, sie wirkt im Vergleich wie aus dem Vollen geschnitzt. Tatsächlich bringt der „Wasserbüffel“ mit vollem Tank und den gewichtigen vier (!) Schalldämpfern etwa 40 Kilogramm mehr auf die Waage, die sich zwangsläufig in einem trägeren Handling bemerkbar machen. Trotzdem ist mir die Suzi sofort sympathisch, wofür neben der entspannten Sitzposition und dem übersichtlichen Cockpit mit Ganganzeige vor allem der wassergekühlte Dreizylinder verantwortlich zeichnet. Ein ungemein geschmeidiger Zweitakter, der auf den ersten Tritt (oder auch Knopfdruck) startet, keinerlei Standgasprobleme kennt und mechanisch wesentlich ruhiger läuft als das Kawa-Pendant. Schon knapp über Leerlaufdrehzahl zieht der Büffel los, dreht gleichmäßig-kraftvoll hoch und verkneift sich dank Gummilagerung unangenehme Vibrationen, in Lenker und Rasten kribbelt es nur dezent. Ein wirklich angenehmer Motor, der weniger durch Rasanz, sondern viel mehr mit seiner Ausgewogenheit beeindruckt. Selbst weniger Zweitakt-affine Zeitgenossen wie ich können sich für den Suzuki-Dreier erwärmen, der mit bassigem Ansauggeräusch und singendem Auspuffsägen ein harmonisches Klangspektrum ohne prollige Dissonanzen erzeugt, das Suchtgefahr birgt.
Ob die 67 Prospekt-PS tatsächlich alle versammelt sind, ist deshalb eher zweitrangig. Reisen, nicht rasen ist die Domäne des Büffels, schon wegen der nicht besonders üppigen Schräglagenfreiheit. Im Touringmodus passt jedoch alles, wenngleich man etwas arbeiten muss, um der GT 750 den Weg durch Wechselkurven zu weisen. So lasse ich mich ohne Hektik treiben, stresse weder das bei forciertem Tempo etwas labil wirkende Fahrgestell noch die nicht besonders bissigen Bremsen. Und beginne zu begreifen, weshalb „Cheffe“ Pfeiffer so vom Wasserbüffel schwärmt.

Honda: solide und kultiviert

Noch größer ist die Schar der Verehrer der Honda CB 750 Four, die ich jetzt zum ersten Mal bewegen darf. Erstaunlich, wie kompakt das Urmeter aller japanischen Big Bikes baut. Egal ob groß oder klein, das K2-Modell von 1972 passt jedem. Typisch Honda auch die soliden Armaturen, die ruhig anzeigenden Instrumente und dieses Gefühl der Solidität und Zuverlässigkeit, das sich bereits beim ersten Druck aufs Knöpfchen einstellt.
Prompt erwacht der Vierzylinder, brummelt dezent mit leicht erhöhtem Standgas vor sich hin, um schon nach kurzer Strecke ohne Choke rund zu laufen. Sanft und ohne Schluckauf geht der Vierzylinder ans Gas, schiebt gleichmäßig voran. Rasch habe ich das wunderbar exakte und leichtgängige Getriebe durchgesteppt und lasse den Motor im fünften Gang gemächlich ziehen. Das alles geschieht mit einer solch unspektakulären Selbstverständlichkeit, dass es mir fast langweilig vorkommt.
Die CB 750 funktioniert, fährt und klingt halt heute noch so, wie man es von ihren unzähligen vierzylindrigen Nachfahren aus Japan gewohnt ist. Für ein über 40 Jahre altes Motorrad ist das ein großes Kompliment. Zugleich aber auch der Grund, weshalb die Honda bei mir nicht so recht zündet - Vierzylinder sind für mich das Normalste auf der Welt, damit bin ich aufgewachsen.
Deswegen ist Hondas Meilenstein jedoch noch lange kein Langweiler. Davor bewahrt ihn schon das heisere Röcheln, das den vier Schalldämpfern beim Ausdrehen der Gänge entweicht. Soll es flott vorangehen, muss die 750er viel röcheln, im Drehzahlkeller fällt der Druck des ohc-Zweiventilers vergleichsweise verhalten aus. Macht nichts, weil der Honda-Vierer bereitwillig und völlig unangestrengt die Nadel an den roten Bereich treibt, der klassische Doppelschleifenrahmen außerdem selbst bei engagierter Fahrweise erstaunlich gelassen bleibt. Im Winkelwerk muss der Pilot zwar arbeiten, wird dafür aber mit einem weitgehend neutralen Fahrverhalten belohnt. Ordentliche, gut dosierbare Bremsen und die sensible Federung unterstreichen zudem die sogar heute noch uneingeschränkte Alltagstauglichkeit der Honda.

