Fahrbericht Royal Enfield Interceptor INT 650 und Continental GT 650 2018

Royal Enfield Interceptor und Continental (2018)
Retro-Twins im Fahrbericht

Zuletzt aktualisiert am 27.09.2018

Die EICMA 2017 markiert für den traditionsreichen Hersteller mit englischen Wurzeln ein wichtiges Kapitel in der Firmengeschichte, und zwar sowohl im Hinblick auf den riesigen, und stetig weiter wachsenden heimischen Markt (in dem man derzeit monatlich 70.000 Einheiten der 350er und 500er baut!), wie auch für die globalen Expansionspläne. Dort bietet man solventen Käufern mit den neuen 650er Modellen ungekannt große, schnelle, prestigeträchtige Maschinen; hier hieven Royal Enfield Continental GT 650 und Royal Enfield Interceptor INT 650 ihren Hersteller aus dem Nischendasein als Exporteur charmanter, aber leistungsschwacher Einzylinderbikes heraus und mitten hinein ins Segment der Mittelklasse-Retros.

Konstruiert wurden die Maschinen im neuen Forschungszentrum im englischen Bruntingthorpe unter Führung von Simon Warburton, dem früheren Entwicklungschef von Triumph – Hoffnungen in astreines Fahrverhalten sind also durchaus angebracht.

Die harten Fakten zum neuen Motor:

-    Reihenzweizylinder, 648 cm³
-    Luft/Ölkühlung
-    270 Grad Hubzapfenversatz
-    Vierventiltechnik, einzelne obenliegende Nockenwelle
-    Bohrungs-Hubverhältnis: 78mm x 67,8mm
-    Verdichtung: 9,5 zu 1
-    Sechsganggetriebe, Antihoppingkupplung
-    CDI-Zündung, Bosch-Einspritzung
-    47 PS bei 7.250/min, 52 Nm bei 5.250/min

GT als Café-Racer und INT als Roadster

Verwendung findet dieser Motor in zwei Retromaschinen, deren Linienführung zeitlos klassischer nicht sein könnte. Wir urteilen ungern über Styling, in diesem Falle sei allerdings festgehalten: Das Design ist Royal Enfield offensichtlich leicht von der Hand gegangen. Verwundern muss das nicht, baut man in Chennai mit der Bullet 500 doch im Prinzip seit einigen Jahrzehnten das gleiche Motorrad. Technisch teilen sich beide Neuen die gleiche Basis: Doppelschleifen-Stahlrohrrahmen, 18 Zoll-Räder mit 100/90er Reifen vorn und 130/70er Pneus hinten (Pirelli Phantom Sportcomp Bereifung), 1.398 Millimeter Radstand, 198 bis 202 Kilogramm Trockengewicht, 320 Millimeter Einzelscheibenbremse vorne, 240er Disc hinten, ABS ist Serienausstattung. Die Bremskomponenten stammen von der Brembo-Tochter Bybre, die unter anderem auch KTM beliefert. Die 41er Telegabel arbeitet mit einem Federweg von 110 mm, die Stereofederbeine hinten kommen auf 88 mm Federweg.

Die Royal Enfield Continental GT 650 mit einer Sitzhöhe von 793 mm empfiehlt sich für Liebhaber des Cafe-Racer Looks, während die Royal Enfield Interceptor INT 650 (Sitzhöhe: 804 mm) einen klassischen Roadster mit höherem Lenker und durchgängiger Sitzbank darstellt. Offizielle Angaben zum Verkaufspreis liegen uns derzeit noch nicht vor, angesichts der Produktion in Indien und der zu erwartenden enormen Stückzahlen im dortigen Markt erscheint ein höchst konkurrenzfähiger Marktpreis recht wahrscheinlich. Marktstart wird gegen Juni 2018 sein.

Unterwegs mit den Enfield-Twins

Royal Enfield

Rund um den halben Globus hat uns Royal Enfield fliegen lassen, damit wir das erste Mal den Zündschlüssel der neuen Continental GT 650 und deren Schwestermodell Interceptor 650 umdrehen durften. Und das hat richtig Laune gemacht.

