Motocross-Maschine Rickman Métisse
Erst für sich selbst, dann für die ganze Welt

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Mit ihrer Métisse eroberten die Rickman-Brüder Anfang der 1960er die Crosspisten der Welt und legten den Grundstein für eine bis heute währende Story. Wie diese MRD Métisse Triumph zeigt: in den 90er-Jahren aufgebaut – und trotzdem ein Original.

Erst für sich selbst, dann für die ganze Welt
Foto: Bilski

Minderjährige, spargeldünne Teenager-Profis whippen und srubben ihre 100 Kilo leichten 250er-Werksmaschinen über trickreiche Sprungkombinationen, verdienen damit Millionen Euro, und im Fahrerlager reihen sich dicke Sattelschlepper für Werkstatt und Hospitality. So sieht Motocross heute aus. Aber es war mal völlig anders, als alles begann. Und das war Mitte der 1950er-Jahre. Damals fuhren lupenreine Amateure, die im besten Fall ihre Motorräder gestellt bekamen, auf leicht modifizierten Straßenmaschinen über hügelige Naturpisten. In England nannten sie es „Scramble“. Die Fahrer waren noch richtige Männer, kräftig gebaut, und sie gingen selbstverständlich jeden Montag zur Arbeit.

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Rahmen als Ölreservoir

Zwei höchst talentierte Piloten ihrer Zeit waren die Rickman-Brüder, deren Mutter die Autowerkstatt nach dem frühen Tod des Vaters direkt nach Kriegsende weiter betrieben hatte, bis sie 1958 in New Milton nahe Southampton ihre kleine Motorrad-Werkstatt gründeten. Schon seit Anfang der 1950er hatten sich Don und Derek im Offroad-Sport einen Namen gemacht. 1958 fuhren beide dann 500er-BSA Gold Star, schwere Einzylinder-Straßenmaschinen, deren Rahmen bei den harten Scramble-Rennen regelmäßig verbogen oder brachen. Zur gleichen Zeit tauchten bei internationalen Rennen Schweden mit ganz speziellen Prototypen von Monark oder Crescent auf, leichter, wendiger und robuster.

Don und Derek war schnell klar, dass etwas passieren musste. Im folgenden Winter bauten sie ihre erste eigene Maschine zusammen, die von einem Triumph Preunit-Motor angetrieben wurde, der in ein umgebautes BSA-Chassis eingesetzt war. Das Getriebe stammte ebenfalls aus der BSA, die Gabel von Norton. Erstmals nutzten sie den Rahmen als Ölreservoir.

Die TriBSA sorgte in den Frühjahrsrennen 1959 für Furore. Im Rennen in Bulbarrow Hill dominierte Derek seine Läufe in überlegener Manier. Auf der Rückfahrt machten die Rickmans wie üblich eine Teepause bei ihrem Öl-Sponsor Harold Wakefield in Ferndown, der fragte, wie sie ihre Maschine denn nun nennen wollten. „Mongrel“, antworteten sie, also eine Promenadenmischung, ein Bastard. Aber das klang ihnen dann doch zu negativ. Man blätterte in einem französischen Wörterbuch und fand die Übersetzung „Métis“, entschied sich schließlich für die weibliche Form „Métisse“. Das erschien den Brüdern passend.

Métisse-Maschinen fuhren von Erfolg zu Erfolg

Die beiden Métisse-Maschinen fuhren daraufhin von Erfolg zu Erfolg. Der Höhepunkt der Saison war der Gesamtsieg für Don Rickman beim Cross der Nationen 1959 im belgischen Namur. Mit diesen Erfahrungen entstand im folgenden Winter die Mk2 mit plastikverschaltem Luftfilterkasten als Novum, den die Brüder sich bei einem Kunststoffexperten fertigen ließen. Das ergab erstmals das typische Métisse-Outfit mit der markanten Heckverkleidung, das im Frühjahr 1960 für viel Aufsehen sorgte.

Bilski
Weil die Straßenrahmen verbogen oder brachen, entwickelten die Rickman- Brüder ein echtes Offroad-Chassis aus massiven Reynolds-Rohren.

Die Mk2 wurde von beiden Rickman-Brüdern in den Jahren 1960 und 1961 äußerst erfolgreich eingesetzt, insgesamt entstanden aber nur vier Maschinen. Und in der Basis waren es immer noch TriBSA. Währenddessen reiften in den Köpfen aber bereits die Pläne für wirklich eigene Motorräder. Die wurden in aller Heimlichkeit im Winter 1961/62 umgesetzt, als die revolutionäre Mk3 entstand. Die Rickmans hatten sich vorher beim Rohrlieferanten Reynolds bezüglich der Verarbeitung des legendären Rohrs 531 ausführlich beraten lassen.

Mit den vernickelten Rohren und der spektakulären Plastik-Verkleidung war die Métisse MK3 eine Sensation. Und Don siegte beim ersten Auftritt 1962 ausgerechnet vor den Werks-BSA unter Jeff Smith und Dave Bickers. Was die ­Brüder noch nicht ahnten: In diesem Augenblick änderte sich ihr Leben dramatisch. Bis dahin hatten sie ihre Maschinen immer nur für sich gebaut, doch plötzlich wollte die ganze Welt eine Métisse. Binnen kürzester Zeit wurden die Rickman-Brüder richtige Motorrad-Hersteller, bauten in aller Eile ein kleines Werk auf. Der Rest ist Geschichte: Die Métisse Mk3 eilte von Erfolg zu Erfolg. Schließlich fuhr das halbe Fahrerfeld in der Cross-Weltmeisterschaft mit den robusten Rahmen, in die Ein- und Zweizylinder von Triumph, Matchless, BSA oder AJS eingesetzt wurden.

Doch Ende der 1960er war die Zeit der Dinosaurier vorbei, wendige Zweitakter übernahmen endgültig das Ruder. Die Rickmans verkauften ihre Firma, danach wurden die berühmten Rahmenkits jedoch weiter produziert, und zwar von Adrian Moss unter Rickman Motorcycles sowie Pat French unter MRD Métisse, später Métisse Motorcycles. So lässt sich der Traum von solch einem Glanzstück bis heute realisieren.

Rickman Métisse Mk3

Motor: Triumph Tiger 100 Pre-unit-Twin, Bohrung 63,0 mm, Hub 80,0 mm, 498 cm³, Verdichtung 10:1,zwei Ventile pro Zylinder, ca. 45 PS bei 7000/min, ein Amal-Rundschiebervergaser, Ölbadkupplung, Norton-Vierganggetriebe, Kettenantrieb

Fahrwerk: MRD Métisse Mk3-Rahmen aus hartgelöteten 4130-Cro-Mo-Stahlrohren, Öl im Rahmen, Ceriani-Gabel vorn, Zweiarmschwinge hinten, Trommelbremse vorn und hinten, Trockengewicht 127 kg, Tankinhalt 9 l

Kontakt: www.metisse-motorcycles.com

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