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Besten Dank an Stephan Heigl, der uns die Norton zur Verfügung gestellt hat.

Norton: bullig und klangstark

Eine nicht zu unterschätzende Eigenschaft, wie mir bereits beim Starten der 850er Norton Commando klar wird. Nachdem wir uns der Reihe nach den Kopf rot und die Wade dick gekickt haben, erwacht der britische Zweizylinder erst beim Anschieben. Typisch englisch? Ich weiß es nicht, bislang habe ich immer einen großen Bogen um die britischen Ballermänner gemacht. Ein Fehler, wie mir die Norton schon auf den ersten Metern verdeutlicht.
Man muss es wirklich mal erlebt haben, mit welch herzerfrischender Vehemenz dieser Motoren-Methusalem Ross und Reiter schon knapp über Leerlaufdrehzahl entschlossen nach vorne peitscht! Kaum zu glauben, dass der 828 cm³ große Parallel-Twin auf einer Konstruktion von 1949 basiert. So wälzt sich auch im Alu-Gehäuse der 850er-Commando eine dreiteilige Kurbelwelle mit zentralem Schwungrad in nur zwei Lagern. Der Zylinderblock besteht aus Grauguss, der Kopf aus Aluminium, die je zwei Ventile werden über eine untenliegende Nockenwelle mit Stößel, Stoßstangen und Kipphebel betätigt. Traditioneller englischer Maschinenbau also, dessen mitreißendes Wesen so manch moderne Konstruktion zur Luftpumpe degradiert.
Dazu verabreicht einem die Norton mit ihren herrlichen, dumpf pulsierenden Druckwellen eine Trommelfellmassage vom Feinsten. So richtig genießen kann ich die im Moment aber nicht, weil der Schalthebel meine volle Konzentration erfordert. Die vier Gänge wollen rechts geschaltet und dazu auch noch über ein umgekehrtes Schema sortiert werden. Da heißt es aufpassen, sonst steht man beim vermeintlichen Runterschalten quer (Bremse links!) oder brummt zu schnell ins Eck, da die gewohnte Bewegung des rechten Fußes keine Verzögerung bewirkt, sondern einen höheren Gang einlegt. Doch mit einem wachen Kopf gelingt die Umstellung erstaunlich schnell. Dabei hilft, dass die Gänge der traditionell in einem separaten Gehäuse untergebrachten Schaltbox exakt und leicht in ihre Position flutschen. Außerdem erspart der ungemein elastische, mit reichlich Schwungmasse versehene Langhuber so manchen Schaltvorgang. Für mich ist es immer wieder faszinierend, mit welchem Nachdruck sich der mit 50 PS „schwächste“ Motor des Sextetts aus den tiefsten Tiefen des Drehzahlkellers herausackert und selbst dabei stets weich und ruckfrei ans Gas geht. Verblüffend zudem die Vibrationsarmut, dank Isolastic-Entkoppelung von Antrieb und Hinterradschwinge über Gummi-Silentblöcke kommen nur noch sanfte Schwingungen durch.
Etwas entkoppelt fühlen sich ebenfalls große Fahrer auf der zierlichen Maschine. Sie sitzen in typisch britischer Tradition aufrecht und mit entspanntem Kniewinkel hinterm breiten Lenker, dessen langer Hebelarm das spielerische Handling der rund 190 Kilogramm leichten Britin noch verstärkt. In Kombination mit den straffen Federelementen und der zupackenden vorderen Scheibenbremse ergibt das einen charakterstarken Kurvenflitzer, der wie geschaffen ist für enge und winklige Landstraßen. Die Kälte spüre ich schon lange nicht mehr - ja, die Norton hat mich mit ihrem Charme komplett überrollt!