Doch er Reihe nach. Fangen wir mit der Interceptor an. Die preist Enfield selbst als Roadster an, der hohe, breite Lenker samt angeschraubter Mittelstrebe vermittelt aber schon fast Scrambler-Feeling. Bequem ist das auf jeden Fall, weil nicht nur das Lenkrohr griffgünstig liegt, sondern weil auch die Rasten recht tief platziert wurden und die Knie so wie von selbst ihren Platz am Tank finden. Sonor und gleichmäßig blubbernd schreitet der per 270 Grad Hubzapfenversatz der Kurbelwelle auf Charakter getrimmt, luft-ölgekühlte Twin zur Tat. Er entpuppt sich schnell als gleichmäßiger Dreher, der bereits bis 2.500/min mehr als 80 Prozent seines Drehmomentmaximums von 52 Nm liefert. Und da an der Kurbelwelle nicht das letzte Gramm gespart wurde, schiebt der Twin in allen Gängen ab 2.000/min verschluckfrei an, dreht bei Bedarf recht flockig oben raus, bis ihn der Begrenzer bei knapp über 7.000 Touren stoppt. Die Kupplung trennt bei Schaltvorgängen präzise, klar – aber nur mit etwas Nachdruck – flutschen die Gänge durchs Getriebe. Nicht klassenüblich, aber gerne genommen: Die serienmäßige Anti-Hopping-Kupplung erlaubt sportliches Runterschalten ohne Rutscher, kappt Lastspitzen wirkungsvoll.

Seinen  Wohlfühlbereich hat der Motor aber klar in der Mitte, wobei er nicht mit überschäumendem Temperament glänzt, sondern als locker beherrschbarer, sanft und umgänglich agierender Motor Einsteigern wie alten Hasen das Leben leicht macht. Dazu trägt auch das Fahrwerk bei. Zwar dürfte die Gabel etwas feiner Ansprechen, was wahrscheinlich den wenigen Kilometern der Testmotorräder geschuldet ist, insgesamt erledigt das Front und Heck ihren Job aber gut, führen die schmalen 18-Zoll-Räder sicher. Kleine Minuspunkte gibt´s allenfalls für die Geradeauslaufstabilität. Bei flottem Tempo neigt die Interceptor bei Anregungen leicht zum Pendeln.

Continental wirkt sportlicher

Royal Enfield

Das meistert die Continental GT 650 besser. Bedingt durch die Stummellenker und die weiter oben sowie hinten angebrachten Rasten liegt bei ihr mit einem Fahrer belastet einfach mehr Gewicht auf der Front. Das sorgt zudem dafür, dass das Feedback vom Vorderreifen spürbar klarer ausfällt, man noch ein bisschen enger und knackiger mit ihr um die Kurven sticht. Und da die Continental klar später als die Interceptor mit den Rasten über den Boden schrabbelt, darf´s mit ihr auch etwas schräger zugegen.

Ansonsten gilt für die GT das gleiche wie für die Roadster – bis auf die Tanks, die Lenker und die Fußrasten-Position gleichen sich die beiden Motorräder ja auch wie Zwillinge.

Beide treffen als Retro-Fahrmaschinen den Zeitgeist, ohne das wirklich zu wollen, schließlich sehen einfach alle Motorräder von Enfield sehr klassisch aus. Außer einem ABS gibt es keine Fahrassistenzsysteme, Runduhren informieren per feiner Zeiger über Geschwindigkeit und Drehzahlmesser. Purer können Motorräder aktuell nicht sein. Wobei der luft-ölgekühlte Twin als Neuentwicklung jetzt schon für die kommende Euro-5-Abgasnorm entwickelt wurde, technisch also up-to-Date ist. Bleibt noch die Frage offen, was der Twin-Fahrspaß von Enfield kosten soll. Die offiziellen Preise für Deutschland sind noch nicht bekannt, in den USA ist die Interceptor 650 ab 5.799 Dollar erhältlich, die Contiental GT 650 ab 5.999 Dollar. Wünschen wir uns, dass die Preise auch hier so ähnlich ausfallen werden.