Benelli: breit und behende

So laufe ich mit dem breitesten Grinsen in Richtung „Chef-Sessel“, der Benelli. In der festen Überzeugung, dass meine Mundwinkel weiterhin oben verharren werden, schließlich hat mir ihr Besitzer lange genug von seiner 750 Sei vorgeschwärmt. Nun, geschwindelt hat er ganz sicher nicht. Schon beim Starten - kicken ist gefragt, weil mal wieder der Anlasserfreilauf hängt - jagt einem das italienische Sixpack die ersten Schauer über den Rücken. Ein warmer, grollender Ton entweicht den sechs Endrohren, kernig, aber nicht prollig. Los geht‘s. Sanft greift die Kupplung, und der Koloss setzt sich in Bewegung. Wobei - so wuchtig, wie es beim Anblick des Motors scheint, ist die Benelli gar nicht. Im Sattel der bequemen Bank wirkt sie sogar recht kompakt, die entspannte Sitzposition ähnelt jener der Honda, und vom breit bauenden Motor - die 62 Zentimeter werden vom BMW-Boxer klar übertroffen - sieht man kaum etwas.
Verblüffend die Handlichkeit, die Sei reagiert schon auf sanfte Impulse. Enge Spitzkehren? Kein Problem, ein leichter Zupfer am Lenker, ein wenig Druck mit dem Oberschenkel, schon gehen die 243 Kilogramm in stabile Seitenlage. Straff gedämpfte Federelemente informieren dabei zuverlässig über den Straßenzustand, dennoch bleibt genügend Komfort. Klasse auch die bissige, prima dosierbare vordere Doppelscheibenbremse. Es dauert nicht lange, und mein anfänglicher Respekt ist verflogen. Wenn man heftiger am Kabel zieht, merkt man bald, dass die 750er nicht nur sehr empfänglich auf Lenkbefehle reagiert, sondern auch auf äußere Impulse. An das leichte Taumeln um den Lenkkopf gewöhne ich mich rasch, zumal sich die Fuhre nie aufschaukelt.
Gut so, jetzt will ich endlich das gesamte Klangspektrum auskosten. Weich und ruckfrei geht der Sechsender ans Gas, die Laufkultur ist bestechend. Der Antritt weniger, bei niedrigen Touren reißt die Italienerin keine Bäume aus. Wer höher dreht, bekommt jedoch ausreichend Leistung geboten, wenngleich die angegebenen 63 PS noch nie ausschlaggebend waren für die Wahl der Benelli. Nein, eine Sei wird vor allem wegen ihrer Musikalität geliebt. Was für ein Spektakel, wenn sie, begleitet vom tiefen Bass aus der Airbox, ihr gesamtes Repertoire abruft, das vom dumpfen Grollen mit steigender Drehzahl immer mehr in ein heiser-heulendes Fauchen übergeht. Ein begeisternder Sound mit Gänsehaut-Garantie, bei dem sich der Aufstellwinkel der Nackenhaare ganz einfach per Gasgriff regulieren lässt.Und? Gespannt erwartet der Chef meine Rückkehr. Doch ich muss das Erlebte erst einmal sacken lassen. Nach zwei intensiven Tagen, die mir so viel Neues, Spektakuläres und Unvergessliches gebracht haben, muss ich meine Gedanken sortieren. Gar nicht so einfach, alle sechs Maschinen haben mich beeindruckt, jede auf ihre Weise. Eine aber ganz besonders, von der ich es am wenigsten erwartet hätte: Es ist die Norton, die sich mir direkt ins Herz gedonnert hat. Sorry, Chef!

Benelli 750 SEI

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Benelli 750 SEI. Preis im Jahr 1975: 10989 Mark.

Motor: Luftgekühlter Sechszylinder-Viertakt-Reihen-motor, eine oben liegende Nockenwelle, zwei Ventile pro Zylinder, über Kipphebel betätigt, Hubraum 748 cm³, Leistung 47 kW (63 PS) bei 8500/min

Kraftübertragung: Mehrscheiben-Ölbadkupplung, Fünfganggetriebe

Fahrwerk: Doppelschleifenrahmen aus Stahlrohr, Telegabel, Ø 37 mm, Zweiarmschwinge mit zwei Federbeinen, Drahtspeichenräder mit Alu-Felgen, Reifen 3.50-18 vorn, 4.25-18 hinten, Doppelscheibenbremse vorn, Ø 280 mm, Trommelbremse hinten, Ø 200 mm

Maße und Gewichte: Radstand 1420 mm,
Gewicht vollgetankt 243 kg

Fahrleistungen: Höchstgeschwindigkeit 197 km/h
Preis (1975): 10989 Mark

BMW R 90 S

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BMW R 90 S. Preis im Jahr 1974: 9130 Mark.

Motor: Luftgekühlter Zweizylinder-Viertakt-Boxermotor, eine unten liegende Nockenwelle, zwei Ventile pro Zylinder, über Stoßstangen und Kipphebel betätigt, Hubraum 898 cm³,
Leistung: 49 kW (67 PS) bei 7000/min

Kraftübertragung: Einscheiben-Trockenkupplung, Fünfganggetriebe, Kardanantrieb

Fahrwerk: Doppelschleifenrahmen aus Stahlrohr, Telegabel, Ø 36 mm, Zweiarmschwinge mit zwei Federbeinen, Drahtspeichenräder mit Alu-Felgen, Reifen 3.25 H 19 vorn, 4.00 H 18 hinten, Doppelscheibenbremse vorn, Ø 256 mm, Trommelbremse hinten

Maße und Gewichte: Radstand 1445 mm, Gewicht vollgetankt 226 kg

Fahrleistungen: Höchstgeschwindigkeit 200 km/h
Preis (1974): 9130 Mark

Honda CB 750 FOUR

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Honda CB 750 Four. Preis im Jahr 1972: 6598 Mark.

Motor: Luftgekühlter Vierzylinder-Viertakt-Reihenmotor, eine oben- liegende Nockenwelle, zwei Ventile pro Zylinder, über Kipphebel betätigt, Hubraum 736 cm³, Leistung 49 kW
(67 PS) bei 8000/min

Kraftübertragung: Mehrscheiben-Ölbadkupplung, Fünfganggetriebe

Fahrwerk: Doppelschleifenrahmen aus Stahlrohr, Telegabel, Zweiarmschwinge mit zwei Federbeinen, Drahtspeichenräder mit Stahlfelgen, Reifen 3.25-19 vorn, 4.00-18 hinten, Einscheibenbremse vorn, Ø 296 mm, Trommelbremse hinten Ø 180 mm

Maße und Gewichte: Radstand 1450 mm, Gewicht vollgetankt 235 kg

Fahrleistungen: Höchstgeschwindigkeit 200 km/h
Preis (1972): 6598 Mark

Kawasaki 750 H2

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Kawasaki 750 H2. Preis im Jahr 1972: 5580 Mark.

Motor: Luftgekühlter, schlitzgesteuerter Dreizylinder-Zweitakt-Reihenmotor, Hubraum 748 cm³, Leistung 54 kW (74 PS) bei 6800/min

Kraftübertragung: Mehrscheiben-Ölbadkupplung, Fünfganggetriebe

Fahrwerk: Doppelschleifenrahmen aus Stahlrohr, Telegabel, Zweiarmschwinge mit zwei Federbeinen, Drahtspeichenräder mit Stahlfelgen, Reifen 3.25-19 vorn, 4.00-18 hinten, Einscheibenbremse vorn, Ø 296 mm, Trommelbremse hinten, Ø 200 mm

Maße und Gewichte: Radstand 1410 mm, Gewicht vollgetankt ca. 210 kg

Fahrleistungen: Höchstgeschwindigkeit 203 km/h
Preis (1972): 5580 Mark

Norton Commando 850 Roadster

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Norton Commander 850 Roadster. Preis im Jahr 1973: 6450 Mark.

Motor: Luftgekühlter Zweizylinder-Viertakt-Reihenmotor, eine untenliegende Nockenwelle, zwei Ventile pro Zylinder, über Stoßstangen und Kipphebel betätigt, Hubraum 828 cm³, Leistung 37 kW (50 PS) bei 6250/min

Kraftübertragung: Mehrscheiben-Ölbadkupplung, Vierganggetriebe

Fahrwerk: Doppelschleifenrahmen aus Stahlrohr, Telegabel, Zweiarmschwinge mit zwei Federbeinen, Drahtspeichenräder mit Alu-Felgen, Reifen 4.10 H 19 vorn und hinten, Einscheibenbremse vorn, Ø 296 mm, Trommelbremse hinten, Ø 175 mm

Maße und Gewichte:
Radstand 1440 mm, Gewicht vollgetankt 190 kg

Fahrleistungen: Höchstgeschwindigkeit 175 km/h
Preis (1973): 6450 Mark

Suzuki GT 750

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Suzuki GT 750. Preis im Jahr 1974: 6590 Mark.

Motor: Wassergekühlter Dreizylinder-Zweitaktmotor, Hubraum 738 cm³, Leistung 49 kW (67 PS) bei 6500/min

Kraftübertragung: Mehrscheiben-Ölbad-kupplung, Fünfganggetriebe

Fahrwerk: Doppelschleifenrahmen aus Stahlrohr, Telegabel, Zweiarmschwinge mit zwei Federbeinen, Drahtspeichenräder mit Stahlfelgen, Reifen 3.25 H 19 vorn, 4.00 H 18 hinten, Doppelscheibenbremse vorn, Ø 292 mm, Trommelbremse hinten, Ø 180 mm

Maße und Gewichte: Radstand 1455 mm, Gewicht vollgetankt 249 kg

Fahrleistungen:
Höchstgeschwindigkeit 185 km/h
Preis (1974): 6590 Mark

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MOTORRAD CLASSIC 6 / 2023

Erscheinungsdatum 05.05.